Das ist immer wichtig

Beim Betreten der Wohnung blicke ich in ein komplett anderes Gesicht als erwartet. Die Frau vor mir hat lange, rote Haare, die Farbe leuchtet wie Kupferdraht und ihre blaugefleckten Augen - es ist ein Wirrwar aus dunkleren und helleren Schattierungen -, die von langen, dunklen Wimpern umkränzt sind, kommen mir bekannt vor.

"Hi", sage ich. Sie ist mitten in ihrer Bewegung erstarrt.

"Hallo, Iara", begrüßt sie mich. "Erinnerst du dich an mich?", fragt sie, und richtet sich etwas auf. Sie trägt ein babyblaues Tanktop, das locker sitzt und ihr violetter BH blitzt darunter hervor. Ihre Beine stecken in weit ausgestellten Blue Jeans. Schuhe trägt sie keine. Ihre Fußnägel sind weiß lackiert.

"Nicht so richtig", gebe ich zu.

"Macht nichts", erwidert sie. "Ich bin Miri." Bei dem Namen klingelt etwas unangenehm in mir, aber ich weiß nicht, was es ist. "Katja und ich haben zusammen studiert."

"Katja?", wiederhole ich den Namen von Steans Ex und starre entgeistert meinen besten Freund an, der in diesem Moment, nur mit einer Boxershorts bekleidet, den Flur betritt.

"Hey", meint er und schaut mich schräg an. "Ich wollte euch miteinander bekannt machen, aber du warst weg. Miri macht für uns alle Frühstück, es sollte eine Überraschung sein."

"Du hast also eine Freundin, von der du mir nichts erzählt hast?" Ich kann mir ein leicht spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Normalerweise ist er nicht so verschwiegen.

"Ich bin nicht –", setzt Miri an.

"Sie ist nicht meine Freundin", sagt Stean zeitgleich, und sie lächeln sich kurz an. Es liegt etwas so Warmes und Verstehendes darin, dass mir kurz das Herz aufgeht und ich schon halb vergessen habe, wie aufgelöst ich war, als ich vor wenigen Minuten zur Tür rein bin.

"Ich leg dann los", verabschiedet Miri sich von uns. Sie nimmt meine Hand und drückt sie kurz. "Schön dich wiederzusehen", sagt sie. "Wenn er es dir erklärt hat, freu ich mich über Gesellschaft in der Küche."

Meine Mundwinkel zucken automatisch nach oben, obwohl ich ehrlich nicht weiß, ob ich lächeln sollte. Das ungute Gefühl rührt nicht direkt von ihr her. Im Gegenteil. Ich erinnere mich an sie, an diese Haare und diese strahlenden Augen. Wir haben uns einige Male auf Partys gesehen.

Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren, um wiederzufinden, wo ich aber diesen Namen das letzte Mal gehört habe.

Und dann macht es Klick. Ich stehe wieder in Karate Andis Wohnung und er bittet seinen Mitbewohner Joshi zu dessen Freundin zu fahren. Zu Miri. Deswegen ist mir mulmig zumute.

Aber das ist unmöglich dieselbe Miri wie die, die gerade in Steans Küche mit Pfannen und Töpfen klappert. Diese Miri gehört zu einer anderen Zeit in meinem Leben. Zu meinem früheren Leben sozusagen, in dem Stean noch mit Katja zusammen war, bevor sie nach Amerika abgehauen ist. In diesem anderen Leben habe ich Tua noch gar nicht gekannt; hatte ihn noch nicht mit Andi betrogen und auch noch nie versucht, unsere erste Trennung mit Andis Hilfe zu überwinden.

Hilfe. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und schüttle unmerklich den Kopf. Stean bekommt es natürlich trotzdem mit.

"Iara?"

"Es ist nichts", behaupte ich rasch und manövriere ihn in sein Schlafzimmer zurück, aus dem er gerade rausgetapst ist. "Erklär mir das", fordere ich ihn auf und er legt einen Arm um mich und führt mich in sein Schlafzimmer. Miris Umhängetasche mit tausenden von Buttons steht geöffnet auf dem Boden neben seinem Bett. Ihr Laptop guckt raus und ein weißer Strickpullover, den sie wohl in letzter Sekunde zusammengeknüllt hineingestopft hat.

Stean setzt sich auf sein Bett.
"Wir haben uns aus den Augen verloren mit Katjas verschwinden. Vor einer Weile hab ich sie wiedergetroffen bei der Sozialhilfe. Ich war wegen meiner Mutter dort, sie wegen ihrem Dad. Sie hat mich nach Katja gefragt, sagte, sie hätte sich gewundert, weil sie uns irgendwann gar nicht mehr beim Feiern begegnet wäre, wie früher. Ich hab ihr ziemlich trocken davon erzählt, was passiert ist. Dass Katja mich hat sitzenlassen, nachdem wir uns jahrelang an dieser schwierigen Beziehung abgerackert haben. Ich hab ihr sogar erzählt, dass ich Katja damals heiraten wollte und dass es die beschissenste Trennung meines ganzen Lebens war. Sie hat nicht viel dazu gesagt, nur, dass es so das Beste war. Ich habe sie auf einen Kaffee eingeladen, und nach dem Kaffee sind wir noch was essen gegangen. Wir haben gar nicht viel über früher gesprochen, wollten wir beide nicht. Haben uns nur besser kennengelernt und seitdem treffen wir uns öfter."

"Fickst du sie?", frage ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.

Er seufzt.
"Ich schlafe mit ihr, ja. Aber das ist nicht nachrangig, würde ich sagen. Wir tun uns gut. Freu dich doch für mich", schmollt er. "Als ich ihr erzählt habe, dass du für ein paar Tage herkommst, weil es dir nicht gut geht, hat sie sich nach dir erkundigt. Sie macht jetzt Pancakes, spielt Mario Kart mit uns, und später gibt es Milchshakes nach ihrem Spezialrezept, die du lieben wirst."

"Stean. Ihr schlaft miteinander. Hör dir doch mal zu, du sagst nicht mal: 'Wir vögeln.' Du sagst: 'Wir schlafen miteinander.' Das ist immer wichtig."

"Ich will es nicht definieren, es ist noch zu früh dafür", druckst er rum.

"Wie lange geht das denn schon?"

"Drei Monate." Ich grinse, verschränke die Arme vor der Brust und drehe mich in Zeitlupe um. "Was machst du?"

"Mich für dich freuen", säusle ich und laufe aus dem Raum raus. Mag ja sein, dass ich gerade Liebeschaos bei mir breitmacht. Für meinen besten Freund hingegen beginnt mit Miri ein neuer Lebebsabschnitt, auch wenn er sich dessen noch gar nicht richtig bewusst ist.

Ich lege mein Zeug, lasse den geklauten Wohnungsschlüssel zurück in die Schale fallen und ziehe meine Schuhe aus.

"Was hast du eigentlich gemacht?", fragt Stean mich neugierig. Ein Blick in seine Richtung verrät, dass er Lust auf einen entspannten Tag daheim hat. Mit Pancakes, Milchshakes und Mario Kart. Mit mir. Und Miri. Er trägt Jogginghosen und einen kuschligen Hoodie, den ich mitgehen lassen werde, wenn ich heimfahre.

"Ich hab Tua angerufen und ihm zum Geburtstag gratuliert." Er erwidert nichts darauf, kratzt sich lediglich am Kinn. "Und jetzt gehe ich deinem Täubchen zur Hand. Willst du dich nicht auch nützlich machen?"

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