Nadel auf Vinyl

Tuas Sicht, und das Ende des NaNoWriMo, deshalb folgt hier jetzt wahrscheinlich eine längere Pause ... Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!

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Die Seniorenresidenz, in der Frau Felder jetzt wohnt, ist von innen ein Albtraum aus weißen Fliesen. Es sieht aus wie in einer Psychiatrie und jedes Mal, wenn ich diesen Ort betrete, läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Sie versuchen es mit einem Haufen grüner Pflanzen wettzumachen. Grotesk große Palmen und Monsteras. Das Einzige, woran ich denken kann, ist, wie leicht diese Böden und Wände zu reinigen sind. Jeder Fleck - Wisch, und weg.

Die Frau am Empfang kennt mich mittlerweile und winkt mich durch. Deshalb steuere ich auf den Fahrstuhl zu. Frau Felder haben sie im zweiten Stock einquartiert. Ihr Zimmer geht zwar zur vielbefahrenen Straße raus, dafür hat sie aber den Blick auf den Park und daran erfreut sie sich. Ich klopfe an die Tür und halte den Strauß Tulpen ein Stück höher. Meine ehemalige Nachbarin öffnet mir mit einem breiten Lächeln und jauchzt, als sie die Blumen erblickt. Mir geht das Herz dabei auf. In den ersten Monaten, wo sie sich hier noch einleben musste, ging es ihr nicht so gut. Doch seit sich vor ein paar Wochen eine neue Einwohnerin zu ihr an den Mittagstisch gesetzt hat, hat sie hier eine Freundin gefunden.

"Oh, Johannes", ruft sie aus. "Die sind ja so fröhlich gelb! Da geht die Sonne gleich nochmal auf."

Ich habe bringe ihr immer frische Schnittblumen mit, wenn ich vorbeischaue, sie freut sich darüber. Die wechselnden Farben tun ihr gut, sagt sie.
"Die haben Ihren Namen geschrien, Frau Felder", erwidere ich. Sie tritt beiseite und lässt mich rein. Ich schließe die Tür hinter mir und muss lächeln als ich den liebevoll gedeckten Kaffeetisch sehe. Der Kaffee an sich schmeckt nach bitterer, wässriger Brühe, ihre Felsenkekse sind nach wie vor eine Zumutung für Zähne und die Servietten, die sie unter die Gabeln legt scheinen variieren in ihren immer selben hässlich kitschigen Motiven - Aber Frau Felder ist sowas wie meine Großmutter für mich und ich liebe sie, als wären wir verwandt. Was damit begonnen hat, wie ich ihr die Einkäufe nach oben getragen habe, endet nun hier, langsam aber stetig in dieser Verbundenheit als wäre sie meine Familie und ich ihre.

"Hannchen bringt uns noch ein Stück Kuchen vorbei. Ihre Tochter und sie stecken leider im Stau fest. Dafür hab ich aber meine Kekse rausgeholt."

Ich setze mich auf ihre Fußbank wie auf einen Hocker. Viele Sitzgelegenheiten gibt es in ihrer kleinen Bleibe nicht. Immerhin hat sie ihr eigenes winziges Bad mit Dusche, eine schmale Küchenzeile, und das Bett verschwindet hinter einem Raumteiler. Trotzdem gleicht die Größe der einer Gefängniszelle und sie sagt, was sie am meisten an ihrer Wohnung vermisst sind die verschiedenen Zimmer, durch die sie daheim tigern konnte.

Ich greife ich nach einem Keks und halte ihn in den lauwarmen Kaffee rein. Es braucht eine ganze Weile, bis die Struktur aufweicht. Obwohl weder der Kaffee noch der Keks für sich genommen besonders lecker, ist beides in Kombination okay. Wie Wodka-ACE.

"Wie geht es dir, mein Lieber?", fragt sie mich.

"Ach, Frau Felder ... Bescheiden. Es geht mir bescheiden, sagen wir mal so", wiederhole ich.

"Sag deiner alten Nachbarin, was du auf dem Herzen hast."

"Ich hatte ziemlich Stress mit Iara zuletzt. Wir haben uns öfter gesehen, und es ist nie so richtig gut ausgegangen."

"Das tut mir immer noch sehr leid, dass ihr euch für eine Trennung entscheiden musstet." Ich schweige und beiße von meinem Keks ab, der noch immer fest ist, aber wenigstens kann man ihn inzwischen kauen. "Ich sehe doch, wie viel sie dir bedeutet. Mein Mann hatte auch immer dieses Funkeln in den Augen, wenn er über mich gesprochen hat", erzählt sie ein wenig stolz und ihr Blick wandert zu dem Bild von ihm, einem gerahmten Schwarz-Weiß-Foto, das sie beide an ihrem Hochzeitstag zeigt. "Mein Edgar", murmelt sie und ich höre ihr gebrochenes Herz. Sie trägt es in ihrer Stimme, die nicht vom Alter so kratzt wie die Nadel über Vinyl, sondern allein von ihrem Kummer. "Weißt du, Junge, ich hatte immer ein bisschen ein Auge auf dich und deine Ausstrahlung hat sich ganz schön verändert mit dieser jungen Frau an deiner Seite."

"Ich finde auch, ich hab mich verändert. Aber ich hab trotzdem viel Schei-", ich unterbreche mich, "äh, Mist gebaut, als wir noch zusammen waren."

"Das hat Edgar damals auch. Er war ein echter Schwerenöter, und das habe ich mir nicht gefallen lassen. Einmal haben wir ... den Tango miteinander getanzt ..."

Ich schmunzle.
"Frau Felder, ich war schon selber Tango tanzen, Sie müssen hier nix verschleiern."

"Na, jedenfalls", fährt sie fort, "habe ich ihm gesagt, dass ich so nicht mit mir umgehen lasse. Damals hätte ich ein Kind bekommen können, und da habe ich zu ihm gesagt: Edgar, du musst dich entscheiden. Entscheidest du dich für mich, dann packen wir unser Leben gemeinsam an. Und wenn du weiter deinen Vergnügungen frönen willst, dann wirst du immer auf mich verzichten müssen. Edgar hat sich für mich entschieden. Ich war nicht, wonach er gesucht hatte. Aber ich war da. Und mich gefunden zu haben, hat ihm am Ende genügt."

Was sie sagt, ergibt Sinn, aber gleichzeitig ...

"Waren Sie je so richtig wütend auf ihn? Wirklich wütend, mein ich?"

Sie lacht und klingt dabei mindestens 40 Jahre jünger.
"Das war ich. Des Öfteren. Edgar hat die Suche nie ganz aufgegeben. Andere Frauen haben zwar keine Rolle mehr für ihn gespielt, besonders nicht mehr, als wie unseren Sohn hatten. Aber er wollte immer wissen, was es mit dem Paradies auf sich hat. Er hat davon geträumt, dass der Herrgott ihn auf schützenden Händen dorthin tragen würde, wo er keine Schmerzen, kein Leid mehr empfinden könnte." Sie lächelt sanft, und ein wenig verschmitzt. "Er hat sich gesehnt nach seinem Garten Eden. Auch mit mir war es nie genug für ihn, er hat es nie ganz dorthin geschafft. Zu seinen Lebzeiten zumindest nicht. Wenn er sich in seiner Suche verloren hat, und ich ihm dafür mal wieder am liebsten eins übergebraten hätte, habe ich ihm deutlich gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann; dass ich jetzt - in diesem Augenblick, in diesem Leben - da bin; dass ich alles bin, was tatsächlich zählt, und unser Kind. Alles, wonach er die ganze Zeit verbissen gesucht hat, hat er vermutlich erst nach seinem Tod entdeckt."

"Hat es sich angefühlt, als würde er verschwinden, wenn er mal wieder auf der Suche war?"

Sie nickt und trinkt einen Schluck Kaffee.
"Ja. Aber er war mein Mann und ich habe ihn geliebt."

"Und Sie waren seine Frau. Seine Liebe hat ihn immer zu Ihnen zurückgebracht."

"Genau so war es", bestätigt sie und ich denke noch über unser Gespräch nach, als ich schon längst wieder auf dem Heimweg bin.

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