Minze-Honig

Mit dem Freizeichen beschleunigt sich mein Herzschlag. Ich presse mein Handy dichter an mein Ohr, weil die U-Bahn gerade einfährt. Mika ist nach Hause gegangen, er war zu müde, um spazieren zu gehen.

Und nachdem ich die Allee runtergelaufen bin, vorbei am Lidl und dem Fußballplatz, habe ich Tuas Nummer wie von selbst gewählt, und meine Beine haben mich zum Bahnhof getragen.

"Hi."

Seine Stimme zu hören löst ein Feuerwerk in mir aus, mit dem ich nicht gerechnet habe und das in meinem Bauch tobt, während ich die Begrüßung erwidere.

"Hi. Kann ich dich besuchen? Jetzt?"

"Ja, ich bin wach. Du kannst deinen Schlüssel benutzen", schlägt er vor, und ich greife in meine Tasche. Meine Finger schließen sich um das kalte Metall.

"Okay, dann bin ich bald bei dir."

"Bis gleich", verabschiedet er sich und ich springe in die Bahn, die gerade ihre Türen schließt.

Kurze Zeit später drehe ich den Schlüssel, den Vadim vor unserer Trennung an mich weitergegeben hat im Schloss. Im Flur riecht es nach Tuas Lederjacke und seinem Parfüm, das direkt am Eingang steht, neben seinem Schuhregal, auf einem schmalen Beistelltisch.

"Hey, ich bin in der Küche", erschallt es aus dem Innern seiner Wohnung und streife mir die Schuhe von den Füßen und hänge meine Jacke auf. Das Laminat unter meinen Füßen knarzt an den bekannten Stellen. Ich mache einen Schritt nach dem anderen, bis ich in der Küche angelange. Tua gießt eine Kanne Tee auf. "Hey, wiederholt er. "Für uns", informiert er mich unnötigerweise, denn es stehen zwei Tassen auf dem Tisch. "Setz dich."

Ich sinke auf einen der beiden Stühle.
"Danke", sage ich als er die Kanne abstellt und sich gegenüber hinsetzt. Er sieht mich an und ich hebe den Blick von der Tischplatte, um ihm in die Augen schauen zu können. "Bevor du fragst: Ich weiß nicht genau, warum ich hier bin. Ich weiß gar nichts so richtig im Moment", sage ich.

"Das ist okay." Er meint ernst, was er sagt. Einer der vielen Knoten in mir löst sich dadurch. "Iara, du kannst immer hierherkommen. Wir müssen nicht reden, wenn du das nicht willst. Du kannst auf der Couch übernachten oder bei mir, oder ich schlafe auf der Couch und du im Bett. Du musst nichts erklären."

"Aber es gibt so viel zu klären, ich weiß nur nicht ... wie."

"Ich weiß es auch nicht, aber wir sollten uns damit Zeit lassen, findest du nicht? Wer drängt uns denn?", fragt er.

Ich schüttle den Kopf. Niemand. Keiner drängt uns.

"Ich hab deinen Rat befolgt", sage ich. "Mich gefragt, was war, was ist und woran ich glaube. Das war gut."

"Freut mich, dass es dir geholfen hat."

"Mika hat mir auch einen Rat gegeben. Ich soll auf mich gucken und andern sagen, dass ich das jetzt tue. Damit ich eine neue Richtung für mich finde. Das möchte ich unbedingt. Und ich glaube, das schaffe ich."

"Ja, das wirst du", pflichtet er mir bei. "Wenn ich dir dabei helfen kann, sag es mir."

Ich lächle ihn an, und er erwidert es.
"Ich merk's mir. Fürs Erste wär's toll, wenn ich hier übernachten könnte. Auf der Couch."

"Auf jeden Fall. Ich hole dir Bettzeug für drüben. Trink etwas Tee, wenn du möchtest."

Er steht auf und lässt mich allein zurück. Ich gieße mir etwas vom Tee in die Tasse, führe das Gefäß an meine Lippen und teste vorsichtig die Temperatur. Noch zu heiß. Ich stelle die Tasse wieder hin und lausche den Geräuschen, als Tua die Sachen von A nach B trägt. Dem Rauschen der Bett-Inlays, den Bezügen, wie sie sich straffen, als er alles bezieht. Seine Schritten im Wohnzimmer. Der Tee kühlt ab und als ich einen Schluck nehme, ist er schon fast lauwarm. Es ist frische Minze, vermischt mit Honig. Der Geschmack stimmt, er passt zu diesem Tag. Süßlich und intensiv.

"Fertig", sagt Tua, als er den Raum wieder betritt. Er hält einen meiner drei Pyjamas in den Händen, die hier bei ihm Lagern. Ich nehme ihm die Sachen ab, lege sie in meinen Schoß und falte die Hände darüber.

"Ich habe Mika und Pari noch nichts erzählt", verrate ich ihm.

"Warum nicht?", will er wissen.

"Weil ich mich vor ihrer Reaktion fürchte. Wir sind getrennt, aber ich bin hier und bleibe über Nacht. Ich bin hier, obwohl ich keinen wirklichen Grund habe, wir sind nicht mal zusammen. Nur, dass ich dich gerne um mich habe. Das ist der einzige Grund, irgendwie", druckse ich herum. "Ich habe Angst, dass sie es nicht verstehen. Dass sie mir nicht zutrauen, dass ich min in deiner Nähe aufhalten kann, ohne mich dabei sofort wieder so auf dich einzuschießen, dass wir gleich nochmal am selben Punkt landen."

Tua nickt verständnisvoll und schenkt sich selbst eine Tasse Tee ein, an der er nippt.
"Die beiden verdienen trotzdem die Wahrheit von dir. Ich verstehe deine Ängste, aber du solltest ihnen sagen, dass du gerade durch was durchgehst. Wegen der Trennung. Keiner von beiden steckt drin und sie werden sich kein Urteil erlauben."

"Sicher?", hake ich nach. "Pari sehe ich immer an der Nasenspitze an, was sie denkt und Mika sagt es mir sowieso ins Gesicht."

"Sie sind dir wichtig. Lass sie nicht außen vor. Du würdest auch nicht wollen, dass sie das mit dir machen", beharrt er und leert seine Tasse in einem Zug. Ich trinke ebenfalls einen Schluck und lasse seine Worte auf mich wirken. Würden Mika und Kitty sich trennen, würde ich es von ihm erfahren wollen. Und wenn ich wüsste, dass er bei ihr auf dem Sofa schläft, fände ich das auch seltsam. Andererseits ... Mika und Kitty würden sich nie aus denselben verworrenen Gründen trennen wie Tua und ich.

"Ist es komisch für dich, dass ich hier bin?", frage ich ihn.

"Nein", antwortet er. "Egal, was zwischen uns vorgefallen ist ... Ich finde es nie komisch, wenn wir Zeit verbringen. Das ist noch nicht lange so, aber kurz vor der Trennung hab ich gemerkt, dass sich das verändert hat. Es ist nicht mehr so, dass ich denke: 'Jetzt wäre es besser, wenn sie mir aus den Augen geht; oder ich ihr.' Inzwischen muss ich nicht mehr wegrennen, wenn es Probleme gibt. Ich meine, es ist nicht schön. Ich kann spüren, dass du mich nicht an dich ranlassen würdest im Moment, nicht mal für eine kurze Umarmung oder sowas. Aber vorher hab ich das dann auf mich bezogen und mir eingeredet, dass ich sowieso einfach großes Pech bin, an dem du kleben geblieben bist. Das war mein Selbstbild, und mittlerweile ist mir das zu abgefuckt. So will ich mich nicht mehr sehen. Ich beginne auch zu verstehen, dass mir das nicht gerecht wird."

"Nein, absolut nicht", werfe ich ein.

"Was ich sagen will: Du wirst immer ein Zuhause bei mir haben. Solange du willst."

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