Daddy Issues
"Iara, wir sind so jung. Das ist nicht das Ende der Welt, und ich weiß, dass dir das auch klar is-"
"Wir haben uns geküsst", unterbreche ich sie mit so hoher Stimme, als hätte mich jemand getreten. "Wir haben gestritten, weil ich kalte Füße im Gespräch mit ihm bekommen habe, und dann hat er mich einfach geküsst."
"Oh ... Wie war das für dich?", fragt Pari mitfühlend und ich kuschle mich noch etwas enger an sie. Sie riecht so blumig und wundervoll. Es tut gut, mich von ihr trösten zu lassen. Ich kann nicht mal mehr genau sagen, wieso ich das nicht wollte.
"Es hat wehgetan. Ich bin so traurig geworden, weil wir die Zeit weder zurückdrehen noch unsere Erinnerungen daran irgendwie anpassen können."
Meine beste Freundin nickt verständnisvoll.
"Warum hattet ihr euch gestritten?"
"Ich wollte von ihm wissen, warum ich bei ihm wohnen durfte und warum er zugesagt hat, als ich vorgeschlagen habe, wir könnten kochen."
"Wie hat er geantwortet?" Sie spielt jetzt mit einer meiner Locken, wickelt sie um ihren Finger, und ich schlucke den Kloß runter, der sich schon wieder in meinem Hals bildet.
"Runtergebrochen aufs Wesentliche, dass er an uns hängt. Ich fand das erst schön, und irgendwie auch jetzt noch ... Aber wenn es so ist, dann kann er sich doch nicht so verhalten. Wenn ihm an uns liegt, dann muss er jeden Kontakt mit mir ablehnen können, denn ich bin zu schwach dazu, aber wir wissen beide genau, dass ich das brauche, sonst komme ich nie von ihm los. Ich weiß es, und er weiß es auch."
"Süße, ist dir klar, was du da von ihm verlangst? Er liebt dich doch. Wenn ihr euch wegen fehlender Gefühle getrennt hättet, wäre alles ganz anders, aber ihr habt euch getrennt, weil da eben zu viele Gefühle im Spiel sind und ihr völlig überfordert seid. Wenn einer nichts fühlt, weil er an Depressionen leidet, und die andere Person alles mit einer überschäumenden Macht fühlt - dann sind Probleme, wie ihr sie in eurer Beziehung hattet, leider vorprogrammiert."
"Ja, das stimmt", flüstere ich. Pari streicht mir beruhigend über den Kopf.
"Stell dir mal vor, die Situation wäre umgekehrt gewesen und letzten Samstag hätte er hier vor der Tür gestanden und Asyl bei dir gesucht. Was hättest du getan?"
"Ich hätte ihn reingelassen, wie er mich."
"Ihr seid gerade gar nicht gut füreinander, Iara. Hör auf Forderungen an ihn zu formulieren oder ihn mit Fragen zu löchern, auf die er lieber so antworten sollte, wie du es dir wünschst, statt so, wie er tatsächlich empfindet."
"Ich bin so wütend, Pari, und es ist so unfair ihm gegenüber, weil das eine wirklich harte Zeit für ihn war und er sein Bestes gegeben hat."
"Schatz", wirft sie leise ein und ich gucke zu ihr hoch. "Manchmal reicht das Beste, was ein Mensch tun kann, trotz aller Bemühungen nicht aus."
"Du hast an Dag gedacht, während du das gesagt hast."
Sie seufzt.
"Er und ich sind hier gerade nicht Thema. Du kennst doch deine Schwächen, Iara. Du bist nicht nur übergriffig und hast ein Helfersyndrom, du bist auch nachtragend. Wenn du willst, dass der Schmerz aufhört, musst du lernen, loszulassen. Ich sollte dir eigentlich gar nichts darüber erzählen, weil ich das ja selbst kaum schaffe."
"Ist doch egal. Wenn jeder nur dann Ratschläge geben würde, wenn er sie auch selber beherzigt hat, würde man sich doch heute kaum noch mit Rat und Tat zur Seite stehen. Mir hilfst du, indem du die Dinge so aussprichst. Bei dir klingt es immer so, als wäre jede schlechte Phase im Leben eine, die genauso dazugehört wie die guten. Und so ist es ja wirklich. Was diese Dinge angeht, bist du einfach so viel gelassener als jeder andere Mensch, den ich kenne."
"Danke", murmelt sie und ich sehe ihr die Rührung an.
"Es tut mir so leid, was ich über dich gesagt habe in diesem Streit. Ich hab meinen ganzen Frust auf dich projiziert. Was du mit Dag machst, das ist zwar ungerecht, aber wie ich Tua behandle, ist sogar noch ungerechter. Als ich ihn kennengelernt habe, war das, als wäre er schon immer Teil meines Lebens gewesen. Für ihn ist es anders. Ich war wie ein Einschnitt, meinte er mal, durch den sich vieles, und nachdem wir eine Weile zusammen waren, fast alles in ihm verändert hat."
"Möchtest du meine Meinung hören?", fragt Pari vorsichtig und ich wappne mich. "Der nächste Mann, den du in dein Leben lässt, den behältst du wahrscheinlich für immer. Wenn du möchtest, dass es nochmal Tua ist, dann ist jetzt die Zeit, in der du herausfinden kannst, wann er dir fehlt und aus welchen Gründen. Erstmal musst du lernen, damit klarzukommen, dass du ihn nicht einfach schlecht behandeln kannst, nur weil er dich schlecht behandelt hat."
"Ich verstehe das ja, aber verstehst du auch wenigstens ein bisschen, wie wütend ich bin? Ich bin immer stark geblieben, hab ihm ein ums andere Mal den Kopf gewaschen, wenn er sich nicht um sich gekümmert hat, hab ihm zugehört, ihn zum Reden gebracht, wann immer er reden musste, auch wenn er es nicht wollte - Ich hab echt alles getan, und zum Dank bekomme ich eine so ramponierte Beziehung", jammere ich und Pari drückt mich.
"Das versteh ich, Süße. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn du dich auf dich konzentriert hättest. Ich glaube aber, das weißt du längst. Du bist nicht seine Mutter, du musst ihn nicht erziehen und sein Leben in geordnete Bahnen lenken. Und so leid es mir tut, Süße, aber du weißt, ich bin ehrlich: Du hast höchstwahrscheinlich Daddy Issues."
"Was?", frage ich empört.
"Iara, das ist nix Schlimmes. Mika hat die auch. Ihr seid beide ohne Vater aufgewachsen und das ist normal. Ihr wollt Anerkennung für eure Leistungen und jemanden, der euch die Richtung im Leben weist."
"Urgh", mache ich. "Das ist so gestört, aber du hast leider recht. Ich hab gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt."
"Wir sind alle gestört. Ich bin verrückter als ihr, vertrau mir", nuschelt sie in mein Haar.
"Bist du nicht", widerspreche ich. "Du kannst gar nicht verrückter sein als wir. Man sucht sich nur Menschen im Leben, die auf gewisse Art sind wie man selbst." Paris Blick gleitet ins Leere. Obwohl ich genau weiß, dass sie sich fragt, worin Dag und sie sich ähneln sollen, will ich ihr nicht auf die Nase binden, wie familienorientiert, genussverliebt und kreativ sie beide sind. Das ist ja der schöne Teil, wenn man sich verliebt. Wie man all diese Geheimnisse nacheinander aufdeckt und am Ende begreift man, dass diese Verbindung schon immer da war und man sie nur nicht sehen konnte.
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