Und kleine Finger
So schnell wie der Anflug von Wagemut am gestrigen Abend gekommen war, war er auch wieder verflogen und Lucy hatte Samu, nachdem sie hastig von seinem Schoß gestiegen war, erklärt, dass sie müde wäre und Schlaf brauche. Samu hatte kein Wort mehr gesagt, genickt und war verschwunden. Zurückgelassen hatte er Lucy mit einem vor Angst und Verwirrung pochendem Herzen und einer schlaflosen Nacht.
Am nächsten Morgen machte sich das bemerktbar, denn ihre Augenlider fühlten sich an wie Blei. Wach zu bleiben, schien die größte Herausforderung des heutigen Tages zu sein. Das dachte sie jedenfalls.
Nachdem sie sich allein einen Teller mit Frühstück beim Buffett geholt hatte und wieder in ihr Zimmer gegangen war, versuchte sie einen Cateringservice für die Gala zu finden und musste feststellen, dass so kurz vor Weihnachten schon alles ausgebucht war. Die Idee dieser Gala war zwar toll, aber so kurzfristig eine echte Herausforderung. Zusätzlich war heute ein Reisetag auf der Tour. Das heißt, sie musste noch Sachen einpacken und dann mit dem Rest der Tourmitarbeiter zum Flughafenshuttle.
Gestresst schaute sie auf ihr Handy, das ihren Zeitplan für heute enthielt. Es war erst um 9 Uhr, aber sie fühlte sich, als wäre schon der halbe Tag vorbei.
Eine neue Benachrichtigung auf Instagram ploppte auf ihrem Bildschirm auf. Seufzend schob Lucy sie weg. Eigentlich hatte sie eingestellt, dass sie keine Nachrichten mehr bekommen konnte, aber trotzdem kamen manchmal Nachrichten durch. Auch wenn Sam ihr geraten hatte, alles zu löschen, was bei ihr ankam, war Lucy neugierig gewesen und hatte sich einige der Direktnachrichten angesehen. Vieles kam von Fake-Accounts und einige Nachrichten waren sehr bösartig formuliert worden. Aber Lucy hatte auch aufmunternde und mitfühlende Worte erhalten, die bedauerten, wie sehr der Artikel sie diffamierte. Das hatte sie beruhigt, da sie nicht mehr das Gefühl hatte, für die gesamte Fangemeinde die Böse zu sein.
Und dann waren da noch ihre Gedanken, die immer und immer wieder zu dem Frontmann der Band wanderten und über seinen Blick nachdachten, mit dem er sie betrachtet hatte, als sie am gestrigen Abend nicht verneint hatte, dass sie niemals mit ihm zusammen sein würde.
Natürlich spukte ihr diese Möglichkeit im Kopf herum. Die Möglichkeit, dass sie zusammen sein könnten. Aber wie sollte das funktionieren? Konnte so eine Beziehung überhaupt funktionieren? Sie wusste jedenfalls von wenigen Verbindungen zwischen Superstars und Menschen wie Lucy, die es schafften, eine normale Beziehung zu führen. Und was war schon normal bei sowas.
~~~
Wenige Stunden später stand Lucy mit gepackten Koffern am Flughafengate. Eine Lösung für das Cateringproblem hatte sie bisher noch nicht gefunden und das bereitete ihr einige Sorgen.
Verstohlen blickte sie zu den Bandmitgliedern, die sich ganz in ihrer Nähe aufhielten. Um sie herum war es chaotisch und es herrschte reges Treiben. Ein paar Flugzeuge hatten Verspätungen und Gates wurden gewechselt, sodass sich nun eng gedrängt Menschen durch die Gänge des Flughafens schoben. Die Band selbst und alle, die dazugehörten, hatten einen kleinen abgetrennten Bereich, um so kurz vor dem Abflug nicht von Fans belagert zu werden. Die Band redete gerade mit einem der Techniker und leises Lachen drang zu ihr hinüber. Sie lagen gut im Zeitplan und dementsprechend entspannt war die Stimmung aller Beteiligten.
„Nervös?", fragte jemand neben ihr und Lucy schrak zusammen. Mit einem Blick zur Seite erkannte sie Brian, der nun neben ihr aus dem Fenster hinaus aufs Rollfeld sah.
„Ein wenig", erwiderte Lucy. „Fliegen ist nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung"
Brian nickte und beobachtete dabei ein Flugzeug, das gerade langsam auf das Gate zusteuerte.
„Meine auch nicht, aber daran gewöhnt man sich schnell. In unserem Job ist es leider oft alternativlos. Die Termine sind zu eng getaktet für Bahn oder Auto und es würde nur in Stress enden"
Das Flugzeug drehte nun ein, sodass es mit der Spitze in Richtung Flughafengebäude zeigte.
„Wie gehst du damit um? Also mit dem Stress meine ich?", wollte Lucy wissen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Brian sie kurz anschaute und dann lachte.
„Gute Frage. Mit Ablenkung und so viel Freizeit, wie ich mir einrichten kann, würde ich sagen"
Er machte eine kurze Pause.
„Zum Glück geben uns solche Touren auch die Möglichkeit dazu. Auch wenn wir viel zu tun haben, sind wir doch ständig unterwegs und sehen neue Städte und lernen neue Menschen kennen. Das hilft, damit der Stress fast zur Nebensache wird"
Eine Durchsage unterbrach ihn. Das Flugzeug war nun angekommen und das Boarding würde in wenigen Minuten beginnen. Da sie alle in der ersten Klassen fliegen würden, waren sie die ersten, die in das Flugzeug durften.
„Na dann", sagte Brian und griff nach seinem Rucksack, den er neben sich abgestellt hatte.
Auch Lucy wollte sich umdrehen und zu der kleinen Tasche gehen, die sie als Handgepäck dabei hatte, doch Brian hielt sie auf, indem er seine Hand kurz auf ihre Schulter legte. Lucy musste für einen Moment dem Drang widerstehen, seine Hand abzuschütteln. Als er sie jedoch entschuldigend anlächelte, fragte sie sich, woher dieser Gedanke kam.
„Weil du von Stress geredet hast. Begleitest du mich heute Abend in die Stadt? Ich habe ein bisschen Zeit und könnte dir zeigen, wie ich meine Freizeit auf Touren verbringe"
Lucy nickte. „Gern", antwortete sie ihm. Sie konnte ein wenig Ablenkung gebrauchen und außerdem wollte sie die neue Stadt auch sehen, bevor der nächste Tag wieder komplett im Arbeitsstress untergehen würde.
Brian lächelte ihr zu, bevor er sich zum Boarding begab. Lucy sah ihm einen Moment lang hinterher, bevor sie selbst ihre Tasche holte.
Da sie noch ihre Kopfhörer aus der Seitentasche nahm und im Gehen auseinanderknotete, gehörte sie zu den Letzten ihrer Gruppe, die sich beim Boarding anstellten. Weit vor ihr sah sie Brian, der sich bereits auf der Gangway befand und auch einige der Bandmitglieder sah sie vor sich.
Gerade als sie ihren Reisepass herausgesucht hatte und wieder nach vorn blickte, spürte sie eine leichte Berührung an ihrem kleinen Finger. Sie sah nach unten und entdeckte neben ihrer Hand eine andere Hand, die sich so dicht an ihrer befand, dass sie leicht gegen sie stieß.
Verwundert folgte sie dem Verlauf des Armes, über die Schulter, den Hals bis zu einem von blonden Haaren umrahmten Gesicht. Für einen Moment betrachtete sie ihn einfach nur, bis ihr Blick auf seinen Mund fiel. Seine Mundwinkel hoben sich leicht und Lucy spürte wieder seine Finger an ihrer Hand. Ein Schauer durchflutete sie und sie bewegte ebenfalls ihr Finger in seine Richtung.
Ihr Gesicht wärmte sich und sie blickte schnell wieder nach vorn, bevor er ihr errötetes Gesicht sehen konnte. Gleichzeitig spürte sie mit klopfendem Herzen, wie sein kleiner Finger sich mit ihrem verhakte. Hitze schien sich in ihrem gesamten Arm auszubreiten und formte schließlich einen wohlig warmen Ball in ihrer Magengrube.
Unauffällig spähte sie über ihre Schulter nach hinten, um sich zu versichern, dass niemand ihre veschränkten Finger sah. Als sie feststellte, dass da Menschen waren, die auf das Ende der Schlange zusteuerten, wollte Lucy ihre Hand wegziehen, aber Samu hielt sie fest.
„Nicht“, wisperte er. „Nur einen Moment“
Lucy drückte seinen Finger und hielt ihn fest, bis sie an der Reihe waren, ihre Pässe und Boardkarten zu zeigen. Erst da ließ auch er sie los.
Hey ihr Lieben,
noch schnell ein weiteres Kapitel in meiner Weihnachtspause bevor der Ernst des Lebens weitergeht. Ich hoffe, es gefällt euch :)
Liebe Grüße
Luisa
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top