Kapitel 30

„And if love be madness, may I never find sanity again."
-John Mark Green
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Camila

In Miami war es tatsächlich kalt. Als ich aus dem Flugzeug stieg und merkte, dass Phoebe mich hielt, fragte ich mich, ob nicht doch alles so war wie immer und ob nicht auch ich die einzige war, die fror, doch zu Hause fehlte es an Hitze. Und es lag nicht daran, dass ich alleine war, obwohl ich nicht alleine war. Denn ich wusste: Selbst, wenn wir den heißesten Abend in der Geschichte Floridas erleben würden, würde ich nichts als Gänsehaut spüren. Grässlicher Gänsehaut, die Art ihrer, die ich in Augenblicken gespürt hatte, an die ich mich nicht erinnern wollte. Meine beste Freundin hielt mich und trotzdem fiel ich weiter, als ich dachte fallen zu können. Denn mein Herz war zu weit weg von dem des Mannes, der die Musik fühlen sollte. Im besten Fall tat er das auch du vergaß hoffentlich sogar, wie viel zu klein meine Seele für ihn war. Spätestens, wenn er in Pittsburgh in tausende Gesichter blickte und ihm klar wurde, wie viel Mut ein einzelner Blick von ihm in einem Herzen entfachen konnte. Nicht selten fragte ich mich, ob Shawn wirklich wusste, was er Nacht für Nacht tat. Er rettete Leben. Und irgendwo unter allen, die bei ihm sicher waren, befand ich mich. Vielleicht würde er mich weiterhin lieben.

Maktub.

Das Versprechen, dass ich keine Angst haben musste und Shawns Frage nach dem Okay ließen mich lächeln, während ich zum ersten Mal, seit ich wusste, was Liebe sein konnte, vor dem „Rosario" stand und mir mit Phoebes beruhigenden Worten im Ohr die Augen aus dem Kopf heulte.

Ich war trotz der Uhrzeit dankbar für den Ansturm in unserem kleinen Cafe, denn er übertönte die Schreie meines Kopfes. Sie klangen ganz und gar nicht wie alle Lieder, die Shawn mir jemals hätte vorsingen können, sondern wie verstimmte Drohungen, die mich dafür verspotteten, zu lieben. Weil sie zu wissen glaubten, dass Shawn es nicht mehr lange tun würde.

„Bekomme ich einen Matcha Latte?"

Mein Herz segelte gefährlich durch meinen Körper und lag irgendwo, wo es keinen Platz hätte finden sollen, als ich aufblickte und mir klar wurde, dass ich den blonden Typen mit anstrengend blauen Augen nicht zum ersten Mal sah. Er kümmerte mich nicht, doch da seine Bestellung mich daran erinnerte, dass Shawn nicht hier war, gab ich Phoebe mit einem flüchtigen Seitenblick zu verstehen, dass ich ihn nicht bedienen würde. Mein Verhalten war, objektiv betrachtet, absolut inakzeptabel, doch meine beste Freundin dirigierte den bekannten Fremden zu einem Tisch in der hintersten Ecke, bevor sie mich schweigend ansah und ich ihr gar nicht verbieten musste, etwas zu sagen. Weil ich diejenige war, die begann zu sprechen, nachdem sie mich umarmt hatte. Einfach so.

„Er wird morgen einundzwanzig."

„Ich weiß, Cami."

„Ich liebe ihn, Phoebe. Ich liebe ihn wirklich."

Sie lachte heiser und es störte mich nicht.

„Ich weiß. Und weißt du was? Er weiß es auch."

Ich wollte grinsen, so sehr wollte ich grinsen, doch mein millionster armseliger Schluchzer war schneller.

In Phoebes Blick fand ich etwas, das beinahe Mitleid ähnlich werden konnte und hätte mir am liebsten eine dafür verpasst. Mir, nicht ihr. Mir, weil ich es zugelassen hatte. Phoebe drückte meine Schulter und seufzte.

„Hau schon ab. Es sind nicht mehr viele Leute hier und Juan wird es verstehen."

„Ich bekomme das hin."

Ich log und war stolz darauf. Fast.

„Torres hat Recht." Juans Stimme erklang hinter mir und auf einmal kam mir die Kaffeemaschine die ich eben noch so pedantisch poliert hatte, ungeheuer schmutzig vor.

„Gib mir deine Schürze und geh nach Hause Mila. So wie du heute arbeitest, kommen wir besser zu zweit klar."

Wow. Muchisimas gracias, jefe. Vielen Dank auch.

Ich widersprach nicht, und nahm nur Bruchteile der Sätze, die zwischen Phoebe und Juan hin- und herflogen, wahr.

„Er hat morgen Geburtstag."

„Sie kriegt das hin."

Oh, wie sehr ich hoffte, dass wir Recht behielten. Alle zusammen.

Vielleicht hätte ich nicht um 23:58 wie eine Irre jeden Herzschlag zählen sollen, der verging, bis die Zahl der Augusttage auf meinem Handy auf acht umsprang. Doch genau das tat ich. Ich hätte wissen sollen, dass mein Freund mir an seinem eigenen Geburtstag zuvorkommen würde. Doch genau das tat ich nicht.

Shawn: Es ist beschissen, einundzwanzig zu werden, wenn du nicht hier bist.

Ich: 00:00 Uhr... Ich liebe dich. So sehr, dass es wehtut.

Shawn: Baby, ich habe drei Shots Tequila intus. Ohne Salz und Zitrone. Ich werde auf der Stelle wie ein kleiner Junge flennen. Lass es nicht so weit kommen. Bitte.

Mein Herz zog sich zusammen, bis mir speiübel war, als mir klar wurde, wie sehr ich seine betrunken Lippen küssen wollte.

Ich: Was machst du gerade?

Shawn: Ich lese.

Ich: Verarsch mich nicht. Ich mache mir Sorgen.

Shawn: 00:05 Uhr. Mrs. Cherry sagt, die Welt... Stopp... Meine Welt dreht sich. Und das nur weil dein Herz schlägt.

Immer wieder verschwamm jeder Buchstabe der Welt, die erst er mir gezeigt hatte, vor meinen Augen. Ich brach zusammen und fragte mich, ob er es wusste.

Ich: 00:10 Uhr. Feliz cumpleaños, mi amor. Happy Birthday, Baby.

Wenn Mamá Kaffee kochte, schmeckte er besser. Galt das nicht für alles, was Mütter kreierten? Aufgeschnittene Äpfel? Kuchen? Als vierjähriges Mädchen hätte ich ohne zu zögern in die Welt hinausgeschrien, dass meine Mutter magisch war, wenn mich jemand gefragt hätte. Aber das hatte nun einmal niemand getan. In dem Versteck, das nicht einmal ich wirklich kannte, war sie es immer gewesen. Mum, meine Heldin, durch die jedes Problem zu einem Abenteuer und jede Hürde zur Herausforderung wurde. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, in denen ich hätte werden sollen, was man sehen wollte und manchmal glaubte ich sogar, dass mir das gelungen war, doch egal was geschah, eine Sache blieb bestehen: Mamás Superkraft blitzte auf wie ein Sonnenstrahl im Regen, den Miami niemals sah und niemand bemerkte sie. Nicht einmal ich. Nicht einmal sie selbst.

„Wie sehr fehlt er dir?"

Sinuhe Estrabao schob ihre Brille nach unten und musterte mich, als würde sie nach der Seele suchen, die sie längst gefunden hatte.

„Spielt das eine Rolle?", fragte ich und nippte an meinem warmen Getränk, während ich meine Tischplatte fixierte. Meine Augen schienen mit Kräften Shawns verdrängen zu wollen, wenn ich sie schloss. Deswegen sah ich meine Mutter an. Ich erkannte alles und nichts und wieder sammelte sich ein schweres Tränenmeer in meinem Magen.

Schluck. Schluck. Schluck.

„Diese Frage beantwortet meine nicht."

Ich räusperte mich. „Ich habe Angst."

Es war die größte Schande und doch das Ehrlichste, zu dem ich mich durchdrang.

„Wovor, hija?"

Der Blick meiner Mutter war voller Sanftmut und Verständnis. Vermutlich musste ich ihm genau deshalb ausweichen und mir eine Antwort sparen, die ich ohnehin nicht kannte.

„Macht es dir Angst, dass du Shawn liebst?"

Ich schüttelte den Kopf und grinste. Zur Hälfte echt.

„Ya no. Nicht mehr, Mamá."

Sie zog ihre schmalen Augenbrauen nach oben. „Entonces, ¿qué es? Was ist es dann?"

Ich wartete bis der letzte Tropfen Kaffee in meinem Magen angekommen war und ignorierte die schmerzenden Tränen in meinen Augen.

„Ich habe Angst, weil er mich liebt. Er kann so viel mehr sein, leben und lieben. Irgendwann wird er aufwachen, mich bereuen und versuchen, so zu tun, als hätte es mich nie gegeben. Weil er glauben wird, dass ich das einzige bin, das ihm jemals zeigen wird können, was Liebe ist. Ich will nicht, dass er den Glauben an das schönste und größte Gefühl verliert. Ich reiche nicht, Mum. Ich reiche nicht aus, nicht für Shawn."

Es war verdammt kalt. Das Wasser, das ich ins Gesicht bekam, ließ mein Blut an Ort und Stelle verharren und meine Augen sich weiten.

„Wofür zum Teufel war das denn?"

„Für den größten Schwachsinn, den ich jemals gehört habe."

Die harten Gesichtszüge meiner Mutter wurden weich, bevor sie nach meiner Hand griff.

„Denkst du nicht, du solltest Shawn die Entscheidung nach der Liebe, die er spüren will, überlassen? Was, wenn das, was zu geben vermagst, genau das ist, wonach er sich sehnt? Was dann, Mila? Rumi sagt: ‚Liebende finden sich nicht einfach irgendwo. Sie sind immer schon einer im anderen.' Ja, wir werden in diesem Leben genügend Fehler machen, um ein ganzes Buch damit füllen zu können. Aber wohin mit all den schönen Seiten? Ihr könnt sie nur gemeinsam beschreiben. Und nur dann, wenn du es zulässt. Lasse dich von dem Mann lieben, der jedes Wort in deinem Herzen - ganz gleich, ob du es aussprichst oder nicht - zu schätzen weiß. Lass ihn mit dir eure Geschichte schreiben, Camila."

„Meine Welt dreht sich, weil sein Herz schlägt. Er behauptet dasselbe." Verstohlen wischte ich salzige Ängste fort und verbannte sie auf den Grund meiner Seele. Mamás Augen nahm warme Erkenntnis ein.

„Er hat deinen liebsten Roman gelesen?"

„Verrückt, nicht wahr?" Ich lachte, zu schnell für meinen Verstand. „Er liest eigentlich nicht so oft."

Meine Mutter schmunzelte kopfschüttelnd und musterte mich anschließend.

„Und du denkst wirklich, du wärst nicht genug?"

Ich hatte zur Frühschicht apokalyptische Stimmung im Laden erwartet. Das „Rosario" war jedoch totenstill. Ich spürte keinen Atemzug. Nicht einmal, als ich Phoebe hinter dem Tresen sah. Ihr Mund schwebte knapp über dem Boden und es dauerte nicht lange - nur so lange, bis ich auf die Theke blickte - bis sich auch meiner dazugesellte.

„Das sind...."

„....Hunderttausend Mäuse."

Phoebe hatte meinen Satz beendet und ich hatte ihn kaum gehört.

Einhunderttausend Dollar...

Die handgeschriebene Notiz unseres Chefs lag ausgerollt neben den Scheinen.

„Dankt mir lieber nicht, denn ich bereue es schon jetzt. Spätestens, wenn der Bursche in Asien unterwegs ist, seid ihr wieder hier. Wehe eine, von euch kommt schwanger zurück.

Os quiero, chicas. Ich hab euch lieb, Mädels.

-Der beste Boss in Florida"

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Zu später Stunde ein neues Kapitel :D <3

Da hat Juan Camila und Phoebe doch glatt den größten Gefallen der Welt getan, was? :)

Was denkt ihr darüber? Wie könnte es weitergehen?

Ich bin gespannt, was ihr so denkt und hoffe, dass euch das Kapitel gefällt. <3

Much love,

Maggie <3

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