15. Familienpläne
Während Sumses Käfer bei ihrer Rückkehr freudig mit seinen Fühlern zirpte, sprach der starre Gesichtsausdruck von Konstantin von Problemen.
»Was gibt es?«, fragte sie, als sie ihm ihren zappelnden Chitinfreund abnahm und in Richtung ihres Ankleidezimmers eilte. Normalerweise nahm sie den Kleinen nicht mit ins Büro, allerdings würde sie heute eine Ausnahme machen. Es war so eine Ahnung, glich mehr einem unguten Gefühl, dass dieser Tag ein paar ungute Überraschungen bereit hielt.
»Einer der neuen Dienstboten ist nicht zur Arbeit erschienen.«
Normalerweise war dies ein Problem, um das sich Fin, ihr Haushofmeister, kümmerte. Dass es vom Hauptmann der Wache an sie herangetragen wurde, war unüblich. »Wer?«
Im Ankleidezimmer verschwand sie hinter einem Paravent, setzte Bucci auf das rauchgraue Käferkissen und schlüpfte in eines der walnussfarbenen Wickelkleider, das sie an Arbeitstagen im hohen Floratium trug.
»Sein Name ist Elain Feuerfuss.«
Sumse runzelte die Stirn. Mit der Zunge strich sie an ihren Zähnen entlang. Das Bild eines jungen Mannes tauchte auf. »Ein Feuerfeender.« Hellbrauner Haut und einer frech anmutende Zahnlücke. »Ich erinnere mich an ihn.«
Konstantin schnaubte. »Ihr erinnert euch an jeden Dienstboten, Herrin.«
Als Antwort zuckte Sumse mit ihren Schultern. Details zu kennen, war nun einmal ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit.
»Fin hatte ihn als Küchenhilfe eingestellt. Man war sehr zufrieden mit seiner Arbeit, doch seit gestern ist er nicht mehr ins Hohehaus gekommen. Eins der Küchenmädchen wollte schauen, ob er vielleicht krank ist. Sie hat Fin heute morgen berichtet, dass seine Unterkunft leer ist. Weder von ihm noch seinen Mitbewohnern gibt es eine Spur.« Konstantin ging auf und ab, immer über ihren Grasteppich hinweg. Die armen Halme waren schon ganz eingestampft.
»Welches Küchenmädchen?« Sumse tippte mit einem Zeigefinger gegen ihr Handgelenk.
»Naine.«
Eine Wiesenymphe, die seit mehreren Jahresringen in ihren Diensten stand. Auch wenn Naine noch jung war, hatte sie bisher Zuverlässigkeit und Loyalität gezeigt. »Du hast die Informationen des Küchenmädchens überprüft?« Aus dem Schmuckregal nahm sie ihre Amtskette, dann drehte sie ihre Haare zu einem festen Haarknoten auf.
»Das habe ich. Bei meinem Eintreffen säuberte der Vermieter die Räumlichkeiten. Man hätte ihm gesagt, dass die Dienstboten zurückgekehrt seien.«
»Zurückgekehrt?« Bucci fiepte zu ihren Füßen. Sie kam seiner Bitte nach und setzte sich den grünblauen Käfer auf die Schulter. Ein letztes Mal kontrollierte sie die Verschnürungen der Brustbänder im bodentiefen Spiegel, der eine Wand des Zimmers bedeckte. Alles saß an der richtigen Stelle.
Konstantin öffnete ihr die Tür des Zimmers. »Das waren seine Worte.«
Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinab. Michin wartete in der Eingangshalle, bereit für einen erneuten Ausflug. In der Luft hing der Duft nach Bienenwachs, Moos und Aufregung. Etwas würde passieren. Der Bärensatyr grinste, als er Bucci auf Sumses Schulter entdeckte und griff in seine Tasche. Zweifellos, um den Kleinen mit irgendeiner Leckerei zu ködern.
Konstantin zögerte. Es gab wohl noch etwas, das ihm noch auf der Zunge lag.
Sumse kontrollierte die Besuchskarten, die in ihrer Abwesenheit abgegeben worden waren. Nachdem sie nur einige Einladungen auf einen nachmittäglichen Ahorsaft vorfand, ließ sie die Schale zurück, um nach ihrem Beutel zu greifen.
»Ich habe eine Nachricht von meinem Bruder bekommen. Es scheint zu Unruhen zu kommen«, erklärte Konstantin, als sie an seiner Seite zur Pforte schritt.
»Ich verstehe.« Ein brisantes Detail. Konstantins jüngerer Bruder hatte sich von seinem Haus losgesagt und arbeitete auf Aeras anderer, dunkleren Seite. Zu ihrem Hauptmann pflegte er nur oberflächliche Kontakte, zumindest soweit es Sumse bekannt war. Diese Nachricht konnte kaum etwas Gutes bedeuten.
Bucci zirpte auf ihrer Schulter. Ein Ton, der in der großen Halle seltsam schallte.
Mit einem Blick gab sie Michin zu verstehen, dass er vorausgehen konnte. Sie nahm ihren leichtesten Mantel, bevor sie ihrer Tagwache mit gemächlichen Schritten folgte. Als sie das Herrenhaus verließ, drehte sie sich ein letztes Mal zu Konstantin um. »Schau dich einmal um. Wenn sich irgendetwas in Aera zusammenbraut, möchte ich das wissen.«
Die Fahrt zum Floratium dauerte nur eine halbe Kerze. Sumse warf immer wieder prüfende Blicke aus dem Fenster. Areas Bewohner gingen ihren ganz normalen Tagesabläufen nach. Dienstboten, die für die Damen der Gesellschaft Aufträge oder Einkäufe durchführten. Ein paar Mitglieder der Steingarde, die an einem Brunnen zusammen standen und scherzten. Alle trugen die gleiche graue Uniform, während ihre Haare aus dem unterschiedlichen Spektrum des Waldes stammten: Rostrot, dunkles Gelb und das tiefe Braun der Bäume.
Die Geschäfte waren gut besucht und zwischen den Ästen der alten Bäume drang sogar etwas Sonnenlicht bis zu ihnen hinunter Vor einem bewachsenen Gebäude blieb die Kutsche stehen. Auch ohne die Ranken wäre das Floratium ein beeindruckendes Gebäude gewesen, aber dank der Pflanzen glich es mehr einem Lebewesen, als einem Gebäude. Über dem Eingang hielt das Abbild der Flora Wache. Michin hielt ihr die Tür auf und reichte ihr eine Hand, um Sumse beim Aussteigen zu helfen. Der Kutscher würde sie in ein paar Kerzen wieder abholen.
Durch ihren Ausflug war Sumse spät dran, aber daran würde sich niemand stoßen. Auch wenn ihr Arbeitsgebiet nur einen kleinen Teil der Waldgesundheit betraf, konnte sie ihre Zeiten frei einteilen und beriet die anderen Ressorts mehr, als das sie ihnen unterstand. Das Portal öffnete sich und ließ sie trat ein, Michin immer einen Schritt hinter ihr.
Das Innere erinnerte an einen Bienenstock. Überall klapperten Absätze über den blanken Boden und gedämpftes Murmeln ergab eine ganz eigene Stimmung. Vielleicht lag es an ihrem Dienstalter, aber die hohen Hallen stellten fast noch mehr eine Heimat für sie dar als ihre Villa. Dieser Ort, die Geschäftigkeit und das immerwährende Trippeln der Boten glich einem Puls, der sich mit ihrem Herzen verband.
Während sie in einen der hell getünchten Gänge abbog, ging sie in Gedanken ihre Prioritätenliste durch. Der Konsul, der das Ressort für Stadtplanung und Nachpflanzungen leitete, wartete auf eine Auflistung der Kosten für die Erweiterung im Osten, nahe des Flußheim-Viertels. Aera wuchs, da immer mehr der Waldbevölkerung in die Hauptstadt strömte. Wohnraum war schlicht schwer zu bekommen. Je tiefer sie ins Floratiums vordrang, desto opulenter wurde der Stil. Die untere Hälfte der Wände war mit Holz ausgekleidet, die obere mit den Bildern wichtiger Persönlichkeiten behangen. Gerade eilte sie an Waldomir Grünherz, dem vierundreißigsten Gildenmeister der Glasbläser vorbei. Waldomir sah immer deutlich missmutiger aus, als seine Nachbarn und wie immer unterdrückte sie den Drang, ihm die Zunge herauszustrecken.
»Ich werde heute viel zu tun haben.« Michin zwinkerte einem jungen Dienstboten zu, bevor er sich wieder ihr zuwandte. Ihre Mundwinkel hoben sich, als die Katzenohren des Jungen interessiert zuckten. »Ich möchte, dass du mit den Boten sprichst. Versuche herauszufinden, was man im Floratium über die Rebellen weiß.«
»Gerne, Herrin«, antwortete Michin, als sie in den Gang einbogen, in dem sich Sumses Büro befand. Vor vier Jahresringen hatte der Konsul sie aus seinem Beraterstab ausgewählt und ihre Hingabe und den Arbeitseifer mit einem eigenen Arbeitszimmer belohnt. Das Messingschild neben der Tür versicherte ihr jedes Mal aufs Neue, dass es sich wahrhaftig um ihr eigenes Reich handelte. Mit einem Lächeln auf den Lippen holte sie kleinen Schlüssel aus ihrer Tasche und steckte ihn ins Schloss – doch sie spürte beim Drehen keinen Widerstand.
Mit einem sanften Ruck zog Michin sie zur Seite. Ihr Käfer hakte seine Krallen durch den Stoff an ihrer Schulter, als Sumse abrupt gestoppt wurde. In einem Wimpernschlag verwandelte sich ihr entspannter Begleiter in eine professionelle Wache. Mit einer Hand auf dem Schlagholz an seiner Seite trat Michin ein und versperrte Sumse dabei den Blick ins Innere.
Ungeduldig beugte sie sich zur Seite. Ihr massiver Schreibtisch sah so aus wie immer, alles wirkte tadellos in Ordnung. Aus Richtung des Sofas hörte sie das Klappern einer Tasse. Ein feines Geräusch, das aber trotzdem ihren Herzschlag beschleunigte.
Michin salutierte und nahm Haltung an. Kein gutes Zeichen.
Sumse seufzte. Es gab nur eine Person, die ihrer Tagwache eine vorschriftsmäßige Verbeugung abnötigen konnte. Noch bevor sie sich dem Besucher zuwandte, öffnete sie die Garderobentür des Wandschranks und hängte ihren Mantel auf und setzte Bucci auf den Bügel.
Das Tassenklappern nahm eine ungeduldige Note an.
Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, trat an Michin vorbei und setzte sich auf das dunkelrote Sofa.
Die Nymphe, die ihr gegenüber auf einem der roten Sessel saß, hätte ihre Schwester sein können. Kein graues Haar wagte sich aus dem strengen Haarzopf.
Im Geiste verabschiedete sich Sumse von den weiteren Tagesplänen. »Was kann ich für dich tun, Mutter?«
Konsulin Seidensang, Leiterin des Ressorts für Baumgesundheit, nippte ein weiteres Mal an einem Honigtee. »Ich habe eine Liste mit weiteren möglichen Kandidaten verfasst.«
Natürlich. Der Umgang mit ihrer erfolgreichen Mutter wäre einfacher, wenn die Konsulin ihr nicht jedes Mal das Gefühl geben würde, noch ein Hänfling zu sein. Natürlich ging es nach dem Hochzeitsdebakel mit Arin darum schnellstmöglich eine passende Partie zu finden. Ein neuer Satyr, eine neue Familie. Eine Chance auf eine Enkeltochter, um den Ruhm der Sangs auszubauen. Sumse seufzte erneut. Wäre es wirklich zuviel verlangt gewesen, ein Mitspracherecht zu bekommen? Was würde das nur für ein schönes Gespräch werden.
Ein zartes Klopfen an der Tür ertönte. Michins Ohren zuckten, bevor er öffnete und Sumse strich die feuchten Innenflächen ihrer Hände an den Beinen ab.
»Erhabene Seidensang? Ein Treffen der Handelsfürsten erfordert Ihre Aufmerksamkeit.« Der Wieselsatyr ihrer Mutter streckte seinen Kopf durch die Tür. Mit flinken Augen wanderte sein Blick zwischen ihr und der Konsulin entlang.
Sumses Mutter runzelte nur die Stirn. Eine winzige Bewegung, doch der Neuankömmling schluckte sichtbar. Ein Wimpernschlag verging, bevor die Konsulin ihre Tasse auf den Tisch stellte und sich erhob. Mit einem kurzen Nicken übergab sie Sumse einen Zettel, dessen eng beschrieben Zeilen ihren Magen zum Hüpfen frachten. »Ich habe dir eine Liste geschrieben. Wir werden uns darüber später unterhalten.« Ohne sich noch einmal umzuschauen, verließ Sumses Mutter das Arbeitszimmer.
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