25. Machtspiele

Der Fuß unter Sumses schwerem Rock wippte unruhig auf und ab. Es gab so viel Wichtiges zu tun. Sowohl die Kammer für Grünflächen und Waldbedürfnisse als auch das Rätsel um den Brand im Meer der Tränen benötigten ihre Aufmerksamkeit. Ein Spielenachmittag im gläsernen Palast stand definitiv nicht auf ihrer Prioritätenliste.

Dennoch war sie hier und machte, wie es Mutter erwarten würde, ein freundliches Gesicht. Auch wenn es schwerfiel. Jonain Wellentänzer legte nachdenklich die Stirn in attraktive Falten. Seine manikürten Finger glitten von einer Karte zur nächsten. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sich zwischen seinen Ohren mehr befand als Holzspäne. Von Anfang an war Jonain ein Favorit ihrer Mutter gewesen, Arin war nur ein Kompromiss gewesen. Natürlich bot Jonain mit seinem gepflegten Bart, den glatten Haaren und dunklen Knopfaugen einen angenehmen Anblick. Die Ottermerkmale waren unauffällig, sein Verhalten tadellos und er war so langweilig, dass sich ihre Fingernägel aufstellten, wenn sie Zeit mit ihm verbringen musste.

Mit einem breiten Lächeln wählte er die Eichel sieben. Sehr gut. Damit wäre das Trauerspiel in wenigen Zügen beendet.

»Nanana«, erklang es plötzlich hinter ihr. »Ihr wollt Sumse doch den Sieg nicht etwa schenken, oder?«

Sumse atmete tief ein, bevor sie aufstand, um sich vor dem Neuankömmling zu verbeugen. »Bise Sollea. Welch eine Ehre, dass ihr euch dem Spielenachmittag anschließt.« Von allen Mitgliedern des Königshauses konnte Sumse die junge Waldnymphe am Wenigsten leiden. Sie war aufdringlich, besserwisserisch und unhöflich. Auf ihrer Schläfe prangte das goldene Symbol, dass sie als Auserwählte der Götter kennzeichnete. Eine deformiertes Muttermal, dass in Sumses Augen eher ein verkrüppelten Tanne als dem Pfeil glitt, als der es bekannt war.

Jonain hatte sich ebenfalls erhoben, um Bise zu begrüßen. »Ich wäre erfreut, wenn ihr mir ein paar Tricks verraten könnten, ehrenwerte Sollea«, murmelte er, während seine Lider hektisch flatterten.

Hinter Sumses Stirn fing es an zu pochen. Selbst vor Bises Aufnahme ins Haus Sollea waren sich nicht gut miteinander ausgekommen. Ständig legte sie es darauf an, sich mit Sumse zu messen.

Ihre einzige Gemeinsamkeit war wahrscheinlich, dass sie beide nicht gerne verloren.

»Natürlich helfe ich euch gerne«, erklärte Bise und schob einen weiteren Stuhl an ihren Kartentisch.

Wie sollte sie vorgehen? Einerseits galt es als unhöflich, eine Sollea zu besiegen. Als ob sie durch den Segen der Götter ein Anrecht auf Sieg und Triumph hätten. Andererseits widersprach es Sumses tiefster Überzeugung, absichtlich zu verlieren.

Der Ottersatyr sank elegant auf seinem Stuhl zurück und hing an Bises Lippen. Die Ehre ihrer Aufmerksamkeit gefiel ihm zweifellos.

»So. Zunächst solltet Ihr eine Verteidigungsstrategie aufbauen.«

Ein sinnloser Vorschlag, der den Untergang der Eicheln lediglich verzögerte. Zögernd griff Jonain zu Eichelkrone, doch Bises Kopfschütteln hielt ihn zurück. Mit ihrer spitzen Nase deutete sie zu seinem Zepter, das er mit sichtbarer Erleichterung anlegte.

Die Sollea glich in diesem Moment einer trägen Falbkatze, die sich sicher war, die Maus in der Falle gefangen zu haben.

Auch wenn der Zug unzweifelhaft die Krone verteidigte, öffnete er doch auch einen neuen Angriffspunkt. Sumse legte ihre Blume vier vor die drei. Die zartblauen Blüten verschwanden hinter der goldenen Zahl. Vielleicht nicht die stärkste Karte, aber sie war unzweifelhaft hübsch. Ohne eine Miene zu verziehen, wartete sie ab.

Bise legte den Kopf schief, als sie die Möglichkeiten überdachte. Es verwirrte sie, dass Sumse nicht ihrer Erwartungshaltung gefolgt war. »Bist du dir sicher?«, fragte sie nach.

»Natürlich.« Der spitze Unterton würde wohl nur ihrer Mutter auffallen.

Bise schnalzte, dann zeigte sie auf die Dornenranke. Eilig folgte Jonain der königlichen Aufforderung.

Das Spiel der Sollea war klassisch, nicht wirklich schlecht aber weder voraussehend noch kreativ. Sumse vervollständigte eine Reihe mit der Blumenkrone und zog neue Karten.

Endlich schien Bise zu begreifen, dass Sumse ihr den Sieg nicht schenken würde. Ihre hellen Augen glühten vor Wut. Aus ihrem Retikül zog sie einen Fächer, mit dem sie hektisch wedelte.

Ihr Tisch zog Aufmerksamkeit auf sich. Weitere Nymphen traten zu ihnen. Bise beugte sich vor und studierte Jonains Möglichkeiten. »Nehmt die Ranke fünf«, entschied sie schließlich.

Sumse unterdrückte ein Lächeln. Es war beinahe zu einfach. Die Nymphen neben ihr wichen ein Stück zur Seite und machten Platz für zwei hochgewachsene Satyrn. Jeder von ihnen hatte ein Königsmal. Teriin und Markin Sollea.

Jonain erblühte unter der Aufmerksamkeit. Es fehlte nicht viel und er würde vor lauter Begeisterung umfallen. Wieder erhob sich Sumse, um es den Anderen gleichzutun. Als sie sich wieder aufrichtete, nickte Teriin ihr freundlich zu. »Sumse. Schön, dass ihr es einrichten konntet.« Seine dunkle Haut schimmerte im Schein der Nachmittagssonne, die durch die bodentiefen Fenster in den Kartensaal schien. Dieses Mal war ihr Lächeln aufrichtig.

»Teriin Sollea. Markin Sollea. Es tut gut, Euch zu sehen.« Markin umgab sich wie üblich mit einer unnahbaren Ausstrahlung, erwiderte ihren Gruß jedoch mit einem Nicken. Während Teriins Satyranteil der einer Schattenkatze war, ging Markins Besonderheit auf einen Waschbären zurück. Seine Augen waren dunkel, aufmerksam und nur das dünne helle Fell an seinen Augenbrauen und über dem Mund sorgte für Akzente. Sumse wusste, dass sich die beiden Solleas wie richtige Brüder nahestanden.

Markin studierte das Spielfeld. Sein kurzes Zucken freute Sumse. Offenbar hatte er ihren Plan durchschaut. Hübsche Satyr-Diener wanderten an den Spieltischen vorbei, um die Hochwohlgeborenen mit Getränken zu versorgen. Die Häuser hatten ihre jüngsten und talentiertesten Kinder geschickt, um bei einer Partie Ranke Bündnisse zu schließen. Alles war ein Spiel. Die schimmernde Oberfläche verbarg in den meisten Fällen nur das völlige Fehlen von Ambitionen und Fähigkeiten. Nur eine Handvoll Nymphen hatte eine Position im Floratium und abgesehen von den Satyrn des Hauses Sollea hatten die Männer keine Mitspracherecht.

Bise zog einen Schmollmund, tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe und sorgte dafür, dass Jonain die Eichelkrone versetzte. Markin schüttelte leicht den Kopf, während Teriin bereits das Interesse am Spiel verloren hatte und mit Gazalie Brandtfinder schäkerte. Die zierliche Feuerfee galt als Favoritin des schwarzhaarigen Solleas.

Es wurde Zeit, diese Scharade zu beenden. Auch wenn ihr der Sieg mit Sicherheit ein unangenehmes Gespräch mit ihrer Mutter einbringen würde. Aber Jonain kam als Partner einfach nicht in Frage. Gerade als sie die Blumengöttin an ihre längste Kartenreihe anlegen wollte, hörte sie ein leises Rufen über das Gemurmel der Anderen hinweg. »Herrin Weidensang?«

In der Tür stand Michin. Sumse sah gerade noch, wie der Bärensatyr einer vorbeieilenden Dienerin eine Leckerei vom Tablett schnappte und sie unauffällig verstaute. Als er merkte, dass sie bereits auf ihn aufmerksam geworden war, zwinkerte er gut gelaunt. Ihre Wachen wussten, dass nur ein wichtiger Zwischenfall sofort an sie herangetragen werden sollte. Mit einem entschuldigenden Lächeln stand sie auf. »Es tut mir leid, dass ich das Spiel unterbrechen muss. Offenbar benötigt das Floratium meine Dienste«, erklärte sie.

Es war nicht verwunderlich, dass Bise hochnäsig schnaubte. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie nicht noch Zeit für einen letzten Zug hätte. Aber im Ergebnis überwog die Erleichterung, dem gläsernen Palast endlich entfliehen zu können.

»Nun, dann haben wir wohl gewonnen«, zirpte Bise und lächelte selbstgefällig.

Doch Markin kam einer Antwort zuvor. Der Sollea nahm wie selbstverständlich auf ihrem Stuhl platz. »Wenn Ihr es gestattet, würde ich gerne das Spiel für die ehrenwerte Sumse beenden.«

Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Sumse von den Solleas und überließ Jonain der hoheitlichen Aufmerksamkeit. Markin würde Bise in Grund und Boden stampfen, ein wesentlich zufriedenstellenderes Ergebnis als alles, zu dem sie selbst in der Lage gewesen wäre. Bises gezwungenes Lächeln wirkte so steif, dass zu befürchten stand, es würde Risse bekommen.

Ihr Herz klopfte vor Erwartung, als sie über das edle Dunkelholz schritt. Michin bot ihr einen Arm an und führte sie hinaus.

»Beim Blättersegen, sag mir, dass etwas wirklich schlimmes passiert ist«, seufzte sie leise.

Der Bärensatyr zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Es gab Unruhen am Blumenmarkt. Die Goldwachen haben einige Festnahmen durchgeführt.«

Sie eilten durch einen gläsernen Gang in Richtung Eingangshalle. »Danke, dass du die Augen aufgehalten hast.« Auch wenn der Ausblick auf die umliegenden Wald wunderschön war, konzentrierte sich Sumse auf die Worte ihrer Wache. »Goldwachen? Warum nicht die Steingarde?«

Ein paar Dienstboten wichen ihnen aus. »Das weiß ich nicht, Herrin. Aber es wird interessant sein, die Hintergründe zu erfahren, nicht wahr?«

»Zweifellos«, bestätigte Sumse. Es war ein gutes Gefühl, das Kartenzimmer mit all seiner Arroganz hinter sich zu lassen.

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