Loyales Mädchen

Die Jungs rappen im Bunker, als ich ankomme. Sie wollen angeben, weil sie vorangekommen sind mit den Tracks für das neue Album. Lächelnd schaue ich dabei zu, wie Maurice, Tarik und Niko auf der Bühne stehen, umeinander herumlaufen dabei und performen. Als Maurice mich in der kleinen Crowd entdeckt, die sich um sie versammelt hat, zwinkert er mir zu. Ich proste ihm mit meiner Mate zu und trinke einen Schluck von dem eisgekühlten Getränk.

Jemand schiebt sich neben mich; jemand, der gut riecht und auch noch gut aussieht, wie ich feststelle als ich in ein freundliches Gesicht schaue. Kurzgeschorener Afro, funkelnde braune Augen, prägnanter Kiefer mit frisch gestutztem Bart ...

"Du bist Iara, oder?", spricht der Fremde mich an und streckt mir seine zur Faust geballte Hand entgegen. "Kenny", stellt er sich vor. Ich tue ihm den Gefallen mit dem Fist Bump, lächle nur kurz stumm und lasse meine Augen zu FIA zurückwandern, wippe im Takt des Beats leicht mit. Kennys Blick gleitet an meinem Körper runter, ich kann es spüren. Es ist ein seltsames Gefühl, nicht unbedingt unangenehm. Was mich wenig überrascht. Er ist äußerlich mein Typ. Aber das hat keine Bedeutung für mich.

Meine Freunde sind fertig und Maurice und Tarik steuern beide direkt auf mich zu. Tarik umarmt mich.

"Hey, Sonnenschein. Schön, dass du da bist. Hat's dir gefallen?", will er wissen und mustert mich. Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen, weil ich Zeit gebraucht habe. Aber ich bin Maurice' Rat gefolgt und habe mir was Hübsches angezogen. Eine farbenfrohe Trainingshose mit Schlag von Adidas aus den Achtzigern in Violett mit pinken Akzenten und dazu ein tiefschwarzes Cropped T-Shirt, dass wie angegossen sitzt.  Tarik registriert, dass ich mir Mühe gegeben habe und zupft eine Locke aus meinem strengen Pferdeschwanz, damit sie mir ins Gesicht fällt. Die Geste ist so liebevoll, dass sie mich zum Schmunzeln bringt.

"Ihr wart gut", antworte ich. "Ich war nur spät dran, hab nicht alles mitgekriegt. Vielleicht wollt ihr die Strophen beim letzten Song umdrehen", schlage ich vor. "Maurice hat einfach das bessere Schlusswort, sorry."

Der Erwähnte grinst breit.

"Was hab ich gesagt?", ärgert er Tarik, der ihm den Ellbogen in die Seite stößt.

"Schon gut, Mann, du bekommst deinen Schlusspart", gibt er kleinbei.

Maurice legt einen Arm um Kennys Schultern.

"Ihr habt euch schon miteinander bekannt gemacht?", fragt er in meine Richtung gewandt.

"Ja", erwidere ich, ohne weitere Ausschmückung. "Kann ich kurz mit dir reden?", bitte ich Tarik und schiebe ihn schon ein Stück weg von Maurice und Kenny, ohne seine Antwort abzuwarten.

Es will mir nicht über die Lippen kommen, was ich gern wissen würde, und so versandet meine Frage in einem: "Ist er ...?"

Tarik schüttelt den Kopf und runzelt auf einmal die Stirn.

"Hat er nix zu dir gesagt?"

Ich schüttle den Kopf und beiße mir irritiert auf die Unterlippe.

"Ist ihm was passiert?", rutscht es mir leicht panisch raus. Nun ist es an Tarik, heftig den Kopf zu schütteln.

"Qué no", erwidert er auf Spanisch. "Jenn und er sind nach Bulgarien gefahren. Er hat sie vor ein paar Tagen abgeholt."

Davon hat er mir nichts erzählt. Ich atme tief ein und aus, fühle meinen Herzschlag. Irgendwie ist das doch gut. Er ist nicht hier, ich kann ihm nirgendwo begegnen heute. Er ist hunderte Kilometer entfernt. Gleichzeitig lässt es mich schlucken und meine Kehle trocknet aus. Je mehr ich mir versuche einzureden, dass ich schließlich nicht nur hergekommen bin, weil ich hier auf meinen Ex treffen könnte, desto stärker zweifle ich daran.

"Was ist los?", fragt Tarik mich besorgt. "Ist ... Ist die Eifersucht zurück oder so?"

"Was?", mache ich entgeistert. "Nein. Bei dir etwa?"

Tarik schaut weg und scharrt bedröppelt mit seiner Sneakers über eine klebrige Stelle auf dem Boden.

"Wir wollen heiraten und sie verabschiedet sich für zwei Wochen auf einen Roadtrip mit ihm. Ich hoffe, sie hält Wort, und wenn sie zurück ist, hängt sie sich gemeinsam mit mir in die Hochzeitsplanung rein."

"Du misstraust ihr und hast Angst, dass sie was Dummes tut", rate ich. Tarik sieht mir jetzt in die Augen.

"Hast du gar keine Angst, dass Tua was Dummes in diesen zwei Wochen tun könnte?"

Damit erwischt er einen Schmerzpunkt, denn ich weiß, dass mein Ex-Freund durchaus in der Lage ist, sich komplett bescheuert zu benehmen. Auch, wenn ich mich nur ungern daran zurückerinnere: Meine Eifersucht damals war auch nicht durchgängig unbegründet. Jenn und Tua sind sich auf eine verquere Art sehr ähnlich. Tarik und ich sind ganz anders als die beiden, denken anders, fühlen anders ...

"Tarik, sie würden uns das nie antun", flüstere ich, gerade so laut, dass er mich verstehen kann.

"Du hast recht", erwidert er genauso leise.

"Ich muss an die frische Luft", sage ich und warte ab, ob er mitkommen will.

"Ich organisiere uns was zu trinken und komme gleich nach."

Wir drücken uns kurz, bevor ich mich schon mal auf den Weg nach draußen mache. Angekommen vor der Tür, weht mir lauer Sommerwind um die Nase. Auf der halbhohen Mauer, die das Grundstück begrenzt, auf dem der Bunker steht, sitzt noch keiner. Doch kaum habe ich mir einen Platz gesichert, hockt Kenny sich neben mich.

"Hey, Eisprinzessin", sagt er. "Kam das vorhin blöd rüber, wie ich auf dich zugegangen bin? Denn falls ja, dann wüsste ich gern, inwiefern. Ums beim nächsten Mal besser zu machen."

Ich lächle und spanne ihn ein bisschen auf die Folter damit. Er unterbricht den Blickkontakt aber nicht und so löse ich unser Schweigen schließlich auf.

"Es hat dir keiner gesagt, oder?"

"Was meinst du?"

Ich mustere ihn, wie er mich vorhin. Er sieht wirklich gut aus ...

"Ich bin nicht vogelfrei", informiere ich ihn und leere meine Mate endgültig.

"Vergeben?", hakt er nach.

"Nein, aber da ist jemand, den ich liebe", antworte ich ehrlich und registriere das Stechen in meiner Brust.

Soll es da sein. Es gehört momentan mit dazu.

"Klingt schwierig", merkt Kenny an.

"Ist nicht weiter wichtig. Jedenfalls gibt's bei mir nix zu holen, okay?" Eindringlich sehe ich ihm in die Augen, denn ich will ihm wirklich keinen falschen Eindruck vermitteln. Er nickt ernst.

"Verstanden. Ich würde mich trotzdem gern mit dir unterhalten, wenn das in Ordnung ist für dich. Die Jungs reden viel von dir. Du musst ziemlich cool sein."

"Maurice hat mir auch schon von dir vorgeschwärmt", offenbare ich ihm.

"Stopp, nicht doch, ich werd' noch ganz rot", scherzt er und ich lache.

"Ich bin nicht so cool", spiele ich die Loblieder der FIA-Jungs herunter. "Die kennen mich einfach nur schon lange, deswegen glauben die das und erzählen es allen."

"Kenny!", ertönt Tariks Stimme hinter uns und wir drehen uns beide um. "Ich kenne jemanden, der dir jeden Finger einzeln brechen wird, wenn du deine Hände nicht bei dir behältst."

Kenny grinst.

"Alter, das hat sie mir eben schon gesagt, weil sie so ein loyales Mädchen ist." Er klopft sich auf die Oberschenkel und springt von der Mauer. Tarik gesellt sich stattdessen zu mir und reicht mir eine Zitronenlimo.

"Bin ich das?", frage ich meinen besten Freund.

"Wieso fragst du?"

Ich schaue Kenny hinterher und Tarik deutet es richtig.

"Mach keinen Blödsinn, Iara. Ich weiß, er sieht aus wie Adonis und er hat das Herz am rechten Fleck. Aber keiner kann dir deinen Mann ersetzen. Das ist es nicht wert."

"Vielleicht kommen Tua und ich nie mehr zusammen."

"Mag sein. Aber ich hab's ernstgemeint. Wenn Tua spitzkriegt, dass du einen andern rangelassen hast, würde ihn das krass verletzen und er würde seine Wut vermutlich an Kenny auslassen, der das nicht verdient."

"Wieso hat er Andi überhaupt am Leben gelassen nach unserer ersten Trennung? Was glaubst du?"

"Andi hat dir nichts bedeutet, er war nur 'ne Gelegenheit, die du beim Schopf gepackt hast. Tua wusste das. Er kannte das von sich selbst und seinen Jungs. Hat ihn wahrscheinlich weniger beunruhigt. Du hattest keine Gefühle für Andi, nur für ihn. Darüber war er sich die ganze Zeit im Klaren. Aber eure Beziehung hat sich seitdem verändert. Kenny ist keine Kakerlake wie Andi. Wenn was zwischen dir und ihm passiert, kann ich dir nicht genau sagen, wie Tua wohl reagieren würde. Aber geil wär's sicher nicht für Kenny. Vergiss nicht, dass die beiden miteinander auskommen müssen. Kenny ist angestellt bei Universal. Und er ist gut in seinem Job. Also sei nicht dumm, bitte."

Ich drehe die grüne Glasflasche in meinen Händen, die er mir mitgebracht hat. Daraus steigt Kohlensäure auf. Zitrone kitzelt mich im Gesicht.

"Ich würde jeder Frau, die ihm zu nahe kommt, die Augen auskratzen", gebe ich zu. "Sogar Jenn, wenn's sein müsste. Jeder."

"Das kann sich ändern. Wie alles im Leben. Vielleicht seht ihr das beide irgendwann entspannter."

"Vielleicht."

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