5.
Jenny
Stille. Sollen wir das Kind mitnehmen? Das arme kleine Mädchen?
Sie schaut ihre Großmutter auch mit ihren großen blauen Kulleraugen an.
Caroline ist hübsch, aber auch sehr sehr dünn. Sie hat blonde Haare, man sieht von ihnen nur die Spitzen, da der Schnee nicht aufhört zu fallen.
"Aber Granny!"
"Ruhig, Caro."
"Aber ich lasse dich nicht alleine."
Marc räuspert sich.
"Ähm, Mam?"
"Nenne mich doch Mary Ann."
"Okay Mary Ann. Also sollen wir deine Enkelin mitnehmen und für sie sorgen?"
"Neiiiin Granny!!!", schreit Caroline mit einer hohen Stimme.
Die alte Frau, die nun einen Namen hat, ignoriert das Geschrei der Kleinen.
"Es ist so viel verlangt..."
"Ach, Quatsch. Wir werden für euch beide sorgen! Kommt, wir laufen zusammen weiter."
"Ich kann nicht. Caroline und ich sind stundenlang ohne Pause gegangen. Meine Knochen...Ich halte das einfach nicht mehr aus. Ich bin zu alt. Geht alleine weiter, so erreicht ihr mehr. Ich möchte euch nicht aufhalten. Nehmt Caro und macht euch auf den Weg. Gott möge euch beschützen!"
"Oma NEIN!", ruft Caroline empört.
"Caro, bitte geh mit den Leuten mit. Das scheinen nette Menschen zu sein und sie werden dich zu unserem Ziel bringen. Sie suchen auch ein sicheres Zuhause. Bitte geh mit ihnen mit. Ich werde eh bald sterben und so hast du wenigstens neue Freunde, die dafür sorgen, dass zumindest du überlebst. Lass mich hier alleine zurück."
Caroline fängt an zu weinen. Wimmernd antwortet sie: "Du darfst nicht sterben!"
"Glaub mir, Kind, ich werde noch ein Weilchen leben. Aber ich halte das ganze Laufen einfach nicht mehr aus und ich will, dass du ein neues und gutes Heim bekommst."
"Ach Oma."
"Wir werden uns doch auch wiedersehen."
Die Kleine nickt nur.
"Gehe mit den Leuten mit. Ich vertraue ihnen und ich glaube, dass sie bald Freunde von dir sind."
"Ja Granny."
Und ich hätte echt nicht gedacht, dass sie wirklich aufsteht.
Sie umarmt ihre Großmutter und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. "Wir sehen uns bald, meine Süße. Ich habe dich lieb. Und sei brav!"
"Ja. Ich dich auch. Bis bald!"
Und dann kommt sie auf uns zu.
Mary Ann läuft eine Träne die Wange hinunter. Mir tut das alles sehr leid.
Es ist ja klar, dass die ältere Dame hier bald sterben wird. Sie sieht mich an und ein Lächeln umspielt nun ihre Lippen. Ich schaue ihr in die Augen und eine Zahl erscheint.
18122049
Das ist übermorgen. Und sie wird jämmerlich erfrieren.
Caro starrt mich an. 04112095. Ein friedlicher Tod. "Du bist ja wunderschön!", sagt sie.
"Oh Danke dir. Du aber auch!", antworte ich.
"Danke sehr. Ich bin Caroline, aber nenne mich bitte Caro."
"Okay Caro. Ich bin Jenny und das sind Louis, Harry, Noah, Theo und mein Vater Marc." Ich zeige auf meine Brüder und erkläre ihr auch, dass sie meine Verwandten sind.
Theo mustert sie von oben bis unten. Er ist im gleichen Alter wie sie. Hoffentlich werden sich die beiden gut verstehen.
"Geht nun los, ihr lieben. Es ist Zeit.", höre ich die raue Stimme von Mary Ann sagen.
Erneut umarmt die Kleine ihre Großmutter, ihre einzige Verwandte, die sie hat.
Danach laufen wir los. Ich spüre den Blick von Mary Ann, der uns hinterherschaut; den Blick, der auf ihrer Enkelin und fremden Menschen liegt.
Das Leben ist grausam.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top