Leichter wird's nicht
Am Samstag besucht mich Mika unangekündigt. Er sieht nicht aus, als hätte er auch nur einen müden Gedanken daran verschwendet, was er anhat. Der Hoodie von irgendeiner unbekannten Metal-Band steht ihm, auch die schwarze Jeans, die er dazu trägt sieht an anderen Tagen gut aus. Aber beides ist ihm zu groß, und die Chucks an seinen Füßen brechen mit dem Gesamtbild. In den Klamotten wirkt er schlaksig. Seine Haare sind nicht gestylt, sondern sehen aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Vielleicht stimmt das auch. Jedenfalls riecht er nur angenehm nach Minz-Zahnpasta und Seife, kein noch so winziger Hauch von Parfüm. Für viele Typen ist das nicht ungewöhnlich. Für Mika schon. Alles an seinem Aussehen verrät mir, dass es keine leichte Woche für ihn war.
"Du bist weggelaufen, ohne auch nur einen Pieps von dir zu geben", verflucht er mich, kaum dass er an der Türschwelle steht. "Ich hab mir voll Sorgen gemacht um dich, du verdammte ..." Das Wort bleibt ihm im Hals stecken. "Bitte, können wir uns vertragen?", fleht er mich plötzlich an.
Seine Augen flitzen auf und ab, er nimmt mich genau unter die Lupe. So will er herausfinden, wie es mir geht. In meiner Erscheinung bin ich ihm nicht unähnlich heute. Meine Locken habe ich notdürftig mit einer Spange hochgesteckt. Ich trage den Schlabberlook schlechthin, grau auf grau; ein bisschen, wie ich mich innerlich fühle. Um nicht völlig derangiert auszusehen, habe ich die filigrane Goldkette mit meinem gravierten Medaillon über den Pulli gezerrt. Schmuck vermittelt, dass ich mir wenigstens minimal Mühe gegeben habe.
Ohne groß Worte zu verlieren nehme ich Mika in den Arm. Er drückt mich fest und ich streichle beruhigend seinen Rücken.
"Ich richte das alles wieder", verspreche ich ihm. "Möchtest du reinkommen?"
Die Anspannung verlässt seinen Körper nach und nach. Aus dem verkrampften Festhalten ist inzwischen eine normale Umarmung unter Freunden geworden. Als er das selbst realisiert hat, lässt er mich endlich los.
"Wenn's keine Umstände macht." Er reckt den Hals, um ins Wohnzimmer am Ende des Flurs linsen zu können.
"Nein, macht es nicht. Komm rein. Tua ist eh nicht da", informiere ich ihn, nehme seine Hand und wir gehen in die Küche, wo er auf einen Stuhl sinkt, während ich Wasser aufsetze. Ich beobachte aus dem Augenwinkel, wie er sein Handy stumm schaltet. Ihm ist die Versöhnung offenbar wichtig. Er macht das immer, wenn er sich auf irgendwas voll und ganz konzentrieren möchte.
Ich lehne mich an den Herd und verschränke die Arme vor der Brust.
"Seid ihr wieder zusammen?", fragt Mika mich so direkt, wie ich es von ihm gewohnt bin, und mit einer guten Portion Skepsis in der Stimme.
"Nein", erwidere ich. "Wir haben diskutiert. Er ist noch am Samstagabend zu einem Freund gefahren und hat mir die Wohnung überlassen ... Tut mir leid, dass ich so sauer geworden bin. Und danke, dass du mich nicht vor Pari verraten hast. Trotz allem."
Er lächelt kurz, aber ohne jede Freude. "Hätte ich tun können. Vielleicht sogar tun sollen. Aber ich war genauso sauer auf sie wie du an dem Tag. Nur aus andern Gründen halt ... Danke, dass du für mich eingestanden bist." Ich weiß, dass es ihn hart getroffen hat, dass Pari ihn als Idioten bezeichnet hat. "Ich gebe zu", murmelt Mika, "ich hätte nicht anfangen sollen, an ihr rumzubaggern. Sie ist deine beste Freundin seit dem Kindergarten. Ich hätte mit dir drüber reden müssen, dass ich kurzfristig mehr von ihr wollte. Wär ich dir eigentlich schuldig gewesen, du warst so krass für mich da zu der Zeit."
Ein trauriges Schmunzeln legt sich auf meine Lippen und ich schüttle den Kopf, wische mir eine Träne von der Wange, die sich eben darauf geschlichen hat.
"Mika, meine Freunde sind mir nichts schuldig. Ergo bist und warst auch du mir nie irgendwas schuldig. Ich wusste doch, dass du dich zu ihr hingezogen fühlst, sowas sehe ich doch."
Seine Augen weiten sich vor Überraschung.
"Warum hast du mich dann nie darauf angesprochen?"
Ich lege mir meine Worte sorgfältig zurecht.
"Ich dachte nicht, dass du was versuchen würdest." Der Wasserkocher gibt dieses leise Klicken von sich und ich befülle unsere Tassen, bevor ich je einen Beutel Bachblütentee reinhänge. "Du hattest dich normal im Griff, warst locker in ihrer Gegenwart ... Und Pari war ganz genauso mit dir. Sie fand dich attraktiv, aber du warst ihr zu extrovertiert; sie fand eigentlich, du und ich würden besser zusammenpassen. Zumindest hat sie es so formuliert, als wir mal über dich geredet haben."
Mika nimmt mir die Tasse ab.
"Danke", murmelt er.
"Zucker?"
Mein Kumpel nickt dankbar und ich stehe wieder auf, um die Zuckerdose aus dem Regal zu holen.
"Ihr habt über mich geredet?", bohrt er nach.
"Wir sind beste Freundinnen, wir reden über alles ..." Ich senke den Blick auf meinen Tee. "Für gewöhnlich." Seine Augen lasten auf mir wie der Erdball auf Atlas' Schultern. "Du und deine Mutter ...", wechsle ich schnell das Thema. "Ihr habt häufiger gestritten zu der Zeit, stimmt's?"
"Hatte ich dir ja erzählt damals", bestätigt er. "Im Rückblick verstehe ich sie. Wenn ich bei meinem Sohn Koks finden würde, der sich gerade aufs Abi konzentrieren soll, hätte ich 'nen ähnlichen Ausraster gehabt. Die Sache mit Pari war Ablenkung vom Stess. Es hat harmlos angefangen ...", fährt er fort und ich warte die Pause gespannt ab. "Mama hat mich zur Nachhilfe verdonnert und auf dem Schulfest mit Paris Eltern über ihre tolle Idee gesprochen, dass sie mir ja einmal die Woche bei Geschichte helfen könnte."
"Ja, ich erinnere mich daran. Du warst angepisst auf dem Schulfest", werfe ich ein.
"An irgendeinem Tag hat Pari mich dann angerufen und mir abgesagt. Sie hatte ein Date und war ziemlich aufgeregt deswegen ... Erinnerst du dich an den Tinder-Fail, über den ich am nächsten Morgen ausgepackt habe? Ich hab Pari gesagt, dass ich mich für sie freue, ihr viel Spaß gewünscht, und mir stattdessen diese Olle angelacht."
"Oh mein Gott - die!", lache ich auf. "Ich habe noch heute so Mitleid mit dir."
"Danke", entgegnet er trocken. "Na, jedenfalls ... Pari hat nochmal angerufen an dem Tag und mich gefragt, ob ich vorbeikommen will. Da hatte ich das Treffen mit der anderen gerade abgebrochen. Sie hat am Telefon geweint. Ich bin hauptsächlich hingefahren, um zu sehen, was mit ihr los ist. Ihre Eltern waren nicht zu Hause, Laya war bei 'ner Freundin - wir waren allein bei ihr."
"Sie hat mit dir darüber geredet, wie dieser Typ sie in Kino begrapscht hat", stelle ich fest. Ich erinnere mich sehr genau daran. Pari hat nach dieser Katastrophe nämlich zuerst mich angerufen und bei unserer Verabschiedung noch erwähnt, dass sie das vergessen will, indem sie doch noch mit Mika paukt.
"Sie hat sich bei mir ausgeheult, wir haben einen Karton Eis gekillt, Titanic geguckt. Was sie halt gern macht nach sowas, du kennst sie."
"An dem Abend habt ihr euch das erste Mal geküsst", kombiniere ich richtig.
Mika sieht beschämt zu Boden.
"Oh Gott, bitte hör auf so treudoof zu dreinzuschauen", seufze ich. "Im Endeffekt hast du dir selbst damit wahrscheinlich mehr wehgetan als mir."
"Hundert Prozent. Aber ich wär gern schlauer gewesen."
"Sie sicher auch", kommentiere ich.
Mika nickt andächtig.
"Was sie da mit Dag abzieht macht dich fertig, hm?"
"Sie nimmt mich nicht ernst. Das fuckt mich ab."
"Das stimmt nicht. Mit ihr muss man einfach Geduld haben. Sie ist -" Mika unterbricht sich, angelt nach der passenden Umschreibung. "Sie ist noch nicht so weit."
Andächtig nicke ich.
"Es fällt von Mal zu Mal schwerer, mit anzusehen, wie sie in ihr Verderben mit Typen rennt. Das Schlimme ist, Dag ist ein feiner Kerl. Er hält einiges aus. Aber Paris Ängste sind wirklich 'ne andere Hausnummer."
"Sie ist anstrengend. Die ganze Welt ist ihr Feind, und alle Männer besonders. So leid's mir tut: Ich glaube, sie traut sich noch weniger zu, seit ihr euch angezickt habt. Sie hat wohl geschnallt, dass du sie mit ihrer Scheiße nicht mehr davonkommen lässt. Wahrscheinlich muss sie da durch, damit sie was draus lernt", analysiert er die Affäre, in die sich unsere Freundin gestürzt hat.
"Vielleicht hast du Recht", gebe ich kleinbei. "Ich brauche
"Verständlich." Mika leert seine Tasse und steht auf. "Ich werde mal Kitty besuchen."
"Hattet ihr vorher nochmal Kontakt? Also, habt ihr geschrieben, oder so?", frage ich ihn.
"Ja, aber ich hab's nicht richtig verstanden, was sie mir sagen will. Deswegen hat sie mich gebeten, dass wir uns treffen."
"Hast du Angst?" Seine Körpersprache deutet darauf hin. Fiddeleien mit den Fingern, leicht hochgezogene Schultern, mahlender Kiefer.
"Ich bin nervös", gesteht er. "Was ist, wenn sie mit mir Schluss machen will und ich hab's nicht gecheckt?"
"Das glaube ich kaum", meine ich aus dem Bauch heraus.
"Was ist denn mit dir und Tua? Worüber habt ihr diskutiert?", kommt er zurück auf das Thema, das ich bis hierhin irgendwie umschiffen konnte.
"Er sagt, ich will es nicht wahrhaben. Dass wir uns getrennt haben. Er glaubt, ich sage es Pari deswegen nicht."
"Hat er recht?"
Knallhart wie immer.
"Ja. Ich muss irgendwie das Gespräch mit ihr suchen. Mittlerweile denke ich, das ist auch wichtig für mich. Um es akzeptieren zu können."
Mika schaut hoch zur Uhr über der Küchentür.
"Ich muss echt los. Darf ich dir aber noch was sagen?"
"Nur zu."
"Verschieb es nicht immer auf den nächsten Tag. Du sagst oft, du brauchst Zeit. Aber Zeit wofür, Alter? Leichter wird's nicht, Iara. Nur immer schwerer, also pass auf."
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