𝟎𝟑┃𝐒𝐭𝐢𝐠𝐦𝐚

[EZEKIEL]

»Sie ist noch nicht gebrandmarkt«, wies Ezekiel den Händler auf seinen Fehler hin.

In Tel'Narae war das Brandmal institutionell und rechtskräftig; es kennzeichnete einen Menschen als ein Objekt. Der Träger besaß im Rahmen des Gesetzes weder Rechte noch Ansprüche. Die wichtigste Konsequenz jedoch, die sich aus dem Zeichen ergab, war wohl weniger gesellschaftlicher Natur, sondern seelischer. Das Mal transformierte das tiefste Unterbewusstsein des Trägers und machte ihn zu einem Sklaven. Ebenso war es üblich, dass die Sklaven den Namen und die Heimatstadt ihres Herren in ihrem Halsreif eingraviert hatten, damit gekennzeichnet war, wem sie gehörten.

»Wir hatten dazu noch keine Zeit. Ich werde mich jetzt darum kümmern. Wo wollt ihr das Zeichen haben?«

Das Mädchen hob ihren Kopf und blickte ihm direkt in die Augen. Ezekiel wusste, dass Sklaven das Recht fehlte, freien Menschen in die Augen zu blicken und es war ein Akt stillen Aufbegehrens gegen ihn. Sie hatte es schon vorhin getan, als er sie näher angesehen hatte. Im selben Moment hatte sie allerdings so verunsichert gewirkt, dass Ezekiel es nicht ernst genommen hatte. Doch für den Blick, den sie ihm jetzt schenkte, so eiskalt und feindselig, würde er sie schon noch zurechtweisen.

Aber nicht jetzt. Was jetzt kam, sah niemand in Tel'Narae als eine Bestrafung.

»Oberschenkel«, antwortete er kühl. Der Händler nickte und zog sie mit sich zu einem größeren Stand. Ezekiel folgte ihm, musterte dabei den Körper der Sklavin von hinten und bestätigte in Gedanken noch einmal, dass er die richtige Wahl getroffen hatte.

Das Mädchen hatte ihm von Anfang an gefallen. Klein und zart, und doch auf eine mysteriöse Weise interessant. Sie besaß blondes Haar und stahlblaue, von hellen Wimpern umkranzte Augen. Harte, stolze Gesichtszüge erinnerten an ihre Barbarenherkunft aus dem Schneeland Atraklin. Ihre Brüste waren klein, dafür aber straff, er schätzte sie auf ungefähr 16 oder 17 Jahre, vielleicht auch älter.

Für gewöhnlich gaben Kriegsgefangene keine guten Haussklaven ab, da sie zu aufsässig und voller Rachegelüste waren. Sie taugten als Opfergaben für den Gottkaiser und die Männer wurden oft in den Arenen eingesetzt, um sie für das Volk von Raubtieren jagen zu lassen. Zu Haussklaven und Vergnügungssklaven erzog man meist die, die bereits in der Sklaverei geboren wurden und nichts anderes kannten als das Dienen unter den Bürgern von Tel'Narae.

Am besten waren natürlich jene Mädchen, die gezüchtet worden waren. Die Zucht von Sklaven wurde sorgfältig kontrolliert wie bei anderem Vieh auch, und besonders bei den wertvollen und teuren. Aber er hatte sich das ausgesucht, was ihm in seiner Situation am nützlichsten war: Blondes Haar, helle Haut und blaue Augen, wie es sich in einigen Monaten im Palast des Kaisers durchsetzen würde. Es war eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit sein Plan Früchte trug.

»Bemüht Euch. Es ist sehr wichtig für mich, dass sauber gearbeitet wird«, wies er den Händler an. Die Vorstellung genießend stand er am Rand und verschränkte seine Arme.

»Ich habe noch nie unsauber gearbeitet.« Der Händler war zu einer Kohlenpfanne gegangen und hatte ein weißglühendes Eisen mit einem Lederhandschuh herausgezogen. Ezekiel spürte die Hitze selbst aus der Entfernung von ein paar Metern.

Im Anblick des Eisens schmolz der aufgesetzte Stolz des Schneemädchens schnell dahin. Sie riss die Augen auf und versuchte verbissen, sich gegen die groben Griffe der zwei großen, starken männlichen Sklaven zu wehren, die ihren linken Schenkel in Position brachten. Panisch, fast hilfesuchend, sah sie ihn an, aber Ezekiel erwiderte den Blick nur mit leichten Amusement.

Dann wurde sie als offizielle Sklavin des Imperiums Tel'Narae gebrandmarkt.

Die Kennzeichnung dauerte nur wenige Sekunden. Das könnte Ezekiel jedem Zweifler objektiv versichern. Nur ein Mädchen, das gerade gebrandmarkt wurde, tat sich bestimmt schwer damit, diese augenfällige Wahrheit zu akzeptieren.

Das Eisen biss sich fest, küsste und nahm sie für sich in Anspruch. Das Mädchen schrie in Qualen auf. Zu ihrem Glück ließen sie sie schreien; dies zu erlauben, während ein Mädchen mit heiß glühenden Eisen gebrandmarkt wurde, war üblich und in Tel'Narae ein Zeichen von Gutmütigkeit. Hinterher jedoch, sobald das Eisen aus ihrem Fleisch gezogen wurde und ihre Zeichnung abgeschlossen war, sollte sie nicht erwarten, dass ihr Meister weiterhin entgegenkommend auf ihre Gefühle einging. Solche Nachsicht war dann eher unwahrscheinlich, denn wenn sie davor etwas gewesen war, dann war sie hinterher bloß noch eine Sklavin.

Das Mädchen erschauderte in ihren Fesseln, stöhnte und weinte. Ihr Schenkel würde noch tagelang weh tun, aber dies war streng genommen belanglos, denn was zurückblieb, war das Mal in ihrem Fleisch. Im Gegensatz zu den Schmerzen würde es nicht vergehen, sie musste es weiterhin tragen. Von nun an sollte es sie als etwas auszeichnen, das sie zuvor nicht gewesen war, jetzt aber unleugbar für alle Augen war.

Nachdem das Brenneisen entfernt wurde, ließen sie sie liegen, da der Händler jetzt zu ihrem stählernen Halsreif beschäftigt war. Ezekiel warf einen letzten prüfenden Blick auf ihren Oberschenkel. Ein Brandzeichen war nicht umsonst. Zwar war es grausam hübsch, die verschnörkelte S-förmige Glyphe, die für Sklavin stand, aber es stach hervor und die Naraener würden über sie herfallen, sollte sie damit versuchen zu fliehen.

»Name und Heimatstadt?«, fragte der dickliche Mann. Der Kragen, den er hervorgeholt hatte, bestand aus Eisen, das dünn vergoldet war, damit es im Licht glitzerte.

»Ezekiel Zoharon, Ephis.« Diese Informationen waren wichtig, falls die Sklavin versuchte zu fliehen und in den Händen der Stadtwache landete. Jede Sklavin trug einen Kragen um den Hals. Ein abschließbares Halsband aus Eisen oder Stahl, das üblicherweise mit dem Namen des Eigentümers versehen wurde. In seltenen Fällen war der Kragen auch geschmiedet und konnte nicht geöffnet werden, ohne ihn zu zerstören.

»Ezekiel?« Der Händler sah auf. Auf seiner Stirn war eine Sorgenfalte aufgetaucht, die ihn innerlich genervt seufzen ließ. Beschwichtigend zuckte er mit den Schultern.

»Keine große Sache. Meine Mutter verlor drei ungeborene Kinder, bevor sie mich bekam. Ihre Hoffnung, ein himmlischer Name würde helfen, hat sich am Ende bewährt.«

»Schon einmal in Erwägung gezogen, Euch einen anderen Namen zu suchen? Dem Kaiser wird es sicherlich zusagen.«

»Gewiss. Schon öfter, um ehrlich zu sein«, gab Ezekiel zu. »Doch momentan findet sich dazu keine Gelegenheit. Wenn Ihr den Namen eingravieren wollt?«

»Wie Ihr wünscht.« Der Händler gravierte seinen Namen konzentriert in das Eisen und war einige Minuten später fertig mit seinem Werk. Es gab auch farbige Kragen, die die Stellung der Sklavin wiedergaben. In Ausnahmefällen genügte auch ein Stück Seil um den Hals, besonders in bäuerlichen Gemeinschaften. Denn diese Sonderanfertigung bekam auch Ezekiel nicht geschenkt, es kostete ihm einiges an Münzen. Aber hatte das Mädchen so billig bekommen, da wollte er nicht zimperlich sein.

Die zwei Sklaven packten das Mädchen grob an ihren Oberarmen und zerrten es hoch auf ihre Beine. Sie stieß einen wehklagenden Laut auf und zitterte. Die Schmerzen standen ihr ins Gesicht geschrieben, doch keiner nahm Rücksicht auf sie. Noch ein letztes Mal kontrollierte der Händler die eingravierte Inschrift und strich sachte über das Metall, bevor er mit dem Kragen auf die Sklavin zuging.

»Küss ihn, Sklavin«, befahl er mit strenger Stimme, und hielt ihr den Reif vor den Mund. Er erlaubte ihr einen kurzen Augenblick, in dem sie verwirrt und sichtlich angewidert zögern durfte, doch dann griff er zu seiner Sklavenpeitsche an seiner Hüfte. Noch bevor er ihr einen Schlag verpassen konnte, hatte sie sich vorgebeugt und berührte ganz in naraenischer Tradition mit den Lippen das Eisen.

Sie hat Angst vor Schmerzen. Sie fürchtet die Peitsche.

Zufrieden befestigte der Händler den Kragen mit einem leisen Klacken um ihren Hals und schnallte zusätzlich noch eine leichte, filigrane Kette aus Edelstahl an den Ring direkt unter ihrem Kinn. Das Ende der Kette drückte er Ezekiel in die Hand. Sie machte einen anmutigen Eindruck, wie sie vom Halsreif hinab hing und zwischen ihre Brüste hindurch hing. Zufrieden zog er sie an der Kette zu sich her, das Mädchen schrie nicht mehr auf, doch er konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie mit den Tränen kämpfte.

Jetzt, da sie so nahe bei ihm stand, erkannte er, dass sie ihm gerade mal bis zur Brust ging, er war mehr als einen Kopf größer. Vielleicht hatte sie dies ebenfalls bemerkt, denn obwohl sie nun Augenkontakt vermied, sah er darin große Furcht, gemischt mit Wut, Trauer und Schmerzen.

Ein verlockender Anblick.

Ezekiel befühlte den Reif mit seinen Fingern, als würde er die Arbeit des Händlers prüfen wollen. Er lag recht eng an ihrem Hals an, über den er ebenfalls strich und ihre Reaktion beobachtete. Das Mädchen zitterte stärker und drehte ihren Kopf demonstrativ zur Seite, als wollte sie ihn mit allen Mitteln aus ihrem Umfeld verbannen.

Ich bin das Eigentum von Ezekiel Zoharon aus Ephis, las er die Inschrift in der Mitte.

»Ist alles zu Eurer Zufriedenheit, mein Herr?«, fragte ihn der Händler und Ezekiel nickte. Sein Name war sauber und leserlich geschrieben worden, auch wenn einige Fragen gestellt worden waren.

Er ließ den Reif los und hielt die Kette lockerer. Das Mädchen wich instinktiv einen Schritt von ihm zurück. Er reichte dem Mann die restlichen Münzen, die er für die Kette und den Halsreif verlangte, und bekam im Gegenzug einen kleinen Schlüssel. Der Kauf seiner eigenen Sklavin war abgeschlossen.

»Ich wünsche Euch das Wohl des Kaisers«, verabschiedete sich der Händler von ihm.

»Und ich wünsche Euch das Wohl des Kaisers.« Er hasste diese Verabschiedung, so wie er den verfluchten Kaiser hasste, aber das durfte er sich nicht anmerken lassen. Wer dem Kaiser keinen Respekt zollte, galt in Tel'Narae schnell als Feind des Imperiums, und er wollte lästigen Verhaftungen aus dem Weg gehen.

Ohne sich nochmal zu ihr umzudrehen, führte er das blonde Mädchen an der Kette aus der Halle hinaus und verschwand mit ihr im Trubel des normalen Marktes. Die Sonne war bereits untergegangen, kühle Nachtluft, gemischt mit den kulinarischen Gerüchen der Essensstände füllte seine Lungen.

Zwingend folgte sie ihm, war langsam und die Schmerzen an ihrem Bein beeinträchtigten sie, doch Ezekiel hatte es eilig. Länger als nötig wollte er sich hier draußen nicht aufhalten.

Nicht wenn es hieß, der General der Eulen war zurückgekehrt.

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