Kokain-Klub
David und ich empfangen jeder unseren Mango-Lassi am Tisch. Sofort findet der Papierstrohhalm seinen Weg in meinen Mund und ich schließe genüsslich die Augen. Das Restaurant ist klein, aber fein eingerichtet, und aktuell noch ein Geheimtipp, weil es erst vor einem Monat seine Türen geöffnet hat. Das Personal ist auch so nett, sie lächeln immer besonders strahlend, wenn David und ich wiederkommen. Wir sind sozusagen die ersten Stammgäste gewesen, sagen sie.
"Ich war vor kurzem mit meiner Freundin Minigolf spielen in dieser Schwarzlichtanlage", plaudert mein Mit-Azubi locker drauf los. Ich fühle einen Stich in meiner Herzgegend, doch zum Glück kehrt der Kellner gerade wieder mit einem Tablett zurück an unseren Tisch auf dem Schalen mit Butterchicken und Alu Ghobi, und eine weitere große mit viel Reis stehen. Er platziert alles zwischen uns und wünscht uns einen guten Appetit. "Danke für die Empfehlung nochmal", meint David und lächelt mich an.
"Ich liebe Minigolf", betone ich und versuche die Erinnerung an den schönen Tag mit Maurice, Tarik, Jenn und Tua aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Oder meinen Ausflug mit Jenn allein dorthin, zu dem sie am Schluss noch Tua eingeladen hat, damit er und ich uns aussprechen können nach einem schlimmen Streit. Mir fällt auf, dass ich wohl doch nicht die einzige bin, die gekämpft hat um uns. Ich glaube, Jenn hat es gefallen, dass wir zusammen waren. Obwohl ich teilweise so scheiße zu ihr war, weil ich meine Eifersucht nicht in den Griff bekommen habe.
"Wenn du Bock und Zeit hast, komm übrigens gern zu meinem Geburtstag. Ich habe eine kleine Bar für den Abend gemietet. Die Party steigt diesen Samstag."
"Ja, ich komme gern", nehme ich seine Einladung direkt an. Es wird mir sicher gut tun, irgendwo zu sein, wo Tua garantiert nicht auftauchen wird. Ich habe Lust zu feiern, aber ich gehe nicht zu den Bunker-Partys. Die Chance, ihm dort zu begegnen, ist einfach zu groß. Und ich will ihm nirgendwo begegnen, wo der Alkohol in meiner unmittelbaren Reichweite wartet. Das ist nur ein bombensicheres Rezept für Katastrophen. "Gibt es auch alkoholfreie Drinks?", entschlüpft mir die Frage und David nickt.
"Definitiv. Natsumi trinkt nicht."
"Deine Freundin?", hake ich nach. Er nickt und fragt mit einem Blick auf meinen leeren Teller, ob er mir vom Reis auftun soll. "Aus irgendeinem bestimmten Grund?"
David verneint.
"Alkohol schmeckt ihr nicht."
Derweil habe ich mir Alu Ghobi dazu gelöffelt. Die scharf gewürzten Kartoffeln und Erbsen duften köstlich. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass ich wieder richtig Lust auf Essen habe, stelle ich fest, und mein Appetit beflügelt mich. Wird alles schon werden, denke ich, während ich reinhaue ...
Im Studio sitzt Bastian untypisch pünktlich bereits im Aufenthalts-/Warteraum, als David und ich die Agentur wieder betreten.
"Hey, Kleines." Er zieht mich in eine Umarmung.
"Du bist ja schon da", wundere ich mich. "Willst du ein Glas Wasser, Kaffee oder sonst was?"
"Ich nehm 'nen schwarzen Tee mit Milch."
Mit hochgezogener Augenbraue mustere ich ihn skeptisch. Ich hätte Stein und Bein darauf geschworen, dass Bastian schwarzen Tee mit Milch vor ein paar Jahren noch als Schwuchtel-Getränk bezeichnet hätte. Statt ihm das aber um die Ohren zu knallen, beschließe ich, dass ich mich nur darüber freue, wie sich die Zeiten geändert haben.
"Kuh oder Hafer?", rufe ich ihm aus der Küche zu.
"Was is'n das für 'ne dumme Frage?", pöbelt er. Ich verdrehe die Augen - er kann es sowieso nicht sehen - und kippe einen Schluck Vollmilch in die Teetasse.
Als ich ebenfalls auf dem Sofa Platz genommen habe, mit einer Tasse grünem Tee, an dem ich meine Hände wärme, komme ich gleich zur Sache.
"Erzähl mir mal, was da wieder los war mit dir."
"Das war ein verdammtes Versehen", beteuert er.
"Bastian", knurre ich. "Du hast deren gläsernen Couchtisch kaputt gemacht, indem du eine Bowlingkugel draufgeschmissen hast. Das war kein Versehen, sparen wir uns doch den Teil, okay? Woher hattet ihr überhaupt diese blöde Bowlingkugel?", will ich wissen, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer die angeschleppt haben soll.
"Na, von Piet."
"Wer zum Fick ist Piet?"
Bastian zuckt theatralisch mit den Schultern.
"Piet halt", brummt er.
Ich atme aus und massiere mir die Schläfen.
"Hast du Piet Backstage eingeladen? Oder war das Luk?"
"Nein, der war einfach da, als wir zurückgekommen sind."
"Und ihr habt nicht Ross, Kalle oder irgendwem anders von der Security Bescheid gesagt, dass da so ein fremder Typ in eurem Backstage steht?", frage ich ihn fassungslos.
"Er hat gesagt, er heißt Piet, ich dachte, irgendeiner aus Luks Band hat ihn eingeladen."
"Du bist so dumm, Alter", seufze ich. "Hattest du getrunken?"
"Ja, ein paar Wodka-Shots. So zwei, drei vielleicht." Ich mache mir gedanklich eine Notiz, dass es eher so vier oder fünf gewesen sein werden.
"Vielleicht arbeitet dieser Piet dort", murmle ich und notiere mir das auf einem Zettel. "Ich wüsste jedenfalls nicht, wie der sonst reingekommen sein sollte."
"Kalle und Ross kannst du doch anrufen, die müssen den schließlich durchgeschleust haben."
"Danke, du Blitzbirne. Ich lös den Fall ohne dich, schließlich warst du dicht an dem Abend und dein Gedächtnis ist löchrig wie ein Schweizer Käse", erwidere ich. "Luk sagt, er war draußen mit Aleks an der frischen Luft, als er das Klirren gehört hat. Echt, Bastian, ihr könnt froh sein, dass sich keiner dabei verletzt hat", sage ich ernst und funkle ihn finster an.
"Ja ja", murrt er.
Ich schüttle den Kopf und rekonstruiere den Ereignisverlauf grob auf meinem Zettel.
"Also dieser Piet war da, als du ankamst. Und er hat sich vorgestellt, und wann hat er seine Bowlingkugel ausgepackt?", fahre ich mit dem kleinen Verhör fort.
"Um 00:43 Uhr." Bastian trinkt einen Schluck und blitzt mich herausfordernd aus seinen braunen Augen an.
"Beantworte. Die. Frage", fordere ich ihn drohend auf.
"Was weiß ich ‐ ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht er sie sich um Mitternacht aus dem Arsch gezogen wie 'ne Scheiß-Silvesterüberraschung. Alles, was ich weiß ist, dass ich das Teil dann in der Hand hatte und damit ausgeholt hab, weil ich ein paar leere Flaschen umkegeln wollte. Und da hab ich versehentlich losgelassen, da ist die beschissene Kugel auf den Tisch gekracht."
"Oh mein Gott", kommentiere ich.
Bastian wischt meine Resignation mit einer Handbewegung beiseite.
"Hör mal, jetzt erstma' zu was anderem: Ich hatte 'ne Idee und brauch deine Meinung dazu."
"Ich kann mich vor Spannung kaum halten. Offensichtlich war deine letzte brillante Idee, eine Bowlingkugel auf leere Flaschen zu schleudern und dabei den Backstagebereich zu zerlegen."
"Das war ein Versehen!", wiederholt er.
"Bastian, für sowas hab ich keinen Nerv!", weise ich ihn zurecht. "Du kannst froh sein, dass du dich nur noch mit mir über diese Dinge streiten musst und nicht mehr mit Marcello! Der hätte dich bloß unter seinen Arm geklemmt und deinen Couchtisch mit deiner Bowlingkugel zertrümmert." Ich gebe ihm eine Kopfnuss auf die Glatze und er reibt sich über die schmerzende Stelle. Manchmal ist Gewalt eine Lösung. Bei Bastian hilft diese Art von Mobbing immerhin. Zum Glück, denn sonst hilft wirklich gar nichts. "Du kriegst überall Hausverbot wegen der Scheiße, die du abziehst."
"Darum geht's ja bei meiner Idee! Hör's dir doch wenigstens erstmal an, bevor du mich haust", beschwert er sich. Ich lehne mich abwartend zurück mit vor der Brust verschränkten Armen. "Also, ich will die Bar schließen und mit dem Geld stattdessen eine eigene Eventlocation gründen. In unserem Namen. Alle unsere Berliner Gigs nur noch dort. Luks Solo-Konzerte: Nur noch dort."
"Spinnst du? Weißt du, was für Hallen Luk füllt?" Ich zeige ihm einen Vogel.
"Asche hab ich ohne Ende", entgegnet Bastian stur. "Du hast mich gezwungen, den Drogen abzuschwören, hab ich gemacht. Jetzt hab ich ein Vermögen über. Wenn Marcello, Ronni und Timmi sich beteiligen und mitinvestieren, dann können wir das machen, ich hab das mal durchgerechnet."
"Du hast das mal durchgerechnet?" Ungläubig blinzle ich. "Weißt du überhaupt, welche Kostenfaktoren du da beachten musst?"
"Alter, Iara", stöhnt er. "Sieh es doch nicht so pragmatisch. Stell dir doch einfach mal diesen Ort vor. Der Kokain-Klub. Wir suchen uns was und dann machen wir das groß."
Ich schließe die Augen.
"Du bist komplett verblendet von deinem Reichtum", murmle ich.
Aber ich kann es sehen. Ich weiß, was Bastian sieht, und auf dem Grunde meines Herzens halte ich das für eine gute Idee. Einen Ort zu schaffen, den wir vermieten und selbst nutzen können, das ist nicht dumm. Vor allem in Anbetracht dessen, dass die Jungs nicht für immer auf den Brettern, die die Welt bedeuten, performen können werden. Auch wenn ich genau weiß, dass Luk selbst dann noch auftreten wollen würde, wenn wir ihn im Sterbebett auf die Bühne rausrollen müssten. Er wird genauso alt wie wir alle eines Tages. Eine eigene Eventlocation ist im besten Fall eine Option auf Absicherung.
"Du siehst es auch", stellt Bastian trocken fest und ich öffne die Augen.
"Berede das mit Marcello. Aber zeig mir auch, was du da gerechnet hast. Ich wette, du hast irgendwas Grundlegendes wie die Baugenehmigung vergessen."
Bastian grinst glücklich.
"Klar, du kriegst alles als Erste zu sehen."
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