Immer ein Tag zum Leben
Wenn ich mit mir befreundet wäre, würde ich mich über mich wundern. Diese Beziehung hat mir so viel abverlangt, ich habe mich so reingekniet ‐ im Endeffekt sollte ich eher erleichtert sein, dass das vorbei ist. Das ist keine Ungerechtigkeit, nur mein Ego fühlt sich ungerecht behandelt. Weil ich mir in meinen Beziehungen keine Fehler erlaube. Das ist tatsächlich auch der Grund, weshalb es mir so schwerfällt, anderen ihre Fehler nicht nachzutragen. Ich müsste Druck rausnehmen, das wäre vernünftig. Aber ich habe auch ein Problem mit meiner Vernunft. Dauernd vermute ich dahinter einen Mechanismus, der mich steif macht, mich in eine Rolle presst. Ich will nicht vernünftig sein. Wann ich angefangen habe, so darüber zu denken, kann ich gar nicht mehr sagen.
Die Möglichkeit besteht ja dennoch, dass meine Vernunft mir letztlich sogar mehr Freiheit schenkt als dieser Wirbelsturm der Emotionen in mir. Ich bin wie ein Vogel, der fällt, statt seine Flügel auszubreiten. Genauso gut könnte ich die rauen Winde zu meinem Vorteil nutzen. Es nicht zu tun und stattdessen beleidigt darin zu verharren, dass so schlechtes Wetter ist, beschreibt so ziemlich, was ich hier mache. Für einen Vogel ist immer ein Tag zum Fliegen.
Für einen Menschen ist immer ein Tag zum Leben.
Ich kehre um, weil der Weg unbegehbar wird. Zeit zurückzukehren. Das mag ein schöner Ausflug gewesen sein, doch ich will mich nicht rausziehen aus allem. Wenn ich meine Offenheit mit meinen eigenen Gefühlen zurückwill, wenn ich den Zugang wiederfinden will, dann kann ich das nur in meinem Leben, wie es ist. Wenn ich wieder glücklicher werden will, dann muss ich mich dem stellen. Aber noch immer lässt es mich schwer schlucken und ich schaffe es kaum, Tua auch nur gedanklich als meinen Ex-Freund zu bezeichnen. Ich glaube, damit bin ich wieder am Anfang. Dabei, dass ich mir eben nicht erlaube, dass etwas, was ich angefangen habe auch mal den Bach runtergehen kann.
Schlechte Beispiele gab es zuhauf, aber ich wollte nie wie sie sein. Wie meine Mutter oder Carrie oder alle anderen, die ich verurteilt habe. Mich bricht meine eigene Scheinheiligkeit entzwei, das eine ausstrahlen wollen, das andere wirklich von sich zeigen. Ich, wie ich mein Leben gern hätte und ich in meinem Leben, wie ich es wirklich führe, das sind unterschiedliche Geschichten.
Was muss sich also ändern? Das ist einfach. Ich muss mich ändern. Denn die Umstände werden so bleiben.
Ich komme etwa zwei Stunden später zu Hause an, erschöpft von der Fahrt mit den Öffentlichen und bereit für eine Dusche, die ich mir genehmige, bevor ich mir etwas von dem persischen Brot nehme, dass Pari gebacken hat und die Reste der von ihr angerührten Dips verbrauche. Satt und fast sowas wie zufrieden, lasse ich mich dann auf mein Bett fallen. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Es ist Pari, die im Flur scharrt nicht Mika. Ich kann sie anhand ihrer Geräusche voneinander unterscheiden. Wieder beschleicht mich das schlechte Gewissen, leider ist meine Angst noch immer so präsent, dass ich mich nicht aufraffen kann. Ich sitze wie festgeklebt da, mit Schweiß auf der Stirn und Panik im Blick, die sie nicht sieht, weil meine Tür geschlossen bleibt.
Was, wenn ich sie für immer zulasse? Irgendwie verlockend. Ich habe über Menschen in Japan gelesen, die so leben. Meist sind es junge Männer in ihren Zwanzigern, sie verlassen nie das Haus, gehen nie vor die Tür, riskieren nie etwas. Sie sind quasi tot. Und trotzdem hatte es was für sich. Vielleicht fühlt sich ihr eigenes Zimmer für sie an wie der Mutterbauch.
Da ist so viel Blödsinn in deinem Kopf, Iara. Was verdeckt der Unsinn denn nun? An sich bin ich jemand, der wirklich viel erträgt, aber langsam frage ich mich, ob mich die Trennung gebrochen hat. Ich bin wohl kaum so resilient, wie ich mir das gern erzähle. Wenn dem so wäre, würde es mir so viel leichter fallen, das Ganze von oben zu betrachten. Aus der Vogelperspektive. Als ich die Augen schließe, fühle ich den Wind. Alles, was mir passiert, ist zu irgendwas gut. Ich habe keine Ahnung wozu. Aber dahinter steckt mehr als nur kindliches Begehren.
Wie lautet denn nun meine Vision, wohin es im Leben mit mir gehen soll?
In meiner Vorstellung bin ich ein gewandelter Mensch, ohne Obsessionen, die mich in den Abgrund ziehen. Mit einem Temperament, das ich einzusetzen weiß und das kein Gift verspritzt. All meine Pfeile treffen mich eh selbst. Wenn ich dieses Widerspenstige ablegen kann, bin ich mehr ich. Permanent plagt mich dieses Gefühl, als wäre alles meine Angelegenheit.
Aber es ist einfach nur eine dieser Emotionen, mit denen ich mich schon so lange identifiziere. Genauso wie mit der Liebe zu Tua. Obwohl ich weiß, dass die Liebe, die uns verbindet, größer ist als ich, als er - als wir beide gemeinsam -, meine ich, ich könnte mich damit identifizieren. Das ist beinah anmaßend. Die Schönheit des Lebens besteht genau darin, dass wir nur ein einzelner Splitter in einem riesigen Gefüge sind. Ein Splitter, ohne den die Welt nicht vollständig wäre. Warum will ich mich mit dem Rest der Welt identifizieren, nur nicht mit mir selbst? Ich bin gefangen in einer unendlichen Bewertungsschleife.
In meiner Vision von mir in der Zukunft bin ich aus dieser Schleife ausgebrochen. Darin sehe ich mich, wie ich endlich begriffen habe, von den Finger- bis in die Zehenspitzen, dass das Paradies ist, ans Paradies glauben zu können. Fähig zu sein, zu lieben. Gefühle und Gedanken fließen und fliegen lassen zu können. Durchdrungen zu sein davon, und frei davon. Im ständigen Wechsel der Gezeiten.
Das ist die Person, die ich sein will. Ein temporäres Zuhause für jede Emotion, sei sie nun negativ oder positiv. Eine Zuflucht für andere, die Asyl suchen. Ein Filter, der die groben Scherben aus den Gedanken raussiebt. In meiner Vorstellung von meinem späteren Ich bin ich mir selbst zur Freundin geworden und habe aufgehört, alles, was negative Gefühle in mich pflanzt, als persönlichen Affront zu sehen. Diese Person kann ich sein. Diese Person, die sich mit nichts identifiziert, keine Gefühle mehr hat, sondern sie einfach fühlt, keine Gedanken mehr hat, sondern nur noch denkt. Wenn ich mich dahingehend verändere, dann wird Glück ein notwendiges Nebenprodukt sein.
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