III
Ich vergesse den Brief über den Rest der Woche, entschuldige mich bei meiner Chefin und bei Nagi, die mein seltsames Verhalten nur mit einem liebevollen Augenrollen quittiert. Sie weiß, dass ich gelegentlich eigen bin, still. So still wie der Wald hinter meinem Haus. Das ist alles normal, ich bin normal, der Wald ist normal.
Trotzdem befällt mich eine unbestimmte Unruhe, je näher der Sonntag rückt. Ich überlege mir, Nagi nach einer Verabredung zu fragen. Es funkt zwar nicht zwischen uns, aber trotzdem haben wir bereits mehrere Abende gemeinsam verbracht. Waren Essen oder auf dem Rummelplatz, Eisfischen im Winter und normales Fischen im Sommer. Radfahren entlang der Wege im großen Waldgebiet und um den See. Einmal sogar an der Küste, wo wir Muscheln gesammelt und später dann bemalt haben.
Ich sitze diesen Sonntagmorgen an meinem kleinen Küchentisch und starre auf die sanften, stillen Dampfkringel, die sich aus meiner Tasse emporwinden. Nagi und ich haben schon lange nichts mehr unternommen, es liegt nicht an dem Brief, dass ich zu meinem Festnetztelefon greife und ihre Handynummer wähle.
Dafür muss ich aufstehen und hinüber zum Waschbecken gehen. Gerade, als ich den Hörer abnehme, klopft es vier Mal rasch und fest gegen meine Türe. Ich zuckte derart heftig zusammen, dass mir der Hörer aus den Händen fällt und unangenehm laut gegen die Wand knallt.
Ich fluche und beeile mich, den Hörer davor zu retten, noch einmal gegen die Wand zu schlagen, und drücke ihn hastig zurück auf die Gabel. Ich blicke auf und spähe durch das Küchenfenster nach draußen. Schiebe die Spitzengardine zur Seite, als das Klopfen erneut ertönt. Laut, vier Mal, energisch.
Mein Blick fällt zuerst auf den Postkasten und dann auf meine Veranda. Sie ist leer.
Ein Prickeln kriecht meine Arme hinauf und bahnt sich schmerzhaft einen Weg unter meinen Pullover, bis zu meinen Beinen nach unten.
Es klopft erneut, vier Mal, energisch. Meine Veranda ist leer.
Plötzlich wird die Luft in meinen Lungen knapp und mein Brustkorb eng. Ich lasse die Gardine wieder zufallen und entferne mich von der Türe, bis ich durch den Flur bis an meine Hintertüre gelangt bin. Ich lasse meine Vordertüre nicht aus den Augen, an die es erneut klopft.
Vier Mal, energisch.
Meine Augen huschen hinüber zum Weidenkorb für Papiermüll und ich bin froh, dass ich diese Woche zu geistesabwesend war, um ihn im Kachelofen zu verbrennen. Wie auf Geheiß knackt ein dicker Holzscheit und lässt mich beinahe an die Decke fahren. Mein Herz hämmert bestimmt hundert Mal in der Sekunde und droht meine Lungen zu zerquetschen. Ich bekomme ohnehin kaum Luft, weil ich sie panisch anhalte, doch das Klopfen erklingt nicht noch einmal.
Trotzdem stehe ich am Ende meines kurzen Flures und wage nicht, einen Schritt zu nehmen.
Erst nach und nach komme ich zurück, fange mich, gehe wieder in die Küche. Das Erste, was ich nach dieser endlosen Weile mache, ist sämtliche Vorhänge zuziehen, obwohl es vor dem Fenster immer noch hell ist.
Dann erwärme ich meinen Tee und wühle im Korb nach dem Brief, der letzte Woche kam.
Ich finde ihn und streiche ihn glatt.
Sie kommen bald. Vielleicht solltest du dir gründlich überlegen, ob du die Türe öffnest. Auf dem Umschlag steht immer noch mein Spitzname aus einem anderen Leben.
Es ist aber niemand vor der Türe. Meine Veranda ist leer.
Ich rufe Nagi an und versuche, so unverbindlich wie nur möglich zu klingen. Ob sie Lust hat gemeinsam vor dem Ofen bei mir zuhause zu Sticken. Eigentlich nicht, sie hat einem Freund versprochen beim Ausmisten zu helfen. Ausgerechnet Sonntag. Ausgerechnet heute. Ich wünsche ihr viel Spaß und lege auf.
Verbarrikadiere meine Vordertüre mit der schweren Holztruhe, in der meine Sommerschuhe und Schuhbürsten liegen und gehe ins Bett.
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