14. 𝒦𝒶𝓅𝒾𝓉𝑒𝓁
„Du solltest dir Gedanken darüber machen, Tristan. Ich kann dir hier und jetzt mein Wort geben, dass du mit mir an deiner Seite, deine ganz eigene Geschichte schreiben kannst." Graysons Worte hallten nicht nur in der Kirche wieder, sondern ebenso in seinem Kopf. Das Gespräch mit ihm hatte ihn schreckliche Zweifel gestürzt. Er fürchtete sich davor, eine Entscheidung treffen zu müssen oder es am Ende zu tun. Ihm war klar, was ihm dieser Mann bieten konnte, aber ihm war bewusst, was das alles bedeutete, und welche Konsequenzen es mit sich zog. Nein, er konnte das nicht. Er wollte das nicht. Deshalb wandte er sich von dem Mann ab und drehte sich der Orgel wieder zu, an die er sich gesetzt hatte. Er wusste nicht genau, warum er hier saß, denn die Notre-Dame-des-Victoires war nicht unbedingt sein Rückzugsort. Aber es war der erste Ort, der ihm einfiel, nachdem er von zuhause nur wegwollte. Und seitdem saß er hier, vermutlich seit über Stunden und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Dabei war das alles gar nicht so einfach, wenn ein guter Freund und Vertrauter des eigenen Vaters bei einem auftauchte und einem ein Angebot unterbreitete, von dem er im Augenblick sehr gewillt war, es anzunehmen. Aber Tristan konnte nicht. Erstens war er zwölf Jahre alt und zweitens, nur weil er seinen Vater hasste, konnte er nicht seine restliche Familie im Stich lassen. Schon gar nicht Ben, der viel für ihn geopfert hatte und immer für ihn da war. Tristan stand zwischen zwei Stühlen und es schmerzte, diese Gedanken überhaupt in seinem Kopf zu haben.
Das hier war Bens Ort. Sein Rückzugsort. Hier kam er her, wenn er aufgewühlt war oder einfach nur ruhige Minuten brauchte. Wenn es Ben nicht gut ging, kam er hierher in diese alte Kirche und setzte sich an die Orgel, um zu spielen. Und er spielte verdammt gut. Er hatte ein wahres Talent dafür. Darauf konnte er stolz sein. Nur die wenigsten wussten davon. Sonntags und einmal unter der Woche spielte er bei einigen Messen und verzauberte die Menschen mit seinem Können. Ihre Familie war nicht unbedingt religiös oder gläubig. Sein Zwilling hatte das hier für sich entdeckt und nicht selten kam es vor, dass Tristan oft nur deshalb die Messen besuchte oder sich sogar dazu bereit erklärte, ihn mit der Violine zu begleiten. Sie konnten unterschiedlicher nicht sein, aber die Musik verband sie.
Tristan konnte hören, wie die Schritte des Mannes sich entfernten, nachdem diesem bewusst wurde, dass er von ihm keine Antwort mehr erhalten würde. Grayson hatte ihn diesbezüglich nicht das erste Mal aufgesucht und er wusste, dass es nicht das letzte Mal war. Aber es gab niemanden, mit dem er sonst darüber sprechen konnte, der ihn verstand. Diese Dunkelheit in ihm zerfraß ihn und Tristan wusste nur schwer damit umzugehen. Manchmal wünschte er sich, er wäre anders, wäre nie so auf die Welt gekommen. Ihm war bewusst, dass diese Dunkelheit schon immer da gewesen war, immer ein Teil von ihm war. Er konnte sie nicht einfach so loswerden. Die einzigen Menschen, die davon wussten, waren Grayson und Benedict. Niemand anders kannte seine Gedanken, das, was ihn wie ein Schatten verfolgte. Tag und Nacht.
Er war doch nur ein Kind.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass du zufällig hier gewesen bist." Es war Bens Stimme, die ihn aus diesem Strudel an Gedanken wieder zurück in die Realität holte. Womöglich waren erst wenige Sekunden vergangen, seitdem Grayson bei ihm gestanden war, denn als Tristan hinunter sah, erkannte er, dass der Mann seinem Zwillingsbruder begegnet war und bei dessen Worten nur grinste. Wie ihn das nur anwiderte. Und er wusste, dass Benedict diesem Mann gegenüber schon immer skeptisch war. Nur kannte Ben das Geheimnis nicht, das die beiden miteinander teilten. Er ahnte zwar etwas, aber Tristan hatte nie etwas in die Richtung ausgesprochen.
„Ich fürchte, dass du deinen Bruder gar nicht so gut kennst, wie du es vorgibst zu tun", entgegnete ihm der Ältere und verschwand kurzerhand aus der Kirche. Sie waren alleine hier. Tristan schämte sich, dass er sich überhaupt noch mit diesem Menschen unterhielt. Aber was sollte er tun? Egal, was passierte, egal was vorfiel, Grayson schien offensichtlich alles mitzubekommen und war sofort zur Stelle, wenn er glaubte, dass es notwendig war, aus dem Schatten aufzutauchen.
Schnelle Schritte waren zu hören, die über die Treppe nach oben kamen, um ihn zu erreichen. Diese Schritte würde er unter tausenden erkennen. Sein Bruder würde binnen weniger Sekunden bei ihm sein und ihn zur Rede stellen wollen. Er war sich nur nicht so sicher, ob er das konnte. Über Gefühle und Gedanken zu sprechen, war schon immer eine schwierige Sache für ihn gewesen.
Völlig außer Atem setzte sich sein Bruder neben ihn auf den Hocker und Tristan spürte deutlich, dass dieser ihn ansah. Er wagte es nur nicht, zurückzusehen. Dafür schämte er sich zu sehr.
„Dieser Typ ist nicht nur gruselig, sondern auch gefährlich", lauteten die Worte des Jüngeren, und Tristan konnte gar nicht anders, als zu seufzen. Natürlich hatte er recht, aber was sollte er sagen?
Es herrschte eine Weile Stille zwischen den beiden. Tristan wollte diese definitiv nicht brechen, weil er nicht wusste, welche Worte er wählen sollte, war es Ben, der ihn nach einigen Minuten leicht mit dem Ellenbogen anstupste und ihn erneut davon abhielt, völlig in der Gedankenwelt verloren zu gehen.
„Hey", hörte er ihn in einer sanften Tonlage sagen und Tristan hielt den Kopf noch immer gesenkt. „Anya hat mir erzählt, dass du einfach weg bist, nachdem du mit Apa geredet hast. Sie hatte dich abfangen wollen, aber du warst so schnell weg, dass sie nichts tun konnte." Tristan biss sich auf die Unterlippe und wusste, dass er bei seiner Mutter Kummer ausgelöst hatte. „Ich bin dann natürlich sofort zu Apa gegangen und habe ihm meine Meinung gegeigt und ihm klar gemacht, dass nicht du der Undankbare bist, sondern er." Er klammerte sich mehr mit seinen Fingern an den Hocker und wagte es allmählich, aufzusehen. Dabei musste er feststellen, dass sein Bruder sich, genau wie er, eine Ohrfeige geholt hatte. Nur aus unterschiedlichen Gründen. Tristan hatte sie verpasst bekommen, weil er eine schlechtere Note als eine eins bei seiner letzten Arbeit vorgelegt hatte. Ben hatte eine knallrote Wange, weil er sich für ihn eingesetzt hatte und ihn beschützen sollte. So lief es doch immer.
„Jetzt schmollt er. Aber Anya hat gesagt, dass wir ihn jetzt auch so lassen sollen. Es ist nicht richtig, wie er mit dir umgeht." Benedict legte einen Arm um ihn und Tristan lehnte sich instinktiv an ihn. Dabei bemerkte er, dass Ben noch sein Trikot vom Training trug, vollkommen verschwitzt und verdreckt war. „Es war auch nicht einfach dich zu finden, hier hätte ich dich am Wenigsten erwartet, aber mein Zwillingsinstinkt hat mir irgendwie gesagt, dass du hierher gekommen bist." Sie wohnten nicht weit von der Kirche entfernt. Deshalb war es nicht unwahrscheinlich, dass man sich hierher verkroch, wenn man versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Ben war oft hier und Tristan hatte in seiner Not gar nicht gewusst, wohin er sollte.
„Dich kann man nicht täuschen", meinte Tristan leise und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines Bruders. Dabei war es ihm vollkommen egal, dass dieser verschwitzt war. Sie standen sich nahe und nahmen sich so, wie sie waren. In jeder Situation.
„Nein, niemals. Das kann Grayson auch nicht. So sehr er auch glaubt es zu tun. Ich weiß, dass er etwas im Schilde führt. Ich komme nur nicht dahinter, was es ist. Es ist fast so, als würde er versuchen, dir der Vater zu sein, den du nicht hast. Irgendwie eklig und gruselig." Ben schüttelte sich bei seinen eigenen Worten vor Ekel und Tristan konnte es ihm nicht übel nehmen. Aber er hatte recht. Grayson versuchte ihm jemand zu sein, der ihn leitete und ihn durch diese Dunkelheit führte. Nicht hinaus, sondern immer tiefer hinein, wie ihm vor einiger Zeit klar geworden war.
„Grayson bekommt eben mit, wie Apa mit uns umgeht. Ich glaube, er meint es nur gut", nahm er ihn auch noch in Schutz und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
„Ich mag ihn trotzdem nicht. Da kann er noch so nett zu dir sein. Aber wie auch immer." Ben richtete sich ein wenig auf und suchte seinen Blick. „Ich habe deine Violine wieder. Er kann sie dir nicht wegnehmen. Also Apa. Vergiss es. Damit versucht er dich nur fertig zu machen. Du schreibst wunderbare Noten. Und wenn du mal eine zwei schreibst, dann ist das so. Das Stipendium ist dir doch sowieso sicher. Ich würde mir deshalb auch keinen Kopf machen."
Ben war auch der Einzige, der wusste, dass er vorhatte Medizin in der Zukunft zu studieren und dass die Universität in Yale sein großer Traum war. Benedict gab alles, ihn dahingehend zu unterstützen – ganz egal, wie jung sie waren und wie viel noch offen bei ihnen stand.
„Ich möchte nur niemanden enttäuschen", gab er leise zu und senkte erneut seinen Blick.
„Wen möchtest du denn enttäuschen? Unseren Idioten von Vater? Der würde nicht einmal durch eine Augenoperation sehen, was für er einen tollen Sohn er hat. Vergiss es, Trizzy. Du kannst es ihm nie recht machen. So wie ich es ihm nicht recht machen kann oder Anya. Er ist so und er sollte nicht der Grund sein, warum du dich aufhalten und fertig machen lässt. Du gehst deinen Weg. Auch mit einer verdammten zwei bei einem verdammten Test im Fach Geschichte."
Er hatte recht. Ben hatte in solchen Situationen immer die richtigen Worte parat und dafür bewunderte er ihn. Manchmal plagten ihn Zweifel, ob er nicht derjenige sein sollte, der so etwas an seine jüngeren Geschwister weitergeben sollte. Er war nicht in der Lage dazu. Es ging nicht. Ben war stets der Mensch, der ihn auffing und für ihn da war.
Wirklich immer.
Er konnte sich auf ihn verlassen.
Jederzeit.
„Möglicherweise hast du immer recht", ließ er ihn wissen und suchte seine Hand, um nach dieser zu greifen und ihre Finger miteinander zu verschränken. Benedict konnte gar nicht anders, als zu grinsen.
„Ich habe immer recht", gab er von sich und Tristan duckte sich, um sich dem Haarewuscheln zu entziehen. Aber er hatte keine Chance gegen seinen Bruder.
„Und jetzt komm, Trizzy. Anya wartet zuhause auf uns. Es gibt Essen und ich sterbe vor Hunger."
Möglicherweise sollte er versuchen, sich mehr von Ben leiten zu lassen, als von Grayson – nur war das alles leichter gesagt als getan. Nicht, wenn dieser Mann seitdem man denken konnte, eine sehr präsente Rolle in seinem Leben einnahm. So sehr, dass es ihm selbst Angst machte. Doch was konnte er dagegen tun? Er war ein Kind und Grayson Lapointe ein erwachsener Mann. Die Angst vor den Konsequenzen waren zu groß.
Wem konnte er sich diesbezüglich anvertrauen, ohne als vollkommen verrückt abgestempelt zu werden? Er schaffte es nicht einmal, sich seinem Zwillingsbruder anzuvertrauen. Ob das irgendwann überhaupt möglich war? Er wusste es nicht. Aber ihm musste dringend etwas einfallen, da er wusste, dass das alles kein gutes Ende nehmen würde.
Tristan durfte nicht mehr lange zögern, sondern musste, so bald es ging, eine Entscheidung treffen.
„Hallo, Schlafmütze", diese sanften Worte erreichten, als er die Augen öffnete und realisierte, dass er vorhin neben Ben eingeschlafen war. Tristan wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte – offensichtlich lange genug, sodass Katie sich dazu entschieden hatte, sich zu ihnen zu gesellen. Vorsichtig richtete er sich in dem Bett auf, darauf bedacht, seinen Bruder weiterhin schlafen zu lassen und ihm die Ruhe zu schenken, die er brauchte. Nachdem er an den Rand des Bettes gerutscht war und sich mit beiden Händen über das müde Gesicht gefahren war, versuchte er herauszufinden, wie spät es war. Die Armbanduhr an seinem Handgelenk verriet ihm, dass es etwa drei Stunden gewesen mussten, seitdem er das Krankenzimmer hier betreten hatte. Wenn er ehrlich war, war das noch immer nicht genug Schlaf gewesen – nicht nach all dem, was vorgefallen war, aber es war ein Anfang gewesen. Ein kleiner.
Tristan sah Katie einen Moment lang stumm an, die ihm nur ein Lächeln schenkte. „Tut mir leid, das war so nicht geplant gewesen", entschuldigte er sich bei seiner Freundin. „Ich hoffe, du hast dich trotzdem zurecht gefunden." Verlegenheit machte sich auf seinen Wangen breit, die etwas rot anliefen. „Schon gut, mach dir keinen Kopf. Eddie hat mir erzählt, dass ihr beide wohl eingeschlafen seid. Wir haben beide beschlossen euch schlafen zu lassen. Ich habe mich irgendwann zu euch gesetzt und habe versucht, herauszufinden, wer von euch beiden, wer ist." Sie kicherte leise und ihm war klar, dass sie das im Scherz meinte. Nun wanderte sein Blick ebenfalls zu Ben, der friedlich zu schlafen schien. Kurz strich er dem Jüngeren über den Handrücken und atmete tief durch. „Aber mal ehrlich. Ihr seht euch wirklich ähnlich", merkte sie an und Tristan verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln. Sie waren eineiige Zwillinge, waren aber immer unterschiedlich gewesen. Zumindest was ihren Kleidungsstil und ihre Interessen anging, jedoch sie konnten nicht leugnen, dass sie sich ihre Gesichter sehr ähnlich sahen.
„Das haben Zwillinge wohl so an sich", gab er von sich und schüttelte nur amüsiert den Kopf. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er noch nicht fassen, was hier passierte. Dass er hier saß und wusste, dass Ben aus seinem Schlaf aufwachte und sich mit ihm unterhielt. Dass all das hier nicht nur von einer Seite ausging, sondern, dass er Rückmeldung erhielt, wenn er bereit war, etwas zu erzählen.
Er spürte, wie nach seinen Händen gegriffen wurde, und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Lebensgefährtin, die ihn aufrichtig anlächelte. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, dass da jemand ist, der zu dir gehört, Tristan. Ich meine das wirklich ernst. Mir ist klar, dass vor euch ein noch sehr langer Weg bevorsteht, aber ich weiß, dass ihr das meistern werdet. Eddie und ich haben uns unterhalten und von ihm weiß ich, was du alles für Ben in den letzten Jahren getan hast."
Tristan sah auf ihre Hände und nickte erneut, ohne einen Ton von sich zu geben. Sie hatte recht, Eddie ebenso, trotzdem war er die meiste Zeit damit beschäftigt, sich Vorwürfe zu machen. Für ihn stand schon von Anfang fest, dass er an Bens Situation und Lebenslage, genauso Schuld trug, wie es Grayson Lapointe und seine Männer taten.
„Aber ich nehme es dir übel, dass du mir vorenthalten hasst, dass Eddie, der Eddie ist. Wie konntest mir nicht sagen, dass du Édouard Lefebvre kennst? Du weißt doch, dass ich die Musik seiner Band höre." Katie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und grinste in sich hinein. Ihm war klar, dass sie ihm nicht böse war, aber ihm war bewusst, dass er ehrlich mit ihr hätte sein müssen in den Jahren, in denen sie sich schon kannten. Vielleicht hätte er von Anfang an mit offenen Karten spielen und ihr sagen sollen, dass er einen Bruder hatte, der seit dem Vorfall im Koma lag. Dass er ihn regelmäßig besuchte. Retrospektiv betrachtet, wusste er nicht, warum er dieses Geheimnis nie offenbart hatte. Vielleicht, weil er Ben schützen wollte. Oder sich selbst. Dinge auszusprechen und sich einzugestehen, ließen alles überhaupt real werden.
„Tut mir alles leid", gab er aufrichtig zu und schluckte leicht. „Ehrlich. Ich werde von nun an versuchen, mehr mit dir zu teilen. Und zwar ab sofort. Aber das ist alles auch nicht so einfach für mich." Tristan wollte es hier mit Ehrlichkeit versuchen. Das entsprach der Wahrheit, zumindest zu einem gewissen Teil.
„Es macht dir hier auch niemand einen Vorwurf. Außer du dir selbst." Kathleen wusste im Grunde immer, was sie sagen brauchte, um ihn wieder auf den Boden der Tatsachen herunterzuholen.
Tristan sah sie an, wollte etwas erwidern, fand sich aber kurzerhand in einer Umarmung mit seiner Freundin wieder, die ihn liebevoll an sich drückte. „Es wird alles gut werden, das weiß ich. Das spüre ich, Tristan", versicherte sie ihm in einer sanften Tonlage und Tristan ließ sich für einen Moment einfach fallen. Er schloss die Augen und lehnte sich in die warme Geste seiner Liebe, versuchte, dabei jeden einzelnen Moment zu genießen und alles kurz zu vergessen. Es zählten nur sie beide.
„Hast du denn herausgefunden, was du herausfinden wolltest?", fragte er sie, während er in ihren Armen lag und ihren Herzschlag lauschte. Denn Katie hatte unbedingt mit ihren Kolleg*innen hier reden wollen, aus welchem Grund auch immer. Dabei konnte er ihr warmes Lächeln spüren, genau wie ihre Hand, die ihm über den Rücken streichelte.
„Ja und noch viel mehr, wenn ich ehrlich bin. Aber das erzähle ich dir später", ließ sie ihn wissen und er richtete sich auf, als er merkte, dass sie von ihm abließ, um aus ihrer Hosentasche ihr Handy hervorzuholen. „Jetzt muss ich dir aber etwas anderes zeigen. Ich bin mir sicher, dass sie es dir auch geschickt haben, aber du wirst wohl kaum auf dein Handy gesehen haben", sprach Katie weiter und Tristan versuchte, daraus schlau zu werden, was sie ihm damit sagen wollte. Tristan klopfte seine eigenen Hosentaschen ab, musste aber feststellen, dass sich das Gerät in seiner Umhängetasche befand und er ungelesene Nachrichten darauf fand. Aber nachdem Katie ihm nun zeigte, was er in den letzten Stunden verpasst hatte, konnte er sich das später ansehen.
Katie tippte eine Weile auf dem Smartphone herum und hielt ihm das Display unter die Nase. Er griff danach und musste direkt lächeln, als ihm klar wurde, was er da sah. Es handelte sich um ein abfotografiertes Ultraschallbild, das ein Baby zeigte. Er wusste sofort, um wen es sich dabei handelte und wer das Foto geschickt hatte.
Tristan nahm sich einen guten Moment Zeit, um sich das alles genau anzusehen und das Lächeln auf seinen Lippen war gar nicht mehr wegzudenken.
„Darf ich dir Dante Vittorio vorstellen?", meinte Katie zu ihm und nun war klar, dass er sich nicht geirrt hatte. Auf dem Bild war ein kleiner Junge zu entdecken und damit wusste er, wie sein zukünftiges Patenkind hieß.
„Dante Vittorio", wiederholte er den Namen und nickte zufrieden. „Ein wirklich sehr schöner Name." Er konnte sich direkt einen Reim darauf machen, wie Josephine und Vergil auf diese Namen gekommen waren. Vergil war ein langjähriger Freund von ihm, sie hatten sich damals im Krankenhaus kennengelernt, als Vergil für den Senator von New Jersey gearbeitet hatte und diesen nach New York in das Krankenhaus begleitet hatte. Die Sache mit ihm und Josie war kompliziert gewesen, aber am Ende waren sie nach Italien abgehauen, um dort ein neues Leben anzufangen. Tristan und Katie hatten ihnen dabei geholfen. So gut sie konnten. Nun erwarteten sie ihr erstes, gemeinsames Kind und er und Kathleen waren gefragt worden, ob sie die Paten für den Kleinen werden wollten. Natürlich hatten sie das nicht verneinen können. Nach all dem, was sie durchgemacht hatten, war es für sie selbstverständlich gewesen, sich dieser Aufgabe anzunehmen, egal, wie viele Kilometer sie voneinander trennten. Der Plan war sogar, kurz nach der Geburt des Babys nach Italien zu fliegen und die Familie zu besuchen. Das gehörte sich so und Kathleen hatte angefangen, Babysachen einzukaufen. Er freute sich darauf, denn er wusste, dass den beiden so ein Wunsch in Erfüllung ging.
„Ich freue mich wirklich sehr darüber", machte Katie ihm klar und er nickte, reichte ihr wieder das Telefon und fuhr sich ein weiteres Mal über das Gesicht. Tristan brauchte unbedingt mehr Schlaf.
„Ich freue mich für die beiden. Ich kann es auch kaum erwarten, sie wiederzusehen und auch das Baby kennenzulernen", sprach er seine Gedanken offen und ehrlich aus und schenkte seiner Freundin ein aufrichtiges Lächeln. All das kam aus tiefsten Herzen.
Katie nickte und schnappte sich ihr Handy, um Josie womöglich zu schreiben, dass er sich genauso freute, wie sie. Tristan nahm sich aber vor, den beiden eine persönliche Nachricht zukommen zu lassen oder sie sogar anzurufen. Außerdem war Weihnachten und es war länger her, dass sie voneinander gehört hatten. Es gab einiges zu erzählen.
Bevor Tristan aber etwas von sich geben konnte, bemerkte er, dass sich Ben anfing zu regen und allmählich munter wurde. Er hoffte, dass sie nicht zu laut gewesen waren, dabei hatten sie beide darauf geachtet, nicht zu laut zu sprechen. Er blickte zu ihm hinüber und griff vorsichtig nach seiner Hand. Jetzt würden Benedict und Katie sich kennenlernen und wenn er ehrlich war, so konnte er kaum erwarten, sie einander vorzustellen. Er war sich sicher, dass sie einander mögen würden. Dafür waren sie sich in ihrer Art zu ähnlich.
„Hey", hörte er seinen Bruder hauchen und Tristan drückte sanft seine Hand.
„Hey", entgegnete er ihm und sah dann zwischen den beiden hin und her.
„Ist sie das?", wollte Ben direkt wissen, nachdem ihm klar wurde, dass da jemand im Raum saß, den er nicht kannte und bevor er etwas erwidern oder tun konnte, war Katie schon aufgestanden und war näher an ihr herangetreten.
„Hallo, Ben. Freut mich, dich endlich kennenlernen zu dürfen. Ich bin Katie. Tristans Freundin." Doch anstatt ihm die Hand zu reichen, übersprang sie diesen Teil und umarmte seinen Bruder, als würden sie sich selbst schon eine Ewigkeit kennen. Tristan beobachtete das alles etwas skeptisch, fürchtete schon, dass das Ben zu viel war, doch sein Zwilling machte nicht den Anschein, als wäre dem so. Stattdessen hatte dieser ein Lächeln auf den Lippen und er versuchte diese Umarmung zu erwidern. Etwas ungelenk und unbeholfen, aber er schien sich zu freuen, dass da jemand war, der ihn direkt ins Herz geschlossen hatte, bevor sie einander wirklich kennenlernten. Das allein sorgte dafür, dass es um sein eigenes Herz warm und weich wurde. Tristan hätte niemals gedacht, diesen Moment erleben zu dürfen. Es rührte ihn wahrlich zu tränen, denn ihm wurde nun bewusst, dass diese zwei Menschen seine Familie waren. Er brauchte Katie, sie brauchte ihn und so war es genauso mit Ben. Sie waren Zwillinge. Sie brauchten einander. Und Tristan würde alles geben, um für beide da zu sein. Für immer. Solange es ihm möglich war. Deshalb zögerte er am Ende auch gar nicht lange, sondern entschied sich dazu, die beiden selbst in die Arme zu nehmen und für einen guten Moment einfach festzuhalten. Er hielt seine beiden Liebsten einfach fest und versuchte, diesen Moment für immer in sein Erinnerungsvermögen einschließen zu können.
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