Milliarden Lichtsplitter
Im Vorlauf dieses Kapitels empfehle ich, bei DETF vorbeizuschauen und dort das 24. Kapitel zu lesen, um zu verstehen, was zuvor passiert ist ...
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Nass bis auf die Knochen drücke ich den Knopf der Klingel so tief mit dem Daumen rein, dass es schmerzt. Den Schlüssel für das Haus vor dem ich stehe, halte ich in der Hand, ohne ihn zu benutzen. Ich will wissen, ob er da ist. Wenn nicht, dann war es wirklich falsch herzukommen.
"Hallo?", fragt Tua aus der Gegensprechanlage.
"Hier ist Iara", sage ich leise.
"Warum hast du nicht einfach -", erklingt es, doch er unterbricht sich. "Okay, ich lass dich rein", seufzt er und ich nehme die Treppenstufen immer zwei auf einmal, husche vorbei an Frau Felders ehemaliger Wohnung. Als ich oben ankomme, und er mich sieht in meinem Elend, streckt Tua wortlos die Hand nach mir aus. Ich ergreife sie, lasse mich über die Türschwelle ziehen.
"Zieh deine Schuhe aus", murmelt er und verschwindet sofort im Badezimmer. Ich tue wie mir befohlen und bedanke mich bei ihm für das Handtuch, das er mir kurz darauf um die Schultern legt. "Möchtest du duschen oder so?"
Ich schüttle vehement den Kopf.
"Setzen wir uns auf die Couch und du hältst mich einfach?", bitte ich ihn und die Worte überschlagen sich. Es arbeitet in ihm. Er weiß nicht, ob es richtig ist. Das weiß ich auch nicht.
"Vorher bringe ich dir trockene Klamotten", entschließt er sich dennoch, dem nachzukommen. Das ist was Instinktives. Er schlägt mir keinen Wunsch ab, so ist er nicht.
Umgezogen pflanze ich mich nur Minuten später auf die Couch und lege mich in seine Arme. Wir schweigen. Er hält mich wirklich nur fest und ich lausche unserem Atem, während der Streit in der WG vor meinem geistigen Auge Revue passiert. Meine Lippen bleiben fest aufeinandergepresst. Ich habe so viele schlimme Dinge gesagt, nur selten war ich so sauer auf mich selbst. Auf dem Weg hierher habe ich im Regen so viel geweint, dass ich keine Tränen mehr übrig habe. Zu allem Überfluss habe ich mein Versprechen mir selbst gegenüber gebrochen. Ich habe Pari nix erzählt. Gar nichts. Stattdessen habe ich ihr die schlimmsten Beleidigungen um die Ohren geknallt. Als wäre nicht ich diejenige, die mit den wirklich wichtigen Dingen hinterm Berg hält.
Tuas Geruch hüllt mich ein. Ich beginne mich langsam wieder zu fühlen wie in meinen besten Momenten mit ihm früher. Das ist auch der Grund, warum ich mich aufsetze und hastig von ihm abrücke.
"Ich würde dann jetzt lieber schlafen", sage ich.
Erst sieht er überrascht aus, dann fräst sich Ärger in seine Miene und schließlich Verachtung.
"Was soll das, Iara? Wieso tust du das?", klagt er mich an. "Du weißt, wie ich für dich empfinde. Du kommst her, ich soll dich in den Arm nehmen und jetzt schickst du mich weg?" Schweigend betrachte ich meine Knie. In mir herrscht so eine vollkommene Leere. Was sollte ich schon erwidern? "Wenigstens schämst du dich", versetzt er wütend und steht auf.
Als er wiederkommt, trägt er das Bettzeug zu mir, das ich letztes Mal schon von ihm bekommen habe. Ohne ein weiteres Wort lässt er es auf die Couch fallen und kehrt um. Ich höre, wie sich die Schlafzimmertür hinter ihm schließt.
Zuerst muss ich mich sammeln, doch schließlich stehe ich auf und klopfe bei ihm an.
"Was willst du?", ertönt es von drinnen.
Ich drücke die Tür auf. Er liegt auf seinem Bett und taxiert die Decke. "Hab ich gesagt, du kannst reinkommen?"
"Nein", hauche ich. Ich bleibe im Türrahmen stehen; weiß nicht, was ich sagen soll.
"Iara, was wird das?" Mit genervter Miene blickt er mich an und ich kann nichts weiter tun als ihn nur wie hypnotisiert anzustarren. "Bin ich dir so egal, dass du glaubst, du kannst sowas mit mir machen? Warum bist du hergekommen?"
"Ich wollte zu dir", antworte ich.
"Ja, und dann wolltest du, dass ich mich verpisse. Wir sind nicht zusammen, verdammt! Einen Scheißdreck hätte ich tun müssen, als du gesagt hast, ich soll dich halten. Ich hab es trotzdem getan. Du wusstest, ich würde es tun."
"Bitte schrei mich nicht an, es gab einen Streit in der WG und ich bin durcheinander", ringe ich um sein Verständnis, aber Tua fährt sich bloß mit einer Hand übers Gesicht.
"Und ich erst, Gott ... Als ich zu dir gesagt habe, dass du hier immer ein Zuhause haben wirst, hab ich das so gemeint. Nur bitte, bitte, Iara ..." Er faltet die Hände wie zum Gebet. "Bitte behandle mich nicht so. Ich bin nicht deine Schulter zum Ausheulen. Denkst du, für mich ist das leicht? Du hast meinen Herzschlag gehört, als wir auf dem Sofa lagen. Lass uns bitte gar nicht erst anfangen mit sowas, denn von dort gibt es keinen Weg mehr zurück zu uns." Ich nicke ernst und beobachte ihn, wie er ausatmet, sich fängt ... "Du solltest dich vernünftig aufwärmen", meint er dann. "Ich lasse dir ein Bad ein und wir bestellen jetzt essen. Pho für dich?"
Wieder nicke ich. Vietnamesisches Essen und ein Schaumbad ist wahrscheinlich exakt das, was ich brauche.
Er will sich an mir vorbeischieben, da halte ich ihn am Arm fest, nehme sein Gesicht in meine Hände. Unsere Augen glitzern um die Wette und für einen hell leuchtenden Supernova-Moment schwebt die Möglichkeit von unendlichem Glück zwischen uns. Es ist die Sehnsucht, die mich seine Wange streicheln lässt. Sein Körper schmiegt sich an meinen. Ich kann seinen Atem auf meiner Nasenspitze und meinen gesenkten Lidern spüren; kann die süße Stille riechen.
Aber die Chance auf unendliches Glück ist ein Märchen. Mein Daumen bewegt sich jetzt nicht mehr. Ich habe inne gehalten.
"Danke", flüstere ich, schaue ihm wieder in die Augen, die nur noch stärker glimmen. Milliarden Lichtsplitter wie Sonnenstrahlen, die sich auf der unruhigen Oberfläche des Wassers in Harmonie mit dem Wellengang brechen.
"Tu das nicht", sagt er, umfasst sanft mein Handgelenk und schiebt es weg. Er tritt einen besonders schwerfälligen Schritt zurück und schaut mich noch einmal lange und voller Schmerz an, bevor er sich umdreht und ins Badezimmer geht, genau wie bei meiner Ankunft.
Ich weiß überhaupt nicht, ob ich in der Lage bin, für jemand anders so tief zu empfinden wie für Tua. Was hilft es mir schon, wenn ich mir in der Theorie vorstellen kann, mein Herz einem anderen zu schenken? Es gehört ihm.
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