Kapitel 46

"For every question why, you were my because."
-Louis Tomlinson
••


Shawn

Er war tot. Es war die erste Tatsache, der erste Fakt, den ich wahrnahm, nachdem der Schuss gefallen war, der die Frau... Die Frau in meinem Leben zu Fall gebracht hatte. Warum glitt mein Blick als zuerst zu seiner Leiche? Ich brauchte Gewissheit. Camila war vor dem Mann, der sie hätte lieben und schützen sollen und ihr stattdessen die blanke, brennende Hölle auf Erden beschert hatte, sicher. Falls sie überhaupt noch vor irgendetwas sicher war.

„Mila."

Ich hörte ihren Spitznamen. Vermutlich hatte ich ihn selbst ausgestoßen, als ich auf dem Betonboden eines verdammt kalten Miami auf die Knie gefallen war. Vielleicht auch nicht. Wer zum Teufel wusste das schon?

„Camila."

Ich hätte meine Stimme nie wieder finden sollen und doch erhob ich sie. Ich erhob eine einzige Katastrophe, einen von einer Milliarde Weltuntergängen. Ihre Augen waren geschlossen und warme Flüssigkeit klebte an meinen Fingern. Teuflischer roter Saft, der aus ihrem Bauch quoll und mit schwindelerregender Geschwindigkeit alles fortriss, das mir jemals etwas bedeutet hatte. Ich schrie. Vielmehr war es meine Seele. Und dann spürte ich unter mir eine mikroskopische Regung. Ein leises Keuchen erfüllte mich innerhalb von Millisekunden mit viel zu gefährlicher Hoffnung.

„Sha..."

Das Leben war ihr größter Erzfeind und während sie gegen sein Verlassen ankämpfte, versuchte Karla Camila Cabello Estrabao doch tatsächlich meinen Namen auszusprechen. Ich zerbarst und fand mich damit ab, nie wieder ein Ganzes zu sein. Zumindest nicht, solange sie es nicht war.

„Spare deine Kräfte, Baby", hauchte ich und betete zu jeder nur möglichen und vielleicht existenten höheren Macht darum, gehört zu werden.

„Spare deine Kräfte, aber du musst mir versprechen, dass du bei mir bleibst. In Ordnung, Süße?"

„Shawn..."

Wenn die Zeitlupe auf dieser Welt nicht schon längst eingesetzt hatte, dann tat sie das spätestens jetzt. Ich wurde fortgerissen und hieß den kalten Schweiß auf meiner Stirn willkommen. Jedes Geräusch klang dumpf, während ich die Rettungskräfte beobachtete. Verdammte Scheiße, bloß weil alles viel zu langsam lebte, hieß das nicht, dass sie in genau derselben Geschwindigkeit handeln mussten. Irgendwann weinte ich und wurde mir dessen erst bewusst, als Juan mich in seine väterlichen Arme schloss. Juan. Was tat er überhaupt hier? In jedem anderen Augenblick hätte ich diese Frage vermutlich laut ausgesprochen. Doch jetzt... Jetzt klang die Idee, dass mein Herz weiterschlug, während Camilas sich dagegen sträubte, wie die absurdeste Sache der Welt.

„Juan... Juan, sie... Sie weiß nicht, dass..."

Er bekam mich an der Schulter zu fassen. „Doch, Shawn. Sie weiß es. Sie weiß alles. Und wenn ihr eines durch die nächsten Stunden helfen wird, dann die wundervolle Gewissheit, dass du sie mehr liebst, als alles andere auf der Welt."

Man fragte mich, was geschehen war, dabei wusste ich es nicht. Ich hatte keinen blassen Schimmer und wünschte mir, nicht der Einzige zu sein, dem es so ging. Gerade, als ich beschlossen hatte, nicht noch einen Schluck des grässlichsten Kaffees aller Zeiten zu nehmen, spürte ich einen Blick auf mir. Ich hob den Kopf. Sinuhe sah mich an und trotzdem durch mich hindurch. Und sie sah müde aus. So unfassbar müde.

„Ist es meine Schuld, Shawn?", fragte Camilas Mutter unverwandt.

„Nichts ist deine Schuld, Sinuhe." Ich klang wie ein Roboter, dabei hatte ich lange nichts mehr so ehrlich gemeint, wie diese fünf Worte.

Es ist meine Schuld.

Der Satz brannte mir auf der Zunge und mit einem Mal wurde mir übel. So übel, dass es an ein Wunder grenzte, dass ich mich nicht übergab.

„Ich wollte sie schützen und wäre eher gestorben, als dass ich zugelassen hätte, dass meinen Töchtern etwas geschieht. Ich wollte uns aus unser aller Albtraum wecken und jetzt ist mein kleines Mädchen..."

Ihre Stimme versagte und der Klumpen in mir schlug mit aller Kraft gegen meinen Magen.

„Was, wenn sie nicht aufwacht?", wisperte ich und wusste, dass ich Scham fühlen sollte, diese Option auch nur in Erwägung zu ziehen. Aber da war nichts dergleichen. Bloß nackte, elende Angst und Milas Augen vor meinen. Tausend Worte und Sehnsüchte, die meine Seele barg und die niemals laut werden würden.

„Und was wenn doch?" Sinuhes Lippen verzogen sich zu dem Ansatz eines traurigen Lächelns.

„Ich liebe sie, Sinu", raunte ich und bei der Erwähnung ihres Spitznamens flog ein Ausdruck der Güte über das Gesicht der Frau, die noch so viel mehr zu verlieren drohte, als ich und es doch hinbekam, mir Mut zu schenken.

„Ich liebe sie mit allem, was ich jemals war und mit allem, was ich jemals sein werde. Ich wollte ihr nie wehtun und ich..."

„Ich weiß, Shawn", fuhr sie dazwischen und legte eine Hand auf meiner Schulter ab. „Das weiß ich, aber ich bin nicht diejenige, die das hören muss."

Ich nickte.

„Ich brauche sie."

„Das tun wir alle."

Ein kleines Leben verging, ehe ich versuchte die Stimmung aufzulockern. Und mir wurde, kaum, dass ich den Satz ausgesprochen hatte, klar, wieso ich es besser hätte sein lassen sollen.

„Wieso bin ich eigentlich noch immer hier und atme? Immerhin habe ich deiner Tochter das Herz gebrochen."

In gespielter Empörung schlug Sinuhe mir auf den Arm.

„Manche Dinge weiß ich einfach und ich weiß und vermag sie auch richtig einzuschätzen. Eines dieser Dinge ist deine Liebe zu Camila." Ich schluckte trocken.

„Sie war einfach immer nur sie und ihr Herz hat gewusst, dass du sie genauso wolltest. Ich denke, nicht einmal sie selbst weiß, wie sehr sie dich tatsächlich braucht. Und Shawn?"

Sie weiß....

Die Tatsache, dass Sinuhe ganz selbstverständlich über ihre Tochter sprach, als würde diese nicht gerade um ihr Überleben kämpfen, erfüllte mich mit verräterischer Hoffnung.

„Ja?", gab ich viel zu spät zurück.

„Sie glaubt dir, dass du nichts von dem, was passiert ist, jemals wolltest. Ihr abgefuckter Kopf will nicht, dass sie das tut, aber sie glaubt dir. Mit ganzer Seele."

Ich schmunzelte fast darüber, dass Camilas Mutter geflucht hatte und starrte ihr hinterher, als sie auf dem Weg zu den Toiletten langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Das Bedürfnis, sie zu stützen, überkam mich mit voller Wucht, doch ich überließ sie ihrem Kampf, weil ich wusste, dass sie mehr als nur stark genug war, ihn selbst auszufechten.

„Ich wollte ihr auch nie wehtun."

Phoebe Torres strich sich eine ihrer Locken aus der Stirn und mein Mund... Na ja. Er schwebte nur ganz knapp über dem Boden.

„Was zum Teufel machst du hier?"

Ich kam nicht umhin, so zu klingen, wie ich mich fühlte: Wütend und verdammt beschissen.

Phoebe lächelte traurig. „Was denkst du denn? Meine beste Freundin wurde..."

Ich lachte. Das Geräusch passte nicht einmal ansatzweise in die Kulisse und mir war klar, dass es klang, als hätte ich vollends den Verstand verloren. Vermutlich war auch das nichts als die Wahrheit.

„Wie wagst du es, dich jetzt... jetzt als ihre beste Freundin zu bezeichnen? Und wage es ja nicht, mir irgendetwas davon zu erzählen, dass es nicht nur deine Schuld gewesen wäre, denn, fuck, das war es. Ich habe Camila lange, bevor dieser Irre auf sie geschossen hat, verloren. Und das ist deinetwegen geschehen. Ja, ich bin bei Gott nicht perfekt und das werde ich niemals sein. Ich habe Fehler gemacht und das werde ich auch weiterhin tun. Aber jetzt bin ich bloß ein verdammt müder Mann, der eine Frau liebt. Lass es mich einfach sein und verschwinde."

Sie starrte. Sie starrte nicht einmal mich an, sondern einfach nur irgendwohin, vermutlich um sich selbst vor dem Zerbrechen zu schützen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich mir nicht sicher, ob Phoebe nicht schon längst in ihre Einzelteile zersprungen war, bevor ich endgültig verstand, dass ich keinen weiteren Augenblick in Gesellschaft dieser Frau verbringen konnte.

„Geh', Phoebe", bat ich.

Fünf. Zehn. Fünfzehn.

Und sie ging.

„Sie lebt."

Ich brauchte länger, als vermutlich angemessen war, um zu registrieren, dass tatsächlich ein Arzt vor mir stand und seine Worte an mich richtete.

„Könnten Sie das noch einmal sagen? Bitte?", flehte ich hoffnungsvoll und klang wie ein Verdurstender, der nach Tagen Wasser gesichtet hatte. Die Mundwinkel des Arztes zuckten und am liebsten hätte ich seine hohe Nase gebrochen.

„Ms. Cabello lebt. Die Kugel der Pistole hat eine Vene verletzt. Dies war mit übermäßig hohem Blutverlust verbunden, aber zum Glück konnten wir ihn rechtzeitig stoppen."

Nachdem er schwieg, verstand ich, dass nur ein einziger Satz vollständig zu mir durchgedrungen war.

Sie lebt. Sie lebt. Sie wird leben.

„Ich muss zu ihr." Es war keine Frage. Nicht einmal ein Wunsch. Es war ein verdammter Befehl. Und obwohl der Halbgott in Weiß den Mund öffnete, vermutlich um Einspruch zu erheben, folgte ich zum ersten Mal meinem Herzen. Wirklich und wahrhaftig.

Schmerzhafte Schönheit. Schöner Schmerz. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass so etwas existierte. Vor Camila war das für eine ganze Menge an Dingen der Fall gewesen. Ich wollte nicht zum Vorher zurück. Nie wieder.

„Shawn..."

Sie lebte. Sie atmete. Sie sprach. Und das erste Wort, das ihre vollen Lippen verlassen hatte, nachdem sie aus grausamem Schlaf aufgewacht war, war mein Name. Das egoistische Arschloch in mir war unbeschreiblich dankbar.

Reflexartig griff ich nach vorne und umschloss ihre zierliche winzige Hand mit meiner.

„Süße... Süße, du hast mir solche Angst gemacht und ich... Ich..."

Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.

„Shawn... Wir sind nicht mehr eins. Wir sind nicht mehr zusammen. Was machst du hier?"

Mir war nicht kalt. Ich war Eis. Pures Eis und gleichzeitig verbrannte ich bei lebendigem Leibe. Es würde nicht so enden. Wir durften nicht so enden, verdammt.

„Ich liebe dich. Camila, ich liebe dich und ich will nicht, dass du jemals wieder denkst, ich würde es nicht tun."

Ihre Hand zuckte und mit ihr der Infusionsbeutel, an den sie angeschlossen war. Doch ich fixierte ihre Augen. Ihre Seele, aus der sich eine kleine Träne ihren Weg nach draußen bahnte.

„Shawn... Du kannst mich nicht nur lieben, weil ich angeschossen wurde."

Sie zitierte ihre absolute Lieblingsautorin und wie jedes Mal, wenn sie das tat, zog sich mein Herz zusammen. Doch dieses Mal hieß ich den Schmerz nicht willkommen. Ich hielt ihn mit aller Kraft fort. Und dann lachte ich. Bitter und traurig und verzweifelt.

Du verdammter Psychopath.

„Nein", sagte ich und schluckte hart. „Nein. Ich liebe dich nicht, weil du angeschossen wurdest. Ich liebe dich, weil ich nicht weiß, wieso ich es tue. Ich liebe dich, weil ich nicht anders kann. Das werde ich niemals können. Ich liebe alles an dir. Und meine Welt... Mein kleine, enge Welt wird zu deiner. Und sie dreht sich, weil dein wundervolles Herz schlägt."

Ich küsste die Frau, die ich liebte. Camila schmeckte nach Abschied, Liebe, Schmerz, Hoffnung und Neuanfang. Ihre Zunge traf an meine und es fühlte sich an, als wären wir nie weg gewesen. Wir lösten uns voneinander und ich lächelte. Bis ich es nicht mehr tat.

Camila schluckte, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Dann schüttelte sie ihren Kopf. Und ich ging.

In dieser Nacht fing ich an, zu schweigen. Ich sprach zwar, aber kein Wort schien mehr irgendeinem Sinn zu folgen. Meine Gedanken lichteten sich eines Nachts im Januar, als meine Tour seit drei Wochen zu Ende war. Mein Manager saß mir gegenüber und ich hob meinen Blick, bevor ich mich fragte, wann ich zum letzten Mal jemanden wahrhaftig angesehen hatte. Ich räusperte mich.

„Andrew?"

„Ja, Shawn?"

Ich verabschiedete mich von meinem Dasein als Zombie und er scheiterte kläglich daran, seine Erleichterung darüber zu verbergen.

„Ich denke, ich weiß, was ich tun muss."

Andrew hob eine skeptische Braue.

„Und das wäre?"

„Ich brauche Hilfe."

Wir wussten beide, dass ich seiner eigentlichen Frage ausgewichen war, doch er ließ es mir durchgehen. Zumindest heute Nacht.

„Wessen Hilfe brauchst du, Shawn?"

Ich holte Luft und sah Andrew an.

Ich sah ihn wirklich an.

„Brittainy", raunte ich. Heiser.

„Ich brauche Brittainy C. Cherry."

-

Late night update! Es tut mir leid, dass es so spät geworden ist und - Überraschung! - Ich bin nicht zufrieden damit. :O :D

Aber vielleicht gefällt es euch ja. <3

Was hat Shawn denn plötzlich mit Camilas Lieblingsautorin vor? :D

Alles Liebe,

eure Maggie <3

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