Gute Intentionen
Wir haben uns auf mein Bett gesetzt. Draußen regnet es weiter und Mika wartet. Er nippt geduldig an seinem Kaffee. Ihm ist scheinbar egal, wie lang ich brauche, bis ich den Mund endlich aufkriege. Doch es hilft nichts, die Ausreden sind aufgebraucht. Mein Kumpel sitzt hier mit mir, so weit bin ich schon gekommen. Bevor ich doch noch aufgebe, sage ich: "Ich war nicht bei Tua die Tage, die ich weg war."
Mika zieht die Augenbrauen hoch, sagt aber nichts dazu. Wäre ich an seiner Stelle, ich würde mir sofort zig Szenarien ausmalen, warum ich gelogen und behauptet habe, an einem Ort zu sein, an dem ich nie gewesen bin. Aber so ist Mika nicht. Er zieht keine voreiligen Schlüsse.
"Wir haben uns getrennt", sage ich. "Deshalb war ich bei Stean."
Nun runzelt Mika die Stirn.
"Blöde Frage gerade vielleicht", schaltet er sich ein, "aber für wen war dieser Kuchen, den er abgeholt hat, wenn nicht für euch beide?"
"An seinem Geburtstag waren seine Jungs da, und Jenn. Ich hab ihn nur morgens angerufen, gratuliert und ihm gesagt, dass er den Kuchen abholen soll. Es hätte sonst auch verdächtig ausgesehen", murmle ich.
"Sorry, war echt 'ne blöde Frage", wiederholt Mika. "Mann, Iara, das ist ja scheiße, wieso hast du nichts gesagt?" Sein Ton ist mitfühlend. Irgendwie ist es okay, mit ihm zu reden.
"Erinnerst du dich daran, wie ich dich von der Arbeit abgeholt habe, und wir im Park spazieren waren?", antworte ich mit einer Gegenfrage. "Du hast mir gesagt, dass das richtig toxisch zwischen uns abläuft. Ich wollte das nicht nochmal hören. Ich habe mich so verbissen reingehangen. Im Moment tut es noch sehr weh, einzusehen, dass ich gescheitert bin."
Mika seufzt, sieht aus dem Fenster uns trinkt einen Schluck.
"Was heißt hier schon gescheitert, Iara? Das ist kein Spiel, wo du gewinnen oder verlieren kannst. Außerdem habt ihr das beide verkackt. War nicht nur deine Aufgabe. Ich bin echt sauer auf ihn. Und auf dich, weil du einfach nichts erzählst. Klar, ich tätschel dir jetzt nicht den Rücken dafür, und das ist nicht so toll für dich. Trotzdem ... Ich bin kein Unmensch, oder?"
Ich reagiere nicht darauf, weil ich noch eine Sache loswerden muss.
"Heute Nacht war ich bei ihm", purzeln die Worte aus mir raus und Mika dreht seinen Kopf ruckartig zurück in meine Richtung.
"Ist was zwischen euch passiert in der Nacht?", will er wissen und klingt dabei fast panisch.
Ich schüttle den Kopf.
"Wir haben Tee getrunken. Ich hab auf seiner Couch gepennt und er hat mich heute Morgen hier abgesetzt."
"Hältst du das für 'ne kluge Idee? So nächtliche Besuche bei deinem Ex?" Wieder schüttle ich stumm den Kopf. Mika mustert mich und ich kann genau spüren, dass er es nicht versteht. "Das ist alles super chaotisch."
"Ich fühl mich nicht gut", wispere ich.
"Wundert mich nicht."
Ich deute wortlos auf seine Kaffeetasse und er überreicht sie mir. Wir trinken schweigend immer im Wechsel, bis sie leer ist und gucken einträchtig aus dem Fenster.
"Jetzt muss ich es noch Pari sagen", löse ich die Stille irgendwann auf.
"Mach wie du meinst", murmelt er.
"Wie ich meine?" Jetzt bin ich diejenige, die ihm verständnislos mustert.
Mika fährt sich durch seine blonden Haare und zuckt die Schultern.
"Keine Ahnung. Ich würde ihr nichts von Trennungen erzählen zurzeit. Sie und Dag wachsen gerade enger zusammen. Ich hab Schiss, dass sie so 'ne Nachricht aus der Bahn wirft. Sie ist auf 'nem guten Weg. Wenn sie hört, dass ihr euch getrennt habt, füttert das ihren Zweifel wahrscheinlich, weißt du?"
Ich nicke ernst.
"Du machst dir Sorgen um sie", stelle ich fest.
"Ich mach mir auch Sorgen um dich", meint er und schaut mich direkt an. "Bitte denk drübe0r nach, was du wirklich brauchst. Und häng nicht nur in deinen Gefühlen drin."
"Ist es okay, wenn ich Zeit mit ihm verbringe?", frage ich, obwohl ich ahne, dass mir die Antwort nicht gefallen wird.
"Nein, verbring Zeit mit dir selbst, Mädchen", lehnt er entschieden ab. "Bau dir Stabilität im Leben auf. Tua wird nicht immer bedingungslos für dich da sein, egal, was er labert." Er ist tatsächlich ziemlich wütend. Ich senke den Blick vor Reue. Dann gewinnt aber meine Neugier und ich muss einfach nachhaken."
"Was ist los mit dir, Mika-Pika?", frage ich ihn. "Du hast doch auch was."
"Ja, stimmt." Er legt sich hin und ich tue es ihm gleich. "Aber ihr seid so sehr mit euch beschäftigt, dass es dir heute das erste Mal auffällt. Damit bist du schon 'nen Schritt weiter als Pari. Die checkt überhaupt nichts."
Normalerweise verteidige ich meine beste Freundin reflexartig, aber ich gebe zu, dass Mika recht hat. Pari steht völlig neben sich in dieser Zeit. Seit sie sich mit Dag trifft, ist es besser geworden, er hat einen erdenden Einfluss auf sie. Aber es vergeht kaum ein Tag und wieder merkt man ihr ihre Traurigkeit und ihre Hilflosigkeit an. Ich sollte das mit ihr bereden, unter vier Augen und in Ruhe. So machen wir das sonst immer. Nur leider bringe ich ja nicht mal die Kraft auf aktuell, mich mit mir und meinen Problemen zu befassen.
Ein bisschen ist es, als hätte ich das verlernt. Die Fixation auf Tua hat ihre Spuren hinterlassen. Im Grunde genommen fühle ich mich genauso hilflos wie meine beste Freundin. Und wohl auch so hilflos wie Mika, der sich uns beiden nicht anvertrauen kann, weil er merkt, dass es sowohl mir als auch Pari zu viel wäre. Ich würde ihm zuhören, das habe ich ihm nicht umsonst angeboten. Die Frage ist nur, wie gut ich auf das eingehen könnte, was er loswerden will.
Mir fallen tausend Möglichkeiten ein, was ihn bekümmern könnte; und ich schlucke hart, denn ich will nicht, dass auch nur eine einzige davon wahr ist. Ehe ich mich versehe hat sich ein Kloß in meinem Hals gebildet. Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich sehe wie Mikas Züge sich verhärten, als er es merkt. Doch er atmet aus und drückt mich kurz, aber warm an sich.
"'Tschuldige", nuschelt er an meiner Schulter. "Aber das geht echt nicht. Du musst allein klarkommen, Iara. Muss ich schließlich auch ..."
Ich schniefe und flüstere: "Ja." Dann steht er auf, geht, und ich bleibe sitzen, starre die Kaffeetasse an, die er stehengelassen hat und fasse im selben Moment einen Entschluss. Ich kann mich nicht so hängen lassen. Am Ende meines Lebens wird die Trennung von Tua nur ein einzelner von Milliarden Momenten sein. Was zählt ist, wie ich damit umgehe und dass ich etwas daraus lerne. Ich liebe Tua, aber ich kann nicht alles für bare Münze nehmen, was er so von sich gibt. Ich weiß, er würde uns ein Haus mitten im Meer bauen, weil ich den Ozean so liebe; wir beide. Aber er kann es nicht. Weil er nur ein Mensch ist. Genau wie ich.
Da muss aber mehr sein, was zum Menschsein gehört als nur gute Intentionen.
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