XVI

Ich wache diese Nacht mehrmals auf. Zuerst denke ich, dass ich wieder etwas gehört habe, warum sonst wäre ich aufgewacht? Aber ich höre nichts. Ich liege lange wach und lausche in die stille Nacht.

Um zwei werde ich diesmal durch ein Geräusch geweckt. Es ist der einsame Ruf einer Krähe und ich halte die Luft an. Er ertönt nicht noch einmal.

Um drei wache ich auf, weil mir der Mond ins Gesicht scheint. Zuerst ärgere ich mich verschlafen, dann bin ich hellwach. Mein Vorhang war vor einer Stunde noch zu. Oder sind einfach Wolken vor dem Mond gewesen? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nicht und bleibe reglos liegen. Blicke dem Mond entgegen und bilde mir ein, Geräusche zu hören. Doch sie gliedern sich so perfekt in den Rhythmus meines Herzschlags ein, dass sie nur Einbildung sind. Für einen Augenblick wünsche ich mir, dass mein Herz aufhört zu schlagen, damit ich besser lauschen kann.

Absurd. Aber ich steige nicht aus dem Bett, sondern lasse die Vorhänge unverschlossen.

Um vier Uhr reißt mich wieder eine Krähe aus dem Schlaf, der Mond ist allerdings schon untergegangen und es ist stockfinster in meinem Zimmer. Ich fixiere mein Fenster, vor dem sich das Schwarz in das diesige Dunkel des Himmels und das gespenstische Grau der schneebedeckten Wiese teilt. Vielleicht höre ich es gegen das Glas klopfen. Tap, tap, tap. Tap, tap.

Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen. Ich erkenne einen hellen Lichtpunkt vor dem Fenster, der sich ruckartig bewegt. Ein Auge vielleicht, das zu mir hinein späht? Tap, tap. Dann ist es still und auch der helle Punkt ist fort.

Am Samstag krieche ich völlig gerädert unter die Dusche. Die Axt nehme ich mit und stelle sie neben die Heizung. Angezogen greife ich sie mir und schleiche durch das Haus. Es wird langsam heller und mit dem Licht schwindet die irrationale Paranoia ein wenig.

Bis ich vor meiner Haustüre stehe und das Schloss betrachte. Das Balkenschloss ist wieder offen und meine Hände werden um den hölzernen Griff meiner Axt schweißnass. Bitte, flüstere ich, bitte hört auf.

Ich nehme mich zusammen und fahre in die Stadt. Jede Bewegung, angefangen beim Überstreifen meiner Stiefel bis hin zum Öffnen der Haustüre, ist begleitet von einer ekelhaften Gänsehaut. Sie verschwindet erst, als ich auf die Landstraße fahre und so schnell es der rutschige Asphalt erlaubt nach Sankt Walborrow radle.

Ich halte direkt beim Elektrofachgeschäft und kaufe mir eine Überwachungskamera. Sie ist teuer, fast ein Monatsgehalt, aber das ist mir egal. Ich brauche das. Ich muss wissen, was in der Nacht meine Schlösser öffnet. Kaum habe ich die Box in den Händen, fühle ich mich sicherer. Ich werde aber Julian brauchen, damit er mir hilft das zu installieren. Ich informiere mich beim Verkäufer, aber seine Erklärung verstehe ich nur halb.

Dann fahre ich zu Julians Werkstatt. Er hat Samstag zwar geschlossen, aber sein Haus steht direkt daneben. Es ist kurz nach Mittag, als ich die leere Straße entlang rolle und vorsichtig bremse. Sein Haus liegt am Stadtrand und teilt sich die schlecht asphaltierte Straße mit einigen Einfamilienhäusern. Ich höre Kinder Quietschen und einen Fernseher laufen. Im angrenzenden Garten bellt ein Hund und kommt wild schnaufend bis an den Zaun gerannt, sobald er mich hört.

Ich bleibe stehen und frage ihn, ob er ein guter Hund ist. Er wufft mich an, seine Stimme ist tief und kratzig. Ich lächle. Die meisten Hunde werden still in meiner Umgebung und ich muss ihren Besitzern immer beantworten, wieso. Ich weiß nicht, wieso. Aber sie sehen mich immer an, als erwarten sie, dass ich ihnen ein Geheimnis verrate.

Ich steige vom Rad und schiebe es das letzte Stück. Der Hund folgt mir mit einem kehligen, nicht vollständig motivierten Bellen.

Ich läute bei Julian und warte. Bevor er aufmacht, sehe ich, wie er die Gardine vor dem Fenster neben der Tür zur Seite schiebt. Dann knirscht sein Schloss und er öffnet die Türe. Er sieht mich leicht irritiert an.

»Hilfst du mir, die Überwachungskamera zu installieren?«, frage ich und deute auf meinen Fahrradkorb.

Julians Blick wandert von mir zu meinem Fahrrad und dann reibt er sich kurz über das Kinn. »Ernsthaft?«

Ich hebe die Schultern. Das unangenehme Kribbeln kriecht mir wieder über den Nacken. »Bitte.«

Julian nickt bloß einmal. »Warte kurz.«

Ich warte, während Julian seine Jacke holt. Dann hilft er mir wieder, mein Rad in seinen Van zu schieben, und wir fahren zu mir nach Hause.

»Es liegt nicht an den Schlössern, oder?«, will er wissen, als er langsam die Straße entlang fährt. Er hat zwar Eisenketten an den Reifen, aber möchte trotzdem kein Risiko eingehen.

»Nein«, sage ich, ehe ich meine Antwort anpasse. »Doch, aber nicht so, wie du denkst.«

Julian wirft mir einen langen Seitenblick zu.

Ich seufze. »Vielleicht werde ich auch nur vergesslich. Ich weiß nicht«, fange ich an, nervös zu erklären, und versuche nicht an die Kratzer an meiner Türe zu denken, doch scheitere. »Wird schon schief gehen«, murmle ich und hole Luft.

»Hör zu. Ich bin mir sicher, dass jemand«, ich zwinge mich dazu, jemand und nicht etwas zu sagen, »in der Nacht meine Schlösser öffnet. Jeden Morgen sind sie offen.«

Das mit den Vorhängen verschweige ich.

Julian runzelt die Stirn, sagt aber nichts dazu und lenkt in meine Auffahrt. Dann stellt er den Motor ab und lässt sich zurück in den Sitz sinken. Wir sagen eine Weile lang nichts, aber das stört mich nicht. Ich bin froh, je länger ich in seinem sicheren Van sitzen kann.

»Und du hast sicher nicht vergessen, sie zu schließen? Vielleicht bist du noch nicht an sie gewöhnt«, schlägt er ruhig vor und ich stoße frustriert die Luft durch den Mund aus.

»Ja. Und nein. Wie gesagt, ich habe mir auch schon gedacht – es liegt sicherlich an mir. Aber ich bin mir sehr sicher, dass ich sie schließe. Immerhin ... versucht jemand seit Wochen in mein Haus zu kommen. Es klopft und klopft, aber niemand ist vor der Tür.«

»Das Klopfen«, wiederholt Julian mit gerunzelten Brauen.

»Und nicht nur«, sage ich leise und spüre, wie sich meine Lungen verkrampfen. »Mein Schloss ist zerkratzt, meine Türe ebenso«, krächze ich. Es auszusprechen fühlt sich falsch an.

»Hm«, macht Julian und steigt schließlich aus. Ich folge ihm und wir heben mein Rad aus dem Kofferraum.

Ich gehe zur Veranda und bleibe stehen, als ich eine Krähe sehe. Sie sitzt auf meinem Postkasten und krächzt, so wie ich vorhin. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und Julian dreht sich nach einigen Schritten zu mir um.

Ich starre die Krähe an, die mir ihr schwarzes Auge zuwendet und den Kopf schief legt. Wieso starrt sie zurück? Ich kann mich nicht bewegen, an den Morgen denkend, an dem ich die Hintertüre geöffnet habe. War da auch eine Krähe gewesen? Nagi hat die Krähe nicht gesehen und ich merke, wie ich mich langsam in eine Hysterie steigere.

»Julian«, sage ich so ruhig wie möglich und nicke zum Postkasten. »Siehst du die Krähe?«

Julian runzelt die Brauen und dreht sich zum Postkasten um. Die Krähe sieht mich unverwandt an. »Ja.«

Ich stoße die Luft aus und nicke. »Gut. Und siehst du auch die Kratzer hier?«

Ich gehe zur Türe und deute auf die Furchen im Lack. Julian beugt sich über meine Schulter. »Hm.«

»Das ist ein ...?«

»Ein Ja«, sagt er nachdenklich und ich fühle mich nicht mehr ganz so verrückt. »Aber das sind einfache Gebrauchsspuren, oder nicht? Das Haus ist sehr alt, Zander. Oder es war ein Tier, vielleicht ein Fuchs?«

Ich schaffe es, mein Lachen zurückzuhalten. »Welches Tier versucht eine Türe aus dem Rahmen zu schälen?«

Julian hebt die Schultern und ich schließe auf. Während er die Kamera installiert, rufe ich Nagi an. Sie hebt nach dem ersten Läuten ab und ich erzähle ihr von der Kamera und Julian. Dann frage ich sie, ob sie heute bei mir übernachten will. Als ich das frage, sieht Julian zu mir hinüber und ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.

Nagi fragt, ob Julian auch bleibt, und ich wiederhole die Frage. Er hebt die Schultern und begutachtet mich und dann die Türe. »Sicher.«

Ich gebe es an Nagi weiter und sie zögert nur kurz, ehe sie zustimmt. Von ihrer verweinten Laune ist nichts mehr übrig und sie verspricht, Knabberzeug und Pizza zu bringen. Beinahe habe ich gute Laune. Ich koche uns Tee und gehe dann Holz holen. Julian ist gerade fertig mit der Kamera, als ich Nagis Auto höre. Ich sehe aus dem Küchenfenster. Sie parkt neben Julians Van und ich eile zu ihr, um ihr mit ihren Sachen zu helfen.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top