37) Elton John

Achtung, das Verhör ist auch schon online ... Wattpad hatte beim Upload mal wieder Schwierigkeiten mit der Benachrichtigung🙈

---------------

Ganz offensichtlich war Ken nicht sonderlich glücklich mit dem Outcome des Verhörs.

Ich hegte den Verdacht, dass er mich kurzerhand gepackt und geschüttelt hätte, wäre ich nicht ... nun ja, ich gewesen. Mal abgesehen von meinem Dasein als sein Neffe, hätte es unter seinen Leuten wohl für Empörung gesorgt, wenn er ihrem wertvollen Markenzeichen gegenüber handgreiflich wurde.

Außerdem war ich der Gallagher, wie Zayn es so schön formuliert hatte. Derjenige mit den krassen Fähigkeiten. Mit dem wollte es sich Ken ganz sicher nicht verscherzen, sondern ihn auf seiner Seite wissen.

Ich müsste lügen, um zu behaupten, dass ich es nicht wenigstens ein bisschen genoss, ausnahmsweise mal am längeren Hebel zu sitzen. Er war zwar nur ein ganz kleines Stückchen länger und wackelte noch dazu bedenklich, aber es war trotzdem besser als nichts.

Die Forschungsstation befand sich auf dem Gelände meiner Universität.

Es hatte mich in meiner Verwirrung zwar mehrere Momente gekostet, bis ich die Gänge und insbesondere den Parkbereich im Freien wiedererkannt hatte, aber nun war ich mir sicher. Das Gelände der juristischen Fakultät.

Ein schöner Zufall, dass die OOA genau an der Universität, an der ich studierte, eine ihrer Stationen eröffnet zu haben schien. Hatte sie etwa auch ihre Finger im Spiel gehabt, als ich dort angenommen worden war, und dafür gesorgt, dass mich andere Universitäten ablehnten?

Dann würde auch die Sache mit Bernard Quinn Sinn ergeben, der ganz zufälligerweise in meiner Studienstadt eine zweite Praxis führte. Damals hatte ich mich darüber gefreut, mir keinen neuen Therapeuten suchen zu müssen, doch jetzt, mit dem Wissen, wie kalkuliert meine ganze Lebensgeschichte gesteuert worden zu sein schien, bekam alles einen bitteren Beigeschmack.

Wie gut hatte ich mich dabei gefühlt, endlich meine eigenen, großen Entscheidungen zu treffen – nur um jetzt herauszufinden, dass keine dieser Entscheidungen in meiner Hand gelegen hatte. Sie waren für mich getroffen worden, während ich blind und ahnungslos durch die Welt gestolpert war.

Oblivious, im wahrsten Sinne des Wortes.

„Niall!"

Beim vertrauten Klang von Annes Stimme fuhr ich schlagartig hoch, und kaum hatte ich einen Blick über die chaotische Haupthalle hinweg in Richtung Eingang geworfen, sah ich Harrys Mutter schon auf mich zukommen, dicht gefolgt von zwei Cognizant-Wachen, die nicht so recht zu wissen schienen, ob sie die Ärztin nun aufhalten sollten oder nicht.

Doch dann trat hinter ihnen auch noch Ken aus dem Treppenhaus und winkte ab. Er schien nicht davon auszugehen, dass ihm und seinem geheimen Lager von Anne Twist irgendeine Gefahr drohte.

Ehe ich mir noch weitere Gedanken machen konnte, zog Anne mich schon in eine knochenbrechende Umarmung. Reflexartig erwiderte ich sie, wenn auch etwas steif. Ich war nicht wirklich daran gewohnt, Umarmungen zu erhalten. Schon gar nicht solche Umarmungen, die ein derartiges Gefühl von Vertrauen und Sicherheit mit sich brachten. Annes empathische Fähigkeiten waren wirklich außerordentlich.

Unwillkürlich vergrub ich die Nase an ihrer Schulter, ließ zu, dass sie mich für einen Moment noch fester an sich zog. Dann trat sie einen Schritt zurück, musterte mich prüfend.

Sanft berührte sie die Schrammen in meinem Gesicht. „Hast du dir etwa schon wieder eine Schlägerei geliefert?"

„Sorry." Mein schiefes Lächeln war vollkommen ehrlich. „Mir blieb nichts anderes übrig."

Die Ärztin schnaubte, während sie einen Blick über die Schulter in Richtung Ken warf, der langsam auf uns zu schlenderte. „Das glaube ich gerne. Ich bin mir sicher, Kens Mittel haben sich nicht verändert."

Natürlich sprach sie laut genug, dass Ken auch wirklich jedes einzelne Wort verstand.

„Aber, aber." Abwehrend hob dieser die Hände. „Vergiss nicht, dass ich hier lediglich in Mauras Fußstapfen getreten bin."

Annes Augen glänzten in irgendetwas, das ich nicht definieren konnte, aber keineswegs positiv war.

„Spar dir deinen Atem, Ken." Ihre sonst so samtige Stimme war eisig. „Wir wissen beide, wie die Dinge gelaufen sind. Es wundert mich überhaupt nicht, dass du dir Niall unter den Nagel reißen willst."

Kens Glucksen war so provokant, dass ich an Annes Stelle die Zähne zusammenbeißen musste.

„Ihn mir unter den Nagel reißen? Das klingt ja fast so, als wäre er ein Objekt, das man besitzen kann." Amüsiert verschränkte er die Arme vor der Brust. „Er ist mein Neffe, Anne. Meine Familie. Familie hält zusammen, richtig?"

Annes Nasenflügel blähten sich, als sie scharf einatmete. Offenbar hatte man sie schon in Kenntnis darüber gesetzt, dass man wiederum mir eine Aufklärungsstunde gehalten hatte.

„Als ob du dich einen Dreck um Familienbande scheißt." Sie reckte das Kinn. „Du willst ihn nur als hübsches Maskottchen vor deinen Leuten präsentieren. Werden deine Anhänger etwa weniger? Springen nicht mehr alle nach deiner selbstverherrlichenden Pfeife? Tragisch. Ihr seid nicht cognizant, allwissend, Ken. Ihr und insbesondere du, ihr seid arrogante, aggressive Kotzbrocken, die sich für die besseren Menschen halten."

Kens Lippen kräuselten sich. „Sind wir das nicht auch, Anne?"

„Was? Aggressive Kotzbrocken?"

Der Anführer der Cognizant lachte. „Ich sehe, du hast deinen Humor über die Jahre nicht eingebüßt."

Annes Hand kam in einer beschützenden Geste an meinem Rücken zum Liegen. „Ich habe vor allem meinen Verstand nicht eingebüßt, Ken. Und der sagt mir jetzt gerade, dass Niall sich keine Sekunde länger unter deinem Einfluss befinden sollte."

Ken hob die Augenbrauen, ehe er sich mir zuwandte. „Nun, das könnte ein Problemchen auf den Plan rufen. Denn wir haben bereits eine kleine Abmachung. Stimmt's, Neffe?"

Ich spannte mich an, als sich Annes grüne Augen, die denen Harrys so ähnlich waren, an mir festzurrten, und zwang mich zu einem Nicken. „Die haben wir."

Hörbar atmete Anne aus. „Ihr wollt ins Forschungszentrum der OOA einsteigen." Sie bemerkte meinen verblüfften Blick und winkte ab. „Harry hat mir schon einige Sachen erzählt. Gut für mich, dass ihr beide grundsätzlich auf dem gleichen Wissensstand seid, weil ihr einander alles ausplaudert. Wie die kleinen Jungs in alten Zeiten."

Den letzten Satz murmelte sie nur zu sich selbst, doch da sie so dicht neben mir stand, vernahm ich ihn trotzdem, zusammen mit dem unverkennbar wehmütigen Unterton.

Prompt betrat nun auch Harry die Haupthalle, kam jedoch nicht näher, sondern lehnte sich mit verschränkten Armen abseits des Trubels an die Wand, um uns zu beobachten. Sogar aus dieser Entfernung spürte ich, dass irgendetwas von ihm ausging. Etwas, das sich mit Annes Wehmut glich, gleichzeitig jedoch noch so viel mehr war. Es gelang mir einfach nicht, es zu benennen.

Als Harry bemerkte, dass ich ihn entdeckt hatte, schenkte er mir ein müdes, aber ehrliches Lächeln, das seine charakteristischen Grübchen spielen ließ.

Im seltsamen Anflug eines mulmigen Gefühls lächelte ich zurück, bevor ich schnell den Blick abwandte. Unglaublich, welch enge Verbindung wir immer noch – oder schon wieder – hatten, nachdem wir jahrelang getrennt gewesen waren. Ich hatte das Gefühl, ihm jeden Gedanken am Gesicht ablesen zu können, seine Anwesenheit förmlich spüren zu können, sobald er sich mir näherte.

„Ich komme mit."

Kurz dachte ich, ich hätte mich verhört. Doch dann sah ich den entschlossenen Ausdruck in Annes Gesicht, und wusste, dass das keineswegs der Fall war.

„Wie bitte?"

Energisch schüttelte sich die Ärztin eine verirrte Strähne ihres dunklen Haares aus der Stirn. „Richtig gehört." Sie durchbohrte Ken mit einem vernichtenden Blick. „Wenn du denkst, ich lasse Mauras Sohn auch nur eine weitere Sekunde länger mit dir allein, hast du dich geschnitten, Ken. Ich werde nicht zulassen, dass sich die Dinge wiederholen."

Kens blaue Augen flackerten gefährlich. „Pass auf, was du hier sagst, Anne." Sein Tonfall war ruhig. Unheilvoll, aber ruhig. „Es ist nicht gut, aus der Luft gegriffene Behauptungen in die Welt zu setzen."

Anne verzog keine Miene. „Was aus der Luft gegriffen ist und was nicht, entscheiden immer noch die Fakten. Die vollständigen Fakten. Ich bezweifle, dass du Niall die geliefert hast."

„Was vollständige Fakten betrifft, bist du die Letzte, die hier punkten kann." Kens Mundwinkel zuckten in einem Anflug von Belustigung. „Ich bin verwundert, dass Niall dir überhaupt noch über den Weg traut, nachdem du ihm sogar seine wahre Identität verschwiegen hast."

Das Blickduell dauerte an. So lange, bis ich mich unwohl in meiner Haut fühlte und mich räusperte, um die furchterregende Spannung zu brechen.

„Okay. Dann ... dann kommst du mit?" Insgeheim machte sich Erleichterung in mir breit, als Anne nickte. Das Wissen, dass ich jemanden an meiner Seite haben würde, dem ich vertraute, tat gut.

„Natürlich." Ihr warmherziges Lächeln umspülte mich wie eine Welle aus Positivität. „Irgendjemand muss doch auf dich aufpassen."

Kens Augen glitten zwischen uns hin und her. Inzwischen waren die Falten in seiner Stirn so tief, dass ich ernsthaft zu befürchten begann, sie könnten dort Druckstellen hinterlassen.

„Schön. Dann ist das geklärt." Sein Lächeln wirkte falsch. „Anne, ich bin sicher, du brauchst nach der Anreise ein wenig Stärkung. Vielleicht möchtest du mit den Jungs in der Kantine etwas essen, bevor wir die Details zur Mission besprechen."

Ganz eindeutig wollte er uns loswerden. Jetzt, wo Anne hier war und aktiv mitzumischen drohte, musste er sich ein neues Vorgehen zurechtlegen. Wer wusste schon, was er ursprünglich im Sinn gehabt hatte, was diese Aktion betraf.

Ich war irritiert. Und schrecklich neugierig. Ich wollte wissen, was sich damals ereignet hatte – sowohl zwischen Ken und Anne, als auch zwischen Ken und Maura. Nicht umsonst entwickelten Menschen eine derartige Abneigung gegeneinander, wie es bei Anne und Ken der Fall war. Hatte es womöglich mit Mauras Tod zu tun?

Ein kurzer Blick in Annes verschlossenes Gesicht wies mich darauf hin, dass die Ärztin mir dahingehend wohl keine Auskunft geben würde – zumindest noch nicht.

„Hey." Harry gesellte sich zu uns, berührte mich am Arm. „Alles in Ordnung? Diese Unterhaltung war vom bloßen Zusehen furchtbar."

„Klar." Reflexartig erwiderte ich die Berührung. „Ken ist und bleibt mir ein wenig suspekt."

„Das sollte er auch", schaltete sich Anne ein, die unseren kleinen Austausch mit hochgezogenen Augenbrauen verfolgt hatte, jedoch keinen Kommentar dazu abgab. „Niall, er mag vielleicht dein Onkel sein, aber du solltest ihm auf keinen Fall trauen. Seine Absichten sind fragwürdig und du bist für ihn nur ein Mittel zum Zweck, nicht mehr, nicht weniger. Familie hat für ihn keine Bedeutung."

Ich tauschte einen Blick mit Harry, der vielsagend nickte. Genau das hatte er mir immerhin auch schon zu verklickern versucht.

Ich stieß ihn an. „Darwins Selektionstheorie als Bibel im Regal, was?"

Er zuckte die Achseln. „Ist vermutlich wirklich so."

„Es ist wirklich so", fügte Anne hinzu. „Glaubt mir, ich kenne seine Büchersammlung sehr gut. Und ich bin mir sicher, er hat sie über die vergangenen Jahre hinweg noch um viele weitere Exemplare zur Thematik erweitert."

Unwillkürlich spähte ich noch einmal über die Schulter, nur um mich hektisch wieder umzudrehen, als ich bemerkte, dass Ken uns beobachtete.

Es misstraute uns.

Oder misstraute er nur Anne?

Letztere ging nun dazu über, unsere Umgebung kritisch zu beäugen. „Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin, was Ken sich hier aufgebaut hat. Es erinnert sehr an das Rebellenlager von damals. Offenbar hat er sehr daran gehangen. Ach, Niall. Moment." Mit einer Berührung am Arm hielt sie mich zurück, während sie in ihrer Umhängetasche wühlte. „Ich habe noch etwas für dich."

Mit gewecktem Interesse verfolgte ich, wie sie etwas von ganz unten hervorzog. Ich sah nur noch etwas Braunes aufblitzen, gemischt mit einer ordentlichen Portion Glitzer und bunten Farben, dann hatte sie mir auch schon ein flauschiges Plüschtier in die Hand gedrückt.

Moment mal. Das konnte doch wohl nicht etwa...

„Äh." Fassungslos starrte ich den Bären an. „Was soll ich denn mit Elton John?"

Anne hob die Schultern. „Frag mich nicht. Hat Tilda mir in die Hand gedrückt und mir aufgetragen, ihn dir zu geben. Sie meinte, er hat dir beim Training geholfen."

Mit gemischten Gefühlen umfasste ich den schillernd gekleideten Plüschbären fester. Auch wenn er mich nach wie vor dezent irritierte, strahlte er Ruhe aus. Eine Ruhe, die sich nach Zuhause anfühlte.

Ich war gerührt davon, dass Tilda offenbar an mich gedacht hatte. Zwar sicherlich vor allem daran, dass ich im Training nicht besonders viel auf die Kette bekommen hatte, aber immerhin.

„Danke." Ich klemmte mir den Bären unter den Arm, mich nicht um die befremdeten Blicke kümmernd, die mir von den Leuten um uns herum zugeworfen wurden. Sicherlich sahen die Rebellen nicht alle Tage einen Plüschbären im Elton-John-Outfit. „Ich bin mir sicher, Elton ist eine wundervolle Begleitung."

Anne ließ ihre Grübchen aufblitzen. „Das glaube ich auch. Na gut. Wo ist denn nun diese Kantine, von der Ken gesprochen hat?"

Und dann verbrachten wir die nächste Stunde damit, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Als stünde die Situation nicht kurz davor, in heilloses Chaos auszubrechen.

-----------------------

Lasst mir gerne Gedanken da😇

Liebe Grüße, vielen Dank euch und auch schon mal einen guten Rutsch!

Andi💕


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top