52. Kosten
Wie beim letzten Mal tauchte Dain in eine Vielzahl von Düften ein, als der die Tür durchschritt. Hagebutten, Sandelholz und Famiskraut erkannte er sofort. Der Gewürzhändler hatte wohl eine neue Lieferung bekommen.
Dain griff nach der Glocke, aber bevor er den Klöppel bewegen konnte, bewegte sich der Vorhang. Die Stäbe klapperten, als der Gewürzhändler hindurch ging und schweigend auf seinen Schemel kletterte. Seine Raubvogelaugen klebten an Dain.
»Farasin.« Ein Lächeln würde wahrscheinlich nicht schaden.
»Dain.« Hatte er die Tür aufgelassen oder kühlte es im Zimmer merklich ab? »Ich vermute einmal, dass du auch dieses Mal nicht gekommen bist, um deine Vorräte aufzustocken.«
»Nein. Ich suche jemanden.«
Die Hakennase des Alten zuckte und verlieh ihm wenn überhaupt möglich damit noch verdrießlichere Züge. »Verstehe. Die Preise sind gestiegen.«
»Gestiegen?«
»Nun, das letzte Mal, als du jemanden gesucht hast, hat es für die Nymphe ein eher ungutes Ende genommen.«
Wovon sprach er da? »Wenn ich mich recht entsinne, hast du mir Glück für mein Vorhaben gewünscht?«
Farasin schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. »Ich dachte, du wolltest ihr einen Denkzettel verpassen. Keinen Mord. Morde sind schlecht fürs Geschäft!«
»Ach, so ein wenig Instabilität kann doch ganz belebend sein. Du schlüpfst hindurch, entgehst dem Auge des Gesetzes ...« Mit schlängelnden Handbewegungen untermalte Dain seine Worte.
»Sei kein Staubhirn! Alle machen nur noch was sie wollen. Es herrscht Anarchie!«
»Nun ...« Aber Farasin nahm gerade Fahrt auf.
»Hast du auch nur eine entfernte Ahnung, was deine kleine Eskapade mich gekostet hat?«
»Nein?«
Aus einer Schublade zog der Gewürzhändler einen Block, der über und über mit Tabellen und Zahlen bekritzelt war. »Die Goldwache fällt auseinander, die Bestechungssummen an die Steingarde erreichen unmögliche Höhen. Du ruinierst mich!«
Dains Augen schweiften durch den Raum und musterten die randvollen Auslagen. »Also, mit Verlaub, richtig schlecht scheint es dir jetzt nicht zu gehen.«
Der Gewürzhändler stemmte seine Arme auf das Holz, beinahe, als wollte er Dain über den Tresen hinweg anspringen. »Glaubst du, ich mache Scherze?«
Warum regte er sich nur so auf? Vielleicht sollte er die Situation etwas abkühlen. Der Vorhang raschelte erneut, als Dain einen Schritt zurücktrat und die Arme ausbreitete. »Heute kann ich dir auch etwas anbieten.«
»Noch mehr Ärger?«
Wenn ihn seine Sinne nicht trogen, verbargen sich einige Satyrn hinter dem Vorhang. Farafins Wachen? »Witzig. Aber nein. Eine Information.«
Der Gewürzhändler trommelte mit den Krallenspitzen auf die Tischkante und leckte sich über die Lippen. »Die muss aber ziemlich gut sein.«
»Oh, keine Sorge, dass ist sie.«
»Dann sprich. Lass es dir nicht aus der Nase ziehen.«
Mit einem Nicken deutete Dain in Richtung des Vorhangs. »Zwei Bedingungen. Sie ist nur für deine Ohren bestimmt, also schicke dein Publikum fort. Und im Gegenzug hilfst du mir bei einer Suche.«
Der Gewürzhändler legte seinen Kopf schief und musterte Dain. Was auch immer er in seinem Gesicht lesen konnte, schien auszureichen. Er stieß einen Pfiff auf. Hinter dem Vorhang erklang schlurfende Schritte, die leiser wurden.
»Ich höre.«
Soweit so gut. Dain ging zurück zum Tresen und beugte sich vor. »Die Eisfeder lebt.«
Zuerst blinzelte Farafin, dann begann er zu lachen. »Ein guter Versuch, so viel ist klar. Beinahe hättest du mich erwischt.«
»Nein, wirklich. Ich gebe dir mein Wort.«
»Ist das so?« Der Gewürzhändler zog eine Augenbraue hoch. »Hör zu, mein Junge. Wir machen folgendes: Du lieferst mir einen Beweis und ich werde dir helfen. Und bis dahin ...«
»... bis dahin?«
Zur Antwort stieß Farafin einen weiteren Pfiff aus. Schritte trampelten durch das Haus. »Bis dahin such dir woanders Hilfe. Und jetzt raus hier, bevor es ungemütlich wird.«
Die Geräusche wurden immer lauter. Dain hob die Hände und wandte sich dem Ausgang zu. »Asche und Staub, es ist gut. Kein Problem. Du wirst von mir hören.«
Betont langsam verließ er den Gewürzhändler. Also würde die Suche nach Arin nicht ganz so leicht werden, wie gedacht. Wie sollte er nur beweisen, dass die Eisfeder am Leben war? Welchen Beweis würde der alte Mann akzeptieren?
Grübelnd wanderte er durch Areas Straßen. Vorbei an engen Gassen und finsteren Höfen. Es dauerte einen Moment bis er verstand, dass sich die Geräusche der Nacht verändert hatten.
Waren die Gassen vor seiner Reise meist leer und verlassen gewesen, eilten nun schleichende Gestalten an den Mauern entlang. Laute Streitereien ertönten hinter geschlossenen Türen und ab und immer häufiger musste er Schlägereien ausweichen.
War das die Anarchie? Keine Garde kam, um nach dem Rechten zu sehen.
Dain zog seinen Mantel enger um die Schultern und beschleunigte. Es wurde Zeit, die Stadt wieder zu verlassen.
Kurz vor der Mauer kribbelte sein Nacken. Jemand folgte ihm. Dain verbarg sich hinter einem Vorsprung und spreizte seine Hände. Zur Sicherheit band er seine innere Hitze in die Fingerspitzen. Jeder Angreifer würde eine böse Überraschung erleben.
Ein Tapsen, dann schnüffelte jemand. Wer, beim lachenden Gott, konnte das sein?
Mit geschlossenen Augen konzentrierte sich Dain auf seine übrigen Sinne. Sein Verfolger war stehen geblieben. Ein neuer Geruch kitzelte seine Nase. Nasses Fell?
Aus der Dunkelheit drang ein Wuffen zu ihm. Ein kurzer Laut, eine Pause, dann ein zweiter. Es wirkte beinahe wie eine Frage.
Langsam schob Dain seinen Kopf um die Ecke und kniff die Augen zusammen.
Vor ihm standen ein großer Mann mit blauer Haut und sein Hund, der ihm ein Lächeln mit viel Zähnen schenkte.
»Falk?«
Der Mann nickte und hob die Hand zum Gruß.
»Was macht ihr hier?«
Zuerst deutete Falk auf Lore, dann auf ihn. Wie zur Verdeutlichung machte der Vierbeiner einen Satz und schnüffelte an Dain. Ausgiebig.
»Ihr habt mich gesucht?«
Falk nickte.
Tausend Fragen brannten auf Dains Zunge, aber hier war nicht der richtige Ort, um sie auszusprechen. Er entließ den Druck aus seinen Fingern und tätschelte Lores Kopf.
»Wir haben viel zu bereden. Aber nicht hier.«
Als Dain sich abwenden wollte, hielt ihn Falk zurück. In einer fließenden Bewegung zeichnete er den Sanduhrenkörper einer Frau in die Luft.
»Smilla?« Auf Falks Bestätigung sprach er weiter. »Ihr geht es gut. Sie kommt mit der Eisfeder nach und ich erwarte sie jeden Tag. Kommt mit.«
Dieses Mal folgten sie ihm. Dain führte seine Begleiter aus der Stadt hinaus zu den Höhlen. Hinter dem Flechtvorhang, der sein inneres Reich vor der Außenwelt verbarg, blieb Falk stehen und atmete die feuchte Luft des Wasserfalls ein. Der Mann machte ein paar Schritte auf den See zu und fuhr mit der Hand hinein.
Die stumme Anerkennung war eine angenehme Alternative zur abwertenden Haltung, die viele der Besucher dem Naturwunder entgegenbrachten.
»Es ist wunderschön, nicht wahr? Aber kommt mit. Ihr habt bestimmt Hunger.«
Lore stand dem Lastenaufzug zunächst eher skeptisch gegenüber. Auch wenn Dain keine Worte hörte, so schien der kniende Mann trotzdem mit seinem Hund zu sprechen. Auf der Oberfläche lagen ein paar gelbe Stoffrollen, neben den Lore mit eingezogenem Schwanz Platz nahm.
Dain zog am Seil und langsam bewegten sich Hund und Lieferung hinauf.
»Komm, wir nehmen den Fußweg.«
Zu seiner Überraschung begrüßte ihn Admiral am Seilzug. Sie blinzelte, als sie Lore wahrnahm. »Warum ziehe ich einen Hund nach oben?«
Dain kratzte sich am Kinn. »Die eigentliche Frage lautet doch eher: Warum ziehst du einen Haufen Stoff nach oben?«
Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln. »Ach du weißt doch. Frauen und ihr Gewand - ich brauche eine neue Garderobe.«
»So viel? Das reicht ja um eine ganze Armee einzukleiden.«
Admirals Schulter zuckten, als sie die Stoffpaletten nahm und sich in Richtung Unterkunft auf den Weg machte. »Man merkt, wie wenig du dich mit Kleidung auskennst.«
Auch Falk beschränkte sich auf ein Schulterzucken. Seine Erfahrungen mit Frauengewändern waren wohl auch überschaubar.
Dain stopfte sich die Hände in die Tasche seines Umhangs und folgte der Nyr. »Warum landet die Lieferung eigentlich hier? Ich dachte, du wärst zurück in die Dorada gegangen?«
»Sich heutzutage etwas in die Stadt liefern zu lassen, grenzt an eine Einladung, um Überfallen zu werden.« Als sie ihre Tür erreichte, drehte sie sich zu ihnen um und schenkte Dain einen Augenaufschlag. »Ach Dain, so schön es war, wieder einmal mit dir zu plaudern, aber «
Irgendetwas stimmte hier nicht. Und ganz sicher würde Dain sich nicht in seinem eigenen Haus vorführen lassen. »Ich habe eine wundervolle Idee!«
Anstatt ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, musterte ihn Admiral misstrauisch. »Das, aus deinem Mund.«
»Tztztz.« Entspannt lehnte sich Dain an den Türrahmen. »Weißt du, meine Freunde hier sind neu in der Stadt.«
Falk trat einen Schritt zurück, während sich Lore hinsetzte, um sich hinter dem Ohr zu kratzen.
»Sind sie das?«
»Ja. Ich sollte ihnen definitiv etwas von der Stadt zeigen.« Wenn Admiral ihre Spielchen bei ihm spielen wollte, könnte er doch einmal ihr Heim heimsuchen. »Und dazu gehört definitiv, die Areas beste Dorada zu besuchen.«
»Wundervoll«, schnappte Admiral. »Ihr seid natürlich jederzeit willkommen.«
Sie beugte sich an Dain vorbei und zog die Tür zu. Bevor sie ins Schloss fallen konnte, stoppte die Nyr ab. »Ach, Dain, mein Lieber?«
»Ja?«
»Vergiss das Kleingeld nicht.«
Dain überließ der Nyr das letzte Wort. Im Gegensatz zu vielen Anderen, bot Admiral ihm ständig die Stirn, was er respektieren konnte. »Komm mit«, forderte er Falk auf und brachte ihn in seine eigene Wohnhöhle.
Auf dem Boden lagen weiche Teppiche und das Moospolster auf dem Bettrahmen war frisch. Irgendwie schien sich der Raum immer auf eine magische Weise zu erneuern, wenn er wiederkehrte. Es war nie staubig, nie unordentlich und egal wie viel Essen er stehen ließ, ständig wurde es weggeräumt.
Lore ließ sich mit einem zufriedenen Brummen auf den Bettvorleger sinken, während Falk stehen blieb und sich umsah.
Zunächst zog Dain seinen Mantel aus und warf ihn aufs Bett, dann streckte er die Flügel. Der einladendeste Ort war der Schaukelstuhl vor dem leeren Regal. Es hatte einst seine Schätze beherbergt, aber der Hunger hatte dazu geführt, dass er nach und nach die Vasen und Gefäße verkaufen musste. Sei es drum.
Dain schob die Kiste, die vor seinem Bett stand, neben den Schaukelstuhl. Als guter Gastgeber bot er Falk den bequemeren Stuhl an und setzte sich selbst auf den Deckel.
Zwar folgte Falk seiner Einladung, jedoch ließ er sich nur ganz langsam auf die Sitzfläche sinken. Als der Stuhl sich bewegte, riss der Mann die Augen auf.
»Schaukelstühle kennst du wohl nicht, hm?«
Die Antwort bestand aus einem Kopfschütteln.
»Diesen hier habe ich aus meinem Zuhause in der Stadt mitgenommen. Er hat einen dicken Kratzer vom Transport, daher ist er nichts mehr Wert. Aber er ist gemütlich.«
Der Stuhl knarrte, als Falk gemächlich zu schaukeln begann.
»Und, wie sieht es aus. Hast du das Lebenswasser gefunden?«
Zögerlich nickte Falk. Er öffnete sein Hemd und holte eine winzige Phiole hervor, die er an einer Kette um den Hals trug. Der Inhalt schimmerte in einem milchigen Weiß.
»Großartig.« Dain beugte sich vor, um es näher in Augenschein zu nehmen. »Was ist das?«
Falks Hände formte Zeichen und Bewegungen, die er nicht verstand.
»Faszinierend.« Mit den Ellenbogen stütze er sich auf seinen Knien ab. »Und ich vermute mal, es gibt eine aufregende Geschichte dazu, wie du an das Wasser gekommen bist.«
Wieder bewegte Falk seine Hände, doch sie wurden immer langsamer und stoppten schließlich ganz ab.
»Und ich werde davon auch nichts verstehen?«
Ein Nicken.
»Großartig.«
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