Nobus schwarze Haut schimmerte silbern im Mondlicht. Er lag auf dem Rücken, eine Hand unterm Kopf, die andere drehte gelangweilt eine der kurzen Locs. Shouta musste lächeln. Er wollte etwas sagen, doch als er den Mund öffnete, versagte seine Stimme. Vielleicht musste er nichts sagen. Vielleicht war es in Ordnung, Nobu einfach anzusehen.
Shouta weinte und lächelte. Nobu ließ seine Loc los und sah stattdessen zu ihm. In seinen Augen spiegelte sich der Mond. Hell und silbern. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und seine Zähne blitzten hervor. Er war so schön wie ihn Shouta in Erinnerung hatte.
„Hör auf zu weinen", sagte Nobu. „Es wird alles gut."
Shouta konnte es nicht. Wie konnte es Nobu sein? Nobu war seit Jahren fort...
Aus der Ferne klangen Schreie. Schrill und hoch. Die Glocken läuteten und das Mondlicht wurde rot und flackerte. Rauch schob sich zwischen ihn und Nobu. Dunkel und brennend heiß. Es stank verbranntem Fleisch.
Nobus Lächeln schwand. „Ich will nicht fort."
Die Toten kreischten. Ihre Leiber brannten, Arme und Beine verkeilten sich im Stadttor im verzweifelten Versuch, den Flammen zu entkommen. Nobu lag bei ihnen. Er weinte. Und über das Kreischen hinweg donnerten Tadashis Befehle.
Tote, weiße Hände zogen ihn mit Gewalt mit sich. Zwischen ihnen Gesichter, die Shouta kannte: Ichiro, Kazumi und die Menschen aus dem Bergdorf. Sie konnten nicht hier sein, aber sie waren es.
Nobu streckte seine Hände nach Shouta aus. Er griff nach ihnen. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, dass sie sich berühren konnten, erreichten sie sich nicht. Die Toten rissen ihnen das Fleisch von den Knochen. Shouta kämpfte sich durch sie hindurch, bis er Nobu erreichte. Nur die Hand austrecken...
Das Kreischen schwoll lauter und lauter an und Tadashi schrie mit ihnen. Es waren seine Befehle. Sie dröhnten so laut, dass Shouta, der nichts mehr wollte, als Nobu zu helfen, sich die Ohrenzuhielt und zu sah, wie Nobu fortgerissen wurde. Die Toten zogen ihn in ihre Mitte und begruben ihn unter sich.
Shouta schrie, aber seine Schreie gingen unter, denn die Toten kreischten zu laut und Tadashi schrie mit ihnen.
Die Toten wandten sich zu Shouta. Eine wabernde, stöhnende Masse. Sie waren langsam, doch Shouta konnte sich nicht bewegen. Sie waren zu laut und ihr Kreischen verbrannte ihn.
Sie zerrissen seine Kleidung. Sie drückten ihn zu Boden und begannen, ihn zu würgen. Sie taten ihm weh, wie es einst Tadashi getan hatte.
Shouta stand im Flammen, Nobu war fort und die Toten verschlangen die Welt.
„Shouta."
Die Toten kreischten.
„Shouta, wach auf!"
Das Feuer brannte erbarmungslos.
Jemand rüttelte an ihm und Shouta fuhr hoch, verhedderte sich im Schlafsack und rutschte fort.
„Der Kamin, vorsichtig!"
Er wurde am Arm gepackt und weggezogen. Shouta riss sich los, verlor das Gleichgewicht und knallte auf seinen Ellenbogen. Der singende Schmerz jagte durch seinen Arm und als er sein Kekkei Genkai aktivierte, überrollte ihn die Wirklichkeit wie eine Lawine.
Es war eisig kalt, sein Arm pochte und über sein Gesicht liefen Tränen. Er war in der Hütte und hier waren keine Toten. Nur Kakuzu, der ihn mit ernstem Blick ansah. Der Kamin glühte schwach, Ruß hatte sich vor ihm angesammelt.
Shouta musste sich zwingen, es zu deaktivieren.
„Tote Menschen", murmelte Shouta, „ich habe von den Toten geträumt. Ein Albtraum."
Shouta rappelte sich auf, ohne Kakuzu ins Gesicht zu sehen.
„Deswegen habe ich dich geweckt."
„Danke." Shoutas Stimme zitterte.
Shouta kramte nach dem Fichtenschnaps. Die Flasche war klebrig vom Met und das Etikett hatte sich beinahe vollständig abgelöst. Er zog den Korken und begann zu trinken.
Er hustete. Fichtenschnaps hatte er schon immer gehasst. „Schlaf weiter."
„Wir müssen bei Sonnenaufgang weiter", setzte Kakuzu an.
Shouta fiel ihm ins Wort: „Ja und deswegen kannst du weiterschlafen!"
„Wenn du dich jetzt besäufst, schaffst du das nicht."
„Doch."
Shouta trank weiter. Der Schnaps brannte in seiner Kehle.
„Das ist lächerlich und du weißt das."
„Was weißt du schon?", konterte Shouta und schluchzte.
„Ich weiß, dass du schlafen und nicht saufen solltest."
Warum musste der Schnaps so furchtbar brennen?
„Betrink dich zumindest nicht."
„Kann nicht anders", antwortete Shouta. Die Tränen nahmen ihm die Sicht und den Atem. „Es hört sonst nicht auf."
Kakuzu schwieg.
„Ist scheiße, ich weiß." Er schluchzte erneut. Es war unmöglich, sich zu beruhigen und die Tränen kamen unaufhaltsam nach. „Alles ist scheiße."
„Shouta."
„Was? Willst du mir sagen, dass alles gut ist, oder was?"
Kakuzu seufzte genervt. Selbst betrunken konnte es ihm Shouta nicht verübeln. Wütend machte es ihn trotzdem.
„Das ist es nicht und ich bin dran schuld! Lass mich trinken, ist das einzige, was ich kann."
Shouta nahm tiefe Züge aus der Flasche und knallte sie auf den Boden. Fichtenschnaps ergoss sich über seine Hand und spritzte auf den Boden.
„Von was redest du überhaupt?"
„Von Nobu, von allem! Was weiß ich?!" Er vergrub sein Gesicht in den Händen.
Lange Zeit war es, bis auf Shoutas Weinen, still.
Kakuzu brach die Stille: „Wer ist Nobu?"
„War", verbesserte Shouta Kakuzu ungehalten. „Er ist tot und es ist meine Schuld!"
Schweigen.
Shouta setzte die Flasche an die Lippen und trank in tiefen Schlucken. Sie wurden taub. „Wir waren zusammen. Keine Ahnung, wie ich ihn verdient hatte..."
Er starrte ins Leere und dachte an Nobu und seine warme Stimme. Daran, wie sie niemanden gehabt hatten, außer sich. An die Schmerzen und ihre Pläne und Hoffnungen. Er hätte wissen müssen, dass es nie funktionieren hätte können.
„Ich war so scheiße doof und konnte mein scheiß Maul nicht halten. Hätte ich..."
Er brach schluchzend ab. Er trank und verschluckte sich und hustete so stark, dass er sich beinahe übergab.
„Ich hätte es besser wissen müssen."
„Shouta."
„Es ist meine schuld."
„Shouta", sagte Kakuzu erneut.
„Es war meine Idee!"
Kakuzu seufzte. „Was war deine Idee?"
„Abzuhauen! Ich hätte mich zusammenreißen sollen!" Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und zum ersten Mal traute er sich, Kakuzu anzusehen. Er sah ihn ernst an und Shouta war sich nicht sicher, ob Abscheu oder Mitleid in seinem Blick lag. Wahrscheinlich war es Abscheu. Shouta verstand das.
Er sah zu Boden. „Natürlich hat er mir geholfen, hab' ja von nichts anderem mehr gesprochen als das ich wegwill."
Kakuzu schwieg weiter.
„Danach ist alles noch schlimmer geworden, Tadashi..." Das konnte Shouta nicht aussprechen. Seine Kehle schnürte sich zu und sein Magen krampfte sich zusammen. „Hab's nicht anders verdient, wenigstens lebe ich noch."
Nobu hatte ihm helfen wollen und am Ende hatte er den Preis für Shoutas Versagen gezahlt. Die Tränen überkamen ihm erneut.
„Ich weiß nicht, von was du redest."
„Du hast ihn gesehen! Denkst du, Sadao hätte mich gehen lassen?"
Kakuzu fuhr sich durch die Haare. „Ich glaube nicht, dass wir jetzt darüber reden sollten."
„Und Tadashi erst recht nie. Er hätte mich niemals gehen lassen..." Shouta kauerte sich zusammen. Alles tat so weh.
„Wie lange ist das her?" Kakuzu war ganz ruhig.
„Zehn Jahre", murmelte Shouta.
„Dann warst du fünfzehn, ein Kind", sagte Kakuzu, nach dem er einige Zeit geschwiegen hatte. „Was hättest du tun sollen?"
Shouta schüttelte seinen Kopf. „Du kennst Tadashi nicht, ich hätte es wissen müssen."
Ihm wurde schlecht und schwindelig. Er presste die Augen zusammen, doch das machte die Erinnerungen schlimmer. Shouta griff zitternd nach der Flasche und trank. Der Alkohol machte seinen Kopf leicht und die Erinnerungen schwer. In dieser Nacht machte er die Schuld nicht ertragbar.
Seine verdammte Schuld. Sakari hatte sie verraten, aber das war vorhersehbar gewesen. Jeder hätte sie verraten können. Sie hatten nie etwas anderes gemacht, als sich gegenseitig in den Rücken zu fallen. Shouta hatte es verdrängt, weil er es nicht hatte sehen wollen.
„Ára hat recht. Ich bin ein beschissener Feigling." Und die anderen hassten ihn zurecht.
„Shouta", sagte Kakuzu leise und stand auf, „leg dich wieder hin. Du brauchst den Schlaf."
„Bleib weg!"
„Pack zumindest den Alkohol weg, du redest Schwachsinn."
„Bleib weg hab' ich gesagt!" Die Panik nahm Shouta die Stimme. Es kam ein Krächzen aus seinem Mund. Er drückte sich gegen die Wand. Er konnte Kakuzu jetzt nicht bei sich ertragen.
„Pack zumindest den Alkohol weg."
„Fass mich nicht an!"
Jetzt blieb Kakuzu stehen. „Ich werde dich nicht anfassen, aber nimm den Alkohol weg."
„Warum?"
„Brauchst du ihn so nötig?" Sorge lag in Kakuzus Stimme und das war schlimmer als Abscheu oder Wut.
Shouta sprang auf. „Schön, wenn du unbedingt willst!"
Er warf die Flasche gegen die Wand. Sie zerbrach nicht, aber der Schnaps lief aus heraus und die Hütte füllte sich mit dem Geruch von Fichtennadeln und Alkohol. Es stank erbärmlich.
„Zufrieden?", schluchzte Shouta. Er wollte Kakuzu anbrüllen, was ihn das überhaupt anging, doch die Kraft verließ ihn.
Kakuzu ging einen Schritt auf ihn zu, Shouta zuckte zusammen und Kakuzu erstarrte in der Bewegung. Er seufzte.
„Nein."
„Gut", sagte Shouta. Er ließ sich fallen, „ich auch nicht."
Er begann wieder zu weinen. Sein Körper erzitterte vor Schluchzen. Er konnte nicht mehr, schon seit Jahren nicht mehr. Er wollte auch nicht mehr. Die Schmerzen übermannten ihn. Sie brannten und zwangen Shouta dazu, sich zu krümmen. Er vergrub sein Gesicht hinter den Armen. Und hätte er die Kraft dazu, hätte er geschrien.
Kakuzu warf ihm seine Decke vor die Füße. „Nimm sie, du unterkühlst sonst."
Shouta brauchte lange, um sie sich umzulegen. Unter dem Rauch roch sie nach Kakuzu.
Stunden später, als die Sonne aufgegangen war, hatte die kalte Luft Shouta beruhigt. Sie hatten bei Sonnenaufgang gepackt und waren ohne viel Worte aufgebrochen. Das war besser so, denn Shouta wusste nicht, wie er über die Nacht sprechen sollte oder ob das überhaupt eine gute Idee war.
Kakuzu schien es ihm nicht übel zu nehmen. Würde es Shouta nicht besser wissen, würde er sagen, dass er sich um ihn sorgte. Er beobachtete ihn. Shouta sah seine Blicke und spürte sie im Rücken, wenn er vor Kakuzu lief, weswegen er sich dazu entschied, neben Kakuzu zu laufen. So war er es einfacher Kakuzus Fußspuren zu verwischen.
In den Bergen konnte sich das Wetter rasch ändern und aus dem Schneesturm, der am vorangegangenen Tag wütete, war klares Wetter geworden. Es war anstrengend wegen der Spuren, aber es machte ihren Weg einfacher und die Sicht klar.
„Wir erklimmen die jetzt die Trollwand", erklärte Shouta, nachdem sie den ganzen Vormittag geschwiegen hatten. Seine Stimme kam ihm leise und zittrig vor. Er räusperte sich.
„Das ist der Name des Bergs?" Kakuzu musterte ihn durchdringend.
„Ja."
Er deutete nach Osten. „Wir sehen gleich das Trolltal, alles hier ist nach Trollen benannt. Man sagt, dass sie hier einst lebten und es nach ihren Vorstellungen geschaffen haben. Deswegen sind die Klippe der Trollwand auch steil, die wollten das, damit sie eine Wand haben, um ihre Opfer an ihr aufzuhängen. Und die ganzen Findlinge, die man hier findet, sind von ihren Wurf-Wettbewerben."
Das Sprechen vertrieb das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. „Bescheuerte Geschichten, ich weiß."
Shouta versuchte zu lachen, doch es gelang ihm nicht. „Und der See hier heißt Trollwanne."
Er brach ab als er in Kakuzus Gesicht sah. Er sah ihn streng an. Shouta wich zurück.
„Ist alles in Ordnung?" „Natürlich", sagte Shouta, „wieso sollte es anders sein?"
„Die Nacht."
Shouta verzog das Gesicht. „Ich hatte einen Albtraum und hab' mich betrunken, das passiert."
Er wandte sich von ihm ab und Kakuzu Blick bohrte sich in seinen Rücken.
„Komm, ich will dir das Tal zeigen!"
Kakuzu seufzte.
Shouta drehte sich um, um zu vermeiden, Kakuzu ins Gesicht zu sehen. „Jetzt komm, das wird dir gefallen. Nur hier hoch!"
Kakuzu folgte ihm um die erwähnten Findlinge herum auf eine kleine Anhöhe. Von hier aus konnte man das gesamte Tal sehen: Wie eine Schlange wand sich es durch das dunkelgraue Gebirge. Unzählige, aktuell gefrorene, Bäche flossen zu einem See, der durch den Schnee kaum zu sehen war. Im Norden türmten sich gewaltige Berge auf und im Osten war das Gelände sanft und hügelig. Hier und da konnte man kleine Dörfer sehen.
„Das ist die Trollwanne", erzählte Shouta und deutete auf den See.
„Aha."
„Es gibt auch eine andere Legende über das Tal", fuhr Shouta fort, „manche sagen, dass eine riesige Schlange mit einem Gott kämpfte. Sie vergiftete ihn, doch bevor er starb, erschlug er sie und sie fiel zu Boden. Die Bäche sind ihre Adern und der See ist ihr Herz."
Kakuzu seufzte. „Das ist es, worüber du reden willst?"
„Ja. Es gibt viele Legenden über die Berge hier. Áras Volk hat noch mehr, aber da kenne ich nicht alle von." Er zwang sich zu einem Lächeln. Es war einfacher darüber zu sprechen, auch, wenn der Gedanke an Ára ihm einen kleinen Stich versetzte.
Kakuzu gab ihm keine Antwort.
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Daddy is back! :D
Es hat länger gedauert, als gedacht, aber ich bin echt in ein Schreibloch gefallen und musste mir erst den kleinen Zeh prellen, um da raus zu kommen, weil ich 2 Wochen lang krankgeschrieben war. Nicht nachmachen, Kids. Das ist es nicht wert, wirklich nicht.
Jedenfalls wollte ich euch nicht länger warten lassen, weswegen heute schon das Kapitel kommt. Außerdem habe ich heute Geburtstag und ich finde es schön, wenn das Update an meinem Geburtstag kommt! Dann fühlen sich die Klicks an wie Geschenke!
Ich werde meinen Upload-Rhythmus erstmal auf alle 3 Wochen ändern, ich habe aktuell keinen Betaleser und habe auch nur noch ein Kapitel vorgeschrieben... 3 Wochen zwischen den Uploads geben mir mehr Zeit zum Überarbeiten und zum Vorschreiben. Ich denke so ab Herbst wird es aber wieder im 2-wöchigen Rhythmus weiter gehen. :)
Und da das das erste Kapitel seit langem ohne Betaleser ist und nach einer längeren Schreibblockade entstanden ist, bin ich ich zu 100% zufrieden, aber ich wollte auch nicht noch mal länger warten, etwa hochzuladen, weil ich nicht glaube, dass sich das zu bald ändert. Also wundert euch nicht, wenn das Kapitel irgendwann mal überarbeitet wird!
Liebe Grüße und lauft ja nicht gegen Türrahmen!
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