XXI

Ich weiß nicht, wie lange ich unbewegt daliege und irgendwann breche ich in Tränen aus. Ich heule nicht, kein Schluchzen dringt über meine Lippen, aber mein Kopfpolster wird zu beiden Seiten meines Gesichts feucht. Was werde ich bereuen? Bereue ich nicht schon weit mehr als genug?

Erst, als die Dämmerung hereinbricht und die verschwommenen Konturen meines Zimmers sichtbar werden, wage ich es, mich zu rühren. Ich hebe einen steifen Arm und wische mir die salzigen Tränen aus den Augenwinkeln. Lege meine andere Hand aufs Herz und fühle nach meinem Puls, der stetig, stetig hämmernd davon erzählt, wie lebendig ich noch bin.

Ich hadere eine halbe Stunde, bevor ich wage, an die Schlafzimmertüre zu treten. Ich knie mich lautlos hin und schiebe die Abdeckung des Schlüssellochs zur Seite. Behutsam, achtsam, vorsichtig. Ich weiß nicht, ob ich die Nerven habe, hindurch zu blicken. Ich hadere weitere fünfzehn Minuten und lausche stattdessen. Kein Geräusch in der Küche. Dann ein sanftes Knirschen, als Schnee von einem der niedrigen Äste hinter meinem Haus rutscht und ein dumpfes Grollen, als er auf dem Boden auftrifft. Stille.

Ich schlucke fest und beuge mich zum Schlüsselloch nach unten. Jetzt oder nie.

Nichts. Ich erkenne die verschwommenen Beine meines Tisches, das untere Ende des Sofas und die rechte Ecke meiner Anrichte. Ich hadere weitere zehn Minuten, dann greife ich nach der Türklinke. Ich stehe auf und positioniere mich so, dass ich die Türe im Zweifelsfall mit der Schulter zurück ins Schloss schmettern kann.

Aber es passiert nichts. Meine Nerven liegen blank, wünschen sich einen lauten Knall, ein unförmiges humanoides Monster, das unter der Couch hervorschießt, irgendeinen Reiz, der die grässliche Anspannung aus meinem Körper schockt, aber es bleibt einfach still. Ich hasse diese Stille.

Als Erstes hebe ich meine Axt auf und dann mache ich mich auf die Suche nach dem Albtraum. Suche im Badezimmer, im Abstellraum, hinter dem Haus, vor dem Haus, starre den Briefkasten zornig nieder. Eine Krähe sitzt auf einer der schiefen, zugeschneiten Latten des Zaunes, der mein Grundstück von der Brachwiese dahinter abgrenzt und beobachtet mich aus verwirrten Knopfaugen.

»Warst das du?«, fragte ich sie laut und merke das erste Mal, wie verzweifelt meine Stimme klingt. »Ja?«

Die Krähe hüpft auf die nächste Latte und richtet ihre Flügel.

»Du kannst es mir ruhig sagen.« Sie starrt mich an.

Drinnen erklingt ein schriller Laut und ich erleide einen Herzinfarkt. Zumindest fühlt es sich so an. Ich wirble mit der Axt im Anschlag herum, erkenne aber das charakteristische Klingeln meines Telefons. Mein Atem geht schwer und gehetzt. Ich drehe mich zurück zur Krähe. Sie ist fort.

»Ruhig, Kari«, rede ich mir selbst zu und schleiche mit gehobener Axt zurück ins Haus.

Am Telefon ist Nagi. Sie erkundigt sich besorgt nach meinem Verbleib und ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich bereits zwei Stunden zu spät für die Arbeit bin. Ich fluche laut und ernte amüsiertes Gelächter von Nagi, lege auf und packe meine Sachen.

Natürlich fragt sie vorsichtig, wie es mir geht, aber ich wimmle sie ab. Gut, gut. Nur keine Nerven, müde, schlecht geschlafen. Von der Erscheinung erzähle ich nicht. Du wirst es bereuen. Ich zwinge meine Gedanken dazu, sich auf das Brühen von Kaffee zu fokussieren, schiebe sämtliche Eindrücke zur Seite, bis meine Schicht sich dem Ende neigt.

Es ist dunkel und ich fahre langsam durch die Straßen. Ich werde langsamer, sobald ich Gerdas Gemischtwarenladen sehe, steige aber nicht ab. Genauso wenig wie ich zur Polizei oder zum Postamt radle. Es ist unklug, sich gerade in der hereinbrechenden Nacht mit dem gestrigen Ereignis zu beschäftigen, aber meine Gedanken kribbeln wie ein Ameisenhaufen unablässig durch meinen Kopf, breiten sich auf mein flattriges Herz aus und treiben mir, neben der Anstrengung auf der eisigen Fahrbahn nicht den Halt zu verlieren, den Schweiß auf die Stirn.

Was passiert, wenn ich nicht gehe? Du wirst es bereuen.

War das die Antwort auf meinen Brief? Geht es nicht darum, was ich bereits bereue, sondern das, was ich zukünftig bereuen werde, sollte ich mich auf ewig in meinen vier Wänden verschanzen?

Mein Postkasten ist leer. Weder ist mein Brief geblieben, wo er war, noch habe ich eine schriftliche Antwort erhalten. Ich fröstle, aber nicht nur vom Wetter.


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