48. Heimkehr

Bereits als Dain den Innenhof erreichte, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Die Eisfeder saß alleine am Tisch und starrte die Mauer an. Von Smilla und den anderen war nichts zu sehen.

Obwohl er beileibe nicht leise war, schenkte sie ihm keine Aufmerksamkeit. Als er näherkam erkannte er Details. Ihre Augen waren gerötet, ihr Rücken steif und in ihren Händen hielt sie einen gefalteten Zettel.

Dain seufzte. Während seiner Abwesenheit war etwas geschehen und er würde Steinkohle fressen, wenn es etwas gutes wäre. In seinem jetzigen Zustand wäre er kaum von Nutzen.

Mit geschlossenen Augen rief Dain das Feuer. Sein Inneres brannte beinahe und er umarmte den Schmerz. Die Hitze seines Körpers war unangenehm, doch sorgte sie dafür, dass der Alkohol schneller als normal verbrannt wurde. Seine Auszeit war definitiv zu ende.

Erst als Dain gegenüber von der Eisfeder Platz nahm, hob sie ihren Kopf. Ihre Augen waren tot und für einen Moment sah Dain in ihnen sein Schicksal.

»Wo warst du?«, murmelte die Eisfeder.

Dain schob das Schnapsglas auf sie zu. »Ich habe das Vampyrblut besorgt.«

Zunächst reagierte sie nicht. Ob sie ihn nicht verstanden hatte?

Doch dann, ganz allmählich, schien sie aufzutauen. »Ich habe eine Nachricht aus Aristea erhalten«, begann sie. Gleichzeitig griff sie sich in ihre Jackentasche und förderte eine Phiole hervor. Es war eine von den Gefäßen, die Mutter Kiana ihnen mitgegeben hatte. »Sie haben Arin gefunden.«

»Was ist passiert?« Wenn man den glücklichen Umstand betrachtete, dass sie ihn noch nicht angegriffen hatte, trug Dain wohl keine Schuld an dem, was auch immer ihm zugestoßen war.

Die Eisfeder füllte vorsichtig das Blut in die Phiole, verschloß sie mit einem kleinen Korken und verstaute alles wieder in ihrer Jacke. »Es gab einen Unfall. Ein herabstürzender Balken hat ihn getroffen.«

Auch wenn er Arin nie wirklich getroffen hatte - abgesehen natürlich von dem Zwischenfall mit dem Blasrohr - verstörte ihn diese Nachricht. »Ist er ...?«

Die Eisfeder schüttelte den Kopf. »Nein. Aber verletzt.« Sie faltete die Nachricht zusammen und steckte sie ebenfalls ein. »Unser Plan hat sich geändert.«

Es schien der falsche Zeitpunkt zu sein, um über ihre Definition von "unser" zu sprechen, daher nahm Dain ihre Nachricht schweigend zur Kenntnis.

»Wir werden uns aufteilen. Du kehrst nach Area zurück. Sorge dafür, dass mein Bruder am Leben bleibt, bis ich mit den Zutaten zurückkehre.«

Wie sollte er das machen? Er schaffte es ja nicht einmal auf sich und seine Leute aufzupassen. Ein Wind wehte über die Mauer hinweg, fuhr durch seine Haare und blähte seine Flügelhaut. »Meine Schuldigkeit ist getan. Wir haben nur vereinbart, dass ich dir bei der Beschaffung der Zutaten helfe.«

»Es wird Zeit, dass du Verantwortung übernimmst. Als Aufrührer hast du immer kritisiert, immer versucht Fehler zu finden und anzukreiden. Aber du hast niemals versucht, das Richtige zu tun. Jetzt hast du die Möglichkeit dazu. Hier und Jetzt.«

»Welche Möglichkeit? Was denkst du denn, das ich tun kann? Ich bin kein Arzt!«

»Halte ihn am Leben.«

»Und wenn ich es nicht schaffe?«

»Dann solltest du Aera so schnell wie möglich hinter dir lassen.«

»Drohungen funktionieren bei mir nicht.«

»Das war keine Drohung.«

Für den Moment atmete Dain tief durch. Das hier brachte nichts. Nicht so. »Du hast nicht wirklich viele Freunde, hm? Warum gehst du nicht selber?«

Wie nicht anders erwartet, konzentrierte sich die Eisfeder auf den wesentlichen Teil seiner Frage. »Wenn es mir nicht gelingt, die letzte Zutat zu beschaffen, wäre sein Tod meine Schuld. Wenn du die Suche fortsetzt und Arin stirbt bleibt es deine.«

Über ihnen flog ein Vogel hinweg, spreizte seine Schwingen als er seine Kreise am Himmel zog. Der Wind nahm ihn mit auf eine Reise. Dain schloss die Augen.

»Du hast Recht.«

Die Augen der Eisfeder weiteten sich und sie lehnte ihren Kopf zurück.

»Ich laufe nicht weg und ich kämpfe nicht mehr dagegen. Ich werde mein Bestes geben, um für etwas zu sein.« Er zögerte. »Du kannst dich auf mich verlassen.«

Hatte er diese Worte schon einmal gesagt?

»Das weiß ich.« Sie beugte sich über den Tisch und legte eine weiße Hand auf seine dunkle. Merkwürdigerweise fühlte er keine Kälte, sondern nur warme Haut. Sie zog ihn näher zu sich und umarmte ihn. Es war unbequem, mit dem Tisch zwischen ihnen. Ein Klicken ertönte. Doch bevor er reagieren konnte, schob sie ihn wieder von sich. »Alles Gute, Dain.«

Das Licht des Mondes tauchte die Eisfeder in einen silbrigen Schein. In ihrer Hand hielt sie sein Armband. Er war wieder frei.

Verantwortung fühlte sich komisch an. Natürlich führte er sein Haus, aber er führte es nach seinen Vorstellungen. Es war nicht nötig, seine Handlungen zu besprechen und schon gar nicht, den Weisungen eines anderen zu folgen.

Doch seine Worte hatten ihn mehr an ihr Vorhaben gebunden, als es sein Gewissen oder Tianas Armband geschafft hatten. Dain würde zurück nach Area kehren und Arin beschützen, bis die Eisfeder zurück kehrte.

Motti wartete bereits auf ihn, als Dain den Pferch erreichte und schnüffelte interessiert an seinen Taschen..

»Du gehst? Ohne Abschied?« Zwischen den anderen Flugtieren stand Smilla. Sie hatte ihre Nase gerümpft. Ihr Körper war angespannt und die sonst fröhliche Ausstrahlung fehlte.

Es war unheimlich. Dain konnte nicht nachempfinden, welche Schlüsse das Werwolfmädchen nur aus den Gerüchen zog, die an seinem Körper hafteten. Definitiv würde sie die Eisfeder riechen, aber was noch? Das Blut? Die Schenke oder sogar den Vampyr? »Ich kehre nach Area zurück. Es ist etwas passiert. Die Eisfeder wird dir alles erklären.«

»Ich verstehe.« Smilla nieste. Gleichzeitig kehrte auch ihre Leichtigkeit zurück. »Dann bin ich sehr froh, dass ich dich nicht wieder einfangen muss.«

Ihn einfangen? Diese halbe Portion. Aber bevor er antworten konnte, wurde er schon zum zweiten Mal an diesem Tag in eine Umarmung gezogen. Was hatten die Frauen bloß damit? Körperkontakt ohne Hintergedanken war doch irgendwie sinnlos. Oder nicht?

»Pass auf dich auf«, murmelte sie. Als sie ihn losließ, schlug sie ihn noch einmal spielerisch gegen den Oberarm. Es war nicht schwer, dem Wolf in ihr zu erkennen. Hauptsache sie würde nicht diese Heulen-Sache machen. Die zog immer so viel Aufmerksamkeit auf sie.

Smilla half ihm dabei, Motti zu satteln. Gerade als er starten wollte, griff sie ihn erneut am Arm und drückte ihm ein angebissenes Brötchen in die Hand. »Beim blassen Mond, du hast doch bestimmt Proviant vergessen, oder?«

Natürlich hatte er das. Und nicht nur für sich. Dain füllte seinen Rucksack mit der Mischung aus getrockneten Blüten, Beeren und Samen, die im Stall für die Fluginsekten bereit gehalten wurden. Wenigstens Motti sollte es gut gehen. Mit ein wenig Glück fand sich für ihn noch etwas in Mottis Satteltaschen, ansonsten war das Gebäck alles, was ihn auf seiner Reise in den Norden begleiten würde.

Dain seufzte. Im gleichen Moment knurrte sein Magen. Die verbrannte Magie forderte einen Tribut und er biss ab. Während er kaute schoß Motti los. Sie schraubte sich immer höher in die Luft und der Wind zerrte an seinem Rücken.

Die Reise nach Aristea war hart. Dain landete nur, wenn Motti eine Pause oder Futter brauchte. Wenn er müde wurde band er sich am Sattel fest und döste.

Nach drei Tagen sah er im Sonnenuntergang die hohen Wipfel von Aristea. Endlich war er zurück.

Dain landete am Wasserfall, direkt vor dem Eingang, der in die Höhlen führte. Motti zirpte und schnüffelte. Ihre Fühler zuckten in Richtung Stadtrand, wo sich Barkins Haus befand.

Es war mehr als offensichtlich, was sie wollte. »Wirst du alleine heimfinden, oder soll ich dich bringen?«, fragte Dain. Zu seiner Überraschung schüttelte Motti den Kopf. Hatte sie ihn wirklich verstanden.

Ein Käuzchen schrie und dunkle Schwingen zogen über den Himmel. Es wurde Zeit Abschied zu nehmen. Dain ließ die Zügel los, doch Motti bewegte sich nicht. Mit ihren schlauen Augen schaute sie ihn an, so dass er sich darin spiegelte. Sein Aussehen war nicht schmeichelhaft. Das Haar trug noch den Staub der Wüste in sich und war durch den Flugwind zerzaust. Sowohl seine Kleidung, als auch der Rest von ihm benötigten dringend ein Bad und seine Flügel wirkten, als hätte er die Mauser. Glücklicherweise würde er nur auf Mutter und Lohandin treffen. Sie verdienten es, auf den neuesten Stand gebacht zu werden und er verdiente ein gutes Abendessen, bevor er sich auf die Suche nach Arin machte.

Motti hatte sich nicht bewegt, sie schien auf etwas zu warten. Dain trat zu ihr und legte seine Arme um ihren flaumigen Körper. »Du bist wirklich die großartigste Motte, die es je gegeben hat. Sag es keinem, aber ich werde dich vermissen.«

Ihre Fühler strichen über seinen Kopf. Erst als er sie losließ, drehte sie sich um, spreizte ihre Flügel und stieg in die Luft.

Dain sah ihr nach, bis sie in der Dunkelheit verschwand. Das Käuzchen preschte an ihm vorbei und stieß mit ausgefahrenen Krallen in den See. Seine Feensicht half ihm den Fisch zu entdecken, der kurz darauf mit dem Vogel in die Luft stieg.

Das Käuzchen würde wohl vor ihm sein Abendessen einnehmen. Mit etwas Wasser aus dem See wusch er sich wenigstens sein Gesicht und die Hände. Seine Mutter neigte in diesen Punkten zur Pingeligkeit.

Schließlich schob er sich zwischen den Felsen in den mehr oder weniger geheimen Zugang. Weder der Eingang, noch die Höhle mit dem Wasserfall hatte sich verändert. Es war Dain, der nun alles mit anderen Augen saß. Sein Refugium war kleiner geworden.

In seiner Abwesenheit war die Leiter ausgetauscht worden. Das Rauschen des Wasser begleitete ihn, als er hinaufkletterte. Zum Fliegen war er zu müde.

Den größten Unterschied entdeckte er jedoch erst, als er die Wohnhöhlen erreichte und ihm die ersten Satyrn entgegen kamen.

Sie musterten seine staubige Erscheinung und drehten bei, um Richtung Küchentrakt zu eilen. Dain zwinkerte verblüfft.

Bevor er sich weiter bewegen konnte, erklangen schon die schnellen Schritte seiner Mutter. Eine Mischung aus Klappern und Eile, der seit jeher mit der Frau verband, die alles für ihn aufgegeben hatte. »Liebelin!«, rief sie aus, als um die Ecke bog und ihn im Gang stehen sah. Ihr Tonfall war gleichzeitig besorgt und vorwurfsvoll.

Es dauerte, bis alle Eindrücke in seinem Kopf zueinander fanden. Etwas war passiert. Arin musste warten. Sein Haus war voll.

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