Red Force
Ich arbeitete die gesamte Nacht durch. In den frühen Morgenstunden war das heiße Metall endlich soweit abgekühlt, dass ich es an der Galionsfigur anbringen konnte. Ich hatte sogar noch so viel vom Gold übrig, dass ich ein paar gegossene Platten zusätzlich am Bug des Schiffes befestigen konnte.
Jetzt, wenige Stunden nach Sonnenaufgang und noch weniger Stunden bevor die Piratencrew ihr neues Schiff sehen will, brachten wir die Galionsfigur an das Schiff an. Ohne Zwischenfälle konnten wir alles fertigstellen und mit einem zufriedenen Seufzer lief ich ein paar Schritte zu-rück und betrachtete mein Werk.
Ich war vollends zufrieden. Das rote Schiff mit den weißen Segeln, den Palmen am Heck und dem epischen Drachenkopf als Galionsfigur entsprach genau meinen Vorstellungen. Eigentlich übertraf der fertige Anblick meine Erwartungen sogar! Das Schiff sah einfach nur majestätisch aus.
„Na Sagi? Da hast du ja eine echt reife Leistung abgelegt!", stolz, als wie Bohne klopfte mir der Chef mehrmals auf den Rücken. „Wenn ihnen das nicht gefällt, dann..." „Dann behalte ich es. Aber das wird nicht passieren. Hier die gesamte Kostenaufstellung", unterbrach ich ihn und reichte ihn mein Klemmbrett. Dort befanden sich die Materiallisten, die Arbeitsstunden und andere Zusätze darauf.
Während mein Chef zufrieden grinste und alles erneut durchrechnete, stellte sich mein Team um das Schiff, um ein weißes Laken darüber zu spannen. Sie wollten unbedingt eine Show aus der Enthüllung machen und ich hatte nichts dagegen einzuwenden.
Ich konnte wirklich stolz auf meine Arbeit sein, das wusste ich selbst. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass dieses Projekt so gut funktionieren würde. Es hatte mir unglaublich viel Spaß bereitet. Vom Design, über das Ausrechnen vom Material. Selbst bei anstehenden Prob-lemen verlor ich nicht die Nerven, was tatsächlich ein kleines Wunder darstellte.
„Du grinst wie ein Honigkuchenpferd", brummte da mein bester Freund neben mir und stellte einen Seesack ab. Kritisch drehte ich mich zu Linux um und betrachtete ihn. Irgendwie sah er so aus, als ob... „Du verlässt uns also doch?", fragte ich verwundert und verlor mein breites Grinsen. Er seufzte tief. „Im Prinzip hat Shanks mit allem was er in den letzten Tagen gesagt hat, recht. Ursprünglich wollte ich das Meer bereisen. Das wollten wir beide. Bis wir hier gelan-det sind und blieben."
Mein Kopf nickte langsam, während ich das Gesagte erst verarbeiten musste. „Du lässt mich allein...", murmelte ich mit einer aufkommenden, tiefen Traurigkeit im Herzen. Ich hatte den Arzt wirklich ins Herz geschlossen! Ein wehmütiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht und kurzerhand zog er mich in eine Umarmung. „Ach Sagi-chan. Ich liebe dich, das weißt du. Aber ich liebe auch das Segeln und das Meer." „Ich kann es immer noch nicht verstehen, warum du dich ausgerechnet Piraten anschließen willst, aber... ich verstehe, warum du endlich von hier weg willst", nuschelte ich in sein lachsfarbenes Hemd und hob den Kopf, um ihn anzufunkeln.
Doch ich kam zu keinem Wort mehr. Lautes Heranrollen von Fässern übertönten mich und wir lösten uns. Zusammen drehten wir uns zur Geräuschquelle hin und starrten die Wertarbeiter an. „Das ist Sake. West-Blue-Sake", erklärte mein Chef, der sich wieder zu uns gesellt hatte. „Der Rothaar hat das extra bestellen lassen. Und du willst nicht wissen, wie viel so ein dämli-ches Fass kostet..." „Wie viel Geld haben die bitte?", fragte Linus zweifelnd. „Jetzt jedenfalls gar nichts mehr. Aber das sind Piraten. Die kommen schon wieder an Gold heran." Der Chef lachte lauthals.
Ich beobachtete ein wenig die Fässer und Lebensmittel, welche alle noch vor dem Schiff gela-gert wurden. Meine Gedanken jedoch schweiften immer wieder zu Linux und dem zusammen-hängenden Abschied.
„Hey, da kommen die Piraten ja! Macht alles fertig zur Enthüllung!", dröhnte kurzerhand von einem der Wertarbeiter und riss mich somit aus meinen Gedanken. Jetzt doch aufgeregt hob ich den Kopf. Lange musste ich nicht warten, da befand sich auch schon die gesamte Crew um mich, mein Team und das Schiff versammelt.
„Es ist größer geworden!" „Viel größer als das Alte." „Wie es wohl aussieht?" Immer wieder konnte ich einzelne gemurmelte Sätze aus der Meute heraushören, doch Shanks war wohl am Lautesten, als er die Fässer erkannte. „HEY, habt ihr den Sake noch auftreiben können?!", brüllte er freudig, während der Chef wehleidig nickte.
„Aber wir sind hier nicht wegen den Fässern, sondern wegen dem Schiff", lachte der Schütze und drückte Shanks in Richtung des abgedeckten Schiffes. „Jetzt mach schon, wir können es kaum abwarten!" Kichernd trat ich genauso wie der Chef und Shanks zum Schiff vor und dreh-te mich zur versammelten Mannschaft um. „Ihr habt mir mehr oder weniger freiwillig den Bau eures neuen Schiffes überlassen. Dabei habe ich allerdings gut erhaltene Teile eures alten Schiffes verwendet, sodass es weiterhin mit euch Segel setzen kann. Ich hoffe, es gefällt euch!" Ich neigte meinen Kopf zur Seite und grinste breit, als das weiße Laken auch schon heruntergezogen wurde.
Mein Herz klopfte bis zum Hals, als in der ersten Sekunde keine Reaktion kam. Ich wusste, dass der Anblick erst seine Wirkung entfalten musste und trotzdem konnte ich nicht innehalten. Zweifelnd drehte ich mich zu meinem Werk um, erblickte den leuchtenden Drachenkopf mit den goldenen Verzierungen. Die Sonne stand wirklich perfekt, um die rote Farbe und das Gold in Szene zu setzen. Es schimmerte unfassbar edel.
Bis ich es mir versah, fasste wohl Shanks alles in einem Wort zusammen: „Wahnsinn!"
Danach brach ein Tumult aus. Die Crew jubelte, pfiff, weinte, schrie, brüllte. Alles zusammen. Trotz der vielen unterschiedlichen Reaktionen konnte ich keine einzige negative Emotion fest-stellen, was mich wirklich rührte. Und dann kamen sie auch schon alle auf mich zu. „Woooow! Dürfen wir drauf?" „Wie hast du das gemacht?" „Es ist der Wahnsinn!" „Und das gold!" „Das ist wirklich unser Schiff?"
Ich kam gar nicht dazu, alle Fragen zu beantworten, da pfiff der Chef einmal laut und deutete auf die aufgestellte Rampe. Plötzlich war ich absolut nicht mehr interessant. Dafür rannten alle in Windeseile auf und in das Schiff und inspizierten wohl jeden kleinsten Winkel. Zurück blieb ich, völlig am Ende mit den Nerven, aber voll Ends zufrieden.
„Du hast dich wirklich selbst übertroffen. Ihnen gefällt es", meinte Linux breit grinsend und kam auf mich zu. Ich kratzte mich am Hinterkopf und stellte meine Hasenohren auf. „Für einen Mo-ment dachte ich, sie bringen mich jetzt um...", gestand ich dann.
Shanks lautes Lachen dröhnte vom Deck und unterbrach unser Gespräch ein weiteres Mal. „Wie hast du das nur hinbekommen, Sagi?", fragte er. Ich zuckte grinsend mit den Schultern. „Ich hatte Hilfe. Aber die Idee für das Design ist mir einfach so eingefallen." „Willst du wirklich nicht mit und unser Schiffszimmermann werden?", erwiderte er und lehnte sich an die Reling, um zu mir herunter zu sehen. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Ich bin nicht so der Typ, der gern Pirat wird."
Sein Schmollen konnte ich deutlich sehen. Ich schüttelte nur den Kopf, dann stemmte ich mei-ne Arme an meine Hüften ab. „Sag mal, wie wollt ihr das Schiff nun nennen? Es braucht einen Namen, bevor ihr damit heute in See stecht!" Damit warf ich ihn aus der Bahn, genauso wie alle anderen an Deck. „Ein Name? Warum gibst du dem Schiff keinen Namen?", fragte Shanks verwundert. Ich schüttelte den Kopf. „Nur weil ich das Schiff gebaut habe, kann ich ihm nicht einfach so einem Namen geben. Ihr seid die Crew, welches mit dem Schiff in Zukunft segelt. Also denkt euch einen guten aus!"
Damit ließ ich die Männer alleine. Stattdessen begab ich mich zu den ganzen auftürmten Le-bensmitteln und setzte mich auf eins der Fässer. Seelig lächelnd betrachtete ich das rote Schiff vor mir und wie sich die Piraten jetzt verzweifelt einen Namen überlegen mussten. Im-mer mehr Vorschläge mit „Dragon", kamen auf, wobei immer jemand etwas dagegen hatte. Kichernd rollte ich mit den Augen, dabei wusste ich doch selbst, dass eine Namensgebung verflixt schwer fällt.
„Sag schon Sagi! Was ist deine Meinung?!", rief mir der Fette mit der Fleischkeule verzweifelt zu. Ihn hatten die bisherigen Namen am wenigsten gefallen. Ich seufzte und stand mit Schwung auf. Eine kleine Hilfe konnte wohl nicht schaden, vor allem weil ich insgeheim wünschte, diesem edlen Schiff einen Namen geben zu dürfen.
Die Piraten lagen nicht ganz falsch. Das Schiff sollte einen Namen tragen, dass sein Aussehen in irgend einer Form widerspiegelte oder etwas mit der Crew zutun hatte. Einfach ein Detail, ein Eindruck...
Nachdenklich überlegte ich, welchen Eindruck das Schiff auf mich machte, als ich mich näher-te. Dabei nahm ich nochmal jedes so kleinste Detail war. Die rote Farbe, der Drachenkopf, die goldenen Verzierungen, die weißen Segel im Wind, die Piratenflagge am Mast. Durch meine Bewegung aus hatte ich eine perfekte Aussicht, vor allem durch die am Himmel stehende Sonne. Jetzt alles in Farbe zu sehen, alles zusammengesetzt zu sehen in einem ganzen Stück und aus verschiedenen Winkeln. Plötzlich fiel mir wie aus dem Nichts die Erinnerung ein, wie ich Shanks letzte Nacht so wütend erlebt hatte. Seine Aura fühlte sich so stark, so übermächtig an.
Auf einmal setzten sich die Puzzleteile zusammen.
„Es strahlt Macht aus. Eine ganz besondere Art der Macht. So wie Shanks selbst", murmelte ich abwesend und kräuselte meine Stirn.
„Force also. Red Force!"
Der Vorschlag schlug ein, wie eine Bombe. Noch bevor ich meinen Kopf gehoben hatte, um die Reaktionen der Piraten zu sehen, jubelten sie schon auf. „Red Force? Hört sich Hammer ein!" „Das ist mal ein mega Name!" „Passt perfekt!" „Macht, es strahlt Macht aus. Passend für eine Piratenbande, wie wir sie sind!" Weitere Sprüche folgten und zufrieden stand ich dort ne-ben der Rampe und lächelte zufrieden. Ja, der Name passte wirklich gut und hatte einen geni-alen Klang.
Noch stolzer als zuvor betrachtete ich die feiernde Meute, bis mein feines Gehör ein unnatürli-ches Geräusch vernahm. Verwundert drehte ich mich um, ließ meinen Blick schweifen und mit einem Mal wurde ich leichenblass. Als hätte ich einen Geist gesehen. Wobei, eher den Tod. Meinen eigenen Tod.
Linux war das nicht entgangen. Verwirrt betrachtete er mich, meinen versteinerten Körper und meinen Gesichtsausdruck. Dann blickte er in die Richtung, zu der ich mich zugewandt hatte und lachte. Er lachte laut und schallend, was wohl ein eher seltenes Geräusch von ihm war. Ich derweil bereitete innerlich meine Grabrede vor.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top