𝟎𝟗┃𝐄𝐢𝐧 𝐑𝐞𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐟 𝐆𝐞𝐡𝐞𝐢𝐦𝐧𝐢𝐬𝐬𝐞


[EZEKIEL]


Mit verengten Augen starrte er seiner Sklavin hinterher. Ein Blick, in den man fälschlicherweise Misstrauen hinein interpretieren könnte, doch Ezekiel war nicht misstrauisch. Dazu gehörte die Unsicherheit, ob er ihr die Geschichte abkaufte, doch die hatte er nicht. Das Mädchen war nichts weiter als eine arrogante Göre, die glaubte, gut lügen zu können.

Aber Lügen war eine komplexe Kunst, die gelernt sein wollte, und eine Kunst, mit der er bestens vertraut war. Es war mehr als nur eine glaubhafte Geschichte. Wenn jemand log, konnte Ezekiel dies häufig bereits am Tonfall erkennen, an den kurzen Pausen beim Sprechen und vor allem an der Körpersprache. Er wusste, was man beim Lügen zu beherrschen hatte – zurück auf das blicken, was zuvor gesagt wurde und gleichzeitig nach vorne schauen, um konsistent zu bleiben. Es war eine komplizierte Sache, die das Mädchen unterschätzte.

Und obwohl ihm ein interessanter Gedanke kam, war er unzufrieden. Der Schatten in seinem Gesicht war kein Misstrauen, sondern Missfallen. Seine Hand lag auf dem Buch. Die Fingernägel gruben sich in den harten Ledereinband, dass es fast weh tat. Es war Zorn, der in seiner Brust loderte. Wenn auch nicht heiß genug, um ihn nicht verbergen zu können, als das Mädchen wieder die Küche betrat und den Tisch fertig deckte. Schnell atmete er über die Nase aus und wollte einen weiteren Schluck Wein trinken, doch in seinem Becher war kein Tropfen mehr.

Ezekiel ließ sich nichts entgehen. Verfolgte jede Geste, jede ihrer Bewegungen. Seine Augen hafteten auf ihr, als wollte er sich jeden ihrer Züge einzeln einprägen. Seine Bemühungen erzielten rasche Erfolge. Unter seinem prüfenden Blick schmolz ihr falscher Mut dahin und alles, was ihr blieb, war Unsicherheit und Angst. Angst vor ihm, dass er bemerken könnte, dass sie etwas vor ihm verheimlichte und vor den Konsequenzen. Etwas, aus dem er leicht eigene Vorteile ziehen konnte.

Ein leichtes Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen, als ihre Körperhaltung sich zusehends verkrampfte. Es tat gut, minderte ein wenig seine Wut. Eigentlich war es ihm egal, wenn sie ihn als einen ungehobelten und hinterhältigen Mann betrachtete, aber wenn sie den Respekt vor seiner Intelligenz verlor, kränkte ihn das zutiefst. Sollte seine Sklavin meinen, an seinem Verstand, seinem Einblick und seinem Scharfsinn zu zweifeln, würde sie das bereuen.

Naraener konnten im Normalfall nicht mehr lesen oder schreiben als ihren eigenen Namen, sie belasteten sich einfach nicht damit, denn jeder konnte die Dienste eines Schriftgelehrten in Anspruch nehmen. Doch Ezekiel entsprach nicht der Norm. Er würde ihr zeigen, dass er in ihr, der nackten, ängstlichen Sklavin, lesen konnte wie in einem Buch.

Wie es nach naraenischen Brauch üblich war, befahl er ihr, sich neben seinem Stuhl hinzuknien und still zu warten, bis er fertig gegessen hatte. Da sie ihm widerstandslos gehorchte, entschied er sich gegen eine Zurechtweisung, doch sollte sie ihn weiter belügen, würde sie sich vor einer Bestrafung nicht retten können.

Als er fertig war, schlug er das Buch auf, mit dem er gereist war, gegessen und geschlafen hatte. In das er jeden verwirrten Gedanken geschrieben hatte, der ihm in den Sinn gekommen war. Ezekiel war der Meinung, billiges Papier war weniger verderblich als graue Gedanken, und Bleistiftzeichnungen, so schlecht sie auch waren, hielten länger als Erinnerungen. In diesem Buch hatte er jeden Abschnitt seines Lebens der letzten 15 Jahre dokumentiert, und doch war es nun so gut wie nutzlos. Hätte er damals noch jeden umgebracht, der einen Blick hineingeworfen hätte, würde er jenen heute bloß noch ein trauriges Lächeln schenken.

»Steh auf«, meinte er kühl. Seine Sklavin erhob sich, ihre Augen fanden die offene Seite. »Lies mir vor, was dort steht.«

Schlagartig versteiften sich ihre Glieder. Er schob das Buch näher zu ihr und starrte sie eindringlich an, versuchte ihr verständlich zu machen, dass er ihre Lügen durchschaut hatte. Es nützte nichts.
Er hörte sie schlucken. »Ich kann das nicht.«

»Nein?«

»Nein, Herr.«

Was verheimlichst du mir, dummes Schneemädchen?

Sie hatte nicht mit seiner Reaktion gerechnet. Er packte sie so heftig am Oberarm, dass sein Stuhl umflog, fegte Teller und Tasse vom Tisch, umklammerte mit der freien Hand ihre Kehle, drückte sie auf die Tischplatte und nagelte sie dort fest.

»Lüge mich nochmal an, und du bereust es«, warnte Ezekiel mit rauer Stimme. Seine dunklen Augen verrieten, wie sehr es in ihm brodelte. Doch solange die Sklavin unter seinem eisernen Griff darum kämpfte, Sauerstoff zu holen, würde sie ihm gar nichts sagen können. Er ließ ihre Kehle los und drückte dafür ihre Schultern so fest auf den Tisch, dass diese protestierend knirschten.

»Glaub ja nicht, dass du noch ein Recht auf Geheimnisse hast«, zischte er gefährlich in ihr Ohr. Er hörte ihre Zähne knirschen. Ihre Kehle machte ein keuchendes Geräusch, dann entrang sich ihr etwas wie ein Husten. Der Schock hing tief in ihrem Gesicht. Sie war noch blasser angelaufen, als sie bereits von Natur aus war, doch von Reue keine Spur. Ezekiel konnte sich sogar vorstellen, dass sie die Zähne nur so krampfhaft zusammenbiss, damit ihr keine Entschuldigung über die Lippen kam.

Vermutlich hätten andere Herren sie grün und blau geschlagen. Sie ausgepeitscht, bis ihre Haut aufgeplatzt war und nur noch eine einzige blutige Masse darstellte. Das würde ihm helfen, wenn er sie auf hartem Wege zu dem machen wollte, was sie in Zukunft sein sollte, aber es würde kaum das Vertrauen aufbauen, was er für seine Pläne benötigte.

Trotzdem wollte er mehr von ihr sehen, als nur der nackte Ausdruck des Entsetzens in ihrem Gesicht. Schuldbewusstsein genügte, denn das zeigte, dass sie von nun an lernen würde. Er könnte ihr befehlen, sich zu entschuldigen, doch seine Sklavin war ein kluges Mädchen, ihr Verhalten hatte Ezekiel bereits durchschaut. Sie führte Befehle aus, wenn sie ihr nicht zu lästig waren, aber Reue konnte man nicht erzwingen – dafür musste er arbeiten.

»Lasst mich los!«, unterbrach das Mädchen seine Gedanken. »Fasst mich nicht an!«

Ihre Dreistigkeit brachte sein Blut zum Kochen, und im nächsten Moment hob er seine Hand, und wollte ihr eine Ohrfeige verpassen. Eine Ohrfeige, die laut schallte, ihre linke Wange rot färbte, und die sie zum Schweigen brachte. Aber dazu kam es nicht. Er besann sich, und ließ seine Hand wieder sinken. »Halt deinen Mund!«, knurrte er laut.

Scheu blickte sie zu ihm auf. In ihren blassen Augen sammelten erneut Tränen. Sie musste endlich eingesehen haben, dass sie gegen einen Mann keine Chance hatte, denn auch ihr Körper hörte auf, sich zu bewegen.

Nicht halbwegs zufrieden rümpfte Ezekiel die Nase. »Ich siege immer. Merk dir das, Schneemädchen«, erklärte er ihr. Er nahm seine Hände von ihr, erlaubte ihr jedoch nicht, sich aufzurichten. Stattdessen holte er das rote Buch her, in das sie vorhin so interessiert ihre Nase gesteckt hatte und hielt ihr die Seiten der verschollenen Götter vors Gesicht. »Normalerweise geht dich mein Besitz einen Scheißdreck an. Aber ich werde darüber hinwegsehen, wenn du endlich mit diesem falschen Schauspiel aufhörst und vorliest, was dort steht.«

Das Mädchen öffnete ihren Mund. »Ihr irrt euch, mein Meister«, flüsterte sie dünn. »Es tut mir schrecklich leid, dass ich mir unerlaubt Eure Sachen angesehen habe. Aber ich bin nur die Tochter eines Pferdezüchters. Ich bitte Euch, vergebt mir meine Worte, aber zwingt mich nicht, etwas anderes zu sein. Ich bin den Buchstaben nicht mächtig.«
Sie erntete bloß einen stummen Blick. Für einen kurzen Moment befiel ihn der Gedanke, sich tatsächlich geirrt zu haben.

Und wenn sie sich nur die Bilder angesehen hat, wie sie es gesagt hat? Wenn sie mich nie angelogen hat? Ich verlange etwas, das ich nie bekommen werde.

Er ließ sein Buch neben ihr auf den Tisch sinken und nahm seine Hände zurück. Nein, sagte er sich selbst und drehte sich um. Ich verliere nie.

»Komm mit mir mit.« Sein Mund bildete eine harte Linie, die sich ihr jedoch verbarg. Er führte seine Sklavin hinter sich her in den Flur, wo er die Metallringe noch genau so an der Wand vorfand, als er das Haus übernommen hatte. Es kostete den Rest seiner Beherrschung, so ruhig zu gehen, doch in seinen Fäusten bohrten sich seine schwarzen Fingernägel fest in seine Haut. Sie musste die naraenische Kultur gut kennen, wenn sie ihre Talente vor ihm verbergen wollte.

Kluge Frauen sind gefährlich, hatte er einmal in einem Bardenlied gehört. Kluge Frauen sind gefährlich, denn sie sind die Erfinderinnen des Bösen.

Soweit Ezekiel wusste, brachte man sehr wenigen männlichen Sklaven Schreiben bei, um sie Bücher abschreiben zu lassen, doch niemals Frauen. Nicht einmal den Freien, oder den Hochgeborenen. Doch wie sagte man so schön? Andere Länder, andere Sitten. Und er konnte sich gut vorstellen, dass in einem Land wie Atraklin, dessen ehemaliger König den Mut besaß, seine älteste Tochter als Erbin auszuwählen, auch Frauen Bildung zukommen ließ.

Sie tat wirklich gut daran, ihn ihre Geheimnisse nicht wissen zu lassen. Eine Sklavin, die mehr Verstand besaß, als ihr Meister, verlor so weit an Wert, dass man sie nicht mehr verkaufen konnte. Eine Sklavin, die lesen konnte, war für ihn absolut unbrauchbar.

Wie gebrechlich, dachte er erneut, als er ihre Handgelenke zusammendrückte, um ihre Arme über ihrem Kopf mit einem Strick an die Wand zu fesseln. Dafür erntete er ein wütendes Funkeln. Seinetwegen durfte sie ruhig erzürnt sein. Was ihr bevorstand, war alles andere als angenehm, aber in Tel'Narae eine übliche Form der Bestrafung.

»Ich habe nicht gelogen!«, versuchte sie es noch einmal, eindringlicher als zuvor. Sie schien zu ahnen, dass sie hier nicht so einfach wieder rauskam.

»Gut, dann mache ich das hier aus reiner Freude.« Er rastete das andere Ende der Kette in den Ring ein, der über ihrem Kopf an der Wand befestigt war, und ging dann in die Hocke.

Knapp über dem Boden waren im Abstand eines halben Meters zwei eiserne Riemen angebracht worden, die für ihre Fußgelenke vorgesehen waren. Fiel die Bestrafung milder aus, so ließ man den Sklaven einen freien Fuß, um diesen zu bewegen und den Körper zumindest auf einer Seite zu entlasten, doch er schnallte ihre beiden Gelenke an die Wand, und zwang sie damit, mit gestrecktem Körper an Ort und Stelle zu verharren. Hätte er sie noch ein wenig härter bestrafen wollen, so gab es auch die Möglichkeit, die Sklavin am Strick hochzuziehen und sie auf ihre Zehenspitzen zu zwingen, doch fürs erste ließ er es gut sein.

»Meister ... I-Ich habe nichts getan.« Zögernd kam dem Mädchen die Anrede über die Lippen. Sie schien verwirrt, aber vor allem ängstlich. Er stand auf, überragte sie, und als sie den Kopf senkte, um seinem strengen Blick auszuweichen, umfasste er ihr Kinn und drückte es hoch. Seine kleine Sklavin hatte bereits bei ihrem ersten Treffen gewagt, entgegen den Regeln in seine Augen zu sehen, und das hatte ihn schon gestern amüsiert.

»Du musst schneller lernen, Sklavin.« Er bemerkte, wie sich eine einzelne Träne in ihren Augen gesammelt hatte, und nun durch das Zittern ihrer Lider die schmale, blasse Wange hinab rollte. »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du deine Ehre bereits verloren hast, als man dich gefangen nahm. In diesem Land drohen Lügnern höhere Strafen als das hier. Ich habe noch etwas in der Stadt zu erledigen. Wenn ich wieder da bin, werden wir uns noch einmal darüber unterhalten.«

Wie beiläufig ging er an ihr vorbei, öffnete die Haustüre und ließ sie an der Wand stehen. Er war sich sicher, wenn er in ein paar Stunden wiederkam, würde sie ihn mit Tränen anflehen, das Notizbuch noch einmal sehen zu dürfen.

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