53. Zufallsfund
Die Nyrs brauchten drei Kerzen, um alle Stoffbahnen vom Rebellenstützpunkt in die Dorada zu schmuggeln.
Als sie sich schließlich im Trainingsraum versammelten, konnte auch Arin die Vorbereitungen in Augenschein nehmen, die Admiral getätigt hatte. Seine Begeisterung fiel ähnlich aus, wie die der anderen Nyrs, die ihre Hände eher zögerlich auf den senfgelben Stoff legten.
»Was hast du vor?«, fragte Trauermantel. »Sollen wir als Ensemble des Grauens auftreten?«
»Nicht ganz, Tete, nicht ganz.« Zweimal musste sie in die Hände klatschen, bis auch die letzte Nyr um sie scharrte. »Auch wenn wir viele gerettet haben, müssen wir uns die Frage stellen - was geschah mit denen, die verschwunden sind?«
Stille breitete sich um sie auf. Auch Arin spürte eine Scham in sich, weil er nicht an weiter gedacht hatte.
»Was weißt du?« Berghexe strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr und hob fragend eine Augenbraue.
»Während ich untergetaucht war, konnte ich mich umhören.«
»Farasim?« Koralin verschränkte seine Arme vor der Brust.
»Du nimmst dem ganzen aber auch jeden Spaß. Wo bleibt die Spannung? Die Dramatik?«
Kopfschüttelnd ging Admiral um die Stoffbahnen herum. »Aber ja. Der Gewürzhändler hat mir ein paar Dinge verraten.«
Jetzt mischte sich auch Frostvogel ein. »Sag schon, wo sind sie hin? Waren es die Wassernymphen? Oder die Steingarde?«
»Weder noch.«
»Die Königin?«, mutmaßte Schornsteinfeger?
Berghexe klatscht in ihre Hände. »Lasst sie erklären!«
»Danke. Hört auf mit den Ratespielchen. Also, hört zu: Im Norden, nahe der Grenze, lebt ein Stamm Nymphen, die antike Goldscheiben für Satyrn gezahlt haben. Dort müssen wir hin.«
Nicht nur Arin schien die Antwort zu verwirren. »Warum zahlt jemand für Satyrn?«, brummte Koralin.
»Das weiß ich nicht. Aber machen wir uns nichts vor. Es wird kaum eine erfreuliche Sache sein.«
»Warum wir?« Veilchen legte den Kopf schief und sah in die Runde. »Was könnten wir schon tun, um sie zu retten?«
»Du stellst die falsche Frage: Warum nicht wir?« Admiral bestieg die kleine Bühne und hob die Arme. In ihren Augen leuchtete ein Feuer der Rechtschaffenheit. »Es sind Satyrn. Unsere Brüder. Wer wird denn kommen, wenn nicht wir?«
»Aber wir sind keine Kämpfer.« In Arins Bein zuckten die Nerven und er entlastete es, damit es nicht krampfte.
»Nein, sind wir nicht. Wir sind Nyrs. Wir sind großartige Darstellerinnen, Künstlerinnen und Schneiderinnen. Was wir nicht sind, können wir werden.«
Arin ging als erstem ein Licht auf. »Du willst, dass wir uns als Goldwachen verkleiden?«
»Kluger Junge.« Ihr breites Lächeln strahlte Stolz und Anerkennung aus. »Ganz genau. Sobald sie nur die goldenen Embleme sehen, werden sie flüchten.«
»Das ist dein Plan?«, frage Frostvogel entsetzt.
»Zugegebenermaßen ist er wagemutig, aber durchdacht.«
Trauermantel legte der kleineren Nyr eine Hand auf die Schulter. »Was erwartest du von uns?«
Mit einem Satz sprang Admiral von der Bühne und schritt auf den Stoffberg zu. Ihre Anweisungen prasselten wie Hagelkörner auf sie nieder. »Trauermantel, Veilchen - zückt eure Nadeln und Fäden. Ich werde mich euch anschließen. In kürzester Zeit werden wir die anderen mit Uniformen versorgen. Koralin: Du suchst uns einen sicheren Weg für uns. Bis wir bei dem Stamm ankommen, darf uns keiner sehen. Flockenblume: Du wirst die Dorada leiten. Koordiniere die Auftritte so, dass uns niemand vermissen wird. Berghexe. Du musst unsere Verbündeten zusammentrommeln. Gehe still und heimlich vor. Nicht mehr als zwanzig, denke ich. Sie müssen loyal und verschwiegen sein. Und schließlich Frostvogel. Hast du noch deinen Kontakt zur Steingarde? Wir brauchen eine Ablenkung.«
Alle nickten. Jeder schien etwas zu tun zu haben und machte sich ans Werk. Nach und nach verließen die Anderen den Trainingsraum und ließen Arin mit Admiral zurück. »Und ich?«, fragte er leise.
»Du, Apollon, bekommst eine besondere Uniform. Mit deinen weißen Haaren siehst du deiner Schwester auf die Distanz zum Verwechseln ähnlich.«
»Aber ich kann nicht kämpfen?«
»Ebensowenig wie wir. Aber das ist auch nicht notwendig. Selbst die Eisfeder kämpft kaum noch. Ihr Ruf arbeitet für sie und wird seinen Dienst auch uns gegenüber erfüllen.«
»Und meine Flügel?«
»Das kann ich verstecken, kein Problem.«
Als die Dorada öffnete, brummte Arins Kopf. Der Plan war gefährlich, geradezu leichtsinnig. Aber Admiral hatte recht - es gab niemanden, der seinen Kopf für eine unbekannte Gruppe von Satyrn riskieren würde.
Arin schob sich hinter den Tresen und füllte die Gewürzgläser auf.
Die ersten Gäste strömten hinein und als zwei Personen auf den Barhockern Platznahmen, setzte er sein breitestes Lächeln auf, um sie zu begrüßen. »Willkommen in der Tanzwurzel. Was darf ich euch anbieten?«
Ohne Zweifel handelte es sich bei den Neuankömmlingen um die merkwürdigsten Gestalten, die Arin bisher gesehen hatte. Es handelte sich um zwei Männer. Der eine trug seine schwarzen Haaren zu wilden Zöpfen geflochten, während ihn die Knochenscheiben auf seinem Nasenrücken als Feender offenbarten. Um nicht unhöflich zu starren, verbarg Arin seine Neugier hinter einem Augenaufschlag. Der Andere schien ein Satyr zu sein. Vielleicht mit Meerestieraspekten, zumindest deutete die blaue Haut darauf hin. Aber irgendetwas passte nicht. Sein Kopf war zu schlicht, wenn man einmal von der leuchtend blauen Farbe absah.
»Hast du Borkenbrau? Oder noch besser, Blauwein?«, fragte der Feender.
»Floraner? Wenn du etwas Spezielleres möchtest, hätte ich auch noch ein Fässchen aus dem Flußviertel.«
»Das klingt gut!« Der Feender wandte sich seinem Begleiter zu. »Du wirst sehen, Falk, Blauwein ist eine aristeische Spezialität, die seinesgleichen sucht. Und im Flußviertel gibt es den besten.«
Kein Aristeaner? Arin griff nach zwei Gläsern und entkorkte den Behälter. Im Lichte der Glühranken schimmerte der nachtblau, als ob er die dunkelste Stunde in sich trug.
Der Fremde griff nach seinem Getränk, roch dann und nickte wohlwollend. Als er daran nippte, erklang ein Wuff.
»Tut mir leid, mein Freund, für dich ist das nichts«, erklärte der Feender in Richtung Fußboden.
Eine Melodie erklang und kündigte den ersten Auftritt an. Schornsteinfeger trat mit einem breiten Lächeln auf die Bühne. Ihr Kostüm bestand aus farbenprächtigen Pailetten und die beiden Männer wandten sich ihr zu und überließen Arin sich selbst.
Vorsichtig beugte sich Arin über den Tresen. Unten, neben den Füßen des blauen Mannes, saß ein Wolf, der ebenfalls zur Bühne starrte. Arin schluckte und lehnte sich wieder zurück. Was, bei Kisum, machte ein Wolf in einer Dorada.
Schornsteinfeger drehte sich und die Pailletten schwangen auf ihre goldene Seite. Trotz seiner Stellung hatte Arin die Königin bisher nur selten gesehen, gemeinhin bei Anlässen zu Ehren seiner Schwester. Schornsteinfegers Imitation war nahezu perfekt. Mit weit ausholenden Schritten ging sie zum Vorhang, zog daran und enthüllte das Bühnenbild.
»Werte Mitbürger! Ich freue mich darauf, heute ein wenig aus meinem Alltag erzählen zu können. Früher war ich eine gute Schauspielerin, wurde aber leider schlecht bezahlt.«
Mit kleinen Schritten trippelte sie weiter und schwenkte eine goldene Krone. »Heute habe ich die Seiten gewechselt. Was soll ich sagen - es kommt mehr bei rum.«
Das Publikum johlte. Schornsteinfeger brachte noch ein paar Witze über das Königinnenhaus, bevor sie ihre Pailletten mit einer Drehung neu anordnete und sich im grünen Kleid Floras präsentierte.
Von der Seite näherte sich Admiral mit einem Tablett, allerdings trug sie gedeckte Farben.
»Was tust du hier?«, zischte Arin. »Jemand könnte dich sehen!«
Bei seinem Tonfall drehte sich der Fremde zu ihm um und bedachte Admiral mit einem langen Blick.
»Na, das hoffe ich doch!« Elegant sank sie auf den freien Platz neben dem Feender, den sie zu Arins Überraschung auch ansprach. »Hunde sind hier eigentlich nicht erlaubt.«
»Wie schade. Möchtest du es ihm sagen?«
Admiral seufzte. »Wohl kaum. Nachdem wir auch Feender einlassen, darf er bleiben. Immerhin sind Hunde stubenrein und kauen das Mobiliar nicht an.«
Der Feender drehte sich zu Admiral um. »Vielen Dank für die Einladung.«
»Ihr kennt euch?« Arin massierte sein Bein. Für einen Augenblick verschwamm seine Sicht, aber er bekam es durch Blinzeln wieder in den Griff.
»Alles in Ordnung, Junge?« Der Feender musterte ihn.
»Mir geht es gut«, erklärte Arin.
Admiral beantwortete seine Frage. »Verzeih. Das ist Dain, mein freundlicher Gastgeber, wie er nicht müde wird zu betonen.«
»Schön, dich kennenzulernen.« Der Blick des Feenders nahm an Intensität zu. Hatte er einen Fleck im Gesicht?
»Apollon.« Nervös steckte er eine Haarsträhne hinter sein Ohr. »Oder Arin. Was dir besser gefällt.«
Der Feender entblößte seine spitzen Eckzähne. Wahrscheinlich zu einem Lächeln. »Arin. Wie schön.«
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