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Dann ist Sonntag. Ich bin den ganzen Tag unkonzentriert, oder viel mehr hoch konzentriert, lasse meine Türe nicht aus den Augen und spähe hinter den Spitzengardinen hervor, bis ich bestimmt jeden Muggel niedergedrückten Grases neben meiner Auffahrt unter dem Schnee mit Familiengeschichte kenne.
Es klopft nicht. Es ist beunruhigend still. Zu still, alles schweigt, als würden der Wald, der See und die Wiese dahinter die Luft anhalten. Genau wie ich.
Die Sonne klettert höher und ich höre ab und an ein Auto auf der Landstraße vorbeibrausen. Es beruhigt mich. Es klingt nach Zivilisation, nach Realität und das tut gut.
Ich entspanne mich ein bisschen, wasche Wäsche, sortiere die wenigen Bücher, die ich habe, kehre und säubere den Ofen, ehe ich frisches Holz nachschlichte.
Ich merke, dass ich nicht genügend Scheite habe, um den Ofen zu entzünden, und meine Hand verharrt auf halbem Weg zur leeren Feuerholztruhe in der Ecke neben dem Kachelofen.
Alles wird sehr still. Ich ebenso. Ich atme nicht, bis meine Knie anfangen zu schmerzen. Ich kann nicht nach draußen. Ich kann die Türe nicht öffnen. Und durch die Hintertüre? Was, wenn die Warnung auch dafür galt?
Mein Magen füllt sich aus unbestimmtem Grund mit Eis. Ich habe gar nicht an die Hintertüre gedacht. War sie die letzten zwei Wochen überhaupt abgeschlossen gewesen?
Ich richte mich auf meine Fersen gestützt auf und drehe mich in den Flur um, der das kurze Stück zwischen Küche und Hinterausgang überbrückt. Ich strecke den Arm aus und schließe meine klammen Finger um den Schlüssel, der im Schloss steckt. Drehe vorsichtig nach links, aber er gibt nicht weiter nach. Abgeschlossen. Ebenso unbegründete Erleichterung durchflutet mich und schmilzt das Eis in meinem Magen.
Ich muss heute nicht heizen. Ein paar warme Decken und ein zweites Paar Socken werden reichen. Ich stehe auf und gehe zurück in die Wohnküche, um mir die weichen Wollsocken zu holen, und ein weißes Blitzen fängt meine Aufmerksamkeit.
Es ist ein kleines Rechteck mitten auf dem Küchenboden, direkt vor der Türe.
Es ist ein Brief. Ein Brief mit meinem Namen darauf, der mir durch den Türschlitz zugeschoben wurde. Wenn meine Türe denn einen Schlitz hätte. Aber den hat sie nicht. Sie ist gut abgedichtet, damit die Wärme im Winter nicht aus dem Haus flüchtet.
Ich habe selten irrationale Angst verspürt, doch in diesem Moment fühle ich nichts, außer blanker Furcht, als ich den kleinen Umschlag dort vor mir auf den braunen Kacheln liegen sehe. Irrational ist diese Angst aber nicht, versuche ich mir einzureden. Jemand hat einen Brief zugestellt, obwohl das nicht möglich sein sollte. Das ist doch Begründung genug.
Trotzdem fühle ich irgendwo in meiner Brust ein sanftes Sprudeln, ein hysterisches Lachen, das diese Situation gerne als blöden Scherz abtun will.
Fürchtet sich vor Briefen. Vielleicht fürchte ich mich nach diesen Ereignissen wirklich vor ihnen.
Ich bücke mich danach und bin versucht, damit einzuheizen. Aber die Buchstaben auf dem Umschlag warnen mich davor. Schreien mich praktisch an, mit ihrer bemüht neutralen Schrift. Der Zusteller, der Verfasser will allem Anschein nach nicht erkannt werden und mit einem Mal verspüre ich Ärger. Was erlaubt er sich, mir solch eine Angst einzujagen?
Energisch schlitze ich den Umschlag auf und ziehe das Blatt Papier heraus. Es ist leer. Ich wende es mehrere Male, als ob sich das Resultat meinen Erwartungen anpassen könnte, aber es bleibt leer.
Jetzt wird mein Ärger noch größer und ich beschließe, am Montag zum Postamt zu radeln. Vielleicht auch zur Polizei. Ich habe einen Stalker, einen Geist.
Bevor ich schlafen gehe, koche ich Tee und setze mich vor das leere Blatt.
Was ihr auch macht, lasst es, schreibe ich mit wilden Buchstaben darauf. Mir ist es gleich, ob man mich erkennt, ich lasse meine gesamte Persönlichkeit in diese Worte fließen und drücke fest auf, bis die Spitze meiner Füllfeder kratzt und einige entsetzte Tintenspritzer über das Blatt spuckt.
Vermutlich haben die Jugendlichen das Klopfen mit dem Werfen von Steinen nachgestellt, ohne auf meine Veranda zu kommen.
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