XI

Das Erste, was ich am Morgen mache, ist mich mit einem Küchenmesser bewaffnen. Ich gehe zur Hintertüre und spähe durch das kleine Glasfenster. Eine aufgewühlte Spur führt vom Wald zu meinem Schuppen und zurück. Vielleicht verläuft sie auch mehrmals im Kreis, ehe sie wieder in den Wald wandert, das ist nicht gut zu erkennen. Ich atme aus.

Ich schließe auf und trete in den strahlenden Morgen. Den Fußspuren zufolge war das ein Marder, kein Fuchs und ganz bestimmt kein Wolf. Ich erkenne den umgestoßenen Rechen und das zersplitterte Glas. Es war das mit den gesammelten Nägeln, die ich aus dem Feuerholz ziehe, wenn ich welche finde.

Ich seufze und kehre sie rasch zusammen, damit nicht jemand drauf tritt. Erst, nachdem ich die Unordnung beseitigt habe, wird mir etwas bewusst. Ich werde still und drehe mich zur Schuppentüre um, die angelehnt einen breiten Streifen Sonne hereinlässt.

Es ist Sonntag und ich bin aus dem Haus gegangen.

Ich mache einen Satz zu meiner Holzfälleraxt und reiße sie an mich. Dann stürme ich zurück ins Haus und schlage die Türe fest hinter mir zu, sperre ab. Was, wenn ich den ungebetenen Gast bereits eingelassen habe? Nein, denke ich. Nein, zwinge ich mich, zu denken, und halte die Axt anschlagbereit. Ich gehe durch den Flur nach vorne in die Wohnküche.

Es ist alles still. Nur die Uhr tickt unbekümmert vor sich hin. Ich halte es zwei Stunden lang durch, frühstücke und feure den Ofen an. Dann rufe ich Nagi an.

Sie hebt verschlafen ab und schilt mich. Es ist nicht einmal elf.

»Hör zu. Gerda«, fange ich an und ignoriere ihre grummelnde Stimme. »Sie hat nicht so gewirkt, als wäre die Sache mit ihrem Freund abgeschlossen. Da verbirgt sich was.«

Nagi brummt ins Telefon. »Na dann frag sie. Komm schon, lass mich ausschlafen. Wir reden später.«

Sie legt auf und ich lege meinen Kopf in den Nacken. Nagi ist viel zu ruhig. Ich rufe bei Julian an, aber er geht gar nicht erst ans Telefon.

Ich schlucke und fahre mir über das Gesicht. Ich sitze den ganzen Tag in der Küche und starre auf meinen Postkasten. Aber bis auf die Krähe von letzter Woche bekomme ich keinen Besuch. Mit einem Mal zweifle ich an der Idylle, in die ich hier gezogen bin. Das Haus war spottbillig und ich beginne zu ahnen, weshalb. Ich glaube nicht an Geister oder Dämonen. An das Übernatürliche im Generellen.

Dann kommt das Klopfen und ich verkrampfe mich am Küchentisch. Ich glaube nicht ans Übernatürliche. Nie im Leben.

Es klopf vier Mal, energisch, fordernd. So wie beim letzten Mal. Ich stehe leise auf und wage es kaum, zu atmen. Ich schleiche auf Wollsocken zur Türe und drücke meinen Zeigefinger auf die kleine Klappe vor dem Türspion. Ich weiß jetzt schon, dass meine Veranda leer sein wird. Trotzdem halte ich die Luft an und lehne mich nach vorne.

Ich schwitze und mein Herz schlägt unglaublich laut. Ich schiebe die kleine Blende zur Seite und kneife ein Auge zu. Dann spähe ich durch den Spion.

Nichts. Auf den ersten Blick nichts. Es ist dunkel draußen, schwere Wolken sind vor die Sonne gezogen und trüben das kobaltblaue Licht. Ich blinzle hektisch und dann erkenne ich die Umrisse meiner Veranda. Die der Sitzbank mit der abblätternden Farbe, die durch den Schnee auf ihren Planken mollig aussieht. Das Treppengeländer und die vage Vermutung meines Postkastens.

Als es das nächste Mal gegen meine Türe hämmert, zucke ich so fest zusammen, dass ich mir das Knie am Holz anschlage und mit einem Fluchen zurückspringe. Das Klopfen wird durch das Geräusch meines Knies unterbrochen. Zwei Mal hat es geklopft. Jetzt herrscht beinahe erstaunte Stille und ich bekomme Angst. Habe ich aus Versehen einen Weg für Kommunikation geöffnet? Gerda hat gesagt, ich soll nicht daran denken. Aber wie soll man denn nicht daran denken, wenn ein Unsichtbarer gegen die eigene Türe hämmert?

Ich kann das nicht länger durchmachen. Erneut ertönt das Kratzen von Metall, wie etwas das versucht, meine Türe zu öffnen. Dann erklingt das Geräusch von knirschendem Schnee. Jemand fährt über meine Auffahrt.

Ich springe zum Fenster, die Axt immer noch in der Hand und spähe hinaus. Es ist ein Auto. Es ist Nagis Auto, das am unteren Ende der Einfahrt stehen bleibt. Sie steigt aus dem Wagen und ich höre das Piepen der Autoschlösser.

Immer noch kratzt und schabt es an meiner Eingangstüre. Heiße Angst strömt durch meinen Körper, aber Nagi stapft gemächlich zu mir nach oben, hebt den Kopf und sieht mich. Sie muss doch sehen, was vor der Türe steht! Sie muss doch erkennen, was auf meiner Veranda hockt und versucht hereinzukommen. Aber sie sieht mich bloß verblüfft an und fängt dann lauthals an zu lachen.

Ich zucke zusammen und stelle die Axt zurück auf den Boden neben die Spüle.

»Was machst du denn mit der Axt?«, fragt sie und kommt zu mir ans Fenster. Ihre Stimme ist gedämpft durch das Glas.

»Es klopft«, rufe ich, aber Nagi hebt nur die Hand ans Ohr.

»Was?«, schreit sie und deutet zur Türe.

Ich schüttele den Kopf. Ich gestikuliere ihr, einen Moment zu warten, und hole Stift samt Papier. Ich kann dir nicht öffnen. Es klopft.

Ich halte den Zettel ans Fenster und Nagi hebt eine Augenbraue. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und kurz darauf läutet mein Telefon. Ich atme auf und hebe ab. Das Kabel reicht aus, dass ich wieder vor dem Küchenfenster stehen kann.

»Spinnst du jetzt vollkommen?«, begrüßt sie mich und ich höre ihre Stimme doppelt. Einmal gedämpft durch das Fenster und einmal knisternd an meinem Ohr.

»Ist jemand auf meiner Veranda?«

Nagi runzelt die Brauen und dreht sich um, wirkt aber nicht alarmiert. »Nein. Da ist niemand. Du hast vorher gar kein Klopfen erwähnt. Nur die Briefe. Zander, echt?«

Ich starre sie an, dann nicke ich. Die Furcht muss meinem Gesicht abzulesen sein, denn sie lacht nicht. »Klopft es ernsthaft?«

Ich schlucke. »Jetzt nicht mehr, aber als ich vorhin aus dem Fenster gesehen habe, schon.«

»Unheimlich«, pflichtet sie mir bei und besieht sich meine Veranda von neuem. »Und du willst echt nicht aufmachen?«

»Nein.« Ich merke, wie lächerlich das klingt. Vor allem, weil Nagi unbescholten vor meinem Haus durch den Schnee stapft. »Könntest du in meinen Briefkasten schauen?«

Ich höre Nagi seufzen, aber kurz darauf erscheint sie wieder in meinem Blickfeld. »Du bist echt durchgedreht. Was hat Gerda denn zu dir gesagt?«

Ich kaue auf meinem Daumennagel. »Ihr Freund hat es auch klopfen gehört, obwohl da niemand war. Sie hat mich gefragt, wie oft.«

»Wie oft was?« Nagi öffnet den Postkasten und greift hinein.

»Wie oft es klopft. Vier Mal, habe ich gesagt.«

»Mhm.«

Ich halte die Luft an, als Nagi einen Brief hervorzieht und ihn in der Hand wendet. »Ist das gut oder schlecht?«

»Keine Ahnung. Darauf meinte sie, ich soll nicht daran denken. Dann geht es vorüber.«

Nagi lacht. »Wie soll man das denn ignorieren?«

»Genau«, murmle ich. Dann kommt Nagi zurück zum Fenster und hebt den Brief in die Höhe.

»Kari

Ich nicke nur.

»Hätte auch falsch adressiert sein können«, sagt sie nachdenklich und ich schweige. »Tut mir leid. Ich wollte nicht in deiner Vergangenheit schnüffeln.«

»Schon gut. Ich habe dich ja darum gebeten.«

Nagi beißt sich auf die Lippe. »Soll ich ihn aufmachen?«

Wir blicken einander durch die Scheibe an. »Ich weiß nicht«, gestehe ich schließlich und knete das Telefonkabel zwischen den Fingern meiner freien Hand. »Was, wenn du dann mitreingezogen wirst?«

Nagi hebt die Schultern, macht aber keine Anstalten, den Brief zu öffnen.

»Ich habe eine Idee«, sage ich dann. »Geh zu meiner Türe.«

»Soll ich anklopfen?«, fragt sie scherzhalber, aber ich kann nicht lachen.

»Nein. Stell dich einfach vor den Türspion.«

»Okay.«

Nagi verschwindet aus meinem Blickfeld und ich gehe mit dem Telefonhörer am Ohr zu meiner Eingangstüre. Es ist unangenehm still, jetzt wo ich nicht mehr aus dem Fenster blicken kann.

»Bin da.«

»Gut.«

Ich schiebe die Blende auf und spähe nach draußen. Sehe die zugeschneite Bank, den Postkasten, die Krähe mit ihrem indigofarbenen Schatten. Nur Nagi sehe ich nicht. Meine Kopfhaut fängt an zu prickeln.

»Du bist nicht da.«

»Huh. Ich winke. Siehst du mich echt nicht winken?«

»Nein«, krächze ich. »Ich sehe nur das Grundstück und die Krähe auf dem Postkasten.«

»Welche Krähe?«

Der Klumpen aus Eis, den ich bei Gerda im Lager gespürt habe, kehrt augenblicklich zurück. Seltsam, denke ich. Dass ich Nagi nicht gesehen habe, ist weniger beunruhigend, als die Krähe, die ich sehen kann. Sie richtet ihr schimmerndes Gefieder, raschelt mit den Flügeln. Und wartet.

»Schon gut«, blocke ich ab und muss den Hörer in die andere Hand wechseln. Ich wische meine Hand an meiner Jeans trocken und gehe zurück zum Fenster.

Nagi erscheint ebenfalls, sie sieht ratlos aus. »Hast du denn mal dran gedacht, durch das Fenster zu klettern?«, überlegt sie und ich runzle die Stirn. »Na weil du ja nur die Türe nicht aufmachen sollst. Und vor dem Fenster scheint ja alles in Ordnung zu sein.«

»Ich weiß nicht«, gestehe ich. »Ich war heute schon im Schuppen. Durch die Hintertüre. Aber da hat es nicht geklopft.«

Nagi reibt sich die Brauen und zieht die Nase hoch. Ihre Wangen werden langsam rot vor Kälte. »Pass auf«, sagt sie und sieht kurz auf das Display ihrs Handys. »Ich fahre jetzt in die Stadt und besorge mir ein paar Donuts, brühe Kaffee und hole Julian. Dann campen wir in seinem Van heute einfach vor deinem Haus. So kannst du uns sofort informieren, sollte etwas vorfallen.«

Mir kommen beinahe die Tränen. »Danke, Nagi.«

»Ach was, das wird lustig. Ein bisschen Spannung tut uns allen gut.«

»Geht das denn mit Julian in Ordnung?«

Nagi schweigt kurz und hebt dann die Schulter. »Ja klar, warum auch nicht. Der zieht da keine Schlüsse draus.«

Das hoffe ich. Andernfalls würde ich mich obendrein noch richtig mies fühlen. »Danke«, sage ich aber bloß, zeichne ein lächelndes Smilie auf das Blatt Papier und halte es ans Fenster.

Nagi gibt mir einen Daumen hoch und fährt dann zurück in die Stadt.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top