Stressverbot
Für mich ist es beschlossene Sache, nachdem ich sie miteinander gesehen habe: Stean ist mit Miri besser dran als ohne sie. Ich kenne meinen besten Freund, er hat sich weiterentwickelt seit der Trennung und ich muss Miri zustimmen. Dass Katja gegangen ist, ist das Beste, was ihm passieren konnte. Sie haben versucht, einander zu ändern. Miri macht das nicht. Und Stean hat recht, wenn er sagt, dass sie sich gegenseitig gut tun, denn sie wirkt wie ein totaler Overthinker. Die Bestätigung dafür lese ich in den Falten auf ihrer Stirn, als sie feststellt, dass Stean Vanilleeis, aber keine Schokosoße gekauft hat.
"Ich habe dafür Schokoladeneis und Vanillesoße", meinte er und präsentiert ihr beides wie ein QVC-Verkäufer mit diesen komisch verkrampften Händen mit durchgedrückten Fingern. Ich muss kichern. "Maul halten", motzt Stean beleidigt. "Wende die Dinger lieber mal."
Ich schüttle den Kopf, wende unsere Pancakes und sehe im Augenwinkel wie Miri ihm Eis und Soße abnimmt.
"Du bist ein Idiot", murmelt sie und küsst ihn flüchtig, ehe sie sich wieder daran macht, weiter den Apfel kleinzuschneiden, den sie mit Apfelmus und genackten Haselnüssen vermischen wird für ihr Winter-Special. Vor mir köcheln außerdem Himbeeren in Sirup in einem Topf und Kokosflocken zum Drüberstreuen stehen bereit. Sie hat alle Geschütze aufgefahren.
Stean hat sich hinter sie gestellt und schaut ihr über die Schulter. Nah, aber nicht so, dass er sie berührer würde. Er klaut eine Apfelspalte und schiebt sie sich in den Mund. Miri guckt böse, da nimmt er eine zweite und drückt sie gegen ihre aufeinandergepressten Lippen. Wieder muss sie lachen. Nachdem sie gekaut und geschluckt hat, stößt sie ihn sanft von sich weh.
"Du bist ein Störenfried", sagt sie. "Stimmst du mir zu, Iara?"
"Und wie", meine ich, woraufhin Stean empört japst.
"Und du willst meine beste Freundin sein." Murrend verlässt er den Raum. Nicht ohne Miri nochmal in die Seite zu piksen, die aufkreischt. Ich lasse die Pancakes kurz außer Acht und als Stean sich an mir vorbeischieben will, halte ich ihn an der Schulter fest und rubble über seinen Kopf, wodurch seine dunkelbraunen Haare vollständig durcheinander geraten. Er mustert mich finster. "Du hast dich auf die dunkle Seite der Macht begeben."
"Ja, mit Vergnügen", erwidere ich leichthin. "Schließlich macht Miri mir Pancakes, und du nicht."
Sie lacht. Stean kneift mich derweil liebevoll in die Nase und verschwinden dann im Flur.
"Ich kümmere mich schon mal ums Frühstücksfernsehen."
"Danke", flötet Miri. "Wie schön, dass du dich doch noch nützlich machst."
"Fick dich", flötet er in seiner Kopfstimme zurück und Miri und ich lachen beide darüber. Sie hat Baconstreifen aus dem Kühlschrank geholt die sie in eine kleine Pfanne legt, von der sie mich vorhin gebeten hat, sie mit ein wenig Butter drin zu erhitzen. Nun stellt sie die Stufe hoch und bleibt neben mir stehen. Ihr Blick richtet sich auf den Himbeersirupmix, der Bald fertig sein dürfte. Genauso wie die restlichen Komponenten unserer Schlemmer-Frühstücks.
"Die Pancakes sehen toll aus", lobt sie mich. "Du kriegst sie perfekt hin."
"Doch nur, weil dir der Teig super gelungen ist", schmettere ich es ab. "Was machst du eigentlich beruflich?", frage ich sie dann, weil es mich interessiert. Katja und sie haben Medizin studiert. Und während Katja in den USA Karriere als erfolgreiche Neurochirurgin gemacht hat, interessiert mich, wie es Miri ergangen ist nach der Uni.
"Ich leite eine Kinderarztpraxis hier in Braunschweig."
Damit schrumpfen meine Chancen, meinen besten Freund irgendwann dazu zu bewegen, nach Berlin zu ziehen, doch rasant. Aber vor Ort habe ich ja zum Glück noch Tarik. In seiner Nachricht von heute Nacht, die ich auf der Rückkehr von meinem Spaziergang beantwortet habe, hat er gefragt, wie es mir geht und mir erzählt, dass Tua jetzt in kleinem Kreis feiert. In den anderen Nachrichten zwischen Mika und Pari ging es darum, dass sie zu Hause sein muss, wenn die Wasserzähler bei uns abgelesen werden. Für Pari ist das kein Problem. Als Studentin kann sie jederzeit entscheiden, ihre Vorlesungen zu schwänzen, ohne dass es große Auswirkungen hätte. Mit ein wenig Mühe kämpfe ich mich aus meinem Kopf raus und wieder in die Gegenwart. Stress ist heute verboten.
"Wolltest du schon immer Kinderärztin werden?", beginne ich Miri zu löchern.
"Gott, nein", antwortet sie. "Ich habe Kinder gehasst, viele, viele Jahre meines Lebens."
"Was hat sich verändert?"
"Ich habe einen Mann kennengelernt. Er war alleinerziehender Vater. Ich habe ihn sehr geliebt und wollte unbedingt ein wichtiger Teil seines Lebens sein. Tja, am Ende bin ich das nicht geworden, aber solange ich mit ihm zusammen war, haben wir uns gemeinsam um seine Kinder gekümmert und ich habe gemerkt, dass mein Hass eher daher rührt, dass mir ihre Unbeschwertheit nicht ganz geheuer war. Als die Beziehung vorbei war, musste ich lange darüber reflektieren, aber was sich deutlich herauskristallisiert hat, war, dass es nicht wegen seiner Kinder nicht mit uns geklappt hat, sondern nur seinetwegen. Das war zur selben Zeit, wo wir im Studium eine Spezialisierung wählen sollten. So kam eins zum andern."
Ich lächle.
"Die Geschichte gefällt mir. Die Trennung hat dein Leben zum Positiven verändert."
Miri nickt.
"Ja, ich glaube, wenn wir eine harte Zeit im Leben durchmachen, ist es nie vom Schicksal gegen uns gerichtet. Im Grunde wirken alle Dinge im Universum für uns zusammen ... Oje, klang das jetzt wild esoterisch? Ich hoffe, du hältst mich nicht für durchgeknallt."
Ich lache amüsiert auf.
"Nein, gar nicht. Ich glaube, du hast recht damit." Wahrscheinlich ist genau das die Grundlage für das Vertrauen ins Universum, dass Vóvó immer so anpreist – der Glaube daran, dass das Schicksal immer für uns ist, nie gegen uns.
"Kommt ihr langsam mal?!", unterbricht Steans laute Stimme aus dem Wohnzimmer uns.
"Komm du nochmal her!", brüllt Miri zurück.
Er taucht nur Sekunden später im Türrahmen auf.
"Ich hab voll Hunger, beeilt euch mal", knurrt er genauso grummelig wie sein Magen im selben Moment.
"Dann mach jetzt bitte das Rührei, damit wir gleich essen können", fordert Miri ihn auf und deutet auf eine Ecke seines Küchentresens, wo sämtliche Zutaten, eine Schüssel und ein Schneebesen bereitstehen. "Iara und ich tun auf."
Ich berühre Miri leicht am Arm und sie wendet sich mir zu.
"Danke", sage ich.
"Gern", gibt sie zurück, und es ist nicht nur so dahergesagt bei ihr. Ich freue mich eigentlich immer, neue nette Menschen kennenzulernen. Aber bei Miri freut es mich irgendwie besonders.
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