Zwei Stunden voller Überraschungen
Hermines folgender Tag verlief genauso, wie die vorherigen auch, mit der einzigen Ausnahme, dass sie nicht bei Hagrid vorbeischaute. Stattdessen war sie in der Bibliothek und suchte nach nützlichen Büchern über den Wolfsbann-Trank. Natürlich fand sie welche, doch sie misste Madame Pince hoch und heilig versprechen, sie gleich morgen wiederzubringen. Immerhin sei sie nicht die einzige, die diese Hausaufgaben aufhatte, warum auch immer man dieses Thema unbedingt im 3. Schuljahr behandeln müsse... Diese Frage hatte sich Hermine jedoch auch gestellt, nachdem sie die Einleitung zu diesem Thema grob überflogen hatte. Dieser Trank war verteufelt schwierig. Blieb zu hoffen, dass sie ihn nicht nachbrauen mussten und dass sich Malfoy nicht ganz so dumm anstellte und sie diese lästigen Aufsatz möglichst bald abschließen konnten. Doch je öfter die Gryffindor ihren Arbeitspartner an diesem Tag zufällig sah und unauffällig beobachtete, desto mehr schwanden ihre Hoffnungen, dass das ganze möglichst schnell und unkompliziert über die Bühne gebracht wurde. Denn Malfoy benahm sich wie üblich wie er war: Wie der letzte, arrogante Vollpfosten. Wie zur Hölle sollte sie mit diesem Deppen eine vernünftige Hausaufgabe abgeben können? Naja - notfalls würde sie diesen dummen Aufsatz auch allein schreiben und da zum Schluss einfach nur Malfoys Namen drunter setzen. Vielleicht würde dieses Vorgehen die Sache auch vereinfachen...
Umso weiter er Tag voranschritt, desto mulmiger wurde Hermines Gefühl und die Tatsache, dass Harry und Ron sie nach wie vor ignorierten, machte es auch nicht gerade besser. Wie gern hätte sie jetzt mit den beiden darüber gesprochen und einen Schlachtplan erarbeitet. Aber sie würde ganz bestimmt nicht zu diesen beiden Holzköpfen kommen! Da würde sie auch so durchkommen - es waren ja nur ein paar Stunden. Und auch die würden irgendwann vorbei gehen! So! Indem sie sich das immer wieder sagte, fügte sich die Gryffindor in ihr Schicksal und stand wie verabredet um 17:00 vor Professor Flitwicks Klassenraum. Zu ihrer Überraschung sah sie dort bereits den Slytherin warten, wie er fast schon unruhig den Flur hinauf und hinabsah, als sie um die Ecke bog. Als sie nah genug dran war, grüßte sie ihn mit einem kurzen Kopfnicken. "Malfoy. Schön, dass Du da bist..." Es war ungewohnt auch nur ansatzweise freundlich mit ihm zu reden, aber Hermine hatte ihren guten Vorsatz von gestern Abend nicht vergessen und wollte wenigstens versuchen, ein produktives Arbeitsklima zu schaffen. Malfoy blickte sie überrascht an und nickte ebenso ruckartig und ungelenk wie sie mit dem Kopf. "Granger", einen Moment lang zögerte der Slytherin, doch dann öffnete er die Tür und trat einen Schritt zurück, um ihr den Vortritt zu lassen. "Wollen wir?" Hermine schluckte. Okay. Malfoy, der höfliche Umgangsformen, sogar Manieren ihr gegenüber zeigte. Das. War. Gruselig.
Einen Moment lang starrte sie den Slytherin misstrauisch an und er starrte irritiert zurück, diesmal so ganz ohne seinen typischen Hochmut. Was dachte er sich eigentlich? Doch was sollte sie tun? Mit hastig gesenktem Kopf, ging sie an ihm vorbei in den ungewohnt leeren Klassenraum, dicht gefolgt von dem Blondschopf, der sich wahllos an einen der Tische setzte und auch Hermine nahm dort Platz - zwei Stühle weiter, weil sie sich nicht direkt neben ihn setzten wollte. Genau genommen wollte sie nicht einmal an einem Tisch mit ihm sitzen, aber es wäre ja wohl auch mehr als albern, hätte sie sich an einen anderen Tisch gesetzt. Dann herrschte betretenes Schweigen, das mit jeder Sekunde schlimmer wurde.
Keiner wusste, wo er anfangen sollte. Schließlich räusperte sich Hermine vorsichtig und begann mit dem Offensichtlichen. "Nun... ich hab ein paar Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen..." Während sie das sagte, holte sie die vier Bücher aus der Tasche, die sie Madame Pince aus den Rippen geleiert hatte und Malfoy holte ganze sechs Bücher hervor. "Jaaaa....", begann er langsam. "Ich habe auch schon mal einen Blick hineingeworfen und dieser Trank hat es echt in sich..." Hermine blickte überrascht auf und begegnete wieder den spöttischen Blick. "Was? hast Du geglaubt, ich lasse Dich die ganze Arbeit allein machen?" "Naja - Nein!", antwortete Hermine und spührte wie sich ihre Wangen rosa färbten, als er sie bei dem Gedanken ertappt hatte, der sich schon den halben Tag in ihrem Kopf verfestigt hatte. Offensichtlich zog er die richtigen Schlüsse, denn er schnaubte pikiert und ein verbissener Unterton schlich sich in seine Stimme. "Das käme auch nicht in frage, Granger! Ich bin nicht von Deinen Leistungen abhängig und durchaus fähig, meine Aufgaben selbst zu machen." Hermines Gesicht färbte sich noch dunkler. Anscheinend hatte sie einen wunden Punkt bei ihm getroffen. "Äh... ja...", murmelte sie und zog rasch ein Buch heran, um den Moment zu überspielen. "Dann lass uns einmal anfangen..."
Die Arbeit mit Malfoy in den nächsten zwei Stunden war doch erstaunlich produktiv. Zu Hermines ungemeiner Überraschung wusste Malfoy nicht nur, was er sagte und wie er es mit den Büchern belegen oder herausfinden konnte, sondern auch wie er am ehesten strukturiert arbeiten konnte. Sie gab es nur ungern zu, aber... das war so ganz anders als mit Harry und Ron. Mit den beiden kaute sie ihnen leider noch viel zu oft, das Wissen in kleine, mundgerechte Häppchen vor, während Malfoy ihren Gedanken durchaus folgen und ergänzen konnte. Tatsächlich musste die Gryffindor etwas eingestehen, was sie die letzten drei Jahre nicht wahrhaben wollte: Malfoy war hinter all seiner Großkotzigkeit und Aufschneiderei einfach auch intelligent. Niemals hätte sie gedacht, dass sie so gut vorankommen würden. Doch das änderte zwar nichts daran, dass das Thema an sich verzwickt und komplex war, aber dennoch kamen sie gut voran, während ihre Gespräche höflich und inhaltlich sachlich blieben. Dabei geschah in diesen Stunden noch etwas, was Hermine selbst erst gar nicht so bewusst war: Sie entspannte sich. Bücher, Wissen und Lernen hatten schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt und dadurch, dass sie mit Malfoy so wider erwarten gut arbeiten konnte, entspannte sie sich nach und nach, während sie sich zusammen immer weiter in das Thema einarbeiteten.
Erst als das Licht draußen merklich dunkler wurde und sie gezwungen wären, langsam über eine weitere Lichtquelle nachzudenken, fiel ihnen auf, dass es schon nach 19 Uhr war. Wieder breitete sich betretenes Schweigen aus. "Vielleicht... sollten wir morgen weiter machen?", schlug Hermine schließlich das offensichtliche vor und der Slytherin nickte zurückhaltend. "Ja... ich denke auch..." Irgendwie schien auch Malfoy überrascht zu sein, dass die Zeit so schnell vorbeigegangen war oder bildete sie sich das ein? Sie konnte es nur schwer sagen. Wieder schwiegen sie beide einen Moment lang, ohne so recht zu wissen, was sie sagen sollten und ohne sich direkt anzusehen, während sie ihre jeweiligen Bücher und Notizen einsammelten. "Na dann...", murmelte Malfoy schließlich, als der Tisch wieder so aussah wie er aussehen sollte. "Bis Morgen... wieder hier? Wieder um 17 Uhr?" "Ja... klingt gut...", antwortete Hermine unsicher und stand auf. "Bis Morgen...", verabschiedete sie sich und schaffte es nun endlich Malfoy ins Gesicht zu sehen. Irgendwie sah auch er im Moment viel entspannter und... netter aus als sonst, wenn er immer seine arroganten Sprüche klopfte. Täuschte sie sich oder war da sogar die Andeutung eines Lächelns, eines freundlichen Lächelns, in seinen Mundwinkeln? Hermine blinzelte und drehte sich rasch um, um den Raum zu verlassen. Was sollte sie sonst tun?
Während sie durch die Gänge zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum huschte, stellte sie fest, dass sie es irgendwie bedauerte, wie schnell die Zeit vergangen war... und dass die letzten zwei Stunden in den letzten Wochen die ersten beiden Stunden waren, in denen sie nicht das Gefühl hatte irgendwie traurig oder einsam zu sein, weil ihre zwei besten Freunde sich hartnäckig weigerten mit ihr zu sprechen.
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