38. Valeta

Mit den ersten Sonnenstrahlen breitete sich unter Dain ein Teppich aus Sand und Hügeln aus. Ein weites, karges Land. An mehreren Stellen erhoben sich dichte Staubwirbel, die bis in den Himmel hineinreichten. Die Libelle der Eisfeder umflog sie stets in respektvollem Abstand, aber Dain fragte sich dennoch, was wohl passieren würde, wenn sie einem zu nahe kämen. Würde er sie verschlingen und gefangen halten? Oder wären ihre Flugtiere stark genug, der Anziehung zu widerstehen?

Die Eisfeder drehte bei und flog in einem Bogen in Richtung Meer. Dort erhoben sich die Ausläufer von Dragonis und bildeten eine natürliche Wand zum Wasser. Die wenigsten Lebewesen würden diese Berge passieren können. Auf der anderen Seite bot die Wüste auch kaum jemandem einen akzeptablen Lebensraum. Die Landschaft änderte sich, Dain entdeckte Wüstengewächse und sogar ein paar Palmen. Das Meer schickte eine Brise über die Berge und brachte ihnen Abkühlung. Wahrscheinlich war es den beiden Frauen zu heiß über der Wüste. Dain klopfte Motti den Hals. Auch wenn die Temperaturen für ihn angenehm waren, wäre eine kühlere Gegend auch für sein Flugtier angenehmer. Er würde sich daher über den Umweg nicht beschweren.

Eine Bewegung zwischen den Felsen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Fell war nur Nuancen dunkler als der orangene Sand, doch die Füße und der Kopf schienen eher braun zu sein. Das Tier erinnerte ihn an die Schattenparder seiner Heimat, auch wenn es deutlich größer war. Motti schlug mit den dunklen Flügeln und trug ihn weiter nach Süden.

Schließlich wurde es Zeit, sich der Wüste zu stellen. Am Horizont konnte Dain bereits die Oase Ki'an erblicken. Hohe Palmenwedel warfen ihren Schatten auf glitzerndes Wasser. Hier würden sie einen Zwischenstopp einlegen, um herauszufinden, wie man die nächste Zutat beschaffen könnte. Es sei denn natürlich, dass die Eisfeder bereits mit einem ihrer elenden Pläne aufwarten konnte. Zuzutrauen wäre es ihr ja. Motti hechelte, hielt jedoch unbeirrt auf die Oase zu. Es war ruhig und still, nur das Flügelschlagen der Tiere war zu vernehmen. Keine Vögel, kein Leben.

Doch je näher sie den Palmen kamen, desto mehr zeigte sich, dass der Schein trog. Im Schatten dösten hässliche Huftiere mit dicken Nasen und Hörnern. Dain wusste nicht, ob es tatsächlich Reittiere waren, allerdings wirkten sie friedlich. Auf der anderen Seite des Sees deuteten ein paar Zelte auf einen Nomadenstamm hin, der die Oase als Ruheort nutzte.

Die Libelle flog eine Schleife, doch nichts regte sich. Dain übte etwas Druck mit den Schenkeln aus und Motti ging in den Sinkflug über.

Erst als sich Motti auf einem freien Grasflecken niederließ, öffnete sich die Zeltplane. Ein blasser Mann trat heraus, neben dem selbst die hellhäutige Smilla gebräunt aussah. Ohne sich zu bewegen, stand er einfach nur da und musterte ihn und seine Gefährtinnen, die sich schließlich auch zu einer Landung bequemten. Die Eisfeder sog die Luft ein, warf ihm einen warnenden Blick zu, den er nicht deuten konnte und reichte Smilla eine Hand.

»Ui«, murmelte Smilla, als sie den Mann musterte. Dann schnüffelte sie, knurrte und stieß ein Heulen aus, bei dem sich die kleinen Haare auf seinen Unterarmen aufrichteten.

Der Mann starrte Smilla unverwandt an, dann verzog er die Lippen zu einem Lächeln und offenbarte spitze Zähne. Beim lachenden Gott, war denn die ganze Welt mit ihm verwandt? Irgendwie hatte er seine Gattung immer als etwas Besonderes empfunden und nun traf er an jeder Ecke Drachen, Dramären oder halt auch blasse Männer mit spitzen Zähnen. Ein weiteres Knurren ertönte und erst ein Rempler der Eisfeder ließ ihn merken, dass er es ausgestoßen hatte.

»Benehmt euch, alle beide«, stieß die Eisfeder hervor. »Wir sind hier zu Gast.«

Das hatte ihn noch nie daran gehindert, den Gastgeber nicht zu mögen.

»Nedal.« Eine Stimme ertönte aus dem inneren des Zeltes. Der blasse Mann drehte sich wortlos um und glitt ins Innere.

Die Eisfeder schob sich an Smilla und ihm vorbei, doch als sie folgen wollten, schüttelte sie nur vehement den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ihr die richtigen Begleiter für dieses Zelt seid.«

Smilla fletschte die Zähne. »Sei nicht töricht. Weißt du, was das war?«

Dain musste auf diese Frage gar keine Antwort haben, es war offensichtlich, dass an diesem Ort Probleme lauerten.

Doch die Eisfeder sah das anders. Sie schüttelte nur den Kopf, legte Smilla eine Hand auf die Schulter und murmelte: »Ein frisch gebundener Vetala.« Eine Windböe wirbelte Sand um ihre Stiefel, als sie in Richtung Zelt stapfte.

Smilla wandte sich mit blitzenden Augen zu ihm um. »Sie ist so... «

»Großkotzig? Anstrengend? Nymphig?«

Smilla schnaubte, konnte aber nicht verhindern, dass sich ihre Mundwinkel anhoben. »Glaubst du, sie weiß, was sie tut?«

»Natürlich. Wir reden hier von der Eisfeder, die mit einer einzelnen Feder die Königin gerettet und die Blutnymphen ausgerottet hat«, murmelte Dain und konnte den bissigen Unterton nicht ganz aus seiner Stimme heraushalten.

»Moment. Was sind Blutnymphen?«

Dain öffnete seine Satteltaschen und schnappte sich zwei Äpfel. »Das verrate ich dir, wenn du mir erklärst, was ein Valeta ist.«

Die Eisfeder blieb vor dem Zelt stehen, wartete einen Moment, bis sich die Plane hob und ging dann ins Innere.

Den ersten Bissen bekam Motti, doch es blieb noch genug für ihn. Smilla nahm neben Dain im Sand Platz und gemeinsam starrten sie zu den weißen Zeltbahnen. »Was weißt du über Vampyre?«, fragte Smilla und grub ihre Zähne in das Fruchtfleisch.

»Was?« Dain starrte sie an, bevor er Mottis Nase zurück schob und selbst einen Bissen nahm. Das süße Aroma half ihm beim Nachdenken. »Nun, Vampyre sind Märchengestalten. Geister, die in einem toten Körper gebunden werden, und sich ein freies Leben nur erarbeiten können, indem sie freiwillig einem Meister dienen.«

Nur der Stil blieb von Smillas Apfel übrig und sie warf ihn in den Sand. »Genau.«

»Aber, Moment mal, Vampyre haben eine dunkle Haut.« Dain deutete auf seinen Arm, der sich deutlich von den hellen Dünen abhob. »Sogar noch dunkler als meine, wenn ich mich nicht irre. Außerdem glaube ich nicht an Märchen.«

»Nur die freien Vampyre sind dunkel. Je näher sie ihrer Freiheit kommen, desto dunkler wird ihr Körper. Es heißt, sie bekommen mehr Substanz. Mehr Festigkeit, die sie hier hält. Eine Seele.«

Der Apfel in seiner Hand fühlte sich schwer an, außerdem hatte er den Appetit verloren. Er warf den Rest Motti zu, die ihn mit einem freudigen Zirpen auffing. »Ich habe den Begriff Vampyrblut für einen alchemistischen Namen gehalten. Heißt das, dass wir den Kerl da unten nur etwas anritzen müssen?«

Smilla schüttelte den Kopf. Ein Vogel über ihnen schrie und landete in einer Palme. Mit dem Schnabel hämmerte er auf eine der runden Früchte. »Nein, da hätten wir kein Glück. Er ist noch nicht soweit, dass sein Blut eine Bedeutung hat, selbst wenn er überhaupt schon welches geben könnte. Wir brauchen einen freien Vampyr. Ungebundenes Blut.«

Die Zeltplane öffnete sich und entließ die Eisfeder. Sie ging ein paar Schritte rückwärts und verbeugte sich.

»Also, was sind Blutnymphen?«, fragte Smilla.

Die Eisfeder versteifte sich. Asche und Staub, sie hatte gute Ohren. »Später«, flüsterte er, ohne die Wassernymphe aus den Augen zu lassen.

Aufrecht wie eine Fahnentanne stapfte sie durch den Sand. Dain erhob sich langsam und auch Smilla hüpfte auf ihre Beine.

»Fleischfresser«, zischte die Eisfeder, als sie ihren Landeplatz wieder erreichte. »Blutnymphen waren furchtbare Kreaturen, die im Wald auf die Jagd gegangen sind, um Tiere zu erlegen.«

Smilla wurde blass. »Mein früheres Rudel jagte auch. Ich habe es nie übers Herz gebracht.«

Dain räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf sich zu ziehen. »Hat denn dein kleines Schwätzchen auch irgendetwas gebracht oder haben wir nur wieder Zeit verschwendet?«

Eine Ader an ihrem Hals zuckte. Es war fast hypnotisierend, das Blut pulsieren zu sehen und erinnerte ihn jedes Mal daran, dass ihr Körper aus mehr als Eis bestand. »Zeit ist ein gutes Thema, Feender«, erklärte sie, während ein Schweißtropfen ihre Schläfe hinab rann. »Ich weiß, wohin wir müssen.«

Natürlich. Sie hatte wieder einen Plan.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top