3. Verbundenheit

Erst als ihn die Musik zum Tanz rief, verlangsamte sich Arins Herzschlag. Sumse war die ganze Zeremonie über an seiner Seite gewesen und er hatte zu seiner Erleichterung festgestellt, dass die anfängliche Sympathie, die er bei der Vorstellung vor zwei Monden empfunden hatte, nicht gewichen war. Für eine Waldnymphe war sie nicht besonders steif, sondern vielmehr unterhaltsam, beinahe witzig. Nichts in dem hergerichteten Saal ließ noch darauf schließen, dass hier das Haus des Waldes tagsüber seinen Aufgaben nachgegangen war. Alles leuchtete festlich und versetzte ihn endlich in die richtige Stimmung. Als die Klänge von Somonovs 'Nachtschattensymbiose' erklang, konnte er seine unruhigen Füße kaum mehr beherrschen und zog seine Braut auf die Tanzfläche. Dort tummelten sich bisher sich bisher nur drei Paare aus dem Haus des Wassers. Eilig wurde ihnen Platz gemacht und er wirbelte seine Begleiterin über den glänzenden Holzfußboden. Arin fühlte sich in seinem Element und genau dort, wo er sein wollte - bis er in Sumses leuchtenden Augen eine unerwartete Anspannung wahrnahm.

Ihre Bewegungen waren nicht locker, sondern bemüht. Ihr Lächeln beherrscht und ihre Schritte immer einen Hauch außerhalb des Taktes. Irgendetwas stimmte nicht.

Mit jeder Drehung wurde er langsamer, dann, als die Melodie es zuließ, zog er sie näher zu sich heran. »Stimmt etwas nicht?«, flüsterte er in ihr Ohr.

»Es ist nichts«, hauchte sie zurück. Ihr Atem kitzelte seinen Hals. Es war seltsam, aber er bemerkte erst in diesem Augenblick, dass er eine Handbreit größer war als seine Braut. Ihre Ausstrahlung war stark und er hatte stets das Gefühl, er würde neben ihr verblassen.

»Wir werden uns aber schon gegenseitige Aufrichtigkeit geloben, oder?«, erinnerte er sie an ihren Verbindungseid und ob ihres leisen Seufzers musste er schmunzeln.

»Du hast recht«, erklärte sie leise. »Also Ehrlichkeit. Zunächst muss ich dir sagen, dass du sehr gut aussiehst. Ich mag die Flügel, auch wenn ihr Satyrn da ein wenig empfindlich seid.«

Arin schnaubte. »Ich sehe aus wie eine verkleidete Krähe.«

»Allerdings eine sehr elegante.« Ihr Lächeln erhellte den Saal. »Aber ernsthaft, warum mögt ihr eure Flügel nicht? Sie sind wunderschön. Und einzigartig.«

Weil sie ein deutliches Zeichen für Männlichkeit waren. Nymphen hatten keine Flügel und führten das Land. Kaum ein Satyr mochte den unnötigen Flitter, der sie als zweitklassige Gattung stigmatisierte. Aber wie sollte das eine Nymphe verstehen, deren Leben von Verantwortung und Macht geprägt war.. »Lenk nicht ab, meine Liebe. Was stört dich? Sprich mit mir.«

Ihr Zögern verunsicherte ihn mehr, als er zugeben wollte. »Ich gebe ungern die Kontrolle ab.«

»Welche Kontrolle?«, hakte er nach. Sie sprach mit ihm und band ihn ein. Das war doch ein gutes Zeichen.

Ihre Stirn legte sich in zarte Falten, während sie in der nächsten Tanzbewegung seine Schritte spiegelte. Kurz mussten sie sich trennen und jeder einen Kreis beschreiten, dann bewegten sie sich wieder aufeinander zu. »Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich geführt werde.«

Ihre Worte verblüfften ihn so sehr, dass er beinahe seinen Einsatz verpasste. »Du möchtest selbst führen?« Das Tanzen war ein Vertrauensbeweis, einer der ganz wenigen Situationen, in denen ein Satyr glänzen durfte. Reichte ihr der Nymphenstatus nicht?

Ihr erneutes Seufzen kitzelte an seinem Hals. »Nein. Ich tanze nur nicht gerne.«

Es waren nur fünf Worte, ein kleiner unscheinbarer Satz. Dennoch machte er Arin unfassbar traurig. Er wusste, dass seine Reaktion übertrieben war. Nicht jeder liebte den Tanz so wie er. Aber für ihn zeigte es deutlich, dass er für seine Braut niemals mehr als Zuneigung empfinden, ja, dass die Nähe einer Seelenverwandtschaft ihm versagt bleiben würde. Die letzten Noten der 'Nachtschattensymbiose' verklangen und er führte Sumse von der Tanzfläche.

Sobald sie zu den Stühlen am Rande des Raumes zurückkehrten, wirkte Sumse deutlich entspannter. Sie schwebte förmlich neben ihm, aber ihm war die Feier plötzlich zuwider.

Die lauernden Blicke ihrer Verwandten bedrückten ihn nicht weniger als die Erwartung, die er in den Gesichtern seines eigenen Hauses sah. Er war der Sohn der ersten Handelsmeisterin und heute war es an ihm zu zeigen, welches Wasser in seinen Adern floß.

Sumse schien zu merken, dass nun er es war, der etwas auf dem Herzen trug. Statt ihn zu den Gästen zu führen, um über langweilige Themen zu plaudern, zog sie ihn in eine Nische, die so schmal war, dass sie beide kaum darin Platz fanden. »Also, was stimmt nicht?«, flüsterte sie.

Er schenkte ihr ein halbes Lächeln. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Die Wand schien mit jedem Atemzug näher zu kommen. »Ich weiß es nicht.«

Prüfend sah sie ihm ins Gesicht. Als sie sich abrupt abwandte, hörte er, wie die Ringe in ihrem Haar klapperten. Sie griff nach einem Wandteppich, den er bisher nur für Dekoration gehalten hatte. Dahinter offenbarte sich eine unscheinbare Tür.

Ein muffiger Geruch umfing ihn, als sie seine Hand umfasste und ihn in den dunklen Eingang zog. Mit dem Schließen der Tür umgab sie Finsternis Sein Herz pochte hektisch. Was hatte sie vor? Sie standen in einem schmalen Gang, nein, einer Zwischenwand. Nachdem sich seine Augen an die geänderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, bemerkte er die Lichtpunkte in Höhe seiner Schultern. Das waren keine Punkte. Jemand hatte Löcher in die Wände gebohrt. Zur Belüftung? Oder zum Spionieren?

Bevor er Sumse danach fragen konnte, legte sie einen Finger an ihren Mund und führte ihn weiter. Nach wenigen Metern standen sie erneut vor einer Tür, durch die sie hindurchschlüpften. Jetzt roch es nach Essen. Vermutlich war die Küche nicht weit. Sumse grinste, offenbar machte ihr dieser ungeplante Ausflug Spaß.

Nun, er verspürte zumindest Neugier. Nie hätte er gedacht, dass unter der beherrschten Fassade von Sumse Weidensang etwas Wildes schlummerte.

Sie erreichten eine schmale Tür. Sumse bedeutete ihm zu warten, öffnete den Ausgang und schaute hindurch. Auf leisen Sohlen schlüpfte sie hinaus und winkte ihn zu sich. Der Ballsaal lag weit hinter ihnen. Seine Verlobte stich sich mit beiden Händen über Haar und Kleider, obwohl er keine Unregelmäßigkeiten bemerkte. Dann setzten sie ihren Weg fort. Der blank geflieste Boden schimmerte und spiegelte das Licht von Fackeln, die in regelmäßigen Abständen an den Wänden befestigt waren, wider.

Plötzlich schubste sie ihn in einen Nebengang. Arin verdankte es nur seinen Reflexen, dass er nicht stolperte. Ein Klappern war zu hören. Einen Augenblick später eilten zwei Dienstboten an ihnen vorbei und trugen dabei schwer beladene Platten. Weder er noch Sumse bewegten sich und die Diener waren zu beschäftigt, um von ihrer Last aufzusehen. Ein Gong ertönte und kündigte ein Mitglied des Königshauses an, das gerade eintraf. Sumse ließ sich nicht beirren und leitete ihn weiter.

Das Gebäude glich einem Labyrinth. Hier stiegen sie eine Treppe hinauf, dort liefen sie eine Galerie entlang und schließlich kamen sie in einem unbenutzten Bürotrakt an. Nur einmal wurden sie von einem Diener entdeckt und Sumse winkte dem verblüfften Mann zu, bevor sie gemeinsam fortstürmten. Sie benahmen sich wie mehr wie Jungfische, als reife Aristeaner.

Mit jedem Schritt, der sie weiter vom Ballsaal entfernte, hatte er sich freier gefühlt. Nun standen sie vor Sumses eigener Tür. Ein bronzenes Schild mit ihrer Namensrune prangte mitten auf dem Holz.

Sie zog einen kleinen Schlüssel aus ihrer Tasche, mit dem sie aufschloss. Natürlich. Nachdem das Floratium auch ihr Arbeitsplatz war, kannte sie hier jeden Weg. Mit einer einladenden Bewegung verbeugte sie sich und hieß ihn in ihrem Reich willkommen.

Arin sah sich interessiert um. Der große Raum besaß hohe Fenster und eine wunderschöne Stuckdecke. Die Wände waren hellbraun getüncht, wie es eine Waldnymphe wohl liebte. In der Mitte stand ein massiver Schreibtisch aus Mitternachtsholz. Sowohl die Schreibfedern als auch die Unterlagen lagen akkurat nebeneinander. Entweder hatte sie nicht viel zu tun, oder sie war sehr ordentlich. In einer Ecke des Büros stand ein gemütliches Sofa mit zwei passenden roten Sesseln. Auf dem Tisch eine leere Karaffe nebst sauberen Kristallgläsern.

Mit einer lässigen Geste bedeutete Sumse ihm, Platz zu nehmen.

Arin legte seine Flügel eng an, ehe er sich auf den linken Sessel setzte, mit dem Rücken zur Wand.

»Hier ist es ruhiger.« Sumse ließ sich auf den anderen Sessel fallen. »Wir sollten uns endlich einmal unterhalten. Also, allein.« Ihr Lächeln sah schelmisch aus, offenbarte mehr Tiefe, als er ihr zugetraut hatte. Sie zwirbelte eine ihrer roten Locken zwischen den Fingern und legte den Kopf schief, um ihn ausgiebig zu mustern. Es erinnerte ihn an einen Fuchshund, der gerade Witterung aufnahm. »Ich tanze also nicht gern. Und ich würde jede Wette darauf eingehen, dass du keine Volksmassen magst.«

Nun, soweit sie sich auf Aeraner in seiner unmittelbaren Umgebung bezog und nicht auf Publikum, lag sie richtig. Als Tänzer blühte er vor den Zuschauern auf, aber sobald er etwas sagen sollte, fühlte er sich unsicher und gehemmt. Er atmete tief ein. Es war klar, was er tun musste. Freundliche, verbindliche Worte finden. Für die Häuser, die Familie und seine Zukunft.

»Ich kann das nicht.« Verblüfft schlug er sich die Hand vor den Mund. Was war denn da passiert? Woher kam das? Das hatte er nicht sagen wollen.

Auch Sumse zwinkerte irritiert.

»Es tut mir leid«, fügte er hinzu und wusste selbst nicht, was er meinte. Tat es ihm leid, dass er es überhaupt gesagt hatte, oder das er tatsächlich so empfand?

Ihr Gesicht wurde ernst, jegliche Emotion verschwand und zurück blieb eine Frau, deren Stimmung schwer einzuschätzen war. Sie schien im Gegensatz zu ihm genau zu wissen, was er meinte. »Ich vermute mal, du sprichst nicht über deine Unterhaltungsfähigkeiten?«

Ein Gefühl der Enge breitete sich in seinem Hals aus. Schlucken half nicht. Hilflos musterte er die leere Karaffe. Was würde er jetzt nur für ein Glas Wasser geben. Er versuchte die passenden Worte zu finden, brach dann ab und konnte nur mit dem Kopf schütteln.

»Oje«, seufzte Sumse. »Das ist jetzt etwas unerwartet.« Für eine Braut, deren Hochzeit gerade zu platzen schien, wirkte sie ziemlich gelassen. »Und nun?«

Ein Plan nahm vor seinen Augen Gestalt an. Nein, kein Plan. Ein Traum. »Ich werde gehen.«

Sumse starrte ihn an. Ein Moment, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam, verging. Sie griff nach seiner Hand und er fühlte einen warmen Druck. Zustimmung? Zuneigung?

Er wusste es nicht. Aber er genoss die Geste.

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