21. Kapitel - Das Haus am See

Die Reise der beiden Elfen war sehr unterschiedlich und dennoch sehr gleich. Während Nyra im Laufe der Stunden auf physischer Ebene immer mehr mit sich zu kämpfen hatte und deutlich spürte, wie der Flug langsam an ihrer Energie zu zehren begann, musste Conan seit Beginn an mit seiner Flugangst kämpfen. Im Versuch nicht daran denken zu müssen, wie er die ganze Zeit ungesichert auf dem Rücken des riesigen Ungetüms saß, legte er seine komplette Konzentration auf die Rätsel von seiner Begleitung.

Hätte man ihm vor wenigen Tagen gesagt, dass er derartig viel Zeit in das Lösen von sinnlosen Wortspielen stecken würde, hätte er den- oder diejenige vermutlich verachtend ausgelacht. Nun aber konnte er sich nicht vorstellen, diese Reise ohne die Beschäftigung zu überleben. Jedes Mal, wenn sein Fokus für eine geringe Zeit von dem Rätsel entfloh, spürte er den kühlen Wind nur allzu deutlich. Sein Atem wurde schwerer, was nicht nur an der dünneren Luft lag; verkrampft schloss er die Augen und klammerte sich noch fester an Nyras Rücken fest. Natürlich bemerkte das Mischwesen diese Veränderung sofort und es dauerte nicht lange, bis sie den Zusammenhang verstand.

Jedes Mal, wenn er also seine Haltung veränderte unterbrach sie seine aufkommende Panik mit der Frage, wie weit er denn mit seinem Rätsel gekommen sei. Erleichtert durch die Ablenkung beschrieb Conan jedes Mal sofort seinen Gedankengang. Wenn er sich dann gedanklich vollkommen verfuhr oder bereits auf dem richtigen Weg war, gab sie ihm Hinweise, die ihn wieder in seine Rätselwelt abtauchen ließen.

Natürlich fiel dem jungen Elf auf, wie Nyra immer nur dann einsprang, wenn seine Ängste wieder an Oberhand gewannen und auch wenn er seinen Dank niemals laut ausgesprochen hätte, rechnete er Nyra ihre Hilfe hoch an. Doch auch der Drachendame halfen diese kleinen Pausen von ihren Gedanken immer wieder, um nicht allzu müde zu werden und nicht nur ihrem Körper lauschen zu müssen, der sich sehr langsam immer mehr beklagte.

Erneut halfen sich die beiden Reisenden mehr oder weniger absichtlich, um ihre Probleme zu vergessen. Gemeinsam mit dem Lauf der Sonne konnten sie beide auch die tägliche Veränderung des Wetters betrachten, welche sie sonst nur von unten zu spüren bekommen hatten. Recht früh bemerkten sie, wie die hochstehende Sonne das Wasser unter ihnen verdampfen ließ und mit der Zeit, je weiter die Sonne wanderte, sich immer mehr Wolken bildeten.

Unbewusst stieg Nyra dabei langsam auf, im Versuch nicht in den Regenwolken zu fliegen. Für die kurze Zeit in der sie also höher flogen als sonst, hatte Conan noch mehr Probleme beim Atmen als zuvor schon. Seine Panik und Unsicherheit über die Flughöhe verstärkten sich um ein Vielfaches, als er auch mit Nyras Hilfe nicht mehr auf beruhigende Gedanken kam. Sobald er dann auch noch bemerkte, wie sein Haar durch die kalte und feuchte Luft mit kleinen sternenförmigen Kristallen versehen wurden, sich der kalte Wind unangenehm über seine Haut legte und die Wolken unter ihm zu immer dunkler werdenden Gewitterwolken wurden, war es vollkommen um ihn geschehen. Verstört lehnte er sich so eng an die warmen Schuppen der Drachendame und vergaß für den Moment seinen Stolz gegenüber dieser.

Nyra, der die Temperaturveränderungen nicht so viel ausmachten, benötigte es einige Zeit, bis sie verstand, dass ihre Beruhigungsversuche keine Wirkung mehr zeigten. Schnell merkte sie dann auch, dass das Zittern nicht nur von seiner Angst stammte.

„Conan? Richte dich mal auf", bat sie ihn. Verwirrt und aus seinen sich überschlagenden Gedanken gerissen, hielt der Elf inne, sagte und tat aber nichts. „Mach schon! Ich verspreche dir keine böse Überraschung", rief sie ihm erneut zu. Zögerlich und innerlich verkrampft zitternd richtete er sich auf. Sobald sie merkte, wie er richtig saß, entflammte sich ein blaues Licht vor ihm; weit genug um ihn unversehrt zu lassen, doch nah genug um ihn in behagliche Wärme zu hüllen. Doch so war nur eines seiner kleineren Übel im Feuer erstickt worden. Anstatt ihn also weiter mit Rätseln abzulenken, änderte Nyra ihren Plan.

„Wenn du unbegrenzte Reisemöglichkeiten hättest, welchen Ort auf dieser Erde würdest du am liebsten besuchen?".

„Was interessiert es dich?", antwortete er schnippisch und verschränkte die Arme trotzig. Sein Stolz hatte sich wieder gemeldet, als er realisierte, dass sie sein Leiden ein weiteres Mal nur allzu deutlich gespürt haben musste. Je länger sie flogen, desto mehr verabscheute er diese Reise. Er fühlte sich ihr ausgesetzt. Jede kleinste Bewegung bekam sie mit. Viel zu schnell erkannte sie, wann seine Panik zurück kehrte. Viel zu oft fand sie die richtigen Worte, um ihn abzulenken.

Es passte nicht in sein Bild von ihr. Das seltsame Elfenmädchen, dass zeitweise fast täglich zu spät gekommen war, aber dennoch immer Unterstützung bekommen hatte. Eine Elfenfrau, die sich von einem Tag auf den anderen als ein Mischwesen der seltsamsten und fürchterlichsten Art entpuppte. Und dennoch machte sie es ihm langsam immer schwerer derart über sie zu denken, wie zuvor. Natürlich verachtete er ihr Wesen. Der Hass dafür war tief in seiner Kultur eingebettet. Ihre Aufmerksamkeit ihm, aber vor allem seiner Schwester gegenüber passte allerdings nicht in sein Bild. Sie war ein Monster, das nicht schrecklicher, gnadenloser und blutdurstiger nicht sein könnte, eine Elfe fauler, demotiviertet und stiller als er es je gesehen hatte. Und er? Was tat er?
Entschlossen, wie er es selten gewesen war, hatte er den Traum nach einem friedfertigen und einfachen Leben verspielt. Bis zu diesem Zeitpunkt verstand er sein eigenes Handeln nicht.

Natürlich kannte er seine Gründe. Immerhin hatte er sie Nyra bereits deutlich erklären müssen. Doch nicht selten zweifelte er daran, dass alleine diese Gründe wirklich gereicht hätten
Nyra, die sich nach Conans spitzer Antwort genervt wieder auf den Flug konzentriert hatte, da sie es nicht einsah nun auch noch ihr Angebot an Hilfe zu erklären, wurde mal wieder von seiner doch noch folgenden Antwort überrascht.

„Ich weiß nicht, wo ich noch überall hinmöchte. Die Welt ist groß und ich könnte dir ohne es zu wissen, garantieren, dass sie noch einige Wunder vor unseren Augen versteckt. Ich weiß lediglich, wo ich mir ein schönes Leben hätte vorstellen können", erklärte er ruhig, während er gedankenverloren auf die blau flackernden und flimmernden Tänzer auf Nyras Haupt sah. Echte Neugierde machte sich in dem Mischweisen breit, als er dies erwähnte.

„Von welchem Ort sprichst du?", hakte sie interessiert nach. Ein lautes trostloses Schnauben ertönte als Reaktion.

„Es ist unwichtig. Der Ort befand sich im Elfenwand, also kann ich ihn vergessen."
Mit schwerem Herzen und dem Verlangen nach einer Kehrtwende breitete sich die Stille zwischen den Beiden aus. Nach einer kurzen Zeit wandte sich Nyra im Flug ein wenig zu Conan um. Ihre Augen hatten den gleichen nieder geschmetterten Schimmer, wie die ihres Begleiters.
„Glaubst du wirklich, wir waren das letzte Mal in diesem Wald? Glaubst du wirklich, dass wir dieses Wunder der Natur nie wieder ... so... erleben werden?".

Diesmal war es Conan, der ihre Emotionen erkannte. Er fühlte das Gleiche. Diese Angst zu wissen, dass dies das letzte Mal gewesen war. Zwar hatte er gesagt, dass er noch viele Orte sehen wollte, immerhin hätte er sich daher auch für den Außendienst bei den Soldaten eingetragen, doch die Architektur des Elfenwaldes schrie für ihn förmlich nach Heimat. Eigentlich hätte er auch nie geplant, diesen Wald jemals auf die Ewigkeit missen zu müssen. Daher verstand er auch Nyras Frage, mit diesem kleinen Hoffnungsschimmer so gut.

„Ich vermute, dass wir uns für die nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte von diesem Wunder der Natur - wie du es nennst - verabschieden müssen. Aber wenn es heißt, dass ich noch einmal von den Toten auferstehen muss, um diesem Ort ein letztes Mal zu sehen, dann soll dem so sein", scherzte er. Nyras Bedrücktheit legte sich schwer um ihn und ließ ihn sogar seine Angst für einen Augenblick vergessen. Was er jedoch nicht sehen konnte und vermutlich nicht einmal erkannt hätte, selbst wenn er einen Blick darauf hätte erhaschen können, war das leichte, verbitterte Lächeln, welches sein kleiner nicht ernst gemeinter Scherz auf ihr Gesicht gezaubert hatte.

„Der Ort von dem ich sprach... er liegt etwas westlich von Thidult, an einem der kleineren Seen. Weißt du wie er heißt?", hakte er nach, im Wissen, dass nur wenige Elfen dieses Gewässer wirklich kannten. Wie er es erwartet hatte, schüttelte Nyra lediglich den Kopf.

„Der Manasanti- See. Einer der schönsten und ruhigsten Orte im Elfenwald. Soweit ich weiß hat sich dort nie wirklich jemand niedergelassen. Es liegt ihnen zu nah an der Grenze, dabei bräuchte man vermutlich immer noch einen Tagesflug um von dort zur Grenze zu kommen.". Langsam konnte auch Nyra sich ein Bild von gemeintem Gewässer machen.

„Es steht nur ein verlassenes altes Haus dort. Es schwebt halb über dem Wasser, da der Baum teils in den See hinein wächst. Auf dem Boden bei den Wurzeln ist eine kleine Fläche aus Holz, auf der man sich niederlassen und seine Füße in dem kühlen Nass baumeln lassen kann. Ich war dort früher oft mit meinen... Eltern...", kurz schien er in seiner seligen Erinnerung an den Ort gestört worden zu sein. Wovon konnte Nyra nicht sagen, doch da sprach er schon weiter.

„Als kleiner Junge bin ich immer auf den Wurzeln des Baumes soweit wie möglich auf dem See gelaufen. Und auch wenn der Stamm mit dem Haus der größte ist, ragt eigentlich so gut wie jeder der am Ufer liegenden Bäume ins Wasser.". Conan lachte verträumt auf und vergaß dabei vollkommen seine Umgebung. Daher bekam er auch nicht mit, wie die Gewitterwolken sich bereits langsam verzogen und Nyra wieder einen flacheren Flug ansteuerte.

„Und das Wasser erst", grinste er. „Ich weiß, dass die Elfen immer sagen, der Thealor-See sei klar. Im Manasanti , aber ist das Wasser so sauber, dass du genauso gut in dickflüssiger Luft schwimmen könntest. Aber das Beste kommt noch. Genau gegenüber von dem Haus liegt ein riesiger wunderschöner Wasserfall. Er schießt über so viele verschiedene Steine und wenn du unter ihm schwimmst wirst du herum gewirbelt, als würde das Gewässer mit dir tanzen wollen! Und ich könnte auf immer und ewig mit dem Fluss von dem kleinen Abhang hinunter springen und mich im See treiben zu lassen!". Seine Schwärmerei endete abrupt, als er bemerkte, wie sie wieder näher über dem Boden schwebten.

Conan, dem seine Erzählung augenblicklich etwas unangenehm vor der Drachendame war, überspielte seine Emotionen plump in dem er Nyra wütend anfauchte.
„Solltest du mich jemals mit diesem Haus am See aufziehen, wirst du es bereuen!".
Nyra, die nach der recht friedlichen Stimmung eigentlich dabei bleiben wollte, ignorierte seine Worte und fragte stattdessen wieder nach seinem Rätsel.

Leise fluchend unterbrach sie jedoch die Erklärung seines bisherigen Gedankengangs, als sie zu ihrem Schrecken bemerkte, wie sie während der Zeit über den Gewitterwolken von ihrem Weg abgekommen waren. Suchend blickte sich am Horizont um und auch Conan erkannte recht schnell das Problem. Als er jedoch ein kleines Elfendorf erblickte, sagte er Nyra weiter rechts zu fliegen. Wortlos tat diese seinem Befehl. Nach einiger Zeit siegte jedoch ihre Neugier und sie fragte, wie er das hatte wissen können.

„Nördlich des Stroms, dem du gefolgt bist, gibt es keine Dörfer mehr. Nur wenige einzelne Elfen leben derartig nah an der Grenze. Dementsprechend müsstest du ein wenig Richtung Westen abgedriftet sein. Außerdem schien uns die Sonne direkt ins Gesicht. Da sie bereits langsam untergeht wurde ich in meiner Vermutung bestätigt", erklärte er, wobei sein fast schon hochnäsiger Ton Nyra ein wenig nervte. „Wärst du etwas regelmäßiger zum Unterricht gekommen, hättest du das auch gewusst."

Gemeinsam mit einem verärgerten Grollen, welches tief aus ihrer Kehle hallte, schoss die Drachendame vor, sodass sich Conan panisch erneut zusammen kauerte. Sobald sie dies spürte, entwich ihr ein seliges Summen und ihre Geschwindigkeit reduzierte sich. Daraufhin sagte der Elf nichts mehr.

Zu ihrer eigenen Verwunderung wurde sie, anders als ihr Begleiter, in der Nacht nicht viel müder. Zwar war dieser noch recht wach, bis sie in dem Atemberaubenden Sonnenuntergang flogen, doch je dunkler es wurde, desto häufiger entwich ihm ein Gähnen.

Rechts spät fielen ihm dann trotz seiner Furcht die Augen zu. Nyra hingegen blieb so wach wie je zu vor. Leise und im Gleitflug lauschte sie dem ruhigen Atem des Elfen und blickte zum Mond hinauf. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon lange den Flusslauf wieder entdeckt und so folgte sie gemütlich seinem Lauf, während sie sich mit Rätseln beschäftigte oder Teils gelerntes Wissen in ihrem Gedanken wiederholte. Ohne es richtig steuern zu können verfolgten auch Überlegungen über vergangene Tage immer wieder ihre Gedanken.

Erst als die Sonne wieder langsam aufging und der Elf sich, geweckt durch die ersten Sonnenstrahlen, wieder aufrichtete, überkam sie eine gewisse Müdigkeit. Die Erschöpfung, welche sich am Vortag langsam angebahnt hatte, machte sich nun deutlich bemerkbar. Während sich Conan den Vormittag über stumm mit seinen eigenen Gedanken beschäftigte, kämpfte Nyra zunehmend mit ihrer Müdigkeit. Durch ihre bisherigen Ausflüge in der Nacht konnte sie ihre körperliche Stärke gut einschätzen. Durch ihren ständigen Gleitflug, war sie weniger ausgelaugt, als nach den Sprints, die sie hin und wieder in die Außenwelt gewagt hatte. Was ihr jedoch Probleme beritt war ihre geistige Müdigkeit. Je höher die Sonne stieg, desto deutlicher verspürte sie das Verlangen ihre Augen zu schließen. Gegen Mittag ging es soweit, dass sie diesem Drang für kurze Zeit nachging.

Conan der nach kurzer Zeit bemerkte, wie ihre Flügel nicht mehr in regelmäßigen Abständen schlugen und sie damit zu einer langsamen Landung ansetzten, schrie sie mit lautem Worten wach.

Den Schwall an wütenden Ausdrücken und Anklagen, die ihm danach entflossen, ließ Nyra für die nächste Zeit aufmerksam weiter fliegen. Zu ihrer eigenen Verwunderung spürte sie durch die Stille jedoch auch ihre körperliche Erschöpfung wachsen. Ihre Glieder fühlten sich gegen Mittag bereits müde an. Ähnlich wie nach einem langen Sprint begannen sie sich schwach und nur noch zittrig zu bewegen und Nyra war glücklicher als je zuvor, dass ihr Skelett die Möglichkeit bot, die Knochen ihrer Flügel derartig einzurasten, dass sie diese nicht durch Muskelkraft ständig auszubreiten hatte.

Auch Conan merkte, wie ihr langsam die Kräfte ausgingen und begann sie immer häufiger nach Hilfe bei seinen Rätseln zu fragen. Als sie dann erneut über dem täglichen Gewittersturm flogen, fasste Nyra einen Entschluss. Die Wolken, welche durch die Veränderung des Klimas bereits wesentlich viel kleiner waren, hatten sie bald überquert. Den Flusslauf beobachtend befahl sie kurz darauf ihrem Begleiter die Taschen mit allen Habseligkeiten vor sich hinzulegen, sodass sie nicht mehr an ihren Seiten hängen würden.

Mit einem letzten Blick auf den Horizont, an welchem sie bereits den Übergang des Regenwaldes zu typisch nördlicheren Wäldern entdeckte sank sie immer weiter hinab. Zielstrebig flog sie auf den Fluss hinzu, während sich Conan panisch an sie klammert. Erstaunlich sanft glitt sie wenige Augenblicke später zwischen die Schneise, die der Fluss durch die Landschaft zog. Mit wenigen weiteren Flügelschlägen landete sie in den kleineren Lauf des Gewässers.

Anders als bei dem schnell fließenden Strom in der Nähe ihrer Heimat Stadt, war dieses Gewässer recht still, sodass Nyra nicht zu stark gegen die Strömung ankämpfen musste.
Und so kam es, dass Nyra und Conan die restlichen Kilometer ihrer Flucht über den Fluss zurücklegten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top