[08]

Minho PoV

Ein wenig ungeduldig wartete ich vor Jisung's Klassenraum. Dieses Mal war ich jedoch sicher, dass er darin war. Schließlich hatte mein Englischlehrer es mir quasi gesagt. Außerdem konnte ich von drinnen Stimmen hören, die bunt durcheinander redeten. Sie mussten wohl gerade die Erlaubnis zum Einpacken bekommen haben.

Die Tür schwang auf und Schüler liefen heraus.

"Jisung, können wir noch reden?", hörte ich meinen Lehrer noch fragen. Musste das ausgerechnet jetzt sein? Jisung wollte mich heute seinen Eltern vorstellen und ich wollte das so schnell wie möglich hinter mir haben, denn ich hatte keine Ahnung, wie sie drauf waren.

"Ja, aber nur kurz bitte. Ich werde noch erwartet."

"Ganz kurz und schmerzlos. Du bist ein schlauer Junge und du verstehst die englische Sprache sehr gut. Das, was ich bis jetzt über dich gehört habe, war immer 'Er ist schlau aber viel zu still'. Und ich will das nicht auch sagen müssen. Dein Freund meinte, dass du wohl mehr redest, wenn du dich wohler fühlst. Also wenn ich irgend etwas machen kann, damit der Unterricht für dich angenehmer wird, sag es mir einfach."

"Mach ich. Vielen Dank."

"Vielleicht fangen Sie damit an, nicht davon auszugehen, dass jeder Schüler eine perfekte Familie mit zwei Elternteilen hat.", meinte ich und kam in den Klassenraum zu seinem Pult. "Und ich spreche damit nicht nur für mich. Ja, im Idealfall sollte das so sein, aber es gibt nunmal auch Schüler deren Eltern sich vielleicht getrennt haben und die deshalb jetzt nur noch mit einem Elternteil zusammen leben. Oder Schüler bei denen ein Elternteil abgehauen ist. Oder Schüler deren Eltern gestorben sind. Sowas passiert und es kann sehr traumatisierend sein. Also bitte. Nichts in der Art von 'Jeder hat Eltern.'. Das war echt nicht okay..."

Jisung streichelte mit seiner Hand sanft über meinen Nacken und legte seinen Kopf auf meine Schulter, als würde er versuchen, mir so stumm zu zeigen, dass er bei mir war und mich unterstützte. Er war echt perfekt.

"Ich verstehe, was das Problem dahinter ist. Danke dafür, dass du es mich wissen lassen hast, Minho. Ich werde daraus lernen und mehr darauf achten, was ich sage. Es tut mir sehr leid."

Ich nickte und er gab uns die Erlaubnis zu gehen, weshalb Jisung und ich Hand in Hand den Klassenraum verließen.

"Min, ich muss dich vorwarnen: Meine Eltern sind sehr komisch drauf, deshalb nehme ich eigentlich niemanden mit zu mir. Außerdem wissen sie noch nicht, dass ich auf Jungen stehe und ich will ihnen das heute sagen, weil ich dich als meinen festen Freund vorstellen will. Aber auch wenn sie seltsam reagieren, bitte verlass mich danach nicht. Du musst nie wieder zu mir kommen, nur verlass mich nicht."

"Das ist okay, Sungie. Ich bleibe bei dir, so wie du Samstag bei mir bei mir geblieben bist."

"Danke."

"Nein. Ich danke dir. Dafür, dass du dich um mich kümmerst."

"Ist doch selbstverständlich...", murmelte er schüchtern.

Daraufhin entstand eine angenehme Stille, bis wir bei seinem Haus ankamen. Es war recht groß dafür, dass sie dort nur zu viert mit seiner Schwester lebten und schien wirklich teuer gewesen zu sein.

Er öffnete die Tür und ich folgte ihm in den Flur, der ebenfalls recht teuer aussah.

"Mama? Papa? Jisoo? Ich bin wieder da und hab jemanden mitgebracht, den ich euch gerne vorstellen möchte!", rief er und wir zogen uns Schuhe und Jacke aus.

"Wir sind in der Küche!", kam es von seinem Vater.

"Bereit?", fragte Jisung sich selbst und atmete noch einmal tief durch. "Okay. Bereit."

"Du schaffst das, Baby.", antwortete ich und drückte ihm einen kleinen Kuss auf, ehe wir gemeinsam in die Küche gingen.

Sie sah noch teurer aus als der Flur und ich fühlte mich hier mehr als nur fehl am Platz. Die leicht angewiderten Blicke seiner Eltern machten es nicht besser.

"D-das hier ist Minho...", meinte er nervös, was ihm nur skeptische Blicke einbrachte. "Wir-... Ich-... Er-... Er ist mein fester Freund... Ich bin schwul."

"Ich hab dir doch gesagt, dass er keine Freundin findet, wenn er so aussieht. Jetzt wird er aus Verzweiflung schon zur Schwuchtel.", meinte sein Vater.

Bitte was?!

"Und was besseres als einen Grufti konnte er wohl auch nicht finden."

"Zum Glück ist eines unserer beiden Kinder normal geworden."

"Wir hätten ihn nicht tanzen lassen sollen zum Abnehmen. Jetzt ist er nicht nur zu fett sondern auch noch schwul."

Mit Tränen in den Augen rannte Jisung aus dem Raum.

"Welches ist sein Zimmer?", fragte ich seine Schwester, die das ganze nur bedrückt verfolgt hatte.

"Treppe hoch und dann die hinterste Tür.", antwortete sie und sofort lief ich in sein Zimmer, wo er weinend auf dem Boden vor seinem Bett saß und gedankenverloren mit einer Schere herumspielte. Er schluchzte nicht. Die Tränen liefen einfach seine Wangen herunter.

"Sie werden mich nie so sehr hassen, wie ich mich selbst hasse. Lustig oder?", fragte er und starrte weiter auf die Schere, die er mit einer Hand hin und her schwang, sodass sie auf und zu schnappte. "Niemand könnte mich so sehr hassen wie ich selbst."

"Jisung... Tu mir einen Gefallen und leg die Schere weg..."

Er hörte nicht auf mich, sondern spielte weiter damit herum, weshalb ich zu ihm ging und sie ihm ihm aus der Hand nehmen wollte, doch ich bekam sie nicht richtig zu greifen, weshalb mir die Klinge der Schere durch die Innenseite meiner Hand schnitt und eine tiefe Wunde hinterließ.

Jisung sah mich geschockt an, während ich kaum etwas von dem Schmerz spürte. Adrenalin pumpte durch meinen Körper und betäubte ihn.

"Es tut mir leid.", entschuldigte er sich und wich zurück. "Ich wollte nicht, dass du dich verletzt... Ich mache allen nur Probleme..."

"Gib mir einfach die Schere, Jisung.", versuchte ich es nochmal.

"Nein. Ich-... Ich hab es so verdammt satt, jedermanns Problem zu sein...", antwortete er und setzte die Schere nun an seiner zarten Haut an.

"Mach. Das. Nicht.", meinte ich und ging langsam zu ihm. "Ich bin bei dir, schon vergessen? Ich bin bei dir und ich werde nicht zulassen, dass noch jemand, den ich liebe, vor meinen Augen stirbt, hörst du?"

Ich hockte mich neben ihn und drückte seinen Kopf mit meiner unverletzten Hand an meine Brust. Er ließ die Schere los und umarmte mich.

"Du liebst mich...?", fragte er vorsichtig. Ich hatte es einfach gesagt, ohne wirklich darüber nachzudenken, doch es stimmte. So sehr wie ich den Kleinen zu Beginn gehasst hatte, liebte ich ihn heute.

"Ja.", lachte ich leise. "Ja, ich liebe dich, Jisung. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich."

"Ich dich auch...", antwortete er und sah mir in die Augen. Dann lehnte ich mich zu ihm und gab ihm einen gefühlvollen Kuss, den er erwiderte. Zumindest bis ich mit der verletzten Hand gegen den Boden kam und leise aufzischte.

"Zeig mir deine Hand, Minho.", befahl mir Jisung und ich hielt sie ihm hin. Sie sah schlimmer aus, als ich erwartet hatte und das Blut begann bereits in meinen Hoodieärmel zu laufen.

"Das ist nicht so dramatisch..."

"Nicht so dramatisch?! Lee Minho, wir bringen dich damit jetzt sofort in die Notaufnahme! Sowas muss genäht werden! Warte kurz hier."

Er stand auf, wischte sich noch die letzten Tränen weg, als wäre nichts gewesen und verschwand dann, nur um kurz darauf mit einem Handtuch wieder zu kommen.

"Jisoo fährt uns. Nimm das hier erstmal, um die Blutung zu stoppen und damit sie uns nicht umbringt, weil Blut in ihrem Auto ist. Los jetzt."

______________________________________

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top