1. Anwerbung
Der Satyr, der nervös durch die Höhlen schlich, stellte alles dar, was Dain seit seiner Flucht aus der Hauptstadt Aera aus dem Weg gegangen war. Eigennutz, Gier, Arroganz.
Durch die Anwesenheit des Fremden wurden in seinem Inneren tief verschüttete Gefühle erweckt. Das Feuer der Wut, das sich in ihm ausbreitete, hatte er zwar nicht erwartet, begrüßte es jedoch mit offenen Armen. Auf der anderen Seite freute sich wohl niemand über ungeladene Gäste, brachten sie doch regelmäßig Probleme mit sich. Schnell strich er über die Knochenscheiben auf seinem Nasenrücken und atmete tief ein. Der Geruch von Wasser, Algen und Pilzsporen drang in seine Nase. Heimat.
Mit einer Hand fasste der Satyr nach dem feuchten Stein, fuhr über die im Fackelschein schimmernden Kristalladern und hielt inne, als er den Vorhang aus Flechten erreichte. Sein Profil war gut zu erkennen. Die dünnen Lippen des Fremden verzogen sich angewidert, als er das Hindernis zur Seite schob.
Dain folgte ihm in wenigen Metern Entfernung, gerade außerhalb des Sichtbereichs.
Der Satyr schien ein typischer Vertreter seiner Zunft zu sein. Der Stoff der Kleidung wies einen guten, sogar eleganten Schnitt auf. Die Schultern waren gepolstert und seine tierischen Attribute gut in Szene gesetzt. Es war unzweifelhaft, dass der Fremde den Schwanz und die Füße eines Goldwiesels besaß. Die dezenten Bronzetöne seiner Tunika unterstrichen diese Merkmale und es wurde klar, dass der Besucher aus einem ehrwürdigen und vor allem reichen Hause stammte. Aus einer Gegend, in der man sich niemals nach Feinden umdrehte oder sich verfolgt fühlte. Was also wollte er hier?
Dain schob sich durch den Flechtvorhang, ohne das ein Rascheln ihn verraten hätte. Seine Mühe war jedoch grundlos, denn auf der anderen Seite übertönte ein lautes und regelmäßiges Poltern alle Geräusche. Ob dem Fremden klar war, dass er sich einem gigantischen Wasserfall näherte?
Der Satyr packte die Fackel in seinen Händen fester und setzte seine Schritte immer langsamer, je mehr sie sich ihrem Ziel näherten. Sein uneingeladener Gast hatte Angst. Gut so. Schließlich umrundete der Fremde die letzte Biegung und blieb abrupt stehen, als die Versammlungshöhle in Sicht kam.
Dain konnte das gut verstehen, schließlich bot die Höhle einen unglaublichen Anblick. In der Mitte fiel das Wasser durch eine Öffnung in der Decke hinab in den großen See, der fast ein Viertel der Höhle ausmachte. Nebel stieg an der Stelle auf, wo das Wasser auf die schäumende Oberfläche traf. Vom Rand hingen fluoreszierende Ranken herab und tauchten die Umgebung in Grün- und Gelbtöne. Die Barden behaupteten, es erinnere an Sternenglanz, aber da Dain nur selten den Himmel über den Baumkronen gesehen hatte, konnte er nichts dazu sagen. Um das Gewässer führte an der rechten Seite ein Pfad entlang, schmal und glitschig. Neben dem Wasserfall boten ein paar Seile Halt, damit ein versierter Kletterer senkrecht die mit Eisenklammern versehene Felswand erklimmen konnte. Das alles war für den Fremden natürlich nicht genau auszumachen, aber die Seilbrücken, die dort ihren Anfang nahmen und über den See gespannt waren, konnte niemand übersehen. Sie führten in den oberen Teil der Höhle, den Wohnbereich. Es war ein geschützter und gut zu sichernder Ort, an dem die Rebellen lebten. Im Angriffsfall könnten sie die Brücken einfach zerstören und waren unangreifbar, solange sich niemand von oben abseilte. Oder zu ihnen hochflog. Alles in allem war Dain mit der mystischen Wirkung seiner Heimat zufrieden. Nun wurde es Zeit, herauszufinden, was einen Adligen aus Areas Elite zu den Rebellen führte. Lautlos trat er hinter den Fremden und räusperte sich.
Der Besucher zuckte und sträubte sein hellbraunes Fell. Es vermittelte das Bild, als hätte er sich in einem Sturm aufgehalten oder seine Nase ihn zu einem Ort geführt, an dem sie sich eindeutig nicht wohl fühlte. Ohne eine Miene zu verziehen, begnügte sich Dain damit, streng auf den kleineren Besucher hinabzustarren.
Dieser blinzelte mit seinen braunen Knopfaugen. »Bist du Dain Funkenschlag, aus dem Haus der Feuerfeen?« Die Stimme des Fremden hatte eine piepsige Note.
Dain wartete, kostete den Moment so lange aus, bis er den ersten Schweißtropfen auf der Stirn seines Gegenübers erkennen konnte. »Es gibt hier keine Häuser«, erklärte er schließlich.
Der Satyr schluckte und Dain bemerkte ein angespanntes Zittern am Kehlkopf. Ein Schlag an diese Stelle, mit der richtigen Stärke ausgeführt, und dieser Besuch wäre für alle Zeiten beendet. Über dem Geruch von Wasser nahm Dain eine andere, neue Note wahr. Ein scharfer, saurer Duft breitete sich zwischen ihnen aus. Der Gestank von Angst. Dain lächelte und zeigte dabei die nadelspitzen Zähne, die genauso wie die schimmernden Flügel das Erkennungsmerkmal seiner Rasse waren. Feuerfeen. Was für ein lyrischer Name für etwas derart Tödliches. Durch eine unauffällige Gewichtsverlagerung näherte er sich dem schwitzenden Gast, der stolpernd einen Schritt zurück machte.
Dain wiederholte seine Bewegung und tanzte mit seinem unaufmerksamen Partner bis zum Ufer des Sees.
Erst das Wasser, das um die Pfoten des Satyrs wogte, ließ ihn zusammenzucken, so dass sein Blick aus aufgerissenen Augen über Dain hinweg jagte.
»Warte«, stammelte der Fremde und hob abwehrend beide Hände. »Mein Name ist Larain Wieselherz. Ich bin nur Federführer, nicht mehr als ein Bote. Mit einem Auftrag. Für Meister Funkenschlag.« Jegliche Arroganz, die das Wieselherz beim Betreten seines Refugiums noch besessen hatte, war nun zu Asche verbrannt.
Mit einer eleganten Bewegung drehte sich Dain, so dass sein Umhang flatterte. Hoffentlich reichte das schwache Licht der Ranken aus, um dem Satyr ein gewisses Maß an Wohlstand vorzutäuschen. Es wäre fatal, wenn scharfe Augen unter dem Stoff die Flicken entdeckten. Oder die zerfaserten Seilenden, die von der Brücke herabhingen. Rebellen hatten furchteinflößend zu sein, nicht hungernd und erbärmlich. Dain kannte seine Rolle. Vielleicht war sein Ruf nicht so legendär wie der von Kasin, dem Schlächter oder der Eisfeder, aber einen einfachen Satyr einzuschüchtern, war seine leichteste Übung. Mit dem Rücken zum Wieselherz gönnte er sich ein kurzes Schmunzeln. Seine Mutter hatte immer behauptet, er besäße ein gewisses Talent für das Theater. Es war schade, dass sie die Wahrheit in ihren Worten gerade nicht sehen konnte.
»Ein Auftrag.« Seine Stimme strahlte nicht den leisesten Hauch von Interesse aus. »Was daran könnte nun für Meister Funkenschlag von Belang sein?«
»Nun, wir haben Geld ... «, flüsterte das Wieselherz.
Das ist wichtig. »Das ist nicht wichtig.«
»Viel Geld!«
Umso besser. Dain wandte sich ab und zupfte sich ein unsichtbares Staubkorn vom Ärmel.
Der Satyr stockte. »Ihr seid Meister Funkenschlag oder? Der Feender.«
»Es gibt nicht viele männliche Feen. Ich hätte damit gerechnet, dass Euch das Offensichtliche früher auffällt.« Dain verschränkte die Arme vor der Brust. »Weißt du überhaupt, was Rebellen sind?«
»Aufständische«, hauchte der Eindringling. Die Antwort war in der Nähe des Wasserfalls nicht zu verstehen, aber Dain hatte das Wort schon so oft gehört, dass er die Lippenbewegung erkannte.
»Falsch.« Dains Knurren fiel rauer als beabsichtigt aus. Dann drehte er sich um und lief zurück zu dem Flechtvorhang.
Der Fremde war am Ufer des Sees zurückgeblieben und wusste scheinbar nicht, was er tun sollte.
Mit einem auffordernden Nicken befahl ihn Dain an seine Seite und das Wieselherz folgte eifrig. Hinter dem Vorhang war es ruhiger. Die dicken Stränge und die Windungen des Ganges dämpfen die Akustik. Dain führte seinen Gast den Gang entlang und dann in eine dunkle Nische.
Das Wieselherz zischte überrascht, als er den schlichten Empfangsraum erblickte. Die Rebellen hatten diese natürliche Höhle gefunden und lediglich ein paar Möbel hineingestellt. Es war eng, beinahe bedrückend an diesem Ort, aber der Sinn lag nicht darin, dass Besucher sich wohlfühlten. In einer Glasschale, die auf einem Regal an der Wand stand, leuchteten ein paar Pilze. Ihr Licht wurde auch hier nur insoweit eingesetzt, dass es verhüllte, was niemand sehen sollte.
Dain setzte sich so, dass für sein Gegenüber nur das rötliche Schimmern seiner Augen unter der Kapuze zu erahnen war. Er ließ das Feuer in sich auf niedriger Stufe brennen.
Unterwürfig eilte das Wieselherz zum anderen freien Stuhl, direkt gegenüber. Ein Knarren, dann hatte der Satyr Platz genommen.
»Wir wurden nicht verstoßen, zumindest nicht von vorneherein. Wir haben eurem Königshaus, den Sollea, den Rücken gekehrt, weil wir das System verabscheuen.«
Unter Protest richtete sich das Wieselherz auf. »Aber ...«
»Euch verabscheuen!« Dain streckte seine langen Beine aus und gab seinem Körper die Möglichkeit, mehr Raum in der Höhle zu beanspruchen. »Die Gier der Häuser ist es doch, die das Volk auszehrt. Mit eurer verdorbenen Politik beutet ihr die Schwachen aus. Euer ganzer Reichtum begründet sich auf Hunger und Not.« Und es war mehr als das. Die Nymphen, die eigentlich Aristeas Schutz und Wohlstand gewährleisten sollten, wirtschafteten in ihre eigenen Taschen. Über allem stand das Königshaus, das immer wegsah, wenn es einer seiner Lieblinge zu weit getrieben hatte. Keine Konsequenzen, keine Gerechtigkeit. »Ihr widert mich an.«
Der Satyr krallte eine Hand in das Fell seiner Oberschenkel. Seine Tunika war hochgerutscht und offenbarte magere Schenkel. Nun, nicht wirklich mager, eher untrainiert. Langsam. »Hört zu«, begann das Wieselherz erneut, zögerte und schien erst jetzt zu bemerken, dass ihm Dain seinen Namen gar nicht genannt hatte. »Es ist auch für Euch wichtig. Hört mir bitte zu. Durch eine Verbindung sollen sich die Häuser des Waldes und des Wassers annähern. Wenn sich die Familien verbinden, wenn die Politik und der Handel näher zusammenrutschen, sich Aufträge zuschanzen, wird das Volk weiter leiden. Auch deine Leute.«
Dain lehnte sich zurück und überdachte die Worte des kleinen Wiesels. »Die beiden Häuser sind verfeindet.«
»Ja, bis Ihre Majestät den Plan fasste, mit einer Vereinigung die Fehde aus der Welt zu schaffen, war das auch so.«
Das Wieselherz hatte nicht Unrecht. Auch wenn sich die Feindschaft der Häuser auf Arroganz und Überheblichkeit begründete, musste das nicht von Dauer sein. Es war nie gut, innerhalb der eigenen Häuser Nachwuchs zu bekommen. Die verkümmerten Fähigkeiten der führenden Elite waren ein gutes Zeichen dafür. Reines Blut war kein Garant mehr, das Königszeich zu erhalten. Nur Vermischung konnte ihnen die frühere Größe zurückbringen. Dies war eine Angelegenheit, die für die Rebellen auch ohne Auftrag von Wichtigkeit wäre. Wenn sich die Häuser verbanden, würden die Starken nur noch stärker werden. So war es damals gewesen, als man ihm angeboten hatte, das Haus des Feuers zu führen. Die Geldsäcke hatten kreativ geworben und keine Kosten gescheut, um Dain für sich zu gewinnen. Sie gierten nach den Schätzen der Erde, über die die Feuerfeen geboten. Doch wofür?
Sein Herz gehörte dem einfachen Volk.
Dain formte seine Hand zur Faust, während er seinen Gast nicht aus den Augen ließ. »Was willst du also, das wir tun?«
Der Satyr zögerte, dann richtete er sich auf und sah ihm direkt ins Gesicht. »Ihr sollt es verhindern. Das ist der Auftrag.«
»Und wie?«
»Endgültig.«
Dain verschränkte die Hände vor der Brust. Die Not seines Volkes und die Gefahren der Stadt. Anschläge waren normalerweise nichts, was er übernahm. Aber wie hieß es so schön? Verzweifelte Zeiten sorgten für verzweifelte Taten. Und wenn es das große Ganze nicht wert wäre, dass er seine Prinzipien verriet, sollte es die Not seiner Getreuen doch wohl sein. »Wer sagtest du, ist dein Auftraggeber?«
Der Satryr räusperte sich. »Nun, er würde lieber geheim bleiben.«
Mit nichts anderem hatte Dain gerechnet. »So so. Würde er das. Nun, kleines Wiesel, dann lass uns einmal über das Geschäftliche reden.«
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