Papier streicht über Papier

Wieder aus Tuas Sicht, viel Spaß :)

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"Du gehst gut damit um."

"Womit?" Ich drehe mich auf dem in die Jahre gekommenen Bürostuhl um zu Vadim, der auf der Couch in meinem Studio liegt, der Länge nach ausgestreckt, und ein Buch liest.

"Mit der Trennung."

Einen Moment herrscht Schweigen. Solange, bis er zur nächsten Seite blättert. Das Geräusch von Papier, das über Papier streicht, gefällt mir. Ich will es seit Jahren in irgendeinen Song einbauen, aber mir kam noch gute Idee. Einwandfreie Field-Recording-Dateien dümpeln auf meiner Festplatte rum. Aufgenommen an einem Tag im letzten Sommer, wo Vadi und ich am See waren und ich ihm das erste Mal so richtig von Iara erzählt habe. Obwohl ich es nicht wollte. Ich weiß es noch genau. Wie ich sie in einem Nebensatz erwähnt habe. Er hat mich angeschaut, wie er es immer tut. Seine Augen scheinen alles schon mal gesehen zu haben. Das ist wie bei ihr. Beide strahlen aus, dass sie sich nie von mir abwenden würden, egal, was ich sage. Unbrechbare Loyalität.

Hannes zeigt mir genau das auch. Aber bei ihm ist es kälter. Ich konnte mir nie erklären, warum. Mittlerweile glaube ich, es liegt daran, dass seine Loyalität in Wahrheit einem andern gilt. Elias, seinem jüngeren Bruder. Seinem verstorbenen jüngeren Bruder.
Wenn ich mein Handy das nächste Mal entsperre, muss ich seine Nachrichten endlich beantworten. Ich hab es mir geschworen.

"Findest du echt?", komme ich auf Vadis Frage zurück, der nichts sagt. Er findet das also wirklich. "Ich schlaf nach wie vor nicht", murmle ich.

"Das ist, weil du keine Ruhe brauchst. Dein Körper weiß das. Du musst tun. Du kannst dich nicht zurückziehen gerade und passiv bleiben."

"Ich versuch ja schon alles. Irgendwas davon könnte langsam mal Wirkung zeigen. Gerade ist es die Hölle. War ein schlechter Zeitpunkt, um mit dem Rauchen aufzuhören."

"Gibt keine schlechten oder guten Zeitpunkte", erwidert er. Nach einer Weile fährt er fort: "Mach dir nicht zu viele Sorgen. Du hast es akzeptiert, das ist das Wichtigste."

Hab ich es akzeptiert? Ich schätze, das hab ich wohl. Es fühlt sich einfach an, als hätte ich kassiert, was ich verdiene. Nach Jahren, in denen ich - ohne Rücksicht auf Verluste - etwas hinterhergejagt bin, was ich nie draußen in der Welt finden werde. Jetzt, wo Iara es endlich geschafft hat, mich dazu zu kriegen, dass ich meine Bemühungen nach innen lenke, haben wir uns verloren.

"Was fehlt dir am meisten?", fragt Vadim.

"Ihre Stimme", antworte ich, ohne zu zögern.

Er lächelt, sein Blick haftet an den Zeilen seines Buches. Ob er wegen mir oder wegen etwas darin lächelt, kann ich nicht sagen.

"Mir fehlt Leonies Geruch am meisten. Manchmal bilde ich mir ein, dass ich ihn rieche, und es reißt mich aus dem Schlaf."

"Vadi. Sag mir nicht, dass Leonie dir nach all der Zeit immer noch im Kopf rumspukt. Du machst mir Angst."

"Hast du Angst, dass du nie von Iara loskommst?"

"Nein", wehre ich ab. "Ich will mich nur nie wieder so verschließen. Dem Leben gegenüber."

"Die Trennung war gut."

"Ich weiß."

"Ich hatte Jess geschrieben; sie gefragt, ob du dich wieder mit ihr triffst. Als sie nein gesagt hat, war ich ein bisschen stolz."

Ich schnaube über seine Aktion und wende mich meinem Rechner zu.
"Dachtest du echt, ich würde dort landen? In ihren Armen?"

"Entweder bei ihr oder bei Ruqayyah. Aber von ihr hast du keine Nummer und du bist nirgendwo aufgetreten, also hab ich sie ausgeschlossen."

"Vertraust du mir so wenig, dass du Jess ins Kreuzverhör genommen hast?"

Vadim klappt sein Buch zu und sieht mich an.

"Als ich dich kennengelernt hab, warst du ein Hohlkopf. Ich auch. Zum Glück sind wir inzwischen schlauer."

Ich mustere ihn, in seinen schwarzen Klamotten, denn er trägt immer schwarz. Es bildet den krassesten Kontrast zu seinen flachsblonden Haaren und den Augen, die einen förmlich in seine Tiefe hineinziehen wollen, wenn man zu lange reinschaut. Er ist ein Teil von mir. Ich hätte in diesem Leben auch er werden können, als ich geboren wurde, aber ich wurde ich. Manchmal lastet die Verantwortung, die das mit sich bringt, so schwer auf mir. Die Verantwortung, ich zu sein. Aber im Grunde ist das nur Illusion. Sein-Wollen beschwert, das Sein an sich macht mich leicht. Vadim hat keine Angst vor seinen Abgründen und im Prinzip haben wir genau das gemeinsam. Nur, dass ich all meine Abgründe unbedingt erforschen wollte, während Vadi einfach der Wellenbewegung des Lebens folgt. Anzunehmen, was ist, zu akzeptieren, besonders zu akzeptieren, dass man eben noch nicht akzeptiert - das ist seine Stärke. Vor ihm musste ich mich noch nie verstellen. Er hat mich eh durchschaut.

"Willst du nicht irgendwann 'ne andere Frau kennenlernen?" Und über Leonie hinwegkommen?, füge ich im Stillen an.

"Klar, der Tag kommt noch", versichert er mir ruhig. Er legt das geschlossene Buch auf seinen Bauch und verschränkt die Arme hinterm Kopf. "Was ist mit dir?"

"Ich will keine andere Frau", sage ich.

"Nein, sorry. War missverstänlich. Wann willst du Iara von ihrer anderen Seite kennenlernen?"

"Ihrer anderen Seite?"

Vadim seufzt.
"Falls ihr nochmal zusammenkommt, werden sich ihre Gefühle für dich verändert haben. Sie wird dann jederzeit loslassen können und du musst dich mehr denn je anstrengen, damit sie dir nicht wegläuft."

"Mir würde ihre Unabhängigkeit gefallen", sage ich. "Ich hab kein Problem mit der Anstrengung." Mein bester Freund sieht mich ernst an. "Mehr", schiebe ich also nach. "Ich habe kein Problem mehr mit Anstrengung. Unsere Beziehung ist mir wichtig. Sie ist mir wichtig. Und ich bin mir wichtig."

Vadi schweigt.
"Hör auf", meint er nach einer Weile. "Lass Taten sprechen. Wenn du sie noch heiraten willst, dann sollte das dein Ziel sein."

"Wir sind getrennt, ich sollte im Moment nicht darüber nachdenken, ob ich sie heiraten will."

"In welchem Moment willst du dann darüber nachdenken?", wendet er ein und ich kann ihm nichts entgegnen. "Sie muss aus freien Stücken zu dir zurückwollen. Du kannst nicht weiter Däumchen drehen. Zeit, was zu ändern. Wie gesagt." Er starrt die Schaumstoffdecke über sich an. Wenn Vadim irgendwas wiederholt, dann ist es von gigantischer Bedeutung.

"Sollen wir was essen gehen?", werfe ich in den Raum, denn ich will das Thema nicht länger vor mir hertragen.

Vadim nickt. Er weiß, wie ich ticke.

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