5. Kapitel - Nyra's Berufung

Ich machte mir Sorgen.
Aus irgendeinem Grund wurde meine Selbstkontrolle immer schlechter. Conans Worte hätten keine so extreme Reaktion hervorrufen dürfen. Mir war bewusst, dass Lya und Meister Aloïs beide mein Blut gerochen hatten. Immerhin war es mir selbst mehr als deutlich aufgefallen. Umso erleichterter war ich über Conans frühzeitigen Abgang. Ich wollte mich gar nicht vorstellen, was seine Reaktion gewesen wäre, wenn er den Geruch ebenso wahrgenommen hätte.

Die roten Halbmonde auf meiner Hand waren keine schlimme Verletzung. Dennoch sollte ich nicht so deutlich zeigen, dass es mir nicht gut ging. Der Fakt, dass meine Mutter, mein Meister und Lya bereits davon wussten, sprach nicht für mich.
Mit einem lauten Seufzen fuhr ich mir mit meiner verbundenen Hand durchs Haar, wobei die wenigen losen Strähnen wieder an ihre ursprüngliche Stelle zurück kehrten sobald ich fertig war.
Durch das Gedankenchaos in meinem Kopf hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich schon vor den Treppen zu meinem Haus stand. Eilig war ich die hölzernen Stufen hinauf gesprintet und öffnete die Holztür. Dort schaute, oder vielmehr hörte, ich mich nach Orima um. Als ich sie nicht entdeckte rannte ich weiter hinauf und suchte mir neue Kleidung. Zu Lyas gespieltem Missfallen war alles schwarz.

Es dauerte nur wenige Sekunden, da eilte die dunkelhaarige Elfe bereits wieder flink aus dem Haus. Anstatt jedoch den üblichen Weg über die Treppen, welche sich wie eine Schlange um den mächtigen Stamm schlangen, hinunter zu rennen, wickelte sie ihre linke Hand um ein Leinentuch. Dieses hing in der Nähe der Haustür und reichte bis hin zum Boden. Obwohl es die meiste Zeit aussah wie ein Ganzes, waren es doch zwei getrennte Stücke Stoff. Die benötigten Sachen in ihrer Tasche verstaut, hatte sie mit wenigen Handgriffen ihre Füße so in die weißlichen Tücher eingebunden, dass sie praktisch in der Luft stand. Wenige Sekunden später lag es um ihre Hüfte. Die Technik die sie dabei angewendet hatte, ließ sie, sobald sie ihre Füße gelöst hatte und sich waagerecht in die Luft gelegt hatte, elegant gen Boden rollen. Die Zeit in der sie in der Luft schwebte, genoss sie in vollen Zügen.

Der Weg zu dem großen See den sie anstrebte, führte sie an vielen Häusern vorbei. Die simplen und dennoch filigran ausgearbeiteten Gebäude verteilten sich auf verschiedenen Höhen, sodass sie sich nicht im Weg waren. Die dunkle Rinde der Baumstämme verband sich mit dem nur leicht helleren Holz der Hütten und ließen diese wie einen Teil des Baumes erscheinen.

Die Architektur der Häuser war einzigartig und individuell und von verschiedenen Braun- und Grüntönen geprägt. Die Treppen und Häuser waren auf eine natürliche Weise mit den Riesen des Waldes verbunden, sodass es so aussah, als wären sie aus dem Holz des Baumes entstanden. Elfen waren für gewöhnlich nicht in der Lage, ihre Elemente in solchen Maßen zu kontrollieren, dass solche Häuser entstehen könnten. Dennoch waren die Häuser ihr Werk; zumindest das Werk der Architekten und Baumeister im Elfenwald.

Die Fähigkeit dieser wenigen Elfen entsprang jedoch nicht aus ihren eigenen Talenten. Viel mehr hatten sie es einem Geist zu verdanken. Zumindest nannten sie ihn so. Denn obwohl sie ihr Zuhause mit ihm teilten, bekamen sie ihn kaum zu Gesicht. Wenn es geschah, so kam das Wesen freiwillig zu ihnen.

Die mysteriöse Kreatur war die Seele des Waldes. Man könnte sie mit einer Gottheit vergleichen. Keine die eine menschliche Gestalt hatte, wie viele in den Menschenreichen es glaubten.

Das Wesen war viel häufiger anwesend als man glauben mochte; versteckte sich und bewachte seine Heimat.
Das Talent der Architekten stammte von eben diesem Geist. In einem Ritual, welches nur wenigen Elfen bekannt war, überlieferte es einen kläglichen Teil seiner Kraft an die auserwählten Elfen. Bevor dies geschah, wurden diese jedoch auf ihre Gutherzigkeit geprüft. Wie die Kreatur dies bewerkstelligen konnte, war nur den Architekten bekannt; hatten diese jedoch geschworen kein Wort über die Geschehnisse während des Rituals zu verlieren.

Die kunstvoll verzierten Häuser waren durch Brücken verbunden, welche durch Seile konstruiert sicher in der Luft hingen. Die Elfenstadt, welche die junge Elfe Nyra durchquerte lag nahe am Mittelpunkt des Regenwaldes.

Der Teahlor-See war das Zentrum der Heimat der Elfen und viele von ihnen ehrten das riesige Gewässer, da es vor vielen Jahrzehnten das erste zu Hause der Elfen darstellte, welches das Volk so sehnlichst gesucht hatte. Dementsprechend lag die Hauptstadt Foralys direkt an besagtem See. Aus dieser hatten sich noch zwei weitere Städte abgespalten.

Obwohl die Elfen den See ehrten, hatten sie dort an einem kleinen Teil des Gewässers Badenischen eingebaut, wo sich einzelne Individuen waschen konnten. Da das Volk der Elfen im allgemeinen eine geringe Bewohnerzahl hatte, wurden auch nur wenige dieser Nischen von den Architekten gebaut. Dennoch wurde dort auch zugleich meist die Kleidung der Elfen gewaschen. Da die Badenischen nicht nur von den Blicken Anderer getrennt waren, sondern auch fast gänzlich von dem Teahlor-See, konnte eine Verschmutzung von dessen Gewässern ausgeschlossen werden. Zumal die Elfen ihre Kleidung nicht mit unnatürlichen Waschmitteln reinigten, wie es andere Völker bekanntlich taten.

Nach der Hitze des Mittags zogen bereits die ersten Wolken auf und die schwarzhaarige Elfe beeilte sich, sodass sie nicht von dem Regenfall am Nachmittag erschlagen werden würde. Ihre übernatürlichen Sinne warnten sie immer wieder vor anderen Elfen, sodass sie diese geschickt vermeiden konnte. Zu diesen unerwünschten Begegnungen gehörte auch der junge Conan, welcher sie in den letzten zwei Tagen dazu veranlasst hatte, einen Wall an negativen Emotionen zu verspüren.

Verdammt! Ich hätte mir denken können, dass er nach dem Kampf ebenso zu den Nischen gehen würde!
Ich machte um Conan einen möglichst großen Bogen; zu große Angst hatte ich davor, dass ich bei einem weiteren Gespräch mit ihm erneut meine Gefühle nicht zurückhalten könnte. Ich konnte nicht nachvollziehen wann es geschah, allerdings war Conan zu einem Auslöser von Kontrollverlust geworden. Womöglich, da er mir jedes Mal das gleiche vorwarf und ich mich noch nie verteidigen konnte.

Den Gedanken ihres Unterbewusstseins, dass der Elf mit vielem was er sagte vielleicht recht haben könnte, verdrängte sie bis in den hintersten Winkel ihres Gehirns.

Ich hatte endlich eine leere Badenische erreicht und ging mit meiner Kleidung in das kleine Becken. Erinnerungen, wie ich als ich noch kleiner war, immer zu einer erhöhten Stelle, welche in den Stein eingearbeitet war hatte schwimmen müssen, überfluteten mich. Wo sich die ausgewachsenen Elfen hinsetzten, während sie sich wuschen, mussten die Elflinge ab einem gewissen Alter hinschwimmen und sich dort aufstellen um sich zu waschen. Der Boden der Becken, welches meist aus mit Moos bewachsenen Steinen bestand, war gerade hoch genug, das ich mit meinem Kopf über Wasser dort stehen konnte.

Meine mitgebrachte Kleidung hatte ich auf einen der wenigen trockenen und nicht mit Moos bewachsenen Steine gelegt und machte mich nun daran, mich von meiner restlichen Sachen zu entledigen, sodass ich diese waschen konnte. Da diese nicht wirklich dreckig geworden waren beschränkte ich mich dabei nur auf Wasser. Zuletzt wusch ich meinen Körper ab und trocknete mich mit einem kleinen Leinentuch ab, bevor ich wieder meine frischen Sachen anziehen konnte. Mein nasses Haar rubbelte ich so gut es ging trocken.

In wenigen Minuten war ich wieder zu meinem Haus zurück geeilt und hing meine Sachen schon einmal frühzeitig auf. Dass sie diesen Tag nicht mehr trocken, sondern viel mehr noch nässer werden würden, war mir durch aus bewusst. Dafür wären sie morgen, wenn der Mittag wieder heißer wird, schnell wieder brauchbar. Meine Mutter war nun schon zu Hause und gemeinsam kochten wir. Wie fast immer hatte sie die dafür nötigen Zutaten von den Märkten geholt.

Durch die Wärme im Raum trockneten meine Haare schneller als gewöhnlich, worüber ich froh war, da ich dies nasse und schwere Matte auf meinem Kopf nicht besonders leiden konnte.

„Wie geht es dir heute?". Orimas Worte klangen vorsichtig, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie das Thema anschneiden könne. Ich lächelte ihr zu. Es war rührend zu wissen, dass sie sich um mich sorgte, zu gleich war es auch wichtig, dass ich sie in gewissen Themen auf Abstand hielt.
„Ich war heute nur zwei Minuten zu spät!", grinste ich dann freudig. Ihr vergnügtes Lachen hallte durch unser kleines Haus.
„Das habe ich gemerkt! Ich konnte dich noch aufspringen sehen, nachdem ich das Wasser neben dir abgestellt habe". Sie zwinkerte mir zu. Wenige Sekunden später, wurde ihr Gesicht jedoch wieder ernst. Ich konnte mir bereits denken was kommen würde.

„Wie geht es deiner Hand?". Ich hörte die Vorsicht in ihrer Stimme nur zu deutlich und wandte mich wieder dem Gemüse zu, welches ich schneiden sollte. Sie wollte mich nicht erneut aufregen.
Mein Blick wanderte kurz zu meiner rechten Hand. Als ich den Verband heute morgen gewechselt hatte, befand sich endlich eine Kruste darauf. Mir entfloh ein beinahe lautloser Seufzer, der Orima vermutlich nicht unbemerkt geblieben war. Ich richtete meine Konzentration wieder auf meine Arbeit, nachdem mir aufgefallen war, dass ich dabei innegehalten hatte. Einige weitere Sekunden war ich noch still geblieben, versunken in Gedanken, denen ich selbst nicht einmal folgte. Der besorgte Blick meiner Mutter folgte mir bei meinen Bewegungen unentwegt. Als sie kurz davor war noch etwas zu sagen, riss ich mich gezwungenermaßen aus meinen gedanklichen Abwegen und lächelte sie kurz an.
„Es verheilt. Das nächste Mal, wenn ich mich verletze, erinnere mich an das Jucken, wenn die Wunde zusammenheilt". Mein lustig gemeinter Kommentar löste nicht das aus, was ich mir erhofft hatte.

Orima blieb kurzzeitig still, bevor sie sich wieder dem Feuer und dem darauf stehenden Topf zuwandte. Wieder Richtung der Arbeitsplatte gewandt schloss ich verbittert die Augen und schluckte leise. Natürlich war sie besorgt. Sie machte sich Gedanken um den Auslöser. Hoffte mir die Last meines Geheimnisses zu nehmen, damit das was mir gestern passiert war nicht erneut vorkommen zu lassen. Sie wollte helfen. Doch wünschte ich mir die alte glückliche Orima zurück, die nie um eine Antwort verlegen war und mich all die Jahre mit ihrer Fröhlichkeit hoch gezogen hatte. Sie und Lya hatten mich ausgeglichen, mich zum Lachen gebracht. Doch nun da sie wusste, dass etwas gewaltig schief lief, wollte sie mir helfen.

Das Problem war, egal was sie tat... nichts könnte mein zweites Ich von mir lösen. Nichts könnte mir ein normales Leben ermöglichen. Obwohl ich dankbar war, für ihre Hilfsbereitschaft, wünschte ich mir daher dennoch ihre glückliche Seite zurück.

„Hast du dich eigentlich schon für einen Beruf entschieden?", unterbrach Mutter meine chaotischen Gedanken. In ihrer Stimme schwang der gleiche vorsichtige Ton mit, wie nur wenige Augenblicke zuvor. Ich versteckte mein Lächeln über diese Frage, indem ich anfing die Kräuter zu zerschneiden.
Auf eine bittere Art und Weise war ich über ihre Worte - verbunden mit der Tonlage belustigt; oder zumindest über meine Annahme, worauf sie mit dieser Frage hinaus wollte.

Sie glaubte, mein Problem läge darin, dass ich durch die versäumte Zeit in meiner Ausbildung, nicht wüsste was ich in meiner Zukunft tun wollen würden. Dass ich Angst hätte die erste Elfe seit Jahrzehnten zu sein, die nicht direkt nach der Ausbildung mit einer Berufung begann. Dass ich zum Außenseiter werden würde.

Doch das war mein geringstes Problem. Oder viel mehr, dafür war es bereits zu spät. Meine unvollständige Ausbildung hatte sich bereits unter vielen herumgesprochen. Da wir zusätzlich auch kein besonders großes Volk waren, wusste mittlerweile fast ganz Foralys über mein Versagen Bescheid. Es hatte mich zwar noch nie jemand darauf angesprochen, denn das Prinzip der Höflichkeit verbot vielen der Elfen, dieses Vorhaben umzusetzen. Stattdessen warfen sie mir geglaubt unauffällig, abschätzige Blicke zu.

Dennoch wenn meine Mutter glaubte, dass dies mein Problem sei und sie wieder glücklicher wäre, wenn ich mit ihr darüber reden würde, bräuchte sie nicht lange zu warten. Also antwortete ich ihr, wie sie es vermutlich erwartete.

„Nein". Sie seufzte leise und aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie sie sich umdrehte.
Das Brett auf dem ich das Gemüse und die Kräuter geschnitten hatte nehmend, lief ich auf sie zu und fügte die Zutaten hinzu. Orima beobachtete mich derweil. Ihre Hüfte lehnte an der Theke und ihre kräftigen Arme waren verschränkt.
Nachdem ich fertig war tat ich es gleich und stellte mich ihr gegenüber hin. Mit einem unschuldigen Blick und hinterm Rücken verschränkten Händen schaute ich sie gespielt treu-doof an.

Das leichte Schmunzeln, welches die daraufhin krampfhaft zu unterdrücken versuchte, brachte auch mich zum Grinsen.
„Du solltest es wirklich langsam mal tun", bemerkte sie mahnend, doch nahm ich dies nicht sonderlich ernst, da sie immer noch vergnügt lächelte. Ein wenig trotzig, da sie mich nun schon zum zehnten Mal in den vergangenen Wochen darauf ansprach, zuckte ich nur mit den Schultern.

„Was hälst du davon, wenn du als Schmiedin beginnst? Als du dein Schwert gemacht hast, hattest du dort mitunter die längste Möglichkeit, die einen Eindruck zu sammeln. Und wenn wir ehrlich sind, deine Schultern sind muskulös genug, um den schwersten Hammer zu heben", schlug Orima aufeinander vor.

Ein wenig überrascht von ihrer Idee, mir Berufe vor zuschlagen, anstatt mich lediglich an die Suche nach einem zu erinnern, blickte ich sie zuerst ein wenig überfordert an. Bei der Erwähnung meiner Schultermuskulatur schaute ich jedoch zu Boden.
Ja, ich hatte selbst für eine Elfe ungewöhnlich kräftige Schultern. Es sah nicht unnatürlich aus, aber für gewöhnlich entwickelte man durch den Schwertkampf nicht ganz so ausgeprägte Muskeln...
Bevor ich in Gedanken versinken und Orima somit noch mehr Sorgen bereiten konnte, riss ich mich von diesen los.

Entschlossen blickte ich zu ihr und schüttelte heftig den Kopf. „Bitte nicht! Für die Zeit war es zwar interessant, aber länger möchte ich das nicht durchhalten müssen!", lehnte ich ihren Vorschlag entschieden ab. Sie neigte nur überlegend den Kopf und nickte leicht, um mir zu zeigen, dass sie mich verstanden hatte.

„Was hälst du von dem Beruf des Architekten? Eine lange Zeit hast du doch so begeistert von dem Waldgeist geschwärmt". Ihre Worte ließen mich leicht Lächeln.
Sie hatte recht. Als ich jünger war und Nachts immer wieder versucht hatte, meine Kräfte zu kontrollieren, war mir der Waldgeist nicht selten begegnet. Anders als die meisten anderen Elfen hatte ich ihn mehr als nur einmal gesehen. Das Wesen hatte mich eine lange Zeit fasziniert, das tat es genau genommen bis heute. Allerdings wusste ich auch, dass ein Treffen mit dem Geist, nicht der Grund sein sollte, mit der Architektur zu beginnen.

„Wenn du möchtest, dass in naher Zukunft nur noch unförmige Klötze an den Bäumen hängen?", grinste ich belustigt über die Vorstellung. Ebenso ein wenig vergnügt lächelte sie und verdrehte über meine etwas kindische Aussage die Augen.

„Was denkst du über den Bereich der Unterhaltung? Künstler, Musiker, Dichter?". Mit großen Augen schüttelte ich den Kopf bevor sie überhaupt zu Ende gesprochen hatte. Alleine das Bild von mir vor einer großen Menge ließ mich innerlich so unruhig fühlen, dass ich meine Verwandlung bewusst unterdrücken musste.
Dass ich mich in letzter Zeit schneller als sonst schon zu verändern drohte, ließ mich dabei auch zugleich bemerken, dass mein zweites Ich in den letzten Tagen sehr aufgewühlt war.

„Na gut, vergessen wir das schnell wieder", strich Orima, durch meine Reaktion ein wenig belustigt, den Punkt von ihrer geistigen Liste. „Was sagst du zu den Heilern?".

Ich grinste breit und zuckte mit meinen Augenbrauen. „Für gewöhnlich wie und wo ich mich verletzt habe". Orimas warnender Blick ließ mich, ähnlich wie sie zuvor, die Augen verdrehen. „Ich glaube nicht, dass ich die Geduld dafür hätte". Abgesehen davon wäre es zu auffällig, wenn ich für mich immer eigentlich giftige Kräuter holen würde. Das jedoch sagte ich nicht laut.

Unser Frage-Antwort-Spiel zog sich auch dann weiter, als Orima den Topf vom Feuer nahm und ich dieses mit einem Eimer Wasser dampfend löschte.

„Sammler?".

„Ich weiß noch nicht so genau". Das stimmte sogar. Es war gut, dass ich mich frei durch den Wald bewegen konnte. Weniger gut, war es dass ich mich beim Markt den Blicken der anderen Elfen und beim Sammeln den anderen Sammlern ausgesetzt fühlen musste.

„Was hälst du von dem Beruf des Bibliothekars?", fragte sie, während ich ihr die hölzernen Schüsseln gab und sie diese mit der Gemüsepfanne und etwas Körnern füllte.

„Mutter, ich habe jetzt schon nur die Hälfte der in der Ausbildung vorgegebenen Bücher gelesen. Wieso denkst du, dass ich mich auch nur ansatzweise für das Wissen darin interessieren würde?", fragte ich gespielt vergnügt.
Es war eine Lüge. Deutlich. Es gab andere Gründe, warum ich die Bücher nie gelesen habe.
Es war eine Notlüge. Wüsste sie, dass ich andere Bücher gelesen hatte in der Zeit und wüsste sie welche Werke das waren, würde sie schnell misstrauisch werden.

„Du hast recht. Tut mir leid, mein Kind. Könntest du dir denn vorstellen, die wilden Tiere zu pflegen?".
An sich konnte ich mir das vorstellen. Nur die Tiere würden das vermutlich nicht begrüßen. Es geschah nicht selten, dass sie meine Andersartigkeit bemerkten und sich mir seltsam, meist ängstlich gegenüber verhielten.

„Nicht wirklich", verneinte ich also auch diesen Vorschlag. Den skeptischen Blick, den Orima mir für diese Antwort zu warf ignorierte ich bewusst. Ihr war bekannt, dass ich Tiere eigentlich liebte.
„Wenn du meinst", erwiderte sie ein wenig irritiert und drückte ihre Skepsis so auch mündlich aus.
„Ja, ich meine das", bekräftigte ich meine Aussage und aß den ersten Löffel meines Mahls, ohne Orima aus den Augen zu lassen.
„Auch wenn ich es nicht mögen würde, aber was hälst du von der Idee der Armee beizutreten?", schlug sie eine weitere Idee vor.

Ich verschluckte mich.

Hustend stellte ich meine Schüssel auf den Tisch, an den wir uns zum Essen gesetzt hatten und taumelte zu dem Eimer, der noch auf der Theke stand, um dort, das was meine Kiefer so eben noch zu einem Brei verarbeitet hatten, hinein zu spucken und weiter zu husten und gleichzeitig nach Luft zu röcheln. Ich konnte mir vorstellen, dass dies kein angenehmer Anblick war.
Besorgt war meine Mutter aufgesprungen und reichte mir einen Metallkelch. Gierig trank ich das Wasser darin aus und holte tief Luft. Es dauerte einige Augenblicke bis ich mich beruhigte. In dieser Zeit, musste ich nicht nur verkrampft sicher gehen, dass ich wieder vernünftig Atmen konnte, sondern auch angestrengt meine Verwandlung unterdrücken. Sobald ich das geschafft hatte, öffnete ich meine Augen wieder, die ich für einen besseren Fokus geschlossen hatte.
Blinzelnd blickte ich wieder zu meiner Mutter. Bevor mir ein bestimmtes Nein! rausrutschen konnte, veranlasste mich Orimas Blick dazu, die Situation aufzulockern.

„Und das meine Damen und Herren war eine Nahtoderfahrung".

Sie schaute mich einige Sekunden etwas irritiert an, als sie meinen stark menschlichen Akzent und die gebrochene Mischung aus Fyleij und Embor bemerkte und vergrub dann ihr Gesicht in ihren Händen und schüttelte dabei den Kopf. Während ich dabei noch versuchte meinen Atem zu beruhigen, merkte ich wie sich sich anfing zu schütteln. Kurz verunsichert, ob sie nun weinte oder lachte, entspannte ich mich, als ich ein leises glucksen hörte.

„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein", murmelte sie leise, während sie weiterhin noch immer mal wieder leise lachte. Unschuldig grinste ich sie an und umarmte sie dann fest.
Etwas überrascht von dieser plötzlichen Tat, dauerte es einige Sekunden, bis sie ebenso die Arme um mich schlang. „Manchmal verhältst du dich wirklich seltsam, Nyra", murmelte sie nur, während sie die Umarmung genauso genoss wie ich.

„Ich liebe dich auch, Mutter", flüsterte ich leicht lächelnd und sog ihren Duft ein. Es roch nach zu Hause und Sicherheit. Etwas bei dem ich sicher war, es nie bei ihr missen zu müssen.

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