12. Gefangen
Eine Welle aus Schmerz weckte Dain. Sie schwappte mit roher Macht über ihn hinweg. Nur mühsam gelang es ihm, seine Übelkeit zu kontrollieren. Wenn er allerdings näher über den Geschmack auf seiner Zunge nachdachte, so war er zumindest einmal gescheitert. Sein Gesicht fühlte sich wund an, seine Augen verklebt. Er wollte sich aufsetzen, doch das dumpfe Pochen in seinem Kopf hielt ihn zurück. Wo war er?
Vorsichtig hob er eine Hand. Sie fühlte sich schwer an, als ob eine Kette sie nach unten zog. Sogar ein Rasseln war zu hören. Dann begriff er, dass es tatsächlich ein Eisenring war, der seiner Hand die Bewegungsfreiheit nahm. Seine Augen funktionierten nicht richtig. Als ob er durch einen Schleier sehen musste. Die Länge der Kette reichte aus, um seinen Kopf zu betasten. Seine Haare waren verklebt. Blut? Mit zusammen gebissenen Zähnen suchte er weiter. Niemand hatte ihm die Augen verbunden, daher musste seine Sehbehinderung von etwas anderem stammen. Seine Finger fuhren vorsichtig über seine Stirn. Er zuckte zusammen, als er eine große Beule ertastete. Das erklärte einiges.
Dain blinzelte mehrmals, doch es half nichts. Seine anderen Sinne würden aushelfen müssen. Der Duft von Holz umgab ihn. Nun, von Holz und vielen anderen eher unschönen Gerüchen. Das hatte er doch schon einmal gerochen?
Unter ihm befand sich harter Steinboden. Er lag auf dem Bauch, doch seine Füße ruhten auf einer nachgiebigen Schicht. Mit der Hand tastete er vom Hals an seinem Körper entlang und spürte in Höhe seiner Hüfte ein paar grobe Rindenstücke. Die Kette hielt ihn zurück, als er seine Beine untersuchen wollte. Dain bewegte seinen Fuß.
Wenn sein Kopf nicht sowieso schon schmerzen würde, so hätte Dain ihn auf den Boden gehauen. Er war im Gefängnis. Was war er doch für ein Staubhirn.
Er konnte nur seine Atmung hören, die Stille um ihn herum war drückend. Ob er allein war?
»Nun, offenbar ist der Attentäter endlich aufgewacht«, begrüßte ihn eine kalte Stimme.
Das beantwortete dann wohl seine Frage.
Stück für Stück richtete sich Dain auf, drehte sich, so dass er zumindest aufrecht sitzen konnte. Die Fesseln hielten ihn am Boden. Alles drehte sich, aber dank eisernen Willens hielt er stand. »Ich bin kein Attentäter.«
Ein Schatten trat in sein Blickfeld. »Du hast versucht, bei mir einzubrechen«, stellte die Stimme fest.
Damit war also geklärt, wer da vor ihm stand.
»Und es wäre ihm vielleicht gelungen, wenn ich dich nicht benachrichtigt hätte«, fügte eine weitere Frau hinzu.
Dain bewegte seinen Kopf in Richtung der zweiten Stimme. »Nympchen! Wie schön, dich zu sehen.«
Ein wütendes Fauchen schlug ihm entgegen, begleitet von einem tieferen und wesentlich bedrohlicherem Laut. Es war erstaunlich, was diese zierlichen Wesen von sich geben konnten, wenn sie sich aufregten.
Dain antwortete mit einem breiten Lächeln.
»Reize mich nicht, Attentäter.« Die Eisfeder stupste seinen Fuß mit der Spitze ihres Stiefels an. Eine winzige Bewegung, deren Erschütterung dennoch eine weitere Schmerzwelle verursachte.
Er behielt sein Lächeln bei, auch wenn es ihn beinahe auseinander riss. »Wie ich schon sagte, meine Damen. Ich bin kein Attentäter. Es handelt sich hierbei doch nur um ein Missverständnis.«
»Ein Missverständnis, wobei ihr euch in meine Privaträume verirrt habt?«
Sumse schnaubte. »Er scheint keinen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb zu besitzen. Ich meine, wer bricht schon bei jemandem ein, der seinen Lieblingswaffen Namen gibt?«
Dieses Detail kannte er noch gar nicht. Abgesehen davon, was war schon dabei? Würde er solche Hilfsmittel brauchen, täte er es wohl auch.
Die Eisfeder ignorierte Sumses Einwurf und schwieg. Etwas klopfte, ein feines Geräusch, das ihn unangenehm berührte. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er auf einen Käfer getippt, dessen Chitinpanzer gegen etwas stieß. Glücklicherweise gab es diese Viecher nicht in Gefängnissen. Schritte ertönten und eine seiner beiden Wärterinnen setzte sich in Bewegung.
Mit ernster Stimme sprach Sumse weiter. »Nun, vielleicht habt Ihr auch eine interessante Erklärung parat, wie es zu der Vergiftung meines Verlobten kam.«
Die Nymphe stoppte kurz, kam dann zurück Irgendjemand schien nervös zu sein. »Ehemaligen«, stellte Dain fest.
Beinahe konnte er sich den irritierten Gesichtsausdruck der Waldnymphe vorstellen. »Was?«
»Nun, ehemaligen Verlobten.«
»Stopp.« Die kalte Stimme der Eisfeder unterbrach das schöne Spiel. »Du wirst mir jetzt meine Fragen beantworten. Als erstes: Wo ist Arin?«
So viel zu seiner Hoffnung, diese Information von der Schwester selbst zu bekommen. Was war nur los mit den heutigen Familien? Warum kümmerte sich niemand um seine Verwandten? Dains Hand fuhr durch den Holzschnitt am Boden. Nun, wenn er genauer darüber nachdachte, war es nachvollziehbar, dass sie seinen Aufenthaltsort nicht kannte. Wäre es seine Schwester gewesen, so hätte er sie auch nicht besonders nahe in seinem Leben haben wollen.
»Hat Sumse dir nicht gesagt, dass ich ihn selber suche?«
»Warum?«
Diese Frage war schwer zu beantworten. Dain fuhr sich mit der Zunge über die die trockene Haut seiner Lippen. Von Anfang an hatte er sich mit diesem Auftrag unwohl gefühlt. Schließlich war er ein Rebell. Man konnte ihn auch Dieb, Räuber oder auch einen Verräter nennen. Aber keinen Mörder. Und würde es um seine Leute nicht dermaßen schlecht stehen, hätte er diese Linie auch niemals überschritten. Doch nun war er hier; war selber betrogen worden. Als ob der Lachende Gott Dain für die getroffene Entscheidung bestrafen wollte. Er würde es wiedergutmachen müssen, soviel stand fest. Würden sie es verstehen? »Ich habe meine Meinung geändert.«
»Grimmige Borke, das ist Schwachsinn! Wer ändert denn seine Meinung einfach so? Wer sind deine Auftraggeber?« Sumses grünlicher Schatten ging auf und ab, während der helle Umriss der Eisfeder einfach nur vor ihm stand, um auf ihn herabzusehen. Kein angenehmes Gefühl.
»Das weiß ich wirklich nicht genau.« Jetzt fühlte er die ungeteilte Aufmerksamkeit von beiden Frauen. »Ich habe ein paar Ideen. Hinweise, wenn man es so nennen will. Aber keinen Namen.«
»Wer plant denn einen Mord, ohne die Hintergründe zu kennen?« Sumse klang fassungslos. Aus ihrer Perspektive musste er wie das größte Staubhirn aller Zeiten klingen.
»Nun«, begann er, um jedoch gleich von der Eisfeder unterbrochen zu werden.
Es musste ihr Fuß sein, der den Druck gegen seine Fußfessel erhöhte. Schmerz biss zu. »Hör mit deinen Spielchen auf, Feender.«
Sein Kopf ruckte, versuchte sie zu fokussieren, aber es gelang nicht. Warum konnte er nichts erkennen?
Der weiße Schemen beugte sich vor, nahm sein Kinn in ihre Hand und bewegte sein Gesicht so, dass er sie direkt anschauen musste. Zumindest war da ein großer heller Fleck mitten in seinem Sichtfeld. Was hatte sie vor? »Warte«, murmelte sie und strich mit ihren Fingern über seine Schläfen. »Er sieht uns nicht.«
»Verstehe.« Ein zweiter Schemen, der sich neben dem ersten bildete. »Sollte uns das stören?«
Die Eisfeder lachte, ein harter Laut, der in der Höhle hallte. »Du überraschst mich. Ich habe dich immer für sanftmütig gehalten.«
Die Waldnymphe knurrte, allerdings ohne die notwendige Tiefe zu erreichen, um bedrohlich zu wirken. Auch wenn sie ohne Frage wütend war, wäre sein Leben in ihren Händen sicherer als in denen der Wassernymphe.
»Wenn er uns nicht sieht, kann ich seine Mimik nicht einschätzen«, erläuterte die Eisfeder mit sanfter Stimme. Ohne Vorwarnung traf ihn erneut etwas am Kopf, diesmal in Höhe der Schläfen. Es wurde begleitet von einem Knacken, das Dain an brechendes Eis erinnerte. Der Kopfschmerz zuckte über ihn hinweg. »Ich kann nicht sehen, wann er lügt.«
Er spürte, wie sich seine Sicht veränderte. Der Schleier verschwand. War das seine Feensicht gewesen? Vielleicht hatte sie sich irgendwie durch den ersten Schlag verhakt.
Dain brauchte einen Moment, versuchte den Schmerz wegzuatmen. Dann hob er den Kopf und blickte zu den beiden Nymphen. Eigentlich sah er vier davon, nachdem sich zwei aber ähnlich sahen, war es wohl eine Nachwirkung von was auch immer. Vielleicht sogar von dem blauen Nachtwein, den er in der Schenke gefunden hatte. Dain schaffte es, wenigstens einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln zu zwingen. Wahrscheinlich zitterten die Ecken. Egal, schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren.
»Hallo, ihr Hübschen.« Er konzentrierte sich auf einen Punkt zwischen den beiden weißhaarigen Zwillingsnymphen. »Vielleicht können wir noch einmal von vorne beginnen. Mein Name ist Dain und ich bin gut im Schleichen. Das ist so eine Sache bei uns Feen. Wir können gar nicht anders und...«
Sumse legte ihren Kopf schief, studierte ihn wie einen elenden Käfer. »Hast du bei dem Schlag was kaputt gemacht?«
»Nein. Ich glaube, er möchte nur witzig sein.« Es wunderte Dain, dass die Eisfeder das Prinzip von Humor verstand, oder überhaupt erkannte. Endlich konnte er Aristeas berühmteste Nymphe einmal genau betrachten. Ihr Gesicht war kalt und schön, wie das einer Puppe. Wo Sumses durch die zarten Sonnenflecken auf ihrer Haut Lebendigkeit ausstrahlte, wirkte die Wassernymphe wie eine Figur aus Eis. Ob es stimmte, dass sie Elysianer mit ihren Blicken einfrieren konnte? Eigentlich wollte er darauf keine Antwort.
Die Eisfeder packte seinen Hals und drückte zu. Dain versuchte zu atmen, aber sie blockierte ihn. Trotz der Kette konnte er ihre Hand erreichen. Dain zerrte, aber der Griff löste sich nicht. Dunkle Punkte bildeten sich vor seinen Augen. Mit jeder Sekunde wurde er schwächer.
»Was machst du?«, zischte Sumse. Sein Blick suchte ihren. Ein Käfer krabbelte unter ihren Haaren hervor und rieb seinen ölig schillernden Kopf an ihrer Wange. Eklig. Sollte das das letzte sein, was er sehen würde?
So schnell wie sie begonnen hatte, ließ ihn die Eisfeder auch wieder los. Ohne ihre kalten Augen von ihm abzuwenden, wischte sie die Hände an ihrer Hose ab. »Ich stelle eine Sache klar: Reize mich nicht.«
Das Schlucken schmerzte. Dain antwortete nicht, sondern beschränkte sich darauf, sie anzustarren. Trotz der Gewalt wirkte sie ruhig, wie die Oberfläche eines Waldsees. Dain stutzte. Irgendetwas an der Eisfeder kam ihm bekannt vor. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Das Gemälde im Gasthof!
Blinzelnd unterbrach Dain den Kontakt. Die beiden Eisfedern waren endlich zu einer verschmolzen und er verglich die Details. Kein Zweifel. Irgendjemand hatte ein Kunstwerk von ihr erschaffen und es in die Schenke gehängt. Warum waren nur alle so vernarrt in sie? Sie war doch auch nur eine gewöhnliche Nymphe.
»Was machen wir mit ihm?«, fragte Sumse, während sie sich der Eisfeder zuwandte.
Diese zuckte nur mit den Schultern. »Nun, das Übliche.«
Moment. Was ging da vor?
Die zierliche Waldnymphe nickte nur. »Verstehe. Aber was ist mit den Hintermännern?«
Was war in solchen Dingen denn das Übliche?
»Er sagt, er weiß nichts. Also müssen wir das gemeinsam herausfinden.«
»Gemeinsam?« Sumses widerlicher Käfer schubberte sich erneut an ihr. Er konnte gar nicht hinsehen. Der Chitinpanzer, die Fühler ... Warum nahm man sich nur sowas als Haustier?
Die Eisfeder fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. »Natürlich. Es war ein Angriff auf beide Häuser. Nach der Hinrichtung werden wir ein paar Steine umdrehen.«
Hinrichtung? Dain schluckte. Seine Gedanken rasten, überschlugen sich und stoben wie Funken durch den nächtlichen Wald. »Wartet mal. Ich weiß vielleicht, wie man ihn retten kann«, krächzte er. Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme rauer als sonst.
Zwei Augenpaare musterten ihn, ein waldgrünes und ein blaues, das so klar wie der Stillsee selbst leuchtete.
Dain jagte seinen Ideen nach, wich Fallstricken aus, bis er schließlich einen Ausweg fand. »Es gibt da diese Hexe.«
Die Eisfeder hob eine eisige Augenbraue an. »Sag mir das Gift und ich werde mich dafür einsetzen, dass du in die Lager kommst.«
Dain schüttelte nur den Kopf. Sein Hals schmerzte, die Beule pochte und mit jeder Welle kämpfte er sich mehr hoch. So billig würde er sich nicht verkaufen. Wankend kam er auf die Knie, drückte erst eins und dann das andere nach oben. Es ging hier um sein Leben und er hatte nur eins.
Die Eisfeder beugte sich vor. Sie war ihm so nahe, dass er kleine silberne Sprenkel in ihren Iriden erkennen konnte. Trotz seiner Größe überragte sie ihn um mindestens eine Handbreit. »Ich könnte dich auch einfach foltern, Dain.«
Niemand würde sein Feuer ersticken! Dain schob sich weiter vor. Es reichte. Die Eisfeder konnte ihn nicht brechen, was auch immer sie auffahren würde. Schmerzen machten ihn nur stärker. Die Antwort fiel ihm leicht und kam direkt aus seinem Herzen. »Versuch es doch.«
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