Bleib bei deinen Problemen
Auf eine abgefuckte Art ist es passend, dass die WG leer ist, als ich sie betrete. Auch, nachdem ich schon schallend durch die Wohnung gerufen habe, kommt keine Antwort, und so gleite ich bald nach meiner Ankunft in die dampfende Badewanne. Das warme Wasser umspült wohltuend meinen Körper und ich denke für seelige zwanzig Minuten an nichts. Nur daran, wie gut es sich anfühlt hier zu liegen. Der Schaum duftet nach Lavendel und ich habe mir eine von Paris Vanilleduftkerzen aus ihrem Zimmer geschnappt. Die Aromen vermischen sich, und sie benebeln mich.
Die meditative Ruhe verfliegt erst, als es leise an der Tür klopft.
"Iara, bist du das?", fragt Mika mit seiner tiefen Stimme. Ich öffne die Augen und erhebe mich, angle nach dem Handtuch, das ich bereit gelegt habe.
"Bin gleich fertig", rufe ich ihm zu.
"Okay, super."
Vor dem Spiegel mache ich alles, was ich sonst auch mache, bevor ich schlafen gehe. Zähneputzen, mich eincremen ... Doch als ich in eine besonders kuschlige Jogginghose steige und einen Strickpullover dazu anziehe, überkommen mich Zweifel. Ich will mich nicht ins Bett legen und drauf warten, dass sich die Dinge in dieser Nacht ändern, während ich ruhig schlafe. Das wird nicht passieren. Ich kann es nur selbst in die Hand nehmen. Voller Tatendrang stoße ich die Tür auf.
"Mika, gehen wir aus?", will ich wissen. Ob von ihm oder vom Schicksal, da bin ich mir nicht so sicher.
Mein Mitbewohner, der den Flur simultan mit mir betreten hat, mustert mich mit vor der Brust verschränkten Armen.
"So geh ich maximal auf 'nen Burger mit dir", spricht er sein vernichtendes Urteil.
"Ich hab gerade Zähne geputzt."
Er grinst.
"Pech", sagt er.
"Gut, ich hab auch Hunger", stimme ich zu und greife nach meiner Jacke, die ich vorhin nur achtlos auf den Sitzsack habe fallen lassen.
"Wie war's mit Tua?", will er wissen, als wir ein paar Minuten später unten an der Ampel stehen und zum nächsten Burgerladen laufen.
Seine Frage erwischt mich kalt. Stimmt, das hatte ich erzählt. Dass die Party abgeblasen ist und ich ein paar ruhige Tage einfach so bei meinem Freund verbringen würde.
"Gibt nichts zu erzählen", winde ich mich raus. "War nicht besonders aufregend."
"Als er hier war, um den Kuchen abzuholen, hat er ziemlich fertig ausgesehen. Hat er wieder so depressiven Schub, oder so?" Ich zögere, doch dann nicke ich. Diese Begründung ist nachvollziehbar für Mika. Jeder Versuch, um die Wahrheit herum zu lavieren, würde mich nur in Erklärnot bringen. "Bist du okay?", will er wissen und ich schaue ihm in die Augen.
Der Blick in sein Gesicht ruft Erinnerungen wach. Seine grünen Augen sind das Fenster, durch das ich in meine Vergangenheit gucke. Mika war meine Rettung als er sitzengeblieben ist und in meine zehnte Klasse eingegliedert wurde. Zu dieser Zeit war ich die totale Außenseiterin und er war die erste Person in der Schule, die mir wieder mit menschlichem Respekt begegnet ist. Nach einem Jahr, in dem ich systematisch ausgeschlossen worden war von den anderen Kindern. Ich hab damals schon so auf die Kurse in der Oberstufe und die neue Durchmischung gehofft, dass es mich selbst überrascht, in ihm doch schnell einen so guten Freund zu finden. Und in Betty dann später eine Freundin. Bis sich meine Freundschaft mit ihr dann noch im selben Jahr ins Gegenteil verkehrt hat.
"Nein", beantworte ich seine Frage. Ich bin unehrlich genug, indem ich verschweige, was wirklich los ist. Da will ich ihm nicht auch noch eine waschechte Lüge auftischen. "Tua ist nur ein Teil davon. Ich habe mir so viel aufgehalst", öffne ich mich langsam, vorsichtig. "Nicht nur in letzter Zeit, einfach mein Leben lang. Verstehst du, was ich meine?"
Er nickt.
"Ja, voll. So hab ich dich auch immer eingeschätzt. Du hängst dich in alles rein, in deine Freundschaften, deine Familienangelegenheiten, deine Arbeit. Aber dann wird daraus 'ne richtig üble Krise und dann verlierst du die Nerven und bist dauergestresst. Du versuchst auf allen Feten gleichzeitig zu tanzen. Das macht dich kaputt. Sag ich dir doch nicht zum ersten Mal heute."
Das ist richtig. Mika sagt mir das eigentlich ziemlich oft, wenn ich mit ihm über das spreche, was mich im jeweiligen Moment beschäftigt.
"Weil du mir das so häufig sagst, rede ich manchmal nicht mit dir", gestehe ich.
Mein Kumpel legt die Stirn in Falten.
"Hör auf mit dem Scheiß, das ist am Ende einfacher. Dann sag ich auch was anderes", meint er. "Aber halt erst dann. Gib mir 'n Anlass."
"Bin dabei", murmle ich.
"Glaub ich dir erst, wenn ich's sehe."
"Wenn Pari hier wäre, würde sie sich jetzt auf meine Seite schlagen", schmolle ich.
"Sie ist aber nicht hier, sie ist mit Dag auf diesem Date."
Ich muss schmunzeln.
"Das wird ganz groß mit denen", prophezeie ich.
"Ich mach mir Sorgen, ob sie sich echt drauf einlässt", erwidert Mika skeptisch und schiebt mich in den Burgerladen, wo mir der Geruch von frisch gebratenem Fleisch entgegenschlägt. Wir bestellen Chili-Cheese Fries und je einen klassischen Hamburger. Bewaffnet mit Spezi-Flaschen aus dem Kühlschrank setzen wir uns an einen der Tische. Das meiste ist frei, weil es mittlerweile recht spät geworden ist, schon nach zehn.
"Sie braucht nur Mut dazu. Er steht voll auf sie, meint Vincent", fahre ich fort damit, über meine Mitbewohnerin und ihren zukünftigen Ehemann zu sprechen. Das mit dem Ehemann ist vielleicht ein Stück zu weit vorgegriffen, aber ich weiß eins: Pari und Dag sind sich – was ihren Treuebegriff und ihre grundlegenden Bedürfnisse in einer Beziehung angeht – einig.
Mika zuckt die Schultern.
"Ist doch egal für dich, was sie braucht. Das ist Paris Ding und du weißt, wie schwer es ihr fällt, sich locker zu machen. Bleib mal lieber bei deinen Problemen, Iara."
Davon hab ich einige.
"Wenn du nicht weißt, was du zu jemandem sagen sollst, auch wenn du weißt, es ist eigentlich wichtig – sagst du dann trotzdem was?", frage ich ihn unvermittelt.
"Ich versuch's jedenfalls", antwortet er. "Wieso?"
Ich verdecke meinen Seufzer, trinke einen Schluck.
"Ich weiß nicht, in welche Richtung es jetzt für mich geht, ich weiß nur, dass ich nicht so weitermachen kann wie bisher. Ich möchte nicht für immer so sein, wie du mich vorhin beschrieben hast; will nicht länger jemand sein, der sich kaputt macht."
"Dann guck auf dich. Und sag es andern, dass du das gerade machst. Sie werden es verstehen. Versprochen."
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