Tollpatschigkeit

Ein Fass nach dem Anderen kullerte fröhlich und munter umher. Ein paar hatten sich schon heimlich still und leise ins Meer verabschiedet oder lagen zertrümmert herum. Ich schluckte, als ich das genauer in Augenschein nahm. Es handelte sich bei dem Inhalt nicht um Trinkwasser. Nein, es ging um den West-Blue-Sake von Shanks! Und ausgerechnet ich hatte mich auf eines der Fässer draufgehockt und in meiner Tollpatschigkeit die Befestigung gelöst. Ich war bestimmt mit viel zu viel Schwung aufgestanden!

Mein Herz raste vor Panik. Gehetzt sah ich mich um, bemerkte am Rande, dass es noch niemand mitbekommen hatte. Die gesamte Aufmerksamkeit lag aktuell bei Linux und der Red Force. Sollte sich mein Chef jedoch umdrehen, dann wars das für mich.

Ich schluckte und fasste einen Entschluss. Vielleicht lag es auch einfach an meinen inneren Instinkten des Hasen, welche lauthals aufschrien und mich zur Flucht trieben. Ich konnte schlichtweg nichts mehr mit logischen Denken ausrichten, so fürchterliche Angst hatte ich vor Shanks Wut. Aus diesem Grund drehte ich mich einfach um und rannte weg.

Im Nachhinein betrachtet nicht die beste Idee, immerhin offenbarte ich mich unweigerlich selbst als Täter und machte meinen Chef und Ben auf die Problematik aufmerksam. Das laute Brüllen des Chefs hielt mich nicht auf. Stattdessen legte ich noch einen Zahn zu und rannte extrem schnell um die Werftgebäude herum. Mit einem gigantischen Sprung, den wohl nur ein Hase wie ich anstellen könnte, gelangte ich in den 3. Stock des Wohngebäudes, dank eines offenen Fensters.

Ich stoppte erst in meinem eigenen Zimmer, sperrte hinter mir die Tür zu und rutschte schwer atmend das Holz hinunter auf den Boden. „Fuuuuck", fluchte ich nach einem hektischen Atemzug und versuchte mein Herz und meine Instinkte zu beruhigen. Das war schon immer meine Schwachstelle gewesen. Ich hatte meine tierischen Instinkte nicht unter Kontrolle.

Dementsprechend viel Fell hatte sich schon über meine menschliche Haut gebildet. Mein Puschelschwanz war ebenso schon gewachsen, mein Gebiss hatte sich dem eines Hasen angepasst und meine Hinterläufe ähnelten auch mehr dem eines Hasen, als dem eines Menschen.

„Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße!", murmelte ich immer weiter im Tantra, versuchte gleich-zeitig meine vollständigen Thán-Gene zu unterdrücken. Es funktionierte nur halbherzig. Weder das Fell, noch mein süßer Hasenpuschel wollten verschwinden. Meine Füße hatten sich wenigstens wieder zurückgebildet, sodass ich die zerfetzten Schuhe herunterklauben und in eine Ecke werfen konnte.

Nach etlichen Minuten des reinen Atmens fuhr mein Körper soweit hinunter, dass ich wieder normale Zähne besaß. Mein Fell an Armen und Beinen wurde weniger, mein Puschelschwanz am Steiß verschwand auch. Zurück blieb ich, verzweifelt und verwirrt. Warum zum Teufel hatte ich so reagiert? Weil ich seine Götterkünste gestern bei eigenem Leib zu spüren bekam? Weil ich seit gestern wusste, dass Shanks extrem wütend werden könnte?

Ich sollte es doch besser wissen. Der Rothaarige war vielleicht zu seinen Feinden brutal, aber er rastete sicherlich nicht völlig aus, weil ich Alkohol verschüttet hatte. Oder???

„NOUSAGI! ANTRETEN SOFORT!"

Die laute und bestimmte Stimme des Piratenkapitäns brachte mich erneut völlig aus der Bahn. Ich schluckte mehrmals, robbte zu meinem Fenster und linste aus der Scheibe. Shanks stand mit ernstem Gesichtsausdruck vor dem Wohngebäude. In etwas weiterer Entfernung befand sich mein Chef und Ben, dahinter die Schaulustigen. Gefühlt alle Piraten und Werftarbeiter...

Mein Körper verfiel wieder in einen Zitterzustand. Wieso musste ich mich jetzt an meinen Lehrmeister erinnern? Der war auch immer extrem angefressen, wenn ich mit meiner Tollpatschigkeit etwas ausgefressen hatte. Und irgendwie hatte Shanks einen ähnlichen Ausdruck aufgesetzt.

Innerlich aufgebend, öffnete ich dann doch das Fenster, da ich seine Aura leicht wahrnehmen konnte und sich diese immer weiter verstärkte. Ohne Schuhe, dafür wieder mit Hasenpfoten statt Füßen, sprang ich aus dem 2. Stock und landete sicher mit etwas Abstand vor Shanks. Ich ließ mich sofort auf die Knie fallen, gleichzeitig hingen meine Hasenohren nach vorne über.

Schuldbewusst starrte ich auf den Asphalt und bibberte leise vor mich her. „Tut mir Leid....", brachte ich noch heraus, dann blieb ich still.

„Also hast du wirklich die Fässer zerstört?", fragte Shanks emotionslos. Ich wusste absolut nicht, was er gerade dachte und das machte mir irgendwie noch mehr Angst. Ja, er konnte extrem furchteinflößend wirken. „Ja... aber nicht mit Absicht!", bestätigte ich kleinlaut. „Und warum rennst du weg und versteckst dich, anstelle es gleich zu beichten?" „Weil ich.... keine Ahnung", antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich konnte meine Instinkte schlecht erklären.

Als es für längere Zeit still wurde und keiner einen Ton von sich gab, schob ich einen Satz hinterher. „Bitte köpf mich nicht. Es tut mir so leid!" Meine Stimme klang wie ein geschlagener Hund. Naja, eher bald geköpftes Häschen.
Wieder aller Erwartungen meinerseits sog der Rothaarige scharf die Luft ein, bis er sie mit einem lauten Lachen entweichen ließ. Verdattert blinzelte ich und hob doch den Kopf.

Was ich sah, verwirrte mich nur noch mehr. Shanks grinste breit, über beide Wangen. All sein Ärger war verflogen. „Warum sollte ich dich köpfen wollen? Klar du hast meinen geliebten Alkohol zerstört, der dazu noch scheiße teuer war." Er zuckte mit den Achseln und sah mich tadelnd an. „Aber deine Reaktion war wirklich urkomisch!" Er kicherte und gluckste, was mich wirklich blöd aussehen ließ. Meine gesamte Reaktion.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Langsam entspannten sich meine Muskeln, bis sein großes „Aber" kam. Mit großen Augen blickte ich wieder zu ihm hoch. „Wenn du ein Crewmitglied wärst. würde es für dich Alkoholverbot bis zur nächsten Insel inklusive eines Ausfalls deines Anteils vom nächsten Schatz hageln. Da du allerdings nicht zur Crew gehörst und laut deinem Chef gerade mal die Schulden von ihm abgearbeitet hast und somit keine Möglichkeit hast, die Schulden zu begleichen, habe ich eine bessere Idee. Du wirst deine Schulden einfach bei mir abarbeiten müssen. Sprich: Du musst meiner Crew beitreten. Jetzt hast du keine andere Wahl mehr, Nousagi!"

Das Grinsen, welches er mir danach schenkte, hatte einen üblen Beigeschmack für mich. Warum kam es mir so vor, als ob ihn das sogar belustigte und voll in die Karten spielte?

Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Piratin? Ich? „Jetzt nimm es doch nicht so ernst. Immerhin ist dein Kopf noch dran!", scherzte mein-jetzt-wohl-Kapitän und reichte mir seine Hand. Zögerlich ergriff ich sie und er zog mich auf meine Füße. „Du hast eine halbe Stunde zum Packen! Danach wollen wir ablegen!", teilte er mir gnadenlos mit, was mich in die Höhe springen ließ. „Ich beeil mich!" Aus Angewohnheit salutierte ich kurz, bevor ich mich umdrehte und wieder in mein Zimmer verschwand. Zurück blieb ein breit grinsender Kaiser.


Die halbe Stunde war viel zu schnell wieder vorbei. Ich konnte zwar all meine Sachen in einen großen Seesack packen und doch brauchte ich länger als gedacht, mich von meinem Zimmer und damit verbundener Zuflucht der letzten Jahre zu trennen. Wehmütig streifte mein Blick durch den jetzt beinahe leeren Raum. Dass ich auf diese Weise die Insel verlassen würde, hätte ich nicht gedacht.

„Sagi-chan? Bist du soweit?" Linux sich nähernde Stimme zerschlug die Wehmut und ich drehte mich zu ihm um. Gleichzeitig schloss ich die Tür ein letztes Mal. „Klar!", erwiderte ich, während ich ihm entgegenkomme.
Ein Lächeln lag auf den Lippen des Blonden. „Irgendwie bin ich wirklich froh, dass du doch noch mitkommst, weißt du das? So bin ich nicht ganz so alleine und unser Dream-Team bleibt zusammen!" Ich rollte mit den Augen und boxte ihm in die Seite. „Wir erfüllen gemeinsam unseren Traum. Wenn auch nicht ganz freiwillig." Ich verzog das Gesicht, während er leise lachte. „Ich liebe manchmal deine Tollpatschigkeit!" „Ich nicht....", seufzte ich und rollte mit den Augen.

Zusammen begaben wir uns zur Red Force, die bereits beladen wurde. Wenige Piraten standen noch an Land, die meisten befanden sich schon an Deck und warteten auf die Befehle des Käpt'n. Dieser befand sich auf der Rampe. Siegessicher grinste er mich an, dann deutete er auf das Schiff. Ich wusste was er meinte. Während sich Linux direkt auf das Schiff begab, drehte ich mich noch zu den Werftarbeitern und dem Chef um, bevor ich mich tief verbeugte. „Danke, dass ihr mich damals aufgenommen habt und ich hier arbeiten durfte!"

Ich riss mich so zusammen, keine schnulzigen Worte loszuwerden oder Tränen zu vergießen. Dafür lächelte ich breit, richtete mich auf und wollte schon über die Rampe auf das Schiff. Bis ich plötzlich vom Chef in eine Umarmung gezogen wurde. „Hab ich doch gern getan. Pass auf dich auf Bursche, verstanden?! Und schreib mir!" „Schreib uns!", riefen die restlichen Arbeiter im Hintergrund.

Blinzelnd versuchte ich mich zusammenzureißen, doch mein Herz wurde schwer. Als ich die Tränen des Chefs auf meiner Schulter spürte, war es auch bei mir vorbei. Mein Seesack rutschte von meinen Schultern und heulend drückte ich mich an den Älteren. „Ich werde euch nie vergessen!", schniefte ich lauthals. „Wir dich auch nicht!", schniefte der Rest der Truppe.

Tränenüberströmt trennte ich mich schließlich vom Chef und sammelte mein Gepäck wieder auf. Ich wischte mir einmal mit meinen Ärmel über das Gesicht um das Gröbste weg zu bekommen und setzte ein Lächeln auf. „Ich geh dann mal!" Der Chef nickte. „Viel Spaß auf deiner Reise!"

Und so drehte ich meinem alten Leben, was ursprünglich nur ein Zwischenstopp meiner Abenteuerreise sein sollte, den Rücken zu und lief doch tatsächlich auf ein Piratenschiff, mit welchem ich eine neue Reise antrat.

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