13 - Besuch
Die Eisfeder würde ihn nicht foltern, das hatte Dain in ihren Augen gesehen. Ob der perfekten Nymphe vielleicht das Zeug fehlte, um sich die Hände richtig schmutzig zu machen?
Auch wenn Dain bewusst war, dass er in einer mehr als düsteren Situation steckte, kostete er diesen kleinen Sieg aus. Viel mehr blieb auch nicht zu tun, seit ihn die beiden Frauen verlassen hatten. Wenigstens hatte die Wassernymphe noch seine Kette gelockert und ihm einen Eimer vor die Füße geschmissen.
Der Wurzeleintopf, den jemand gegen Abend mit einer Schale Wasser durch den Türschlitz schob, war ein weiteres gutes Zeichen, denn: Wer verschwendete schon Essen an Todgeweihte? Es schmeckte erstaunlich gut. Dain entdeckte verbranntes Gemüse und sogar ein Ei, das verloren in der Brühe schwamm. Eigentlich war das Mahl sogar das Beste, was er in den letzten Wochen gegessen hatte. Vielleicht sollte er sich häufiger einsperren lassen?
Zumindest speiste er besser als die restliche traurige Rebellentruppe, die sich noch in den Höhlen aufhielt. Dain umfasste den klobigen Holzlöffel fester. Der Gedanke vertrieb seinen Appetit. Als er nach seiner Berufung zum Hüter der Flamme das Amt niedergelegt hatte, um als Anführer den Widerstand zu leiten, war ihm der Gedanke an die Versorgung seiner Rebellen nicht wichtig erschienen. Wie naiv er damals gewesen sein musste.
Von draußen drangen die Geräusche von Holzarbeiten an sein Ohr. Es wurde gesägt, geflucht und gehämmert. Natürlich war es möglich, dass dort nur ein neues Spielzeug für die Eisfeder entstand. Aber es könnte auch ein Galgen sein.
Nein, er würde sich hier nicht verrückt machen lassen. Er stand auf, um seine Beine auszuschütteln, humpelte zum Eimer und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Es war finster in der fensterlosen Zelle. Nur unter der Tür quoll etwas Licht in sein Verlies. Die Felswände und die Dunkelheit erinnerten ihn ein wenig an seine Höhle im Wald. Nur dass er sich dort zu Hause fühlen konnte und es besser roch. Glücklicherweise funktionierte seine Feensicht wieder. Zuerst war er unsicher gewesen, ob er sie nutzen sollte, aber es war immer besser, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen, als sich von ihnen regieren zu lassen.
Langsam wurde es Zeit, sich mit seinen näheren Problemen zu befassen. Dain folgte seiner Nase zu einem weiteren Gefäß, das abgedeckt in einer Ecke stand. Mit den Fingerspitzen hob er den tönernen Deckel an, bereit jederzeit loszulassen. Zu seinem Glück war der Topf leer. Der Geruch war brakig. Wahrscheinlich war nicht jeder der vorherigen Insassen zielsicher gewesen, aber der Druck auf seiner Blase wurde unangenehm, so dass er keine Wahl hatte.
Gerade als er seine Hose geöffnet hatte, hörte er Schritte. Sein Zeitgefühl hatte durch seine Ohnmacht gelitten, dennoch wäre er jede Wette eingegangen, dass es mitten in der Nacht war. Nachdem ihm nichts anderes übrig blieb, konzentrierte sich Dain darauf, in den Topf zu treffen. Als er fertig war, quietschen die Türscharniere.
Das Licht aus dem Gang umgab den Besucher, fast wie flackernder Feuerschein. Die Gestalt trug einen Schal, den sie um Gesicht und Kopf gewickelt hatte, so dass es unmöglich war, Rückschlüsse auf die Identität zu ziehen. Trotzdem, der Schwung der Hüften und der stumme Vorwurf, den er in der Luft schmeckte, deutete auf eine Frau.
»Hallo«, grüßte Dain, während er seine Hose schloss. »Ich hatte gar nicht mehr mit Besuch gerechnet.« Auch wenn er keine Augen unter der Kapuze sehen konnte, lag es auf der Hand, dass seine Worte gewogen und beurteilt wurden. Er lächelte.
War das ein Schnauben? Die Frau ging mit langsamen Schritten auf ihn zu. Dabei wogte ihr Körper wie eine schlanke Weide hin und her. Schließlich war sie ihm so nahe, dass er ihren Geruch einatmen konnte. Veilchen und Vanille. Es war ein warmer Duft, der ihn an einen schattigen Wald erinnerte. Die Nymphe griff nach Dains Hand. Warme Finger fuhren über seine Haut bis zum Metall. Wenn er beim Geruch noch geschwankt hatte, die Berührung verdeutlichte, wer da vor ihm stand.
»Hast du Sehnsucht nach mir, Nymphchen?«
»Halt die Flügel still, Feender«, murmelte Sumse, ohne von den Ketten aufzublicken. Hoffentlich hatte sie den Käfer nicht dabei.
Dain warf einen Blick zur offenen Tür, dann zurück zu der gebeugten Gestalt. »So sehr ich mich auch freue, dich zu sehen - was genau machst du hier?«
Mit einem Klicken öffnete sich das Schloss. Die Nymphe warf ihm einen selbstzufriedenen Blick unter dem Kapuzenrand zu. Einen Dietrich sah er nicht, aber eine Waldnymphe konnte natürlich ein Stück Holz nach eigenen Wünschen formen. Fauler Zauber.
»Nach was sieht es denn aus? Ich helfe dir, auszubrechen!« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. Sie langte nach seiner Hand, zögerte für einen Wimpernschlag und zupfte auffordernd an seinem Ärmel.
Verblüfft folgte er ihr. Sie verließen die Zelle und er musste blinzeln, als er in den Gang hinaus trat. Der Fackelschein blendete ihn. Als er seine Feensicht zurückfuhr, traten wieder die Farben seiner Umgebung in den Vordergrund. Das goldene Licht des Feuers, der braune, festgetretene Boden und der weinfarbene Ton von Sumses Umhang. Sie eilte voraus, ihre Füße hinterließen kaum ein Tapsen auf der Erde. Immer wieder kamen sie an Wandbehängen vorbei, die jemand am kahlen Stein angebracht hatte. Bilder wichtiger Nymphen, geschichtsträchtiger Ereignisse und sogar Szenen von Hinrichtungen säumten seinen Weg. Hier wurde darauf Wert gelegt, die Passierenden einzuschüchtern. Dem Brennen in seinen Muskeln zum Trotz richtete er sich auf und dehnte seine Flügelhäute, so weit die Enge um ihn herum es zuließ.
Dains Beine kribbelten bei jedem Schritt und ihre Geschwindigkeit war mühsam. »Warum?«, flüsterte er, während er sich neben sie schob.
Die Nymphe hielt nicht an, auch wenn er sicher war, dass sie ihn verstanden hatte.
An der nächsten Ecke reichte es ihm. Sumse hatte nicht die Kraft, um ihn weiter zu ziehen. Um das Zittern seiner Beine zu kaschieren, lehnte sich Dain an den Rand eines Wandteppichs, auf dem die nymphische Urmutter einen Weidenstab über ihre Kinder hielt.
Mit einer wütenden Bewegung riss sich Sumse die Kapuze vom Kopf und drehte sich zu ihm. »Sei kein Staubhirn! Komm, oder willst du, dass sie dich hängen?«
Soviel zu seiner Hoffnung, man hätte keinen Galgen gebaut. Dennoch, er steckte in dieser Situation, weil er sich nicht genau informiert hatte und beim Lachenden Gott, so leichtfertig würde er nie wieder sein. »Warum?«
Sumse sah aus, als ob sie auf etwas Widerlichem herumkauen würde. Ihre roten Locken hatten sich gekräuselt, als ob sie von innen heraus glühen würden. »Dich retten? Weil ich nicht an die Todesstrafe glaube. Wenn du tatsächlich etwas weißt, das Arin retten könnte, wäre es falsch, dich hinzurichten.«
Bevor er antworten konnte, raschelte der Vorhang. Die Eisfeder schob sich hindurch. Ihr Haar war zu einem silbernen Knoten zusammengefasst, das in einem deutlichen Gegensatz zu Sumses wilder Erscheinung stand. Deutlicher konnte man den Unterschied von Wald- und Wassernymphen nicht hervorheben. Im Fackelschein leuchteten die Augen der Leibmarschallin mehr grau als blau und ihre Miene sprach von kühler Entschlossenheit. »Es ist nicht an dir, das zu bestimmen!«, fauchte sie Sumse an.
Die Waldnymphe machte einen Satz zurück und drückte sich mit dem Rücken gegen die Steinwand. Ihre Brust hob sich, als sie tief einatmete. Es dauerte nicht einmal einen Herzschlag, dann verschwanden alle Emotionen hinter einer unbeweglichen Miene. »Nurise! Was machst du hier?«
»Den Ausbrecher einfangen und seine Komplizin enttarnen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie konntest du nur so leichtfertig sein? Gerade du!« Die Temperatur im Gang sank merklich. »Weißt du überhaupt, wer er ist?« Ohne hinzuschauen, deutete die Eisfeder mit ausgestrecktem Finger auf Dain.
Auch wenn er ab und an schon davon geträumt hätte, wie sich zwei Frauen um ihn stritten, so war die Situation weit weniger anziehend, als in seiner Fantasie.
»Sollte ich?«, antwortete die Waldnymphe.
»Das da«, der Finger der Eisfeder beschrieb einen kleinen Kreis, der ihn einzufangen schien, »ist der Anführer der Rebellen.«
Die Masken fielen also. Es fühlte sich gut an, endlich erkannt worden zu sein. Gut, auch wenn es sein Schicksal besiegeln würde. Die Schlinge um seinen Hals war beinahe fühlbar. Er trat einen Schritt vor, um eine Verbeugung anzudeuten.
Schneller als erwartet, wirbelte die Eisfeder zu ihm herum, schirmte Sumse ab und setzte einen Fuß zurück für einen stabilen Stand. »Spiel dich nicht auf.« Ihre Stimme glich einem Wind aus dem Norden, wie er ab und zu durch Aristea fegte. »Du herrschst über ein leeres Haus. Wie viele Rebellen gibt es noch. Drei? Fünf?«
Elf. Aber er war zu stolz, um zu antworten.
»In letzter Zeit höre ich immer häufiger von Rebellen. Welche Rebellen? Ganz ehrlich Nurise, wenn von ihnen eine ernsthafte Gefahr für Aristea ausgehen würde, hätte das Floratium nicht bereits davon gehört?«
Auch wenn die Waldnyhmphe es wohl nicht beabsichtigt hatte, berührte ihre Überheblichkeit einen Nerv. Eine Welle aus Scham wogte gegen Dains brennenden Stolz und drohte, ihn wegzuschwemmen. Wann war er von einem der führenden Feen zu einem Niemand geworden? Dain ballte seine Hand, unfähig, die richtigen Worte zu finden.
»Ihr wisst auch nicht alles.« Die Eisfeder schaute auf das gewebte Bild neben ihm, als ob von dem Bild der Urmutter Hilfe zu erwarten wäre.
»Grimmige Borke«, zischte Sumse. »Rebellen hin oder her, er könnte ein ganzes Heer anführen, das ändert nichts an den Tatsachen.«
»Welche Tatsachen?«
»Dass er derjenige ist, der den Schlüssel zur Heilung deines Bruders tragen könnte.«
Die Eisfeder erstarrte, glich einmal mehr einem Spiegelbild im Wasser. Es dauerte zwei Atemzüge, bevor sie wieder sprach. »Fein. Dann sage mir, Dain, was könntest du tun, um meinen Bruder zu retten?«
Es juckte zwischen seinen Flügeln, doch er ließ sich nicht ablenken. Jetzt galt es, seine Ideen in möglichst überzeugende Worte zu kleiden. »Ich habe das Gift von einer Hexe. Dort wird es auch das Gegenmittel geben.«
»Und was würde uns das kosten?«, fragte die Eisfeder leise.
»Nur meine Freiheit.«
Aus der Richtung, in der sie unterwegs waren, ertönten Stimmen. Jemand kam näher.
»Entscheide dich, Nurise«, drängte Sumse. »Das Gesetz oder das Leben deines Bruders.«
Die Eisfeder verharrte, während die Stimmen immer lauter wurden.
Sollte er sein Feensprech einsetzen? Dain zögerte.
Die legendäre Eisfeder rümpfte die Nase, drehte sich um und zog den Vorhang zur Seite.
Dain folgte den beiden Nymphen in den Gang zwischen dicken Mauern. Ein interessanter Ort, wenn man von den Wachen nicht gefunden werden wollte. Es war irgendwie paradox, dass die Eisfeder als Nationalheldin derartige Gänge benötigte, während er, ein Kind der Schatten, davon nicht einmal gehört hatte. Das Pochen hinter seiner Stirn wurde schwächer. Zwischen den Mauern war genug Platz, sowohl für ihn als auch die Eisfeder, die ihn um eine gute Handbreit überragte. Ab und an fanden sich Schlitze in den Wänden, durch die Luft hineinströmte. Wahrscheinlich waren sie auch gut geeignet, um Verhöre zu belauschen oder Opfern die Möglichkeit zu geben, ihre Angreifer zu identifizieren. Es glich einem Ameisenhaufen. Dain zählte seine Schritte und achtete auf jedes Merkmal, das ihm eine Rückkehr erleichtern würde.
An einer der zahllosen Weggabelungen drückte sich Sumse an ihm vorbei, um mit der Eisfeder zu reden. Die Worte waren zu leise, um sie zu verstehen. Die Wassernymphe schüttelte immer wieder den Kopf, bis sie schließlich stehen blieb, mit ihrer Hand über die Augen wischte und seufzte. Beide Frauen starrten sich an.
»Dann machen wir es so.« Das Flüstern der Eisfeder hatte etwas erschreckend Endgültiges.
Sumse kostete ihren Erfolg nicht aus, sondern legte der anderen Nymphe in einer tröstenden Geste beide Hände auf die Unterarme. »Ich werde dir helfen, so gut ich kann.« Die Eisfeder deutete auf eine Abzweigung und Sumse verschwand. Unerwartet. Er würde das Beste aus der Situation machen müssen.
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