𝟏𝟑.𝟐┃𝐁𝐢𝐭𝐭𝐞𝐫𝐞𝐫 𝐓𝐫𝐨𝐬𝐭

[ACE]


Der Kanal führte sie unter einen riesigen, grauen Bogen hindurch, bevor sie in das Hafenviertel gelangten. Ace hatte kurz einen Blick darauf erhascht, als man sie an einer Kette von der Sklavengaleone zum Sklavenmarkt gescheucht hatte. Zum Glück wurden die Sklaven ein ganzes Stück weiter unten verkauft. Bei dem bloßen Gedanken an die stickige Halle wurde ihr übel.

Der Wolkenvorhang riss auf, die Sonne schien durch weiße Nebelschwaden, gab den Blick frei auf den Markt und tauchte die umliegenden Gebäude in Gold. Ephis, die goldene Hauptstadt des Imperiums, erinnerte sie sich, und verstand endlich, warum sie so genannt wurde.

In der Mitte des Marktplatzes stand ein Brunnen, der wie eine springende Forelle geformt war, die Wasser in ein gestuftes Becken spuckte. Auf dem Rand saßen Menschen mit Kragen und nur wenige ohne, aber Ace erkannte, dass sich die Sklaven nur mit anderen Sklaven unterhielten, und die Freien nur mit Freien. Ringsherum waren verschiedene Stände aufgebaut, aber die Hälfte davon war leer. Händler mit frischen Lebensmittel priesen ihre Ware an, aber Salböle, Stoffe, exotische Gewürze, fertige Gerichte und alles andere wurde erst am Abend verkauft.
Am anderen Ende des Platzes sah Ace einen schwarzen Hund, der sich von einer Frau mit einem Schleier um ihre untere Gesichtshälfte zwischen den Ohren kraulen ließ. »Takesch?«, murmelte sie, aber keiner der beiden hörte sie. 

Meliora winkte einem blonden Sklavenmädchen zu, das alleine auf dem Brunnenrand saß. »Hella!« Ihre Stimme schallte über den Markt, was ihr sofort einen scharfen Blick von zwei Eulen einfing, die den Platz überwachten. Aber als sie sahen, dass es bei dem Krach um die Goldene Flamme von Auris Aurelios handelte, wandten sie sich wieder dem freien Weib zu, das sich mit offenem Mieder zu ihnen beugte. 

»Mel! Remus!«, rief das blonde Mädchen zurück. Ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht. Sie stand auf, kam auf sie zugelaufen und sprang in Melioras ausgestreckte Arme. Ace konnte ein genervtes Stöhnen von Remus hören.

»Ich muss dir jemanden vorstellen«, sagte Mel, als sie sich voneinander lösten. »Ace, das ist Hella, unsere Freundin. Wir treffen uns hier fast jeden Morgen. Hella, das ist Ace, sie kommt aus Atraklin.«

Ace lächelte das neue Mädchen schüchtern an. »Freut mich dich kennenzulernen, Hella.«

»Atraklin? Wie wunderbar!« Bevor sie sich wappnen konnte, wurde auch sie in eine stürmische Umarmung gezogen. Uff. Überfordert und angespannt wartete Ace, bis das Mädchen sie freigab. Solch direkter Körperkontakt war in Atraklin ungewöhnlich, gerade am Königshof, wo jede Begegnung mit einer steifen, höflichen Begrüßung anfing. Und doch fühlte sich die Umarmung gut, fast tröstlich. Ace konnte es nicht beschreiben. Hella roch vertraut und fremd zugleich, und als sie zurück trat und in ihre entzückten dunklen Augen sah, wurde ihr ein klein wenig wärmer ums Herz.

»Meine Mutter kam aus Atraklin. Du musst mir unbedingt ein paar alte atrakische Wörter beibringen!«

»Bist du aufgewacht und hast deinen erbrochenen Nationalstolz wiedergefunden?« Remus zwängte sich spottend an ihnen vorbei und hob eine Hand. »Mädchen, ich kümmere mich jetzt um die Einkäufe. Wir sehen uns.«

Als er außer Hörweite war, zuckte Ace mit den Schultern. »Klar, das kann ich gerne machen«, sagte sie, obwohl Hellas Aussage sie stutzig machte. Vor der Eroberung war es Tel'Narae verboten gewesen, Einwohner Atraklins zu verschleppen und zu versklaven, mehr noch, es war Friedensverrat. Elende Bastarde, ihr habt uns die ganze Zeit über betrogen.

»Wie viel Zeit hast du überhaupt?«, fragte Meliora.

»Bis die Sonne heiß wird. Mein Meister ist nicht sehr genau mit Zeitangaben.«

»Das reicht auf jeden Fall. Dort drüben ist der Bäcker.« Sie zeigte auf einen Stand, an dem bereits einige andere Sklaven anstanden. »Du kaufst dir jetzt dein Brot und dann kommst du zu uns zum Brunnen. Ich kümmere derweil um den Kaffee.«

Sie drehten sich um und liefen kichernd zurück zu der springenden Forelle. Einen kurzen Moment blieb Ace stehen und atmete tief durch. So dankbar sie für die netten Worte, die herzliche Umarmung und die Hilfe war, diese Begegnung zehrte an ihren letzten Energiereserven.

Nein, ich habe es geschafft, dachte sie und stellte sich dann hinten an die Schlange. Jetzt das Brot, und ich habe alles getan, was er verlangt hat. 

Aufmerksam beobachtete sie, wie es die anderen Käufer vor ihr machten, denn sie hatte noch nie in ihrem Leben frisches Brot gekauft. Es erwies sich als eine leichte Angelegenheit. Man überreichte dem Mann das Geld, achtete darauf, ihm nicht in die Augen zu sehen, sprach »Ein Laib Brot, Herr« und hinterher ein »Danke, Herr«, und schon war es vorbei. Mit dem Brot in der Hand kehrte sie zu Meliora und Hella zurück, die sich auf den Brunnenrand gesetzt hatten.

»Vorsicht, heiß«, warnte Meliora und überreichte ihr einen Becher. Ace griff danach, als wäre es ein Schatz, den es zu entdecken galt und hob ihn vorsichtig an ihre Lippen. Ihr Atem verfing sich im aufsteigenden Kaffeduft, der nach Aromen roch, die ihr vollkommen fremd waren. Ein Schluck, und eine unerwartete Bitterkeit umspielte ihre Zunge, gefolgt von einer angenehmen Wärme, die sich in ihr ausbreitete.

»Das ist... interessant«, sagte sie und sah zu, wie die anderen Sklaven an ihren Bechern nippten. Sie bemühte sich, ihre Miene nicht zu verziehen. Remus hatte ihr zuvor zwar erklärt, dass Auris Aurelios durch Meliora so reich geworden war, dass es ihn kaum kümmerte, wenn seine Sklaven sein Geld verprasselten, trotzdem wollte Ace ihren Anstand bewahren. Sie unterdrückte den Drang, Meliora neugierig nach dem Preis einer Tasse dieses merkwürdigen Getränks zu fragen und nahm stattdessen noch einen kleinen Schluck.

»Es hat mir zuerst auch nicht geschmeckt.« Hella schien durch ihre Fassade zu sehen. »Aber wenn man es jeden Morgen trinkt, wird man schnell danach süchtig.«

»Ihr trinkt das hier jeden Tag?«

Meliora nickte. »Kaffee am morgen ist einfach unschlagbar. Unsere Vorstellungen sind meistens Abends und dauern bis in die Nacht hinein, deshalb schläft Meister Auris immer den halben Tag. Remus und ich dürfen dann machen, was wir wollen, und ohne Kaffee würde ich herumrennen wie eine Untote.«

Ace legte ihre Stirn in Falten. »Das muss doch anstrengend sein.«

»Oh, es ist anstrengend, aber die Morgenstunden auf dem Markt sind es wert. Du solltest deinen Meister überreden, jeden Morgen hierherzukommen. Hella und ich haben hier immer jede Menge Spaß.« Die beiden sahen sich an und kicherten leise. Es tat gut, ihnen zuzusehen. Sie fühlte sich dabei fast wieder wie ein Mädchen.

»Das wäre schön«, sagte sie und umklammerte den Becher mit beiden Händen. Ob Zoharon sie bald wieder gehen ließ? Vielleicht wollte er sogar, dass sie jeden Tag hierher kam, immerhin klang es so, als wäre es ihm wichtig, sich mit Meliora anzufreunden. Eine Freundschaft lebte von regelmäßigen Treffen, einmal Brot kaufen reichte nicht.

Ace gefiel die Stille und Ruhe des Marktes, mit den wenigen Ständen und Dingen, die es hier zu kaufen gab. Es roch hier nach Knoblauch, scharfem Pfeffer und frischen Fisch, was sie an die Schlossküche in Atraklin erinnerte. Sie sah Sklaven, die Wassereimer, Holz und Leintücher schleppten, und Takesch, der sich von der Frau mit dem Schleier zwischen den Ohren kraulen ließ. Für einen Moment glaubte sie, von ihr beobachtet zu werden, dann lenkte eine Unruhe ihren Blick zurück zum Brotstand. Drei Mädchen drängten sich in der Warteschlange vor, und stießen dabei einen kleinen Jungen mit flachsblondem Haar zu Boden. Ace konnte ihr spottendes Gelächter bis hierher hören.

»Sind das Sklaven?«, fragte sie, denn obwohl die drei Kragen um ihre Hälse trugen, waren sie nicht aus Metall gefertigt, sondern wirkten, als wären sie aus Stoff und Spitze gefertigt worden.

»Nur auf dem Papier«, antwortete Meliora. Sie betrachtete die drei mit stiller, böser Miene. Die Verachtung, die aus ihrer Stimme quoll, jagte Ace einen kalten Schauer über den Rücken. »Das sind Haustiere. Halt dich lieber fern von denen, die wollen dir niemals etwas Gutes.«

Die Bezeichnung machte Ace stutzig. »Haustiere?«

»So nennen wir Sklaven, die von den Reichen wie exotische Sammlerstücke gehalten werden«, erklärte sie. »Sie kommen aus fernen Ländern oder werden gezüchtet, und haben nicht viel mehr zu tun als einfach nur schön auszusehen. Die drei da vorne bezeichnen sich selbst als die Töchter von Lady Sared Sa-Hor-Set, eine ehemalige atrenische Senatorin. Nach Atrens Anschluss an das Imperium musste sie eine politische Zwangsheirat mit General Vicar eingehen, um ihre eigene Haut zu retten. Jetzt weigert sie sich vermutlich, Vicar Kinder zu gebären, oder kann selbst keine eigenen bekommen und sammelt stattdessen diese Exoten.«

Ace horchte bei dem Namen auf. Als Atren an das Imperium fiel, war sie noch ein kleines Mädchen gewesen, aber Sared Sa-Hor-Set galt selbst in Atraklin als eine politische Berühmtheit. Von knapp 100 Senatoren der atrenischen Republik, war sie die einzige, die das Imperium verschont hatte, die einzige, der man erlaubt hatte ein Leben in Tel'Narae fortzuführen. Selbst Ace' Vater hatte zugegeben, dass ihm die Vereinigung von General Vicar und Lady Sared Sa-Hor-Set ein Mysterium war, das er nicht zu entschlüsseln vermochte.

»Siehst du die mit dem violetten Schimmer in den Haaren? Das ist Ceres«, warnte Hella leise. Auch ihr Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. »Sie ist die Schlimmste von ihnen. Sie sagt immer ganz gemeine Sachen zu mir. Einmal hat sie mich unter Wasser getaucht, und wäre Meliora nicht gewesen ... mit Mel legen sie sich nicht an.«

Ace folgte ihrem Blick. »Sie trägt ihr Haar hochgesteckt. Mein Meister hat gesagt, das dürfen nur Freie.«

»Ceres benimmt sich immer wie eine Freie«, erklärte Meliora. Sie strich Hella sanft über ihren Oberarm, um sie zu beruhigen. »Sie sieht auf Sklaven herab, behandelt sie wie Dreck. Sie behauptet, General Vicar wäre wie ein echter Vater zu ihr, deshalb wagen es selbst die Eulen nicht, ihr und den anderen beiden etwas zu verbieten.«

»Sklaven, die andere Sklaven wie Dreck behandeln. Kommt das oft vor?«

»Manchmal, wenn sich ein Meister zum Beispiel mehrere Sklavinnen hält, und jede von ihnen seine Erste Sklavin sein möchte. Dann gibt es einen Konkurrenzkampf. Aber Haustiere sind anders. Es gibt keinen Grund, warum sie alle anderen verabscheuen. Sie tun es, weil sie sich für überlegen halten und weil sie die wenige Macht genießen, die ihnen ihre reichen Herren zukommen lassen.«

»So ist es auch mit Aufsehern, die selbst Sklaven sind«, fügte Hella hinzu. »Die Erste Sklavin meines Meisters schwingt die Peitsche viel härter als er.«

Ace verzog grimmig ihren Mund. Sie verstand es nicht. Man würde denken, Sklaven erkennen, dass sie zusammen stärker sind. Aber nein, gibt man ihnen nur ein noch so kleines Fragment von Macht, wenden sie sich komplett gegen ihre eigenen Leute. Warum ist das so?

»Gestern war General Vicar im Wirtshaus«, wechselte Hella das Thema, was ihr recht war.

»Tatsächlich?«, staunte Meliora. »Was wollte der denn bei euch? Hast du ihn ohne Helm gesehen?«

Hella schüttelte den Kopf. »Er hat nach diesem Piraten gesucht, Nicarion Diness, aber der war schon weg. Dann hat er sich mitten im Wirtshaus ein Duell mit meinem Kunden geliefert. Das ging aber nicht gut für den aus. Er hat ihn besiegt und versklavt.«

»Wer kämpft schon freiwillig mit dem? Vicar ist einfach nur unheimlich. Dennoch, er sucht diesen Piraten nun schon seit einem ganzen Jahr. So langsam könnte er ihn wirklich einmal in die Hände bekommen.«

Die blonde Sklavin wirkte auf einmal bedrückt, stimmte Meliora aber leise zu. Ace war unwohl bei dem Gedanken, dass sich das Schwert der Eule auf den Straßen von Ephis aufhielt. Aber wenn Vicar scheinbar mit Piraten beschäftigt war, würde er sie vielleicht sogar übersehen, selbst wenn sie mit gesenkten Kopf an ihm vorbeilief. Er wusste nicht, dass sie hier war. Er rechnete wohl kaum damit, dass die Eiserbin von Atraklin als Sklavenmädchen, barfuß und mit einem goldenen Halskragen, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft über den Markt lief und Brot kaufte.

Sie nippte an dem heißen Getränk, dessen Geschmack immer noch bitter war. Auf einmal wollte sie den Kaffee genau so und nicht anders trinken. Sie merkte erst, dass Remus wieder da war, als der Schatten seines Sonnenschirms über sie fiel.

»Schlechte Nachrichten, Mel. Dein ehrenwerter Kassianos Varga ist hier, und hey - da hat er dich auch schon gesehen.« Er legte den Korb mit seinen Einkäufen ab und stellte sich vor seine Freundin, die Muskeln seiner Oberarme angespannt.

Meliora griff nach seinem Fußknöcheln und zerrte ihn zurück. »Setz dich hin, Remus«, zischte sie merkwürdig barsch. »Ignorier ihn einfach, dann ist er harmlos.«

Ace spähte über den Marktplatz und sah, wie ein naraenischer Soldat auf sie zukam, der in seiner weißen Rüstung so hell glänzte, dass sie glaubte, daran zu erblinden. Das ist der Eulenreiter. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Der rothaarige Sklave schnaubte auf, dann setzte er sich dicht neben Meliora auf den Brunnenrand und verschränkte seine Arme vor der Brust. 

»Wirklich schade, dass Varga in Atraklin nicht von seiner Eule geschossen wurde. Er hätte uns damit allen einen Gefallen getan.«

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