Kapitel 7

„That's the problem with being the strong one.
No one offers you a hand."
-m.t.

••

Shawn

Ich wusste nicht, wie lange ich sie einfach nur ansah. Camila. Jetzt, wo ich ihren Namen kannte, war es fast, als wäre die unsichtbare Kluft zwischen uns etwas schmäler geworden. Ich blickte wieder zu ihren Augen und fragte mich wahrhaftig, ob es sich wohl so anfühlte, wenn die Welt stehen blieb. Das rege Treiben im Cafe und der Stadt herrschte immer noch, doch für mich würde das, bis ich wieder meine eigene Welt betrat, nicht mehr von Bedeutung sein. Ihr wisst doch, wie das ist. Diese kleinen, großen Geschenke des Lebens in denen ihr zur richtigen Zeit am richtigen Ort seid und sobald er vorüberzieht, habt ihr das Gefühl, dass ein – wenn auch nur winzig kleiner – Teil eures Herzens fehlt. Jeder der behauptet, so etwas noch nie erfahren zu haben, lügt.

Ich spürte noch, während die schönste Überraschung, die Florida jemals für mich bereit gehalten hatte, andauerte, dass auch ich gleich einen Teil meines Herzens verlieren würde. Zumindest für heute. Für jetzt.

„Shawn, ich..." Camila schluckte schwer und wirkte, als fiele es ihr unglaublich schwer, mir die nächsten Worte entgegenzuhauchen.

„Ich muss den Laden gleich für eine halbe Stunde dichtmachen, weil Juan – also mein Boss - während der Mittagszeit meistens ein paar Besorgungen macht, also..."

Und schon befand ich mich wieder in Coconut Grove. Unweigerlich fragte ich mich, ob Camila ebenso wieder zurückkehrte und spürte, dass die kleine, sichere Blase, die sich in den letzten Minuten zwischen uns gebildet hatte, zerplatzt war. Der ganze Laden starrte in unsere Richtung. Oder?

Ich räusperte mich. „Kein Ding, ich bin schon weg." In meiner Hosentasche fand ich das Geld, das ich brauchte, doch bevor ich es auf den Tisch legen konnte, hielt mich Camilas Stimme ab.

„Der geht aufs Haus." Ihre Stimme klang einen Hauch sanfter, als die ganze Zeit schon und ich fragte mich, wie es nur möglich sein konnte, dass man alles Gute, jeden Lichtstrahl dieser Welt in nur zwei Augen sehen konnte.

„Nein, nein. Ich bezahle. Keine Lust auf den Promi-Bonus." Ich versuchte mich an einem Zwinkern und hoffte, dass es nicht allzu sehr nach einer Grimasse aussah.

Camila wurde rot und überspielte ihr Unbehagen mit einem frechen Grinsen.

Netter Versuch. Du bist immer noch süß.

„Bilde dir bloß nichts ein. Ich habe dich nicht als erstes bedient, egal wer vor dir hier war, obwohl es bestimmt jeder Laden, in dem du warst, seit du berühmt bist, so gemacht hätte."

Es war fast schlimm, wie recht sie hatte.

„In Toronto nicht", gab ich zurück und spürte, wie sich mein Herz zusammenzog. Ich liebte die Musik, ich liebte meine Fans und ich liebte die Tatsache, meinen Lebensunterhalt mit meiner größten Leidenschaft verdienen zu können. Trotz allem vermisste ich meine Heimat. In manchen Augenblicken fehlten mir Mums Muffins und ihr „Mom-Monster-Modus" so sehr, dass ich dachte, nicht mehr atmen zu können. Obwohl sie so oft sie konnte, durch die Welt flog und mir zusah. Ich vermisste meine Schwester und wünschte mir nachts, ich hätte noch einmal mehr mit ihr gestritten oder einem Jungen, den sie interessant fand, mit einem qualvollen Tod gedroht, sollte er etwas Falsches tun. Und es völlig ernst zu meinen. Obwohl ich ihretwegen in einem kleinen Cafe in Miami gelandet war, in dem ich wieder begann, an Magie zu glauben. Ich vermisste Dad und wie „erwachsen" und trotzdem erschreckend cool er seine Haare stylte. Obwohl er mich erst gestern in seine starken Arme geschlossen und dafür gesorgt hatte, dass ich mich wieder fühlte, als wäre ich 6 Jahre alt und beim Spielen hingefallen. Er hatte mir Zeit meines Lebens eingetrichtert, dass es völliger Schwachsinn war, zu glauben, dass man als Junge nicht das Recht hatte, zu zeigen, wer man war und was man fühlte. Sich zu verstecken, war Gift für die Seele. Das sagte er, solange ich denken konnte. Er würde stolz auf mich sein, egal was geschah, hatte er versprochen. Ich wusste, dass er sein Versprechen einhalten würde und doch fühlte es sich an, als wäre er zu weit weg, als dass ich mich oft genug daran erinnern konnte. Mir fehlte meine Familie obwohl sie da war. Ich glaubte, mein Leben zu verpassen, obwohl ich es lebte und manchmal, wenn ich nachts still wach lag und Sterne zählte, fragte ich mich, ob all die Melodien in mir jedes ihrer Opfer wert waren.

„Shawn.." Camila riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich geradewegs in ihre Augen blicken. Sie hatten den Weg in meine Seele gefunden, denn sie waren etwas schwerer und trauriger geworden. Das hätte nicht passieren dürfen.

„Shawn, es tut mir leid, ich wollte nicht..." Sie klang ehrlich zerknirscht und ich begann, gegen den Kloß in meinem Hals zu kämpfen.

„Mach dir keine Gedanken", sagte ich und lächelte. Zur Hälfte echt. „Ich bin kein Fan des Star-Bonus, schon vergessen?"

Sie lachte. Zur Gänze echt, und die Welt wurde wieder ein bisschen in Ordnung.

„Wie ich schon sagte: Kein Grund, überheblich zu werden, Mendes. Ich war auf einem Konzert von dir und das nicht einmal freiwillig. Eigentlich müsste ich hier Boni einheimsen."

„Ich klatsche später, weil du dich so tugendhaft verhalten hast, versprochen. Aber, dass ich so ein Albtraum sein soll, dass man dich zwingen muss, meine Shows zu sehen, trifft mich hart."

Die Röte kehrte wieder in Camilas Gesicht zurück und um meinem Blick auszuweichen, starrte sie auf die Tür, als würde sie auf baldige Erlösung hoffen.

Immer noch süß? Definitiv.

„Ich habe doch gesagt, dass du toll warst... Ich meine deine Show war toll", stammelte sie. „Eigentlich hätte meine beste Freundin hingehen sollen. Sie vergöttert dich und würde vermutlich nicht mehr lebend hier rauskommen, wenn sie wüsste, dass du dich an ihrem Arbeitsplatz befindest. Das meine ich ernst. Eigentlich seid ihr beide schon seit Jahren verheiratet und Eltern von zwei Kindern. Um ehrlich zu sein, bin ich fast froh, dass heute ihr freier Tag ist."

Ich konnte kein Lachen unterdrücken. „Haben unsere Kinder in ihrer Vorstellung denn wenigstens schöne Namen?", fragte ich amüsiert und beobachtete Camila dabei, wie sie die Augen verdrehte.

„Eugene-Fitzherbert und Aurora."

„Du verarschst mich."

„Oh ich wünschte, es wäre so."

Ich lachte zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten. Bis ich vor der Tür des kleinen Cafes ein Klicken hörte. Meine besten Freunde, die Paparazzi waren zurückgekehrt und obwohl Camila das ebenfalls zu bemerken schien, blieb ich einfach stehen und sah sie an.

Ein Atemzug nach dem anderen. Eine Sekunde nach der anderen.

Ich wollte nicht, dass es aufhörte und dass mich meine Welt wieder zu fassen bekam. So sehr ich das Licht darin auch liebte, so sehr hasste ich die Dunkelheit und alle Zweifel in ihr. All das durfte nicht jetzt über mich herfallen. Nicht, wenn ich Augenblicke, wie diese erlebte, in denen eine Frau, der ich nichts bedeutete, mir Matcha Latte mit Vanille und ohne Promi-Bonus servierte und von ihrer besten Freundin, die sie liebte und die sich wirklich trauen würde, ihre Kinder nach Disney-Charakteren zu benennen, erzählte. Sie lächelte mich an. Noch einmal, und ich wünschte mir sehnlichst, dass ihre Mundwinkel nie nach unten glitten. Und auch wenn es nicht der Natur entsprach, wurde ich innerhalb eines einzigen Herzschlages daran erinnert, wieso ich das alles tat. Und warum es in Ordnung war, Shawn Mendes zu sein. Ging es im Leben nicht genau darum? Um Momente, die komisch, gefährlich verkehrt waren und nicht sein sollten, aber trotzdem wie eine höher bestimmte Gewalt unser Leben umkrempelten? Wenn sie mir öfter erlaubten, der zu sein, der ich hier war, würde ich sie auf das Herzlichste willkommen heißen.

„Ich schätze da draußen vermisst man dich." Camilas scherzender Tonfall rüttelte mich wach und obwohl Hochsommer war, bekam ich eine Gänsehaut. Sie war überall. Auch an Stellen, an denen sie absolut nichts verloren hatte. Zum Beispiel in einem Organ, das Blut durch den Körper pumpen sollte und damit maßlos übertrieb. Zumindest jetzt gerade.

Klappe, Herz. Es ist noch viel zu früh für solche Spielchen.

„Ja", gab ich zurück und stellte mit Entsetzen fest, wie gebrochen meine Stimme plötzlich klang.

Was zum Teufel passiert hier?

Ich räusperte mich. „Ja. Dann geh ich mal wieder zurück in mein Leben."

Ich grinste schief, schluckte schwer und hoffte, mich nicht allzu erbärmlich anzuhören.

„Viel Glück", hauchte sie leise. Wie der Wind, der durch Äste wehte und nach den Rechten sah.

Ein Lächeln noch. Bitte.

Camila kam meinem stummen Wunsch nach und verzog ihre vollen Lippen zu einem der schönsten und aufrichtigsten Ausdrücke, die ich je gesehen hatte.

„Danke für den Tee, Camila", sagte ich und drehte mich langsam um. Ich spürte ihren wachsamen Blick im Rücken, als mein ohnehin sehr unzuverlässiges Herz einen Schlag aussetzte.

„Shawn?", flüsterte sie rau und mir wurde klar, dass ich mir genau das gewünscht hatte. Dass sie mich davon abhielt, zu gehen. Viel schneller, als es angebracht war, riss ich meinen Kopf wieder in ihre Richtung.

„Ja?"

„Viel Glück. Du schaffst das."

Mein Mund wurde trocken, genauso wie ich mit einem Mal dachte, ich würde schweben. Meine Beine spürte ich jedenfalls nicht mehr.

Ich schaffe das.

Ich dachte nicht über das, was ich tat, nach. Nicht darüber, was es für Folgen haben könnte oder über die Tatsache, dass mir meine Crew die Leviten lesen würde, wenn ich sie darüber aufklärte. Schon beim Gedanken an Andrews Predigt, wurde mir anders. Er war neben seiner Funktion als mein Manager einer meiner engsten Freunde, doch manchmal machte sich sein väterlicher Instinkt bemerkbar. Besonders, wenn es darum ging, welche Menschen – Frauen – ich kennenlernte und in mein Leben ließ. Aber ich musste es tun, daran bestand kein Zweifel.

Momente.

In gefühlter Lichtgeschwindigkeit stand ich wieder bei ihr am Tresen und kramte in der anderen Hosentasche meiner Jeans. Meine Finger zitterten verräterisch und stärker als ich mir eingestehen wollte, doch ich schaffte es, zwei Tickets für die zweite Show in Miami an diesem Abend herauszuziehen. Inklusive der VIP-Pässe. Dass Camilas runde Augen noch größer wurden, musste ich ausblenden.

„Was..."

„Deine Freundin war nicht bei der letzten Show und du findest meine Musik wohl auch nicht grauenhaft, also... Kommt heute Abend vorbei, wenn ihr Bock habt. Kann ich dir texten, wo ihr warten sollt? Dann rede ich mit Jake darüber. Er ist mein Bodyguard und wird euch abholen."

Ich hatte geplappert wie ein Wasserfall und erst jetzt fiel mir auf, wie weit unten Camilas Kinnlade war.

Süß? Ja. Grinsen? Auf gar keinen Fall.

„Worauf sollen wir warten, was... Shawn, was wird das?" Wieder war ihre Stimme nichts als ein zarter Hauch und auf einmal überfiel mich der unzähmbare Drang, meine Hände auf ihre Schultern zu legen, sie zu berühren. Ihre Unsicherheit verschwinden zu lassen.

Vertrau mir einfach.

„Sieh es als Entschädigung für den Matcha. Und außerdem..." Ich grinste. „Außerdem muss ich doch meine Ehefrau kennenlernen."

Ein Räuspern drang aus Camilas Kehle. Ich wusste, dass sie es nur tat, um Zeit zu gewinnen. Sie versuchte standhaft zu bleiben und ich betete egoistisch darum, dass sie bald aufgab.

„Sie heißt Phoebe. Meine beste Freundin heißt Phoebe."

„Schöner Name", antwortete ich. „Trotzdem ist ablenken nicht deine größte Stärke."

Sie rollte mit den Augen. „Du wirst es kaum glauben, aber das höre ich öfter."

Sie schluckte schwer. „Wir... Ich kann das nicht annehmen."

„Doch, kannst du", gab ich erstaunlich ruhig zurück. „Du musst nur Ja sagen. Das ist gar nicht so schwer." Wieder grinste ich und sie tat es mir gleich.

„Vertrau mir. Das ist keine große Sache."

Du lügst.

„Für dich vielleicht nicht. Aber ich bin kein Star."

„Du kannst sein, wer immer du sein willst. Zumindest für eine Nacht. Komm schon. Bitte"

Mir wurde klar, dass mein Herz lange nicht mehr so laut gesprochen hatte, wie gerade eben. Ihr Lächeln wurde wieder echt und ich schwor mir, die Show meines Lebens zu spielen.

Sag einfach nur Ja.

Camila lachte. „Ja. Ja, wir kommen. Auch wenn das total verrückt ist."

Jetzt war ich es, der lachte. „Du meinst verrückter, als der Rest meines Lebens?"

Ich zog mein Handy aus der Tasche und hoffte, dass sie den Wink verstand. Natürlich tat sie das. Kaum eine Minute nachdem sie ihre Telefonnummer auf eine Serviette geschrieben hatte – welch ein Klischee – war sie eingespeichert.

Camilas Profilbild auf WhatsApp zeigte sie mit einem jüngeren Mädchen, das ihr erschreckend ähnlich sah. Ob die beiden oft zum gleichen Zeitpunkt aneinander dachten?

„Ich melde mich in ein paar Stunden. Okay?"

Sie nickte. „Okay."

Überrascht stellte ich fest, dass sich keine Paparazzi mehr vor dem Eingang befanden und erwog für eine Millisekunde, bis zum Konzert einfach hier zu bleiben. Aber da ich wusste, dass ich dafür mit dem Leben bezahlen würde, war das keine Option.

Camilas Stimme hielt mich noch ein letztes Mal zurück. Und ein letztes Mal wünschte ich mir, sie würde nie damit aufhören.

„Danke, Shawn."

„Keine Ursache. Man sieht sich."

„Das will ich doch hoffen."

Mein Herz sprang und sie lief knallrot an, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte.

„Ich meine... Ja, wir sehen uns. Bis dann." Dann lief sie zu einem Tisch, an dem eine ältere Dame ein gefühltes Leben lang darauf wartete, bestellen zu können. Ich warf ihr ein besänftigendes Lächeln zu und schluckte bei dem Blick, den sie zwischen mir und Camila hin- und herwandern ließ. Er schrie offenbar: „Ich weiß ganz genau, was hier los ist, Kinder."

Meine Beine trugen mich aus dem „Rosario", dem Namen des Cafes und auf den ersten paar Metern, die ich bestritt, um zum Soundcheck zu gelangen, schloss ich die Augen und spürte, wie Camilas Worte durch meine Adern pulsierten.

Du schaffst das. Du schaffst das. Du schaffst das.

Ich würde es schaffen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Fast. Es musste funktionieren, Miamis AA-Arena im hellsten Licht erstrahlen zu lassen. Heller noch, als am Abend zuvor. Für die Frau, die nur Liebe kannte.

Liebe, dich mich zwanzig Minuten, bevor das Konzert begann, verließ. Denn die Dunkelheit schlug zu und packte mich mit eisigen Klauen, bis ich glaubte, dass jeder Funken Luft aus mir entwichen war.

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Und hier ist auch das 7. Kapitel... Gefällt es euch? Ich freue mich natürlich sehr auf eure Rückmeldungen und hoffe, wir lesen uns bald wieder! :D <3

Love,

M. <3

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