Viktoria-Park

Headsup: Tuas Sicht für euch heute mal wieder, viel Spaß ...

ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ

Die Sonne scheint mir ins Gesicht und wärmt meinen ganzen Körper. Ich liege ausgestreckt auf den Treppenstufen vor dem Denkmal am Kreuzberg. Jenn trinkt neben mir von ihrer Cola. Sie denkt nach über alles, was ich ihr gerade erzählt habe.

"Die ganze Wohnung riecht nach ihr, das ist das Schlimmste", schiebe ich nach und setze mich auf. Jenn dreht den Flaschenhals zwischen ihren Fingern und starrt in die Öffnung.

"Ich dachte, sie kriegt sich früher ein", murmelt sie. "Aber Tarik kennt sie besser, und er sagt, ihre Haut ist dünn wie Papier. Das hat so viel in ihr hochgeholt alles."

"Würde nix ändern, würde sie sich einkriegen. Ich bin an so 'nem Punkt, wo ich gar nicht mehr weiß, was ich will. Ich bin so oft abgehauen, wenn's zu kompliziert wurde, aber das ist anders. Weil mir klar ist, dass ich krass mitverantwortlich bin. Verstehst du?" Sie sagt nichts. Der Wasserfall im Viktoriapark rauscht vor sich hin. Ich stoße sie leicht mit dem Ellbogen an. "Jenn."

"Ja ja, ich versteh's. Ist bei Tarik und mir genauso. Dass ich mitverantwortlich bin und das weiß, meine ich." Ich seufze geräuschlos und lehne mich zurück. "Am wichtigsten ist, dass du das erstmal durchziehst, Großer. Kein Kontakt ist wahrscheinlich erstmal besser für euch beide. Und das mit dem Kuss war einfach dumm von dir." Ich nicke und lege einenn
Arm um sie. Jenn legt ihren Kopf auf meiner Schulter ab.

"Ist gut, dass du da bist", murmle ich.

"Du wärst komplett aufgeschmissen ohne mich und deine Jungs."

Ich muss schmunzeln und drücke sie kurz seitlich an mich, bevor ich sie loslasse. Sie verharrt in ihrer Position, ihr Haar kitzelt mich am Bart.

"Jenn, warum ist es so schwer damit aufzuhören, dumme Dinge zu tun?"

"Weil du immer dumme Dinge gemacht hast. Wärst du immer schlau gewesen, könntest du damit auch nicht einfach aufhören."

"Du glaubst nicht, dass es leichter ist, Dinge falsch zu machen als sie richtig zu machen?"

"Nein", entgegnet sie. "Ich glaube, das ist so ein Bullshit-Narrativ, mit dem man uns den Menschen an sich für dumm und selbstzerstörerisch verkaufen will."

"So hab ich das noch nie betrachtet", gebe ich zurück.

"Ich hab auch lange gedacht, dass wir alle voll scheiße sind, aber scheiße zu sein, ergibt keinen Sinn, oder? Wofür soll Gott uns denn strafen? Ob du Drogen nimmst oder Frauen wie deine Unterhosen wechselst ist dem doch egal."

"Jetzt klingt es wieder so, als könntest du einfach alles machen und ungeschoren damit davonkommen."

"Nee, so ist das nicht. Ich meine, nehmen wir deine Situation: Nicht Gott straft dich, Iara tut es. Sie hat ihre Gründe, aber Gott ist auf deiner Seite."

"Und auf ihrer."

"Ganz genau. Siehst du, du hast es doch kapiert."

Zufrieden trinkt sie ihre Cola aus und stößt auf, ohne sich dafür zu entschuldigen. Ich lache sie aus dafür, aber Jenn ist das egal, sie grinst bloß.

"Du bist echt einer meiner Lieblingsmenschen, weißt du das?"

"Sagst du mir oft genug, du bist'n richtiger Arschkriecher." Ich muss über mich selbst lachen und über sie. Es stimmt, aber so hätte ich das wohl nie ausgedrückt. "Nein, im Ernst. Ich hab dich auch voll lieb, wirklich." Ich umarme sie fest und wir verharren eine Weile so, bis sie das Schweigen bricht. "Was wirst du jetzt tun, Tua?"

"Wegen Iara?"

"Deinetwegen. Schwachkopf", brummt sie und vergräbt ihr Gesicht kurz in meinem Shirt, ehe sie mich wegdrückt.

"Keine Ahnung. Vielleicht mach ich so Schweige-Retreat in 'nem tibetischen Kloster."

"Spinner", murmelt sie.

"Nee, mal im Ernst. Ich überlege, ob ich 'ne Reise mache. Irgendwohin, wo man ziemlich easy hinkommt. Vielleicht fahr ich mit dem Auto nach Bulgarien oder so."

"Nimmst du mich mit?"

"Würde ich sofort, weißt du doch."

Sie schaut mich an und dann auf ihr Handy.
"Ich hab echt Lust dazu. Ich sprech mal mit Tarik darüber. Wenn du nicht vorhast, mich 'nen ganzen Monat zu entführen, müsste das klar gehen."

"Zwei Wochen fänd ich schön", erwidere ich.

Jenn nickt und tippt eine Nachricht an Tarik, ehe sie Telefon wieder einsteckt.

"Ich hab Hunger, holen wir uns Döner? Ich wollte mit dir auch nochmal wegen Hannes reden."

Statt zu antworten, stehe ich auf und helfe ihr auf die Füße. Wir bahnen uns unseren Weg zurück durch das Gestrüpp und erreichen den sandigen Pfad, der nach unten führt. Nach und nach werden es mehr Menschen und auch mehr Müll um uns herum, aber den ignoriere ich. Jenn läuft beinah einen kleinen Jungen um, der ihr vor die Füße flitzt, weil er aus dem Wasser raussprintet und einem Hund hinterherrennt. Ich halte sie im letzten Moment an der Schulter zurück und sehe dem Kind hinterher, das sich völlig unbedarft an seine Mama kuschelt.

Wir erreichen einen libanesischen Imbiss und entscheiden uns deshalb kurzerhand für Halloumi-Sandwiches.

"Weiß Hannes mittlerweile, dass seine Ex und sein älterer Bruder in der Stadt ist und ihn suchen?", will Jenn nach nur wenigen Bissen von mir wissen.

Ich schüttle den Kopf.
"Er hat mich gefragt, wieso ich verschwunden bin und ich hab die Trennung als Grund genannt."

Jenn schnaubt.
"Der muss sich ja einen Ast darüber abgefreut haben, dass ihr auseinander seid."

"Ich glaube nicht, dass Hannes zu sowas wie Freude in der Lage ist gerade. Er wirkte abgewrackt, als ich ihn zuletzt beim Boxtraining gesehen habe. Im Moment arbeitet er sich bei so einem Logistikzentrum ein, dafür muss er jeden Tag früh raus. Es setzt ihm zu, weil er sonst immer in der Nacht gelebt hat. Ist aber besser, wenn er einfach mitspielt. Er braucht das Geld. Während er einsaß, hat er Miete zahlen müssen."

Meine beste Freundin sagt nichts dazu, und ich weiß genau, wieso. Sie kann Hannes nicht leiden und sein Elend belastet sie nicht. Das wird sie sich nicht reinziehen, er war extrem unfreundlich zu ihr, wie zu allen, fast immer. Aber mit Jenn macht man sowas einfach nicht. Sie ist so ziemlich am weitesten von People Pleasing entfernt, wie man es nur sein kann. Auch das mag ich irgendwie an ihr.

"Wie steht's um eure Freundschaft?", stellt sie mir dann die Frage, die mich nun auch schon ewig umtreibt.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top