𝟎𝟐┃𝐒𝐤𝐥𝐚𝐯𝐞𝐧𝐤𝐞𝐭𝐭𝐞𝐧

[SOLACE]

Das hier bin ich nicht.

Das hier passiert nicht.

Das hier ist nicht mein Leben.

Prinzessin Solace aus Atraklin, Tochter von König Orys und Königin Kyrie und Erbin des Throns, war nackt. Keine Kleidung, hinter der sie sich verstecken konnte. Einzig allein die rauen Seile drückten in ihr Fleisch und rieben es allmählich blutig.

Der Händler hatte sie so an ihren Käfig gefesselt, dass ihre Brüste sich durch die Gitterstäbe quetschten und sich prall der Menschen auf der anderer Seite entgegenstreckten. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft dreckige Hände über sie strichen, an ihren Brustwarzen spielten und kniffen, bis es weh tat.

Das hier ist nicht mein Leben.

Wie bin ich hierher geraten?

Solace hatte die meiste Zeit die Augen geschlossen, damit sie nicht sehen musste, wer da vor ihr stand und ihren Körper berührte.

Sie wollte keine Männer mehr sehen. Egal ob Sklave oder frei, in diesem Land waren alle Männer gleich. Das Imperium Tel'Narae und seine Regeln waren barbarisch und grausam. Grausamer als in ihrem Heimatland Atraklin, wo es keine Sklaverei gab, und die Frauen mehr wert waren als nur ein paar Goldstücke.

Sie spürte, wie ihr Körper neuerdings an seinen Reserven zehrte. Das schmerzende, leere Loch in ihrem Magen, der Hunger, den sie sonst nie gekannt hatte. Ihre Kehle, so trocken und rau wie Schleifpapier, an welcher sonst die feinsten Weine hinab geflossen waren. Zwar rief sie sich regelmäßig ins Gedächtnis, dass man sie hier kaum verdursten, oder gar verhungern ließe, da sie lebend auf dem Markt mehr wert wäre, doch eine gute Bedienung gab es an diesem Ort nicht. Eine Kelle Wasser heute Morgen nach ihrer Ankunft mit dem Schiff und eine weitere Kelle heute Mittag, mehr hatte es bisher nicht gegeben. Und jeder, der nach mehr gefragt hatte, bekam einen Hieb mit der Peitsche. Sie hatte keine Versuche unternommen zu entkommen. Ihre Kraft war zu wertvoll, als dass sie sie einfach für wilden Trotz verbrauchen konnte. Sie musste vorerst nur überleben - nicht mehr und nicht weniger, und dafür brauchte sie vor allem zwei Dinge: Geduld und einen wachen Verstand.

Noch lag ihre größte Angst darin, erkannt zu werden, aber bisher schien sie Glück zu haben. Sofern es in ihrer Situation überhaupt angebracht war, dieses Wort auch nur zu denken.

Glück.

Von allen Dingen, die sie gerade besaß, sah sie Glück nicht als einen Teil davon an. Was sie besaß waren ihr Wille, ihr Durst nach Rache, ihre Verachtung gegenüber dem Imperium, und, so blöd es auch klingen mochte: Hoffnung. Und so lange sie diese Dinge besaß und daran festhielt, gab es auch einen Weg in die Freiheit. Doch das Glück, das Glück war launisch, wie seine Göttin. Es könnte sie in jedem Moment verlassen. Dazu brauchte es bloß den Besuch einer Person in weißer Rüstung, oder einen hochrangigen, adligen Käufer, der die richtigen Informationen besaß. Schon bei der kleinsten Vorstellung davon, was dann passierte, drehte sich ihr der Magen herum.

Eine Hand berührte sie an der Unterseite ihres Kinns.

Reflexartig riss sie die Augen auf, erstarrte vor Ekel und konnte nur noch die Umrisse eines dunkelhaarigen Mannes erkennen, ehe sie die Augen wieder fest zusammenpresste. Sie zitterte, war schutzlos und gefesselt und hatte keine Lust, bei ihrer nächsten Demütigung zuzusehen. Sie wartete darauf, dass der Mann irgendetwas Dreckiges zu ihr sagte, oder einfach weiterging, doch es passierte gar nichts. Er hatte immer noch seine Hand an ihrem Kinn und fuhr mit dem Daumen über ihre Lippen.

Ein kaltes Schaudern jagte ihr über den Rücken.

Dann spürte sie seine Hand an ihrem Schopf, nicht grob, zwar dennoch fest, aber beiläufig, wie man zum Beispiel die Mähne eines Pferdes anfasste. Er zwang sie, ihren Kopf zu strecken und rieb mit seinem Daumen über einen Kratzer an ihrer Stirn, den sie sich im Schiffsbauch zugezogen hatte. Es brannte, war aber nur eine Schürfwunde. Er befühlte ihren Oberarm, dann den Unterarm und die Finger, indem er sie einzeln bewegte. Schließlich fuhr er mit beiden Händen beherzt über ihren Körper, um ihre Rundungen zu erfassen.

Die Dreistigkeit und Offenheit, mit der er sie betrachtete und behandelte, widerte sie an. Sie kam sich vor wie ein professionell geprüftes Tier. Hielt er sie für einen schlichten, goldenen Schoßhund?

Nein. Das richtige Wort ist Straßenköter.

Natürlich war sie mit Wasser abgespritzt worden, doch sie wusste, wie schmutzig sie war und wie mitgenommen sie aussehen musste. Aber begriffen diese Leute nicht, dass sie ein Mensch war?

Eigentlich, schoss ihr durch den Kopf, bin ich zehnmal so viel wert wie ein gewöhnlicher Mensch.

Der Mann drehte ihren Kopf, steckte zwei Finger seiner linken Hand und zwei der rechten in ihren Mund, um ihn weit zu öffnen und ihre Zähne zu untersuchen. Dadurch erhärtete sich der unerwünschte Eindruck einer Fleischbeschau, und der Punkt war erreicht, an dem sie nicht mehr ignorieren konnte, was er tat. Solace öffnete ihre Augen und funkelte den Mann kalt und böse an.

Ein Akt des Widerstandes, ein Zeichen, dass er nicht alles mit ihr machen konnte, was er wollte. Diese Leute hier sahen es ganz und gar nicht gerne, wenn Sklaven einem direkt in die Augen sahen. Aber verflucht, er sollte wissen, was sie von ihm hielt.

Im letzten Licht der untergegangenen Abendsonne, das durch die Öffnungen der Decke fiel, schimmerte seine Haut typisch für einen Naraener karamellfarben. Schwarzes, gekräuseltes Haar ging ihm bis zu seinem Kinn und ein gut gestutzter Bart umrandete seinen Mund. Dunkle, gefährliche Augen fixierten sie, die mehr zu einem Raubtier, denn zu einem Menschen gepasst hätten, und plötzlich konnte sie ihren Blick nur schwer wieder abwenden. Verächtlich musterte sie ihn von oben bis unten. Er war groß und schlank, unter seinem Hemd und dem abgewetzten Ledermantel zeichneten sich seine Brustmuskeln ab.

Er sah aus wie ein Vagabund. Eventuell ein Söldner, oder Bote, rätselte sie. Vielleicht gehörte er aber auch einer der Karawanen der naraenischen Wüsten an. Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aus der Stadt zu gelangen, doch so lange sie nicht wusste, was mit ihrer Schwester geschehen war, hatte dieser Gedanke einen faden Beigeschmack.

Wieder fasste er an ihren Kopf, zwang sie, ihn anzusehen. Er betrachtete ausgiebig die feinen Züge ihres Gesichtes, den Daumen drückte er rechts gegen ihr Kiefer, die übrigen Finger lagen auf der anderen Seite. So war sie außerstande, den Kopf zu bewegen.

Sie spannte den Kiefer an und presste die Zähne fest zusammen, damit sie ihm keine Worte an den Kopf spuckte, die sie bereuen würde. In Atraklin hätte ein Mann es niemals gewagt, sie gegen ihren Willen derart anzufassen. Man hätte ihn dafür gewiss in aller Öffentlichkeit kastrieren lassen, oder zumindest seine Hände genommen. Die Vorstellung allerdings milderte ihr Schamgefühl nur geringfügig und die Übelkeit im Bauch, verursacht vom Hunger, stieg weiter an. Sie wollte hier weg, und das ging nur, wenn sie wirklich von jemanden mitgenommen wurde. Wenn sie gekauft wurde. Es kam ihr surreal vor, aber das war das Szenario, auf das all ihre Pein hinauslief.

Denk jetzt scharf nach.

Solace wollte ganz sicher nicht das Eigentum eines fetten Naraeners werden, wie der nur eine halbe Stunde zuvor. Allein die Erinnerung, wie er vor ihrem Käfig gestanden hatte, ein Berg aus Fleisch mit dunklen Schweinsäuglein und hängenden Brüsten, reichte, um ihr eine Gänsehaut zu bescheren. Und der Geruch nach Pisse, der von ihm ausgegangen war, lag immer noch in der Halle. Im Gegensatz zu ihm gab der Vagabund ein deutlich angenehmeres Bild ab, wäre da nicht dieser grausame Zug, der auf seinen dünnen Lippen lag. Dieser Mann gab ihr ein beunruhigendes Gefühl, und dennoch ...

Sorgfältig, mit all ihren letzten verbliebenen vernünftigen Gehirnzellen, wägte sie ab, ob sie es darauf ankommen lassen sollte, dass er  sie kaufte, oder ob sie vielleicht doch einen fiesen Husten vortäuschen sollte.

Eine kluge Sklavin verdient einen klugen Herrn, und du siehst aus wie ein Streuner ... wie ein Narr. Aber ein Narr ist das, was ich jetzt leider am dringendsten benötige.

Ruppig ließ er sie wieder los, drehte sich von ihr weg und winkte einen Händler zu sich, der sofort zu ihm kam. Offenbar hatte er Interesse an ihr gefunden.

»Sie trägt keine Tafel«, sprach er und Solace hörte zum ersten Mal seine Stimme. Sie hörte sich rau und kratzig an. »Erzählt mir etwas über sie.«

Der Händler, ein kleiner, gedrungener Kerl, sah sie prüfend an. »Kein Ding, mit dem ihr glücklich werdet, mein Guter. Ich werde euch meine besten Mädchen zeigen, die ich im Stall habe. Wertvoller als sie es jemals sein wird.«

»Nein«, beharrte der Mann mit dem Bart. Er hatte kaum eine Sekunde gezögert, als stünde für ihn schon fest, dass er sie kaufen wollte. »Sagt mir, was ich wissen will.«

»Also gut. Das Mädchen stammt aus Atraklin, wie Ihr an ihrer hellen Haut und dem blonden Haar sehen könnt. Ich habe sie erst seit heute Morgen in meinem Sortiment. Zuerst war sie ungehorsam, wusste sich nicht zu benehmen, bis wir sie an das Gitter gefesselt haben. Sie ist nicht besonders, aber wurde daraufhin ein bisschen zahmer. Die Barbarin werdet Ihr jedoch nicht so schnell aus ihr herauspeitschen können. Schneefrauen geben keine guten Haussklaven ab, das ist bekannt. Meine naraenischen Mädchen hingegen... «

Der Händler verstummte, als der Mann bereits seinen Geldbeutel hervorgeholt hatte. Wahrscheinlich wusste er dass er dieses Mädchen nicht um einen so teuren Preis verkaufen konnte wie eine seiner älteren Vergnügungssklavinnen, die sich gegen die Käfige warfen, nur damit die Männer sie überhaupt ansahen.

»Wie viel?«

»Ihr bekommt sie für tausend«, antwortete der Händler ziehend.

Der Vagabund musterte das Mädchen noch einmal kritisch. »Tausend für so ein wertloses Stück Fleisch? Ich kaufe sie für dreihundert, nicht mehr. Seht sie Euch an. Klein, schwach und kränklich. Das ist ein angemessener Preis.«

Jetzt schämte sie sich. Rund um sie herum wurden schöne Frauen für das Zehnfache gekauft und er wollte sie möglichst billig haben. Wo kam sie hin, bei so einem Preis? Auf eine Plantage? In ein Bordell? Verdammt, sie war keine billige Straßenhure. Sie war die Thronfolgerin von Atraklin, sie war hübsch, sie war intelligent, und tausend imperiale Kunar waren eine Beleidigung.

Seht her, wollte sie rufen. Ich biete zehntausend Silberstücke für mich selbst! Ich biete alles Gold von Atraklin.

»Siebenhundert. Sie ist jung«, versprach der Händler. »Ihr könnt mit ihr Nachwuchs züchten und die Kinder für für gute Münzen verkaufen.« Solace verzog angewidert ihr Gesicht.

»Vierhundert. Sie ist verletzt.«

»Barbaren sind schließlich dafür bekannt, gerne Widerstand zu leisten. Sechshundert und sie gehört Euch.«

»Ihr habt Recht.« Ein künstliches, höfliches Lächeln hatte sich auf seinen Lippen gebildet. Solace verstand allmählich, was die beiden spielten. »Sie ist eine Barbarin und ihre Erziehung wird viel Zeit kosten. Fünfhundert. Das ist mein letztes Angebot.«

»Einverstanden.« Der Mann nickte und nahm seinen Geldbeutel entgegen. Es dauerte nicht lange, bis die Sklavin aus dem Käfig geholt wurde und vor ihrem neuen Besitzer stand. Ihrem Meister, wie sie ihn von jetzt an ansprechen musste. Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn ansah. Das war also der Mann, der nun über sie verfügte. Ein abgewetzter Vagabund, und trotzdem wirkte er auf einmal wie ein Raubtier.

Sie suchte in seinen Augen nach Gefühlen. Ein Zeichen von Menschlichkeit, irgendetwas. Aber er war gut auf der Hut, seine Augen zeigten nichts als ein schwaches Zeichen von Neugierde.

Nun, Neugierde war immerhin etwas.

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