𝟏𝟎.𝟐┃𝐒𝐢𝐞𝐡 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐚𝐧

[ASGEIR]

Asgeirs zweiter Versuch, die Bedienung zu sich zu winken, war erfolgreich. Einen imperialen Kunar kostete das Bier, und fünf das Zimmer im oberen Stock, zu dem sie ihn führte.

»Ich suche ein Mädchen aus Atraklin«, rückte er endlich mit der Sprache heraus, als der Lärm des Schankraums leiser wurde. »Jung, mit heller Haut und langem Haar so weiß wie Schaumkronen. Hast du so jemanden gesehen?«

Das Sklavenmädchen blieb vor einer dünnen Holztüre stehen und überreichte ihm einen Schlüssel. »So jemanden haben wir. Ich werde sie zu Euch schicken, Herr. Bitte habt ein wenig Geduld.«

Asgeirs Herz machte einen Freudensprung. »Vielen Dank!« Dafür erntete er einen merkwürdigen Seitenblick. Sich bei Sklaven zu bedanken, war gegen die Norm, doch das war ihm egal. Asgeir war schon in jungen Jahren Höflichkeit und Tugend eingeprügelt worden, und außerdem hatte sie ihm gerade die Hoffnung gemacht, seine mühevolle Suche nach der Prinzessin endlich zu beenden.

Das Zimmer mit seinen gekrümmten Wänden war nur knapp höher als er selbst, und nicht sehr groß. Es wurde nur durch eine kleine Öllampe in einer Felsnische erhellt, doch war ausgestopft mit roten Teppichen und gestapelten Fellen, die als Bett dienten. Rechts in der Ecke lag eine Kette, mit einem Ring, der in den Boden eingelassen war. Solche Ketten hatte Asgeir bereits im Schankraum gesehen und wusste, dass sie dafür war die Sklavinnen anzuketten, seien es die eigen mitgebrachten oder die Bediensteten.

»Hat der Herr sein Getränk genossen?«, fragte plötzlich eine Stimme, und Asgeir brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es nicht Prinzessin Solace war, die den Raum betreten hatte.

Ihre Hoheit würde niemals so sprechen.

Er wollte sie bereits wieder wegschicken, doch das Mädchen schloss die Türe hinter sich. Sie war klein, hatte langes blondes Haar, und warme braune Augen. Außerdem war sie nackt, und trug einen silbernen Halsreif, in welchem in naraenischer Schrift der Name und die Herkunft des Wirtes eingraviert war.

»Ja«, antwortete Asgeir.

»Möchtet Ihr, dass ich Euch nochmal Wein oder Bier bringe, Herr?«

»Nein.« Niedergeschlagen setzte er sich auf das Bett. »Du kannst gehen. Du bist nicht die, die suche.« Der Klang der Glöckchen verriet, dass sich das Mädchen ihm näherte, weshalb er genervt den Kopf hob. »Hast du nicht gehört? Geh.«

»Ich bin das einzige Mädchen im Besitz von Meister Antonius mit blondem Haar. Ihr habt nach mir verlangt.« In einer eleganten Bewegung kniete sie sich zu seinen Füßen hin, und öffnete ihre Schenkel. »Ich knie hier vor meinem Herrn und warte, dass ich ihm Vergnügen schenken darf.«

»V-Vergnügen?« Sofort schoss die Röte in Asgeirs Wangen vor Verlegenheit und Fremdscham. »Ich bin ein Nordmann aus Atraklin, und kein Unhold.«

»Gewiss, Herr. Die Mutter meiner Mutter kam ebenfalls aus Tel'Atraklin-«

»Atraklin!«, stieß Asgeir voller Frustration aus. »Es heißt Atraklin. Nur Atraklin!«

Das Mädchen sah ihn verängstigt an, schien aber zu verstehen, dass Asgeir nicht die naraenische Ansichten über den Status seines Heimatlandes teilte. »Es tut mir leid, ich habe Euch beleidigt, Herr«, meinte sie schnell und reckte den Hals, um seine Füße zu küssen.

Bevor ihn ihre Lippen berührten, stand Asgeir auf und nahm Abstand zu ihr ein. Sie tat es ihm gleich, holte ihn ein und hing sich an seinen Unterarm. »Dennoch habt Ihr als Nordmann mit imperialen Münzen Euer Getränk bezahlt, und ich bin im Preis des ersten Bechers mit inbegriffen.«

Ein klagender Laut voller Ungeduld und Elend entrang seiner Kehle. »Verflucht, nein!«

Er stieß sie von sich weg, war dabei aber so frustriert, dass er seine Kraft überschätzte. Das Mädchen stürzte und fiel nach hinten auf den Fußboden. Ein schmerzerfülltes Wimmern ertönte und Asgeir realisierte, dass er zu weit gegangen, als er sah wie sie sich mit gläsernen Augen ihr Handgelenk an die Brust drückte.

Er war nicht wütend auf sie, und dennoch hatte er sich seiner Gefühle nicht beherrschen können. Es war nicht ihre Schuld, dass sie hier sein musste, oder dass das Blut von zwei Generationen an Sklavinnen durch sie floss und sie nichts anderes kannte, als den Gästen gefällig zu sein. Es waren die Naraener, die Schuld an all dem trugen, und die seinen Hass und seinen Zorn entfachten, und sie war die Verkörperung dessen, was er so abscheulich fand. Bestimmt wartet auf sie die Peitsche, wenn sie die Gäste nicht zufrieden stellen kann.

Dieses Land korrumpierte ihn.

Das Mädchen hob den Kopf und atmete laut aus. Asgeir erwartete, dass sie ihn mit Entsetzen und Ablehnen ansah, doch sie biss die Zähne zusammen und kroch hastig zurück zu seinen Füßen. »Es tut mir unendlich leid, dass ich Euch erzürnt habe, Herr!«

Er fühlte ihre Lippen durch den Stoff seiner Hose, wie sie ihn wieder und wieder küsste. »Hör damit auf, auf der Stelle!«, keuchte er. Die Küsse machten ihn wahnsinnig.

»Ja, Herr.« Auf der Stelle zog sie sich zurück, lag aber weiterhin zu seinen Füßen. »Es wird nicht nötig sein, mich noch einmal zu bestrafen, ich werde fügsam und liebreizend sein.«

Asgeir stieg über sie hinweg, und setzte sich zurück auf sein Bett. Er fühlte sich schuldig und verwirrt, und so schwach, dass er rot wurde und anfing zu stottern. Er hatte diesem armen Ding tatsächlich wehgetan. Er war doch vom Norden, ein Krieger der Húskari, ein Beschützer. Der Stolz Atraklins.

»E-Es tut mir leid, dass ich dich weggestoßen habe«, stotterte er. »Es war nicht meine Absicht, dir wehzutun. Ich war nicht wütend auf dich, sondern auf... auf all das hier! Ich habe mich wie ein Rohling dir gegenüber benommen. Es tut mir sehr leid.«

Das Mädchen riss verängstigt die Augen auf. Schnell kniete sie sich hin, machte sich ganz klein, und presste ihren Kopf auf den Teppich. »Seid bitte nicht gemein zu mir!«, flehte sie. »Wenn ich Euch nicht befriedigt habe, dann peitscht mich einfach aus. Ich verstehe Euch, oder das was Ihr tut nicht, ich bin doch nur eine Sklavin. Bitte quält mich nicht auf diese hinterlistige Art und Weise.«

»Jetzt verstehe ich dich nicht.« Asgeir vergrub sein Gesicht in seine Hände.

Die Sklavin stöhnte gequält. »Bitte, Herr. Diese hier ist doch nur eine Sklavin. Bindet sie irgendwo an und peitscht sie aus. Dann lernt sie, Euch besser zu dienen.«

»Ich...Ich versuche doch nur, nett zu dir zu sein!«

Wieder stöhnte sie auf.

»Bitte... sieh mich an.«

Immer noch verängstigt hob sie den Kopf, und blickte ihm zum ersten Mal ganz zaghaft in die Augen. Asgeir versuchte, warm zu lächeln. »Es tut mir leid«, wiederholte er, »dass ich dir wehgetan habe.«

»Leid?«

»Ja. Kannst du mir vergeben?«

»Ja, Herr«, flüsterte sie. »Ich vergebe Euch.«

»Danke«, erwiderte der Húskari, und ließ sich erschöpft nach hinten auf die Felle fallen, als hätte er gerade ein blutiges und langes Duell gewonnen. Was sie sagte, und wie sie es sagte, klang zwar gestellt und falsch, doch er nahm die Worte an. Ihre traurige Existenz würde ihn in Zukunft daran erinnern, dass die Prinzessin schnell gefunden und nach Atraklin gebracht werden musste, um den Thron zu besteigen und zu verhindern, dass noch mehr seines Volkes dasselbe widerfuhr wie dieser Sklavin. Sie war seit ihrer Geburt einer Gehirnwäsche unterzogen worden und musste in ständiger Angst leben, von ihren Besitzern und den Gästen bestraft zu werden.

Er genoss die wenigen stillen Minuten, die verstrichen, ohne dass die Sklavin sich rührte. Ihre Worte hatten eine Übelkeit in ihm verursacht, die er nicht so einfach wieder hinunter schlucken konnte.

Ohne seinen Blick von der Decke abzuwenden, meldete er sich erst nach einer kurzen Pause wieder zu Wort. »Wie ist dein Name und wie alt bist du?«

»Der Meister hat mich Hella genannt. Ich bin fünfzehn, Herr.«

Erst fünfzehn, ging ihm schockiert durch den Kopf. Er hob sein Kinn und betrachtete den schmalen, stählernen Ring um ihren Hals. Seine Augen mussten sich für einen Moment verhärtet haben, denn sie zitterte abermals. »Du musst mich nicht immer Herr nennen.«

»Ja, Herr.«

»Nenn mich einfach Asgeir.«

Hella sah weg, senkte panisch den Blick. Sie hatte offenbar Angst, ihm in die Augen zu sehen. »Asgeir«, flüsterte sie ganz leise, und Asgeir lächelte.

»Genau. Asgeir Skallabrok. Das ist mein Name.«

»Das ist ein wirklich seltsamer Name.«

»Weißt du denn, was er bedeutet? Er stammt noch aus der Zeit, als man die naraenische Zunge in Atraklin noch nicht gesprochen hat.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Was bedeutet er denn, Herr?«

»Der Beschützer, der so stark wie ein Felsen ist.«

»Ihr seid so stark wie ein Felsen, ist das wahr?« Hella hob den Kopf, nur um ihn mit großen, ungläubigen Augen anzufunkeln und schnell wieder wegzusehen.

»Natürlich!« Asgeir klopfte neben sich auf die Felle. »Komm her, Hella.«

Die Sklavin gehorchte ihm aufs Wort, obwohl sie immer noch verängstigt wirkte. Ihr zierlicher Körper zuckte zusammen, als Asgeir seine Hand auf ihren Kopf legte und ihr sanft durchs Haar strich.

»Jeder, der aus Atraklin kommt, ist stark«, flüsterte er ihr leise ins Ohr. »Auch durch deine Adern fließt Atraki-Blut. Sieh mich an.«

»Bitte quält mich nicht, Herr.«

»Ist schon in Ordnung«, wiederholte er, ohne seinen Tonfall zu verändern. Hella hob ihr Kinn und blickte in seine Augen. Asgeir griff nach ihrer Hand. »Wir Atraki müssen zusammenhalten. Wir müssen stark sein, stark wie ein Felsen, und darauf warten, dass die Prinzessin uns befreit.«

»Die Prinzessin? Sie wird uns nicht befreien, Asgeir.« Ihre Stimme klang unendlich traurig. Er spürte, wie sie seine Hand fest drückte. »Sie haben sie gefangen genommen. Sie und die ganze Königsfamilie. Das haben alle Soldaten verkündet. In einem Monat ist die Hinrichtung, sie ist öffentlich. Sie werden alle Atraki zwingen, sie anzusehen.«

Asgeir beugte sich zu ihr hinab. »Aber ich weiß ein Geheimnis, Hella. Die Prinzessin befindet sich gar nicht im Palast des Kaisers.«

Ein krachendes Geräusch unterbrach sie.

Noch bevor Hella mit ihren aufgerissenen Augen antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen und Asgeir schnellte nach oben. Im Türrahmen stand ein naraenischer Soldat in glänzend weißer Rüstung. »Anziehen und sofort runter kommen!«, brüllte er ihn an, und noch bevor Asgeir reagieren konnte, war der Soldat bereits eine Tür weiter. Das war auch gut so, denn er hatte bereits die Hand nach seinem Schwert ausgestreckt.

Jetzt, wo die Tür offen stand, drangen unruhige, durcheinander redende Stimmen zu ihnen hoch. Asgeir erhob sich und hing sich seinen Schwertgürtel um die Hüfte. Angezogen war er bereits. »Was ist da unten los?«, fragte er die blonde Sklavin, die sich auf den Fellen kein bisschen gerührt hatte.

Sie zuckte bloß mit den Schultern. Dafür, dass imperiale Legionäre hier waren, war sie ihm viel zu ruhig. Aber Hella war auch noch keinem naraenischen Soldaten im Kampf begegnet.

»Die Soldaten sind hinter den Piraten her. Jemand muss sie verraten haben. Wir müssen machen, was sie uns befehlen. Kommt, Asgeir.« Sie stand auf und ging an ihm vorbei auf den Flur hinaus, wo bereits andere Gäste auf dem Weg nach unten waren. Niemand wollte sich mit den Soldaten anlegen, nicht einmal der Betrunkenste von ihnen.

»Gut, dass mich dieser Hanks nicht überredet hat, bei ihnen anzuheuern.« Asgeir folgte ihr und versuchte, ein paar Gesprächsfetzen aufzusammeln.

»Ihr seid wirklich sehr klug, Herr«, sagte Hella, doch für ein wirkliches Kompliment klang es zu routiniert. Sie drückte ihn nun doch etwas eilig Richtung Treppe, sodass er fast mit dem naraenischen Sklavenmädchen mit den Glöckchen zusammenstieß, die ihm zuvor das Bier gebracht hatte. Sie achtete kaum auf ihn, sondern hatte sich bereits in heller Aufregung ihrer Kollegin zugewandt.

»Unten ist General Vicar! Das Schwert der Eule höchstpersönlich! Er ist hier!«, zischte sie ihr zu.

Wer? Beim Klang seines Namens gefror Asgeir das Blut in den Adern, und er glaubte, sich verhört zu haben.

»Der General Vicar?« Hella wirkte plötzlich ganz anders, jung und nervös, ihre Wangen leicht rötlich gefärbt. »Oh, ich muss ihn unbedingt sehen!«

Ihm stellten sich alle Härchen auf. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, die Hände bebten. Während die Mädchen ihre Köpfe zueinander steckten und zu tuscheln begannen, war Asgeir auf halber Höhe der Treppen erstarrt.

Nein, nein, nein. Das kann nicht sein. Warum ist er hier?

General Vicar war der schlimmste Gegner, mit dem er es jemals zu tun bekommen hatte, und wahrscheinlich der einzige Mann in ganz Tel'Narae, der ihn erkennen würde.

Und er war hier. Direkt unter ihm.

»Los, weitergehen!«, drängte ein Soldat von hinten und stieß ihn ungeduldig die Treppe hinunter. »Beweg deinen feigen Atraki-Arsch! Wird's bald?«

Wenn ich jetzt Vicar treffe, dann muss ich ihn töten.

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