𝟎𝟒┃𝐃𝐢𝐞 𝐅𝐚𝐫𝐛𝐞 𝐝𝐞𝐫 𝐄𝐮𝐥𝐞


[SOLACE]


Die Luft roch nach heißem Eisen, Glut und versengten Fleisch.

Solace wollte schreien, sich von den Griffen lösen und weglaufen, aber sie konnte es nicht. Sie wusste, dass sie es nicht konnte. Sie wusste, dass es die Dinge nur noch schlimmer machen würde. Ihr Herz raste so heftig, dass sie dachte, es würde versagen. Sie betete, dass es das tat, bevor Tel'Narae die Chance hatte, ihr den Rest ihrer Würde zu nehmen.

Ihre Menschlichkeit, ihren Stolz und ihre Selbstachtung.

Sie sank zu Boden; machtlos und seelisch überwältigt von dem, was sie gerade erlebt hatte. Ihr Bein brannte, schmerzte, aber die Pein wirkte jetzt unerheblich im Vergleich zur Tragweite dessen, was ihr nun zutiefst erschüttert bewusst wurde: Sie hatten es tatsächlich getan. Sie hatten sie wie Vieh gebrandmarkt. Hatte sie davor noch geglaubt, entkommen zu können und ihr Leben irgendwie wieder gerade zu biegen, musste sie sich jetzt ihre völlige Machtlosigkeit eingestehen. Sie hatte der Realität nicht entkommen können. Ihr eigener Leib war gekennzeichnet als etwas, das sie nicht war, und das war schlimmer als jeder Schmerz, jede Demütigung, und jedes feindselige Wort, dass sie in den letzten Tagen hören musste.Sie hatte das Brandmal bereits an anderen Sklaven gesehen, doch nie hatte sie sich vorstellen können, selbst eines zu tragen.

Die Männer ließen sie endlich los und sie begann zu würgen und zu schluchzen. Der Händler begutachtete das Brandzeichen, dann versorgte er das Eisen. Ihr Käufer warf ihr kurz einen ausdruckslosen Blick zu, dann ging er selbst zu dem Händler hin. Sie hatte ihn wohl falsch eingeschätzt. Er war ein rücksichtsloser, grausamer Mann, der es amüsant fand, wenn ein Mädchen sich vor Schmerzen krümmte und sich die Seele aus dem Leib schrie. Die ganze Zeit hatte er nur schweigend zugesehen und sich einen Dreck um sie geschert.

Aber waren ihre hasserfüllten Gedanken angemessen? Was hatte sie überhaupt erwartet? War es nicht üblich, eine Sklavin als diese zu markieren? In Tel'Narae war es natürlich und andere seines Volkes würden ihn nicht als grausam bezeichnen, sondern würden sagen, dass es sich hierbei um einen völlig normalen Kerl handelte.

Ezekiel Zoharon, wiederholte sie in ihrem Kopf. Einen Namen, den sie niemals wieder vergessen würde.

Wer war er? Welchen Status hatte er in dieser Welt und welcher Schicht gehörte er an?

Zwar sah er mächtig aus mit seinem schwarzen Ledermantel und den hohen Stiefeln, gleichzeitig aber auch abgeranzt, seltsam unordentlich. Jedenfalls konnte sie mit gutem Gewissen sagen, dass er nicht zur Adelsschicht gehörte, und denen galt es aus dem Weg zu gehen. Vorhin war einer von ihnen mit Gefolgschaften durch den Markt marschiert, mit hoch erhobenem Kinn und wallenden weißen Umhang, stolz darauf, befähigt zu sein, sein geliebtes Imperium zu verwalten.

Schon früh hatte sie in den Politiklektionen ihres Vaters erfahren, dass Tel'Narae kein armes Land war. Es war reich an Erzen und der Sklavenmarkt war eine unerschöpfliche Geldquelle. Selbst mit eigentlich verfeindeten Nachbarländern wurde gehandelt, denn die besonderen Zuchtsklaven waren sogar weit über den Meerengen bekannt und wurden teuer verkauft. Die Arbeit der Menschen wurde durch Sklaven erleichtert und so hatte jeder die Chance, an ein bisschen angesammeltes Geld zu kommen.

Ihr Blick ruhte immer noch kalt auf dem Mann, auf Ezekiel Zoharon, doch dann wurde sie plötzlich auf ihre Beine gezerrt und spürte, wie man einen stählernen Metallreif um ihren Hals schloss, der mit einer Kette versehen war. Sie wimmerte leise, als sie zu ihrem Häscher gezogen wurde, damit dieser den Reif ebenfalls betrachten konnte. Kitzelnd strichen seine Finger über ihren Hals und ließen sie unter der Berührung zusammen zucken. Mit einer Mischung aus Wut und Angst erschauderte sie in seinen Händen und musste ihren Kopf wegdrehen. Tränen bildeten sich in ihren Augen. Sie fühlte sich klein, so unsagbar klein und verloren und so ungeschützt, dass sie gerne ihre Arme vor der Brust gekreuzt hätte und sich an ihren Oberarmen festgehalten hätte. Doch ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt, es war unmöglich, dass sie sich selbst in den Arm nehmen konnte.

Um sich zu beruhigen, begann sie innerlich mit sich selbst zu sprechen.

Es ist vorbei.

So schlimm war es gar nicht.

Du wirst nicht sterben.

Mach alles, was er will.

Es ist leichter, als du denkst.

Du machst das gut.

All dies sagte sie innerlich mit einer warmen und liebevollen Stimme zu sich selbst, wie eine Mutter, die ihr Kind tröstete. Sie brauchte das. Es half. Das Zittern hörte auf und die Tränen gingen zurück.

Als sie endlich an ihrer Kette vom Sklavenmarkt geführ wurde, begann die Verbrennung sofort wieder zu stechen. Sie strahlte Schmerzsignale durch ihren gesamten Körper aus, was ihr eine angespannte Grundhaltung bescherte und sie die Zähne zusammenpressen ließ. Ihr neuer Meister schien sich nicht daran zu stören. Schneller, als es ihr möglich war zu gehen, führte er sie aus der Halle hinaus und verschwand mit ihr im Trubel des normalen Marktes.

Es war schwül und dunkel geworden. Der Abend hing über den Bergen, die Ephis umgaben und auf den Straßen brannten Feuerstellen, die den Menschen Licht spendeten. Warme Nachtluft, gemischt mit den verlockenden Gerüchen der Essenstände füllte ihre Lungen. Gemeinsam passierten sie ein halbes Dutzend Marktstände, an denen allerlei schmackhafte Dinge angeboten wurden. Suppen und Eintöpfe, gebutterte Schnecken in Papierbeuteln, Pasteten gefüllt mit Fleisch und Eiern, und jede Menge Wein. Selbst die frittierten Spinnen und Schlangen am Spieß sahen mit einem Mal einladend aus, wenn man seit Tagen, vielleicht sogar einer Woche nichts Richtiges mehr gegessen hatte. Beim Anblick eines Mannes, der dabei war, einen Hund zu häuten, um ihn in einem Topf zu schmoren, knurrte Solace der Magen und das Wasser lief ihr im Mund zusammen.

Kurz überlegte sie sich, wie sie Ezekiel Zoharon nach einer Kleinigkeit bitten konnte. Welche Worte sie wählen, und wie ihre Stimme klingen sollte, damit er nachgab. Sie holte zu ihm auf und versuchte heimlich seine Mimik zu deuten, doch er gab nicht besonders viel Preis.

Gerade öffnete sie ihren Mund, als er mit der Schulter gegen einen entgegenkommenden Mann stieß. Wie in Zeitlupe sah sie, wie er seine Finger unauffällig in die Richtung seines Gürtels führte, und ihm mit einer kleinen Klinge, die in seinem Ärmel verschwand, den Geldbeutel abschnitt. Der andere Mann sah nicht einmal mehr zu ihnen zurück, und ihr Meister, der sein Gehtempo nochmal erhöht hatte, ließ den Beutel in den Falten seines Ledermantels verschwinden.

Solace folgte ihm dicht auf den Fersen, realisierte allerdings erst am Ausgang des Marktes angekommen, von was sie gerade Augenzeugin geworden war. Schritt für Schritt und Atemzug für Atemzug klärte sich ihr Kopf wieder, nur der Schwindel blieb, zusammen mit einem leichten Zittern. In ein schönes Schlamassel hatte sie sich da geritten und heimlich bereute sie, im Käfig nicht doch den Mund aufgemacht zu haben.

Ein Dieb war er.

Nicht gerade ein Mann von Ehre und gewiss kein guter Umgang für sie. Diese Ironie... Diese verdammte Ironie. Der Verbrecher auf freiem Fuß, während sie, die nichts Unrechtes getan hatte, an seiner Kette lief. Dieser Mann ist gefährlich. Sei vorsichtig.

Umso mehr ein Grund zu fliehen, und zwar möglichst bald. Gedanklich malte sie sich aus, wie sie ihn überrumpelte, die Kette um seinen Hals schlang und ihn von hinten damit erdrosselte. In ihrer Vorstellung konnte sie sein Röcheln im verzweifelten Überlebenskampf hören.

Einen Viertelkilometer weiter fand sie guten Grund, sich diesen Plan noch einmal gründlich zu überlegen. Dort hatte sich eine Menschenmenge um drei Sklaven versammelt, die auf der Flucht erwischt worden waren. Man hatte die Gefangenen an eine Reihe Holzbalken gebunden, und zwei Männer mit Schleudern benutzten sie als Zielscheibe. Einer traf einen der Gefangenen am Knie und zerschmetterte es mit einem Geschoss aus schweren schwarzen Stahlkugeln.

Jetzt wird er nicht mehr weglaufen, dachte Solace, als der Mann zu schreien begann. Sie wollte den Blick abwenden, doch einer der Schleuderer drehte sich ihr zu, und schnitt eine finstere Grimasse. Als sie auf seine Brust blickte, wurde ihr augenblicklich schlecht. Das edle, weiße Wappen, kunstvoll auf sein Wams gestickt, war nicht zu übersehen. Es zeigte eine Eule mit zum Angriff ausgestreckten Flügeln und Krallen: das Emblem des Gottkaisers von Tel'Narae und all seinen Vorfahren. Das Geschlecht der Imperialen, die mit ihrem Eulenbanner schon seit Jahrhunderten Tel'Narae regierten, schon als sie das alte Königreich umbenannten und die Farbe Weiß ihr Eigen, und zur Farbe der Eulen machten.

In Atraklin, dem Schneeland des Kontinents, war ihre ganze Welt zu jeder Jahreszeit in Weiß getaucht. Weiß reflektierte das Licht, Helligkeit und die Sonne, die den Menschen durch die Dunkelheit half und über sie wachte. Wolken, Nebel, der Schaum der Wellen und die dazugehörigen Kalkfelsen. Schnee und Eis, Steine wie Marmor, Diamanten und Alabaster.
Für Solace symbolisierte Weiß das Gute und Schöne, und die Macht über das Böse.

Hier war es die Farbe des Gottkaisers.

»Die Schleuderer sehen dich an. Geh links hinter mir.« Ihr Meister war kurz stehen geblieben und sah sie scharf an. »Auf dem Markt, wenn es viel Gedränge gibt, darfst du mir dicht folgen, aber halte etwas Abstand auf einer leeren Straße.«

Sie nickte und wechselte die Seite. Sie wusste die einfachen Regeln der Sklaven, was sie durfte, nicht durfte und wie sie sich zu verhalten hatte. Auf ihrem Weg nach Ephis hatte man ihr die wichtigsten Regeln erklärt, aber Tel'Naraes Sklaven mussten so vieles beherrschen und einhalten, dass man nicht alles in ein Gespräch packen konnte.

Ezekiel Zoharon war noch nicht zufrieden. »Antworte verständlich, Sklavin«, beharrte er.

Solace Finger glitten unruhig über die schmalen Glieder der Kette. Sie musste sich kurz sortieren, überlegte, was er von ihr hören wollte, und sprach dann gedämpft und diskret, mit erschöpfter, vom Durst kratzig klingender Stimme: »Ja, Meister. Verzeiht mir.«

Mit einem Ruck drehte er sich um und marschierte weiter. Nein, ich werde jetzt nicht darum betteln, langsamer gehen zu dürfen. Tapfer biss sie die Zähne zusammen und ignorierte die Schmerzen in ihrem Bein, um ihrem Besitzer zu zeigen, dass sie mit ihm mithalten konnte, oder dass sie sich wenigstens bemühte.

Wie würde er urteilen?

Sie konnte sich gut vorstellen, dass es in diesem Land Menschen gab, die Freude daran hatten, ihre Sklaven zu züchtigen und sie bei jedem kleinsten Fehler zu bestrafen, und davor hatte sie große Angst. Bisher waren all ihre schlimmsten Befürchtungen über Tel'Narae und seine Einwohner wahr. Sie versuchten nicht einmal, ihre tiefe Grausamkeit zu verstecken, natürlich nicht. Sie war Eigentum. Sie konnten sie missbrauchen, tauschen und verkaufen, wie sie wollten.

Ich bin zu wertvoll, um schlecht behandelt zu werden, redete sie sich ein.

Im Moment schien er wenig an ihren Bemühungen interessiert zu sein. Alles, worauf Solace hoffen konnte, war, dass ihr zukünftiger Besitzer wenigstens fair und gerecht sein würde. Aber wie standen die Chancen dafür?

Welche Art von Mann kaufte ein Mädchen?

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