55. Kartenkunde

Der Tisch in Sumse Bibliothek versank unter den Massen an Karten. Die Eisfeder studierte sie alle, immer auf der Suche nach einem entscheidenden Hinweis.

»Es gibt noch zu viele Optionen«, murmelte die Wassernymphe. »Auch wenn ich alle Punkte berücksichtige - großes Gelände mit Zugang zu frischem Wasser, abgeschieden und trotzdem erreichbar, bleiben zu viele Möglichkeiten.«

»Wir müssen uns auf das Naheliegende konzentrieren. Arins Heilung.« Dain hatte seine Füße auf einen Bücherstapel gebettet. Seinen Kopf hatte er gegen eine Umhängetasche gelehnt und er schaute aus schweren Lidern zu ihnen auf.

»Das werden wir. Aber wenn wir die Blutnymphen nicht finden, könnte der nächste Anschlag erfolgreich sein. Auf wen auch immer.« Es galt nicht Dain zu überzeugen, sondern die Eisfeder. Natürlich würde Nurise konzentrierter sein, wenn sie Arin gerettet hätten, aber hatten sie so viel Zeit?

»Wir müssen beides schaffen. Mein Eid verlangt es, die Sicherheit des Reiches zu gewähren und diese Machenschaften stellen unzweifelhaft einen Angriff dar. Wir werden ...«

Es klopfte an der Tür.

»Herein«, forderte Sumse und Fin schob seinen Kopf durch den Spalt.

»Herrin? Eure Mutter möchte euch sprechen.«

Sumse seufzte. Ein weiterer Katalog von Beschwerden, der sie erwartete. »Sagt ihr, ich suche sie auf, wenn mein Besuch geht.«

Ihr Haushofmeister nickte, machte aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Sonst noch etwas?«

»Ja, Herrin. Medica Schickse hat ihre Untersuchung beendet. Hättet ihr jetzt Zeit für die Konsultation?«

»Ja, bitte.«

Bevor die ältere Nymphe eintreten konnte, stand Dain auf und wanderte in die Schatten eines der Regale. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihn die Medica entdecken konnte.

Sumse lächelte, doch es war Nurise, bei deren Anblick die Medica erstarrte. »Eisfeder! Ich dachte, ihr wärt tot!«

DIe Eisfeder schnaubte. »Ein Gerücht.«

»Aber ihr wart verschollen?«

Mit einem Lächeln stellte sich Nurise so auf, dass sie die Karten auf dem Tisch verdeckte. »Eine Mission, werte Medica. Mehr nicht und auch nicht weniger.«

Bevor die Medica weitere Fragen stellen konnte, schaltete sich Sumse ein. »Gibt es Neuigkeiten von Konstantin?«

»Natürlich.« Die ältere Nymphe blinzelte, als sie sich abwandte. »Zunächst einmal kann ich versichern, dass er nicht vergiftet wurde.«

Ein Kantholz der Erleichterung rutschte von Sumses Herz. »Das ist gut, oder?«

»Ja und nein. Die Waffe, die ihn verletzt hat, war wahrscheinlich mit einem lokal wirkendem Serum oder Ölfilm versehen gewesen, wodurch der Großen Heilungsschlaf ausgelöst wurde.«

»Aber, wo ist der Unterschied?«

»Zum Gift? Nun, wir brauchen kein Gegenmittel. Konstantins Körper wird sich selber reinigen. Nur wie lange er dafür brauchen wird, kann ich euch nicht sagen.«

»Was können wir tun?«

»Nun, Ihr macht schon, was notwendig ist. Sorgt weiter dafür, dass er versorgt wird und ruhen kann.«

»Verstehe.«

Medica Schickse verneigte sich vor Sumse und im Anschluß etwas tiefer noch vor der Eisfeder. Dann ging sie hinaus, um sich von Fin bezahlen zu lassen.

»Aufschlussreich.« Mit einem Gähnen trat Dain aus den Schatten hervor.

»Was meinst du?« Die Eisfeder runzelte die Stirn.

Die Beiden hatten sich im Umgang miteinander verändert. Auch wenn sie sich immer noch stritten, fehlte die gewisse Tiefe. Sumse riss die Augen auf. Es war eher ein freundschaftliches Necken.

Dain kratzte sich am Kinn. »Eine ungewöhnliches Serum hinterlässt Spuren. Und, beim Lachenden Gott, ich kenne genau die richtige Person, die sich mit solchen Dingen auskennt.«

»Wen?«

»Farasim, der Gewürzhändler.«

Beinahe konnte Sumse die Düfte wahrnehmen, die den kleinen Laden im Schneiderviertel umgaben. »Den kenne ich. Da kaufe ich immer meine Badezusätze!«

Dain legte den Kopf schief. »Das erklärt so viel, Nympchen.«

Bevor Sumse ihn in die Seite boxen konnte, kam ihr Nurise zuvor. »Hör auf, sie zu ärgern. Wir haben wichtigeres vor. Kannst du den Gewürzhändler befragen, bevor du zu deiner Hexe gehst?«

»Abgesehen davon, dass sie nicht meine Hexe ist ...«

Nurise zog eine weißblonde Augenbraue hoch.

»Ich habe eine bessere Idee«, unterbrach sich Dain selbst. »Warum besuchst du nicht unseren lieben Farasin selbst, während ich zu Siom gehe.«

»Meinst du, er wird mit mir reden wollen?«

»Da bin ich mir sicher.«

Ja, die Eisfeder hatte sich verändert. Sie hörte zu und schien Wert auf Dains Meinung zu legen. Sumse zwirbelte eine Haarsträhne. Das war mal eine wirklich interessante Entwicklung.

»Dann machen wir es so«, bestimmte die Eisfeder. »Hast du alles?«

Dain streckte sich und griff nach der Umhängetasche, die immer noch auf dem Sofa lag. »Klar. Smillas Kralle, dazu ein paar Steine, Blüten, Wurzeln und Kristalle. Dann die Schuppe von dem Biest in Kantaa. Und natürlich die ganzen Phiolen.«

Die Tasche raschelte, als Dain den Inhalt schüttelte.

»Dain!«, zischte Sumse, während sich die Augen der Eisfeder weiteten.

»Oh.« Der Feender lächelte unbeholfen. »Nichts passiert.«

Als sich die Tür hinter ihm schloß, schüttelte die Eisfeder den Kopf. »Meinst du, es ist richtig ihn mit den Zutaten vorzuschicken?«

»Meinst du, es ist ein Fehler?«

»Ich weiß es nicht. Manchmal vergesse ich, dass er ist, wie er ist.«

»Ja, er neigt wirklich zu Überraschungen. Aber wenn du ihm nicht traust, warum bist du dann nicht mitgegangen?«

»Weil du recht hast.« Die Eisfeder blickte zu den Karten auf dem Tisch. »Wir müssen die Blutnymphen finden und ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Ich werde Farafin aufsuchen und mich danach Dain anschließen. Dir schicke ich einen Botenfalter, wenn ich näheres weiß.«

»Tue das.« Sumse begleitete Nurise zur Tür. »Deine Goldwachen stehen bereit?«

»Die Vertrauenswürdigsten warten auf mein Zeichen.« Mit einem Nicken verließ Nurise die Villa und Sumse blieb alleine in der Bibliothek zurück. Doch auch sie hatte noch einiges zu tun.

»Hast du jetzt Zeit für mich?« Die Stimme ihrer Mutter ließ sie zusammenzucken. »Oder muss ich einen offiziellen Termin mit Fin aushandeln.«

»Natürlich nicht, Mutter. Komme herein.«

Aufrecht wie eine Bluteiche, rauschte die Konsulin an Sumse vorbei.

In der Bibliothek verharrte sie. Langsam drehte sie sich um. »Wie ich sehe, bist du beschäftigt.«

»Nun, das sagte ich dir bereits, Mutter.«

»Ja.« Ihr Blick verharrte auf den Karten. »Du suchst etwas.«

»Das tue ich.«

Ihre Mutter trat näher an den Tisch und studierte die Details der abgebildeten Wälder. »Hast du es beim Gewürzhändler versucht?«

Warum wusste eigentlich jeder mehr, als sie selbst? »Wir sind dabei.«

»Gutgut.« Sie zog eine Karte aus dem Haufen und fuhr mit ihrem Finger den Fluß nach. »Wo auch immer dich der Weg hinführen wird, folge niemals dem direkten Pfad.«

»Wie meinst du das?«

»Wenn du jemanden überraschen möchtest, bedenke, dass es Bewohner geben könnte, die einen Heimvorteil haben. Lasse nicht zu, dass sie dich übertölpeln.«

Sumse nahm die Karte aus der Hand ihrer Mutter und rollte sie nachdenklich zusammen. »Das werde ich nicht, Mutter.«

»Natürlich.« Ein kurzes Lächeln, dann wandte sich die Konsulin der Tür zu. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, aber ich muss mich verabschieden.«

»Aber die Gefahren ...«

»Ich werde auf mich aufpassen und du auf dich. Genauso, wie wir Sangs seit den jungen Tagen mit Krisen umgehen, werden wir auch diese überstehen.«

Sumse sah ihrer Mutter hinterher. Für ihre Mutter mochte dieser Weg funktionieren, aber sie war froh, Verbündete zu besitzen.

Als ob ihre Gedanken ihn gerufen hätten, kam Michin die Treppen hinunter. »Herrin, Eure Mutter ...«

»Ich weiß. Sie ist abgereist.«

Er nickte.

»Ich möchte, dass du Crispein holst. Wir werden einen Ausflug machen.«

»Ja, Herrin.« Ihre Tagwache drehte bei, um das Gebäude zu verlassen.

»Ach, Michin?«

»Ja?«

»Du hast doch diese Keule, die du so magst?«

Zögernd nickte er.

»Nimm sie mit.«

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